Würdevoller Abgang?
In regelmäßigen Abständen zeigen uns die Medien einen Typ von Monster, Todesengel oder Mörder im weißen Kittel, die auf dem Altar des guten Gewissens aller Rechtschaffenen geopfert werden. Man wirft ihnen vor, alte und kranke Menschen, Patienten oder Heimbewohner nach eigenem Gutdünken getötet zu haben. Sie selbst halten sich zugute, diese Menschen von einem unerträglich gewordenen Leiden oder einem würdelosen Leben befreit zu haben.
Welche Motive die Täter im Einzelnen gehabt haben, darüber müssen die Gerichte entscheiden. Aktive Sterbehilfe, so der technische Begriff, ist nach deutschem Strafrecht verboten. Das Leben, so die Argumentation, ist ein unverfügbares verfassungsrechtliches Gut von hohem Rang, da kommt eine Rechtfertigung nicht in Frage.
Was aber heißt Leben? Die alten Griechen unterschieden zwischen Bios und Zoe, und meinten damit einmal die nackte biologische Existenz, der sie mit Zoe das gute Leben entgegenstellten. Eine Unterscheidung, die in ihrer Kultur eingebettet war und dort vermutlich als unproblematisch galt. Wir würden heute vielleicht vom menschenwürdigen Leben sprechen.
Was aber macht die Würde des Menschen aus? Man hat sie je nach Bedarf gedehnt und missbraucht. Auch der Begriff des Lebens selbst wird an seinen Rändern unscharf: wo beginnt es? Wo hört es auf? Leben, so der Alltagsverstand, ist ein natürlicher Zustand, der, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, einen natürlichen Anfang und ein natürliches Ende hat. Natürlich heißt, ohne unser Zutun. Denn alles, wofür wir Verantwortung übernehmen können, fällt in den Bereich der Kultur. Das aber stimmt schon lange nicht mehr. Zeugung und Geburt sind heute keine natürlichen Tatsachen.
Vor nicht allzu langer Zeit entstand ein juristischer Streit über die Frage, ob eine tief gefrorene befruchtete Eizelle als Erbe eines Vermögens in Frage kommt. Der gut betuchte Samenspender war verstorben, bevor aus der zur Hälfte mit seinen Genen versehenen Vorstufe ein lebendiger Mensch werden konnte - was der Verstorbene erhofft hatte.
Am anderen Ende, beim Tod, sind die Verhältnisse ebenfalls unübersichtlich. Ist ein Organismus, der von Maschinen am Laufen gehalten wird, noch lebendig? Kann man eine biologische Existenz, dauerhaft jeglicher Selbstbestimmtheit und Autonomie beraubt, noch menschenwürdig nennen? Mensch ist der, so die Philosophie, der Ich sagen kann. Was aber, wenn dieses Ich erlischt, oder wenn es sagt: Ich will nicht mehr und seine Mitmenschen bittet, ihm ein Ende zu setzen? Hier müssten wir moralisch-ethisches Neuland betreten und einen Schritt tun, der gerade in Deutschland schwer fällt.
Andere Gesellschaften, wie beispielsweise die Niederlande, sind da weiter. Sie haben versucht, das Problem der aktiven Sterbehilfe behutsam und umsichtig durch entsprechende Verfahren zu lösen. Auch hierzulande hört man bei Diskussionen über den körperlichen Verfall oft den achtlos hingeworfenen Satz, Ich möchte so nicht enden und ich werde rechtzeitig - ja was?! Selbstmord begehen, den Arzt meines Vertrauens um Sterbehilfe bitten?
Wir sehen das Problem, wir sind immer wieder auch selbst damit konfrontiert und mit dem demographischen Wandel wird uns das Thema immer stärker bedrängen. Aber wir haben keine Sprache dafür, keine Regelungen, keine Ethik, keine Verfahren und Institutionen, die uns helfen könnten, angemessen über Leben und Tod zu entscheiden. Wir stellen uns blind wie Justitia und behaupten nach wie vor, das Leben nehme ein natürliches Ende erst dann, wenn wir all unsere lebensverlängernde Technik ausgereizt haben.
Damit drücken wir uns auf Kosten der Menschenwürde all jener, die wir unerbittlich am Leben halten, vor einer Frage, die uns Angst macht: Wo endet ein menschenwürdiges Leben? Wir tun so, als wäre das menschliche Leben immer noch von Natur aus begrenzt. Dabei laufen wir Gefahr, alle Standards und Maßstäbe von Würde, von Autonomie, von Selbstachtung im Namen einer abstrakten Idee des natürlichen Lebens zu vergessen.
Jeder, der in diese Situation kommt, wird allein gelassen und sieht sich von erhobenen Zeigefingern der für die Moral in unserer Gesellschaft zuständigen Institutionen umzingelt. Recht und Religion helfen hier nicht weiter.
Ebenso wenig aber ist geholfen, wenn man Sündenböcke bastelt und jene, die sich - ohne rechtliche Grundlage und vielleicht auch oft ohne gute Gründe - anmaßen, eine irreversible Entscheidung über Leben und Tod zu treffen, die im Angesicht der Frage - Ist dieses Leben für diejenigen, die es erleiden müssen, noch lebenswert? - einfach und einsam handeln.
Ein Fall, wie der des Pflegers in Sonthofen, dem man Mord und Totschlag zulasten seiner Schützlinge vorwirft, sollte uns eher daran erinnern, im Angesicht unserer fortschreitenden technischen Möglichkeiten die anstehenden ethischen und moralischen, juristischen und kulturellen Hausaufgaben zu machen. Denn irgendwann kann es jedem von uns passieren, dass er sich fragt: Ist dieses Leben noch lebenswert?
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".
Was aber heißt Leben? Die alten Griechen unterschieden zwischen Bios und Zoe, und meinten damit einmal die nackte biologische Existenz, der sie mit Zoe das gute Leben entgegenstellten. Eine Unterscheidung, die in ihrer Kultur eingebettet war und dort vermutlich als unproblematisch galt. Wir würden heute vielleicht vom menschenwürdigen Leben sprechen.
Was aber macht die Würde des Menschen aus? Man hat sie je nach Bedarf gedehnt und missbraucht. Auch der Begriff des Lebens selbst wird an seinen Rändern unscharf: wo beginnt es? Wo hört es auf? Leben, so der Alltagsverstand, ist ein natürlicher Zustand, der, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, einen natürlichen Anfang und ein natürliches Ende hat. Natürlich heißt, ohne unser Zutun. Denn alles, wofür wir Verantwortung übernehmen können, fällt in den Bereich der Kultur. Das aber stimmt schon lange nicht mehr. Zeugung und Geburt sind heute keine natürlichen Tatsachen.
Vor nicht allzu langer Zeit entstand ein juristischer Streit über die Frage, ob eine tief gefrorene befruchtete Eizelle als Erbe eines Vermögens in Frage kommt. Der gut betuchte Samenspender war verstorben, bevor aus der zur Hälfte mit seinen Genen versehenen Vorstufe ein lebendiger Mensch werden konnte - was der Verstorbene erhofft hatte.
Am anderen Ende, beim Tod, sind die Verhältnisse ebenfalls unübersichtlich. Ist ein Organismus, der von Maschinen am Laufen gehalten wird, noch lebendig? Kann man eine biologische Existenz, dauerhaft jeglicher Selbstbestimmtheit und Autonomie beraubt, noch menschenwürdig nennen? Mensch ist der, so die Philosophie, der Ich sagen kann. Was aber, wenn dieses Ich erlischt, oder wenn es sagt: Ich will nicht mehr und seine Mitmenschen bittet, ihm ein Ende zu setzen? Hier müssten wir moralisch-ethisches Neuland betreten und einen Schritt tun, der gerade in Deutschland schwer fällt.
Andere Gesellschaften, wie beispielsweise die Niederlande, sind da weiter. Sie haben versucht, das Problem der aktiven Sterbehilfe behutsam und umsichtig durch entsprechende Verfahren zu lösen. Auch hierzulande hört man bei Diskussionen über den körperlichen Verfall oft den achtlos hingeworfenen Satz, Ich möchte so nicht enden und ich werde rechtzeitig - ja was?! Selbstmord begehen, den Arzt meines Vertrauens um Sterbehilfe bitten?
Wir sehen das Problem, wir sind immer wieder auch selbst damit konfrontiert und mit dem demographischen Wandel wird uns das Thema immer stärker bedrängen. Aber wir haben keine Sprache dafür, keine Regelungen, keine Ethik, keine Verfahren und Institutionen, die uns helfen könnten, angemessen über Leben und Tod zu entscheiden. Wir stellen uns blind wie Justitia und behaupten nach wie vor, das Leben nehme ein natürliches Ende erst dann, wenn wir all unsere lebensverlängernde Technik ausgereizt haben.
Damit drücken wir uns auf Kosten der Menschenwürde all jener, die wir unerbittlich am Leben halten, vor einer Frage, die uns Angst macht: Wo endet ein menschenwürdiges Leben? Wir tun so, als wäre das menschliche Leben immer noch von Natur aus begrenzt. Dabei laufen wir Gefahr, alle Standards und Maßstäbe von Würde, von Autonomie, von Selbstachtung im Namen einer abstrakten Idee des natürlichen Lebens zu vergessen.
Jeder, der in diese Situation kommt, wird allein gelassen und sieht sich von erhobenen Zeigefingern der für die Moral in unserer Gesellschaft zuständigen Institutionen umzingelt. Recht und Religion helfen hier nicht weiter.
Ebenso wenig aber ist geholfen, wenn man Sündenböcke bastelt und jene, die sich - ohne rechtliche Grundlage und vielleicht auch oft ohne gute Gründe - anmaßen, eine irreversible Entscheidung über Leben und Tod zu treffen, die im Angesicht der Frage - Ist dieses Leben für diejenigen, die es erleiden müssen, noch lebenswert? - einfach und einsam handeln.
Ein Fall, wie der des Pflegers in Sonthofen, dem man Mord und Totschlag zulasten seiner Schützlinge vorwirft, sollte uns eher daran erinnern, im Angesicht unserer fortschreitenden technischen Möglichkeiten die anstehenden ethischen und moralischen, juristischen und kulturellen Hausaufgaben zu machen. Denn irgendwann kann es jedem von uns passieren, dass er sich fragt: Ist dieses Leben noch lebenswert?
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".