Wuchtiges Sonderangebot

Rezensiert von Carsten Hueck |
Vor gut zehn Jahren gelang Bernhard Schlink mit seinem ersten Roman „Der Vorleser“ ein Welterfolg. Millionenfach verkauft, bis heute in vierzig Sprachen übersetzt, verband er eine erotische Initiationsgeschichte mit deutscher Nazi-Vergangenheit. Nun hat er nachgelegt. „Die Heimkehr“ heißt sein zweiter Roman.
Der Autor, mit über sechzig Jahren reich an Lebenserfahrung, im bürgerlichen Beruf als Jurist hoch anerkannt, auch ökonomisch unabhängig, hätte gelassen ans Werk gehen können. Schnell jedoch wird deutlich, wie sehr er sich bemüht hat, ganz was Dolles zu schaffen. Eine Liebesgeschichte. Eine Geschichte über das Schicksal von Täter- und Kriegskindern. Eine philosophische Abhandlung über die Existenz des Bösen, über Väter und Söhne, Schuld und keine Sühne. Üppiges Personal und illustre Schauplätze geben hierfür das Dekor ab: Pulitzerpreisträger, Gauleiter, Stasimitarbeiter, deutsche Provinz, amerikanische Metropole, Yogakurse, jede Menge Lifestyle und Zeitgeschichte – kompiliert auf 374 Buchseiten. Ein wuchtiges Sonderangebot.

Held und Ich-Erzähler des Romans ist Peter Debauer. Sprössling einer arbeitsamen Tochter Schlesiens, die später im Cabrio über bundesdeutsche Straßen rauscht und mit dem Sohn nicht über dessen Erzeuger sprechen will: Gestorben sei er noch vor Peters Geburt, in den letzten Kriegstagen, basta. Auch bei den Großeltern bekommt Peter nicht viel über seinen Vater zu hören. Die älteren Herrschaften redigieren Groschenhefte in Schweizer Idylle. Korrekturbögen verwenden sie als Schmierpapier, was dazu führt, dass der halbwüchsige Peter vom Schmieren ins Lesen gerät.

Er vertieft sich in die Fragmente einer Heimkehrergeschichte: Deutscher Landser sucht aus russischer Gefangenschaft nach Hause zu kommen. Und das ist nicht so einfach. Oftmals verfehlt er den Weg, verweilt bei einer Kalinka, verliert seine Gefährten und ist auch sonst mancherlei Unbilden ausgesetzt. Schließlich daheim, findet er Ehefrau nebst Nachwuchs an der Seite eines Anderen. Der Landser macht sich gleich wieder auf den Weg. Und niemand weiß wohin.

Peter Debauer und den humanistisch gebildeten Leser erinnern die Erlebnisse des Heimkehrers an Homers Odyssee. Sie gibt die Blaupause für Schlinks Roman ab. Ihre Motive werden variantenreich gespiegelt. Und vom Autor immer gleich entschlüsselt. Auch Debauer versucht irgendwo anzukommen: In der Liebe, im Beruf, bei sich selbst. Seine Abenteuer allerdings beschränken sich auf einen Massagekurs in Kalifornien und eine erschlichene Dozentenstelle an Ostberlins Humboldt-Universität im Jahr der Wende.

Irgendwann identifiziert er als Verfasser jenes Groschenromans seinen Vater. Findet heraus, dass dieser noch lebt. Ein eiserner Propagandist der Nazis gewesen ist, sich nach dem Krieg als ehemaliger Auschwitz-Häftling ausgab und unter den Sowjets eine Boulevardzeitung leitete. Untertauchte und später reüssierte als akademische Kultfigur an der New Yorker Columbia Universität. Dort sucht ihn Debauer schlussendlich auf – ohne sich als Sohn oder den Vater als Alt-Nazi zu outen.

Der Roman endet im Nichts. Bis dahin hat Bernhard Schlink viel Bildung vorgezeigt, auch durch moralisch-ethische Gedankengänge geführt – ohne jedoch nur einen Konflikt des Romans literarisch tragfähig zu gestalten. Er reißt eine Vielzahl Themen an und führt sie nicht weiter. Treibstoff der Handlung ist der Zufall. Der Roman eine triviale Soße. Die einzelnen Kapitel sind drei bis fünf Seiten kurz, also gut zu schlucken. Doch in Kopf und Bauch entsteht ein Gefühl großer Leere.


Bernhard Schlink: Die Heimkehr
Diogenes Verlag, Zürich, 2006, 374 Seiten