Wozu noch Bürgermeister?
Bürgermeister sein ist fein und Pein. So eine alte Redensart, die täglich neu belebt wird – durch Vorschriften, höhere Maßgaben. Die nächste Kreisstadt, die Landeshauptstadt, Berlin, Brüssel – alle wollen mitregieren. So also auch in Bayern. Wo bleibt da noch Spielraum für eigene Entscheidungen? Ganz abgesehen davon, dass es man es eh jemandem recht machen kann. Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Anita Meinelt ist bekannt, soweit das Geläut des Kastulus-Münsters reicht. Dessen Silhouette beherrscht den Anblick von Moosburg an der Isar und überhaupt der umliegenden Landschaft, die hier vom Oberbayerischen ins Niederbayerische übergeht. Nur eine Häuserzeile vom Münster entfernt liegt das burgähnliche Rathaus. In dessen Beletage, mit Blick auf die umgebende Altstadt, residiert die Bürgermeisterin der 17.300-Seelen-Stadt in ihrem geräumigen Büro.
Anita Meinelt: „Mein Vater hat immer gesagt, du bist was Besonderes und aus Dir wird etwas Besonderes, und wenn es lange dauert. Und ich find, Bürgermeister von Moosburg zu sein ist schon was Besonderes, und deswegen meine ich, dass mein Vater, wenn er zur Erde von oben runterschaut, zufrieden sein kann lacht.“
Friesenried im Ostallgäu. Die Gemeinde mit 1550 Einwohnern, etlichen Kühen und immer wieder Traktoren und knatternden Mopeds auf der Hauptstraße ist aus mehreren Ortsteilen und Weilern zusammengewürfelt. Statt eines großen, zentralen Münsters wie in Moosburg gibt es hier viele Kirchen, Kirchlein und Friedhofskapellen.
Bürgermeister Wolfgang Gerum ist auf einen der Kirchhöfe gekommen. Er spricht mit dem Gemeindearbeiter ab, wo ein neues Grab angelegt werden soll.
„Der Friedhof ist einer der wenigen Orte, wo der Bürgermeister noch selbst entscheiden kann. Und nicht die Regierung in München fragen muss.“
Die Gemeinden bilden die Grundlagen des Staates und des demokratischen Lebens. Bayerische Gemeindeordnung, Artikel eins.
Aber wie frei kann sich das demokratische Leben überhaupt entfalten und wie stark stecken die Kommunen im Korsett von Regelungen, die außerhalb ihrer Grenzen entstanden sind? Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Kommunen im Korsett von Verordnungen.
Nach Moosburg an der Isar wie in die anderen Städte und Gemeinden Bayerns gelangen Regelungen und Vorgaben aus Brüssel, Berlin, München und der nächsten Kreisstadt.
Anita Meinelt: „Wenn ich jetzt nur Büchergeld sage. Das Gesetz, umsetzen müssen es die Kommunen mit einem immensen Aufwand, da sind die Einnahmen – und wenn man den Aufwand dagegen rechnet, da muss man das betont hinterfragen.“
Von der Qualität des Trinkwassers übers Büchergeld bis zu Hartz IV: 80 Prozent der Gesetze von Bund und Ländern werden von den Gemeinden vollzogen. Dazu kommen zahlreiche Vorschriften von der Europäischen Union. Sie beruhen auf Entscheidungen, die außerhalb der Gemeindegrenzen fallen. Beeinflussen können die Gemeinden sie allenfalls durch ihre Interessenvertretungen. Und so entsenden Gemeinde- und Städtetage ihre Lobbyisten in die Metropolen, genauso wie Industrieverbände oder Gewerkschaften es tun. Nur dass hier der Staat bei sich selbst hausieren geht.
Anita Meinelt: „Wir sind in vielen Bereichen schon gefragt worden und auch der Städtetag ist gefragt worden, auch der Gemeindetag ist gefragt worden und die ham alle ihre Bedenken angemeldet und gesagt, so funktioniert es net, aber das ist nicht so angekommen, wie wir uns das gewünscht hätten.“
2004 ist das Konnexitätsprinzip auch in der Bayerischen Verfassung verankert worden. Demnach kann der Staat Städten und Gemeinden nur dann zusätzliche Aufgaben übertragen, wenn er auch dafür zahlt. Das gilt auch für den Verwaltungs-Aufwand. Trotzdem fürchtet Anita Meinelt die Anstrengung, zum Beispiel auch im Fall des Kinderbetreuungsgesetzes. Demnach müssen die Eltern für die öffentliche Betreuung ihrer Sprößlinge feste Zeiten buchen. Moosburg hat sieben Kindergärten und einen Hort, argumentiert sie, und dass es da schon allein ein großer Aufwand sei, diese Zeiten zu ermitteln und abzurechnen. Und dann ergeben sich aus dem Gesetz auch noch konkrete Auflagen für die Stadt.
Anita Meinelt: „Es gibt diesen Betreuungsplan, den der Landkreis mit aufgestellt hat, da sind dann Notwendigkeiten vorgegeben, dass man sagt, Du Kommune brauchst Krippenangebot, oder Du Kommune brauchst ein Angebot für die 10- bis 14-Jährigen, das ist ein 100-Seiten-Werk, das wird grad in der Abteilung überarbeitet, dann wird festgelegt, wo müssen wir was tun, dann wird die Satzungen, die wir alle haben, entsprechend geändert, im Endeffekt brauchen Sie eine Satzung, dass Sie die Satzung verändern können, das wieder zur lächelnd Bürokratievereinfachung, und dann wird der Stadtrat drüber entscheiden, das ist unsere Satzung, das sind unsere Buchungszeiten, wo biet ich was an, wie sind dann die Gebühren für diese Buchungszeiten, das ist alles ein Wahnsinns-Aufwand, die Umsetzung.“
Womöglich wird Moosburg aufgrund der Vorgaben des Kinderbetreuungsgesetzes nun eine Kinderkrippe eröffnen müssen, also professionelle Betreuung für die Kleinsten. Das ist allerdings eine Einrichtung, die das aktive CSU-Mitglied Anita Meinelt höchstens als Notlösung gutheißt.
Anita Meinelt: „Ich glaube nicht, dass eine Mutter ein Kind bewusst auf die Welt bringt, um es gleich in eine Krippe zu geben. Ich finde es nicht positiv, sag ich ganz ehrlich.“
Und so erweist sich die Klage über schuriegelnde Bestimmungen aus Brüssel, Berlin, München oder der Kreisstadt auch als Instrument im Konzert der Kommunalpolitik. Sie ist eine gängige Weise, die je nach Gefälligkeit des Themas virtuos variiert werden kann. Im Fall des neuen Baugebietes etwa, das politisch gewollt war, hat sie einen anderen Klang.
Anita Meinelt: „Wenn ich heut sag, ich weis ein Baugebiet aus. Ja gut, dann fragt sich jeder, warum kommt morgen net der Bagger! Ja weil’s net geht. Weil ich ganz einfach den Umgriff festlegen muss, weil ich mir das genehmigen lassen muss, weil ich ungefähr 100 Träger öffentlicher Belange anhören muss, ich muss Stellungnahmen einholen, ich muss Bürgerbeteiligung einholen, ich hab ein Verfahrensschritt, der unendlich ist. Es heißt Verwaltungsvereinfachung, und am nächsten Tag kriegen Sie einen Ordner mit 187 Seiten mit neuen Vorschriften!“
Umfrage: „Es wird ja wirklich viel gemacht, man hat n Feuerwehrhaus gebaut, man hat n Wertstoffhof baut, wir ham a Turnhalle und a schöne Schule, also was wollen wir noch mehr. Gemeindehaus, ja, hat man schön renoviert, das ist auch schön...“
All diese Bauten könnte die kleine Gemeinde Friesenried, die kaum Gewerbesteuer einnimmt, aus eigenen Mitteln nie zahlen.
Wolfgang Gerum: „Es hängt natürlich vom jeweiligen Haushaltsplan ab, was ich selber entscheiden kann, es – unsere Gemeinde ist pro Jahr unterschiedlich so – ich würd sagen, im Schnitt sind es 200.000 Euro. Was die Gemeinde aus eigenen Mitteln leisten kann. Ohne jetzt Dritte zu fragen.“
Das reicht gerade einmal, um die Wege zu unterhalten und die Friedhofsmauern zu reparieren. Also muss auch der Bürgermeister von Friesenried Zuschüsse einwerben. In München hat er in seiner Amtszeit bisher aber nur selten vorgesprochen.
Wolfgang Gerum: „Eigentlich in den 16 Jahren zweimal. Das war eigentlich beim Bau von Schule und Sportgelände.“
Er meidet solche Fahrten schon aus Prinzip.
Wolfgang Gerum: „Wenn man jetzt unseren Landkreis uns unsere Gemeinde bissl als Zentrum anschaut, dann ist München sehr abgelegen.“
Der Bürgermeister von Friesenried im Ostallgäu ist aus Überzeugung parteifrei.
Wolfgang Gerum: „Weil ich mir eigentlich nicht aus irgendeiner Zentrale Vorgaben machen lassen will, wie ich mich politisch zu verhalten habe.“
Vor allem aber ist es für ihn praktisch schwierig, womöglich mehrere Tage pro Woche zu verreisen.
Von seiner Halbtagsarbeit im Bezirkskrankenhaus kommt er mittags heim. Seine Frau hat gekocht. Der dampfende Fisch liegt schon auf dem Teller, da erledigt Wolfgang Gerum noch rasch ein Telefonat, steht auf, um von nebenan ein paar Unterlagen zu holen. Wenn er in Friesenried ist, ist er praktisch immer im Dienst. Die ersten Anrufe kommen um halb sieben Uhr morgens, am Abend schauen die Bürger auch gerne mal persönlich vorbei.
Statt auf langwierige Fahrten in die Landeshauptstadt setzt Wolfgang Gerum auf die Vernetzung in der Region. So treffen sich die Bürgermeister des Ostallgäus regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Seit die EU das Trinkwasser schärfer kontrolliert und die Anforderungen an die Wassermeister so hoch geschraubt hat, dass der Gemeindearbeiter sie nicht mehr erfüllen kann, kooperiert Friesenried mit den Wasserwerken des benachbarten Kaufbeuren, nutzt bei Bedarf deren Knowhow und auch das Wasser.
Wolfgang Gerum: „Um net immer nur über die EU zu schimpfen, muss man sagen, dass sie in letzter Zeit auch Projekte fördern, die einfach sinnvoll sind, gemeindeübergreifende, landkreisübergreifende, auch Projekte, die gemeinsam mit einer Stadt abgewickelt werden oder es müssen zum Beispiel mindestens acht oder neun Gemeinden zusammenarbeiten, und da kommen jetzt zunehmend gemeinsame Radwege, gemeinsamer Hochwasserschutz, an die man vorher nicht so gedacht hat, und automatisch denkt man auch in anderen Bereichen dann an eine Zusammenarbeit nach, gemeinsamen Einkauf, Bauhofbewirtschaftung, gemeinsamer Maschinenpark, vielleicht auch mal gemeinsame Gemeindearbeiter und sowas, ja.“
Sein Bürgermeisteramt wird dadurch allerdings allmählich überflüssig.
Wolfgang Gerum: „Letztendlich war ja meine Überlegung immer seit Jahren, dass die drei Gemeinden unserer Verwaltungsgemeinschaft, die eng zusammenarbeiten, sich eigentlich politisch zusammenschließen sollten, weil sie dann eine Einwohnerzahl hätten, so um die 4000, wo man einfach größere Projekte einfach schlagkräftiger anpacken könnte, als es jetzt der Fall ist. Es gäb dann für die drei Gemeinden noch einen Bürgermeister und den aber hauptamtlich, bei dem würden die Fäden zusammenlaufen, es gäbe nur einen Gemeinderat, wo jetzt drei entscheiden und wo es natürlich manchmal sehr mühsam ist, gemeinsame Sachen zu realisieren.“
Demnach ist der Bürgermeister der Zukunft ein Profi, der sich ausschließlich um die Verwaltung kümmert. Und kleinere, dezentrale Gemeinden verbinden sich zu größeren Einheiten.
Wolfgang Gerum: „In den Köpfen der Bürger spukt natürlich immer rum, mir sind selbständig, mir können selber entscheiden, was wir mit unserem Geld machen, aber ich denk, dass die Zeit der ehrenamtlichen Bürgermeister eigentlich am Auslaufen ist, notgedrungen, weil es kaum noch leistbar ist.“
Entweder der Beruf leide oder das Bürgermeisteramt, meint Wolfgang Gerum. Denn die Anforderungen an letzteres seien in den vergangenen Jahren gestiegen.
Wolfgang Gerum: „Durch die EU auch, durch das Wissen, das mehr notwendig ist, um mehr Fördermöglichkeiten, um die notwendige Zusammenarbeit mit den Ämtern, natürlich die Bürokratie wird net weniger, wie es immer versprochen wird, die wird mehr, und ja, die Verantwortung. In vielen Bereichen wird mehr. Wenn zum Beispiel ein Bürgermeister versäumt, eine Fördermöglichkeit zu beantragen, entweder weil er es nicht weiß oder er versäumt Fristen, da geht es dann ganz schnell um große Summen. Es war zum Beispiel das Feuerwehrhaus. Wo mir die notwendigen Ausschreibungen n bisschen lässig gehandhabt haben. Und da sind wir sehr nahe an ner saftigen Zuschussrückzahlung vorbeigeschrammt, es war haarscharf.“
Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Umfrage. „Also ich bin der Meinung, dass ein Bürgermeister eigentlich schon viel machen kann. Für das wird er halt auch bezahlt, sag ich mal, und für das muss er viel leisten.“
„Was würden Sie sich wünschen?“
„Westumfahrung! Sehen Sie selber am Verkehr, wenn man da steht, es ist einfach das, das, was Moosburg noch fehlen würde.“
„Das Pflaster hier könnte weg und ein anderes. Aber das ist eigentlich nicht – lohnenswert. Das würde zuviel kosten.“
„Ich wohn erst seit nem halben Jahr hier, also – ich find’s eigentlich ganz super hier.“
„Ja dass sie sich mehr für die Jugend einsetzt. Zum Beispiel soll sie ein paar mehr Konzerte hier stattfinden lassen und so. In der Mehrzweckhalle oder so. Oder unser Kino könnte mal erneuert werden.“
„Dass die Verkehrssituation in der Stadt amol besser wird.“
„Ich bin politisch wenig engagiert, ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung. Die letzte Wahl hab ich verschlafen...“
Die vielen Bürgerwünsche können nicht alle auf einmal erfüllt werden. Über die Reihenfolge entscheidet der Stadt- oder Gemeinderat. Der beauftragt die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, diese Prioritäten weiter zu verfolgen. Oft setzen aber auch diese die Akzente. Der Moosburger Lokalpolitiker Hinrich Groeneveldt über die Gestaltungsfreiheit der Bürgermeisterin:
Hinrich Groeneveldt: „Beispiel wäre der Anbau der Hauptschule, so wie ich die Sache sehe, hat sie in einem sehr frühen Stadium sich aus dem Bauch heraus entschieden, diesen Anbau zu machen, obwohl das eigentlich bei genauerer Betrachtung der Zahlen nicht notwendig gewesen wäre, aber sie hatte sich selbst darauf festgelegt, und dann musste das auch durchgepeitscht werden, und genau so hat sie es dann auch gemacht.“
Die Freien Wähler hatten aus den Statistiken der örtlichen Kindergärten errechnet, dass künftig ein Drittel weniger Kinder pro Jahrgang die Moosburger Schulen besuchen. Deshalb werde der teure Schulneubau bald überflüssig. Bürgermeisterin Anita Meinelt lässt das nicht gelten.
Anita Meinelt: „Man geht da immer von Zahlen von ganz Bayern aus und das, was in anderen Bereichen die Regel ist, dass immer weniger Kinder da sind, bewahrheitet sich bei uns in keinster Weise. Bei uns kommen auch noch Kinder. Auch im Rathaus sind die Frauen schwanger lachend grad der Herr Walter ist da am meisten geschlagen.“
„Der Stadtkämmerer?“
„Ja, zwei seiner Mitarbeiterinnen sind jetzt in kurzen Abständen dann weg lacht und ich hab gesagt, da ist ja richtig was los, in der Abteilung lacht, ne, und wir haben hier auch eine Baugebietsausweisung. Und die Baugebiet, die sind für junge Familien da, und die wollen wir auch bei uns haben. Gleichzeitig kommt dann noch dazu, dass kleinere Gemeinden zum Beispiel wie Langenbach nicht mehr die notwendige Klassenstärke haben. Das heißt die Schüler aus den umliegenden Gemeinden kommen auch zu uns.“
Je komplexer die Kommunalpolitik wird, je weniger die dezentralen Gemeinden leisten können, desto stärker wird die Position der Bürgermeister – will heißen: der Verwaltungschefs – einzelner etwas zentraler gelegener Orte. Hier werden die alltäglichen Entscheidungen getroffen, hier laufen alle Informationen zusammen, der Wissensvorsprung ist immens.
Anita Meinelt: „Nach draußen zum Bürger. Auch zum Stadtrat. Weil der Stadtrat ja nicht die Arbeitsabläufe hier erkennt.“
Neben dem Pflichtpensum der Gemeinde wie Müllabfuhr, Kanalbau und Abwasserentsorgung, neben Aufgaben wie Kinderbetreuung und Feuerwehr ist da noch die Kür der Kommunen: Städtepartnerschaften, Schwimmbäder, Seniorenprogramme, Parks und Gärten, Geothermie-Projekte, Musikschulen, Büchereien, Straßenreinigung, Kunsteisbahnen, auch zum Beispiel die Jugendarbeit.
Im Jugendhaus von Moosburg an der Isar spielen einige Teenager Tischfußball.
Im Juz Moosburg
„Wer ist denn die Bürgermeisterin von Moosburg?“
" Anita Meinelt“
„Wieso kennt Ihr sie?“
„Die tut unser Jugendhaus nicht renovieren. Die ist nicht nett. Echt jetzt.“
„Was würdet Ihr Euch wünschen hier im Jugendhaus?“
„Ja bisschen halt fröhlicher, so schöner halt. Ist ja alles wie in der Altsteinzeit!“
„Warum nehmt Ihr nicht selbst Pinsel und Farbe in die Hand?“
„Weil wir keinen Bock haben. Jetzt echt, richtig gesagt, wir haben echt keine Lust. Wir haben oft mit ihr geredet und sie sagt, nein, für ein paar Jungs, die hier werdt, werde ich das nicht renovieren. Sie sagt, seit zwei, drei Jahren sagt immer dieselbe Antwort. Sie sagt immer, für 20 Türken renovier ich nicht dieses Jugendhaus.“
„Ausländer. Ausländer.“
Im Rathaus trifft sich derweil die Bürgermeisterin mit dem hauptamtlichen Jugendreferenten der Stadt Moosburg und dem Vertreter des Jugendparlaments. Dessen Haar ist schon grau.
Auf dem Tisch liegt ein 21 Seiten starkes Konzeptpapier. Noch ist alles offen. Die Bürgermeisterin, selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern, und die anderen überlegen laut. Ein selbstverwaltetes Jugendzentrum könne nicht funktionieren, da sind sich alle einig. Aber vielleicht ein Café mit einem freundlichen Wirt, der nachmittags billig Getränke verkauft und schon einmal ein Auge auf die Jugendlichen hat? Oder soll man lieber den zentralen Treff schließen und in den einzelnen Stadtteilen Bolzplätze einrichten? Zwischen Kläranlage und Waldrand hätte die Jugendlichen einen eigenen Freiraum... In solchen Konzeptionen zwickt die Kommunen kein Korsett.
In Friesenried ist der Jugendtreff im renovierten, mächtigen Gemeindehaus untergebracht – auf einem Flur mit dem großen Saal, in dem auch die Musikkapelle probt und eine Etage über der Kanzlei des Bürgermeisters.
Wolfgang Gerum: „Die Jugendlichen haben selber zwei Schlüssel, die wählen sich selber so ne Art Anführer, machen ihren eigenen Putzplan und ihre Reglementierung, was sie so brauchen, er ist normal so frequentiert von Jugendlichen zwischen 15 bis 18, so dass die Führungspersönlichkeiten so alle zwei, drei Jahre wechseln, es klemmt natürlich gelegentlich, so alle sechs, acht Wochen, dann muss der Bürgermeister hoch und ein Machtwort sprechen, aber ich schau auch, wenn ich hier abends in der Kanzlei noch bin, geh ich hoch und trink n Bier mit denen, und dann besprechen wir, wie es passt oder net, außerdem sind die anderen Vereine im Haus, die auch bissl für Ordnung sorgen, und ja, ansonsten läuft es alles ohne Aufsicht. Ohne Sozialarbeiter, ohne alles, was eigentlich kein Mensch außerhalb des Dorfes glauben kann.“
Die vier Schüler, die am Nachmittag im Jugendtreff DVDs anschauen, finden die Selbstverwaltung selbstverständlich.
Jugendliche: „Eigentlich ganz in Ordnung, ein paar kleine Probleme, gab es jetzt, mit dem Putzplan bei uns, weil wir monatlich eigentlich einmal putzen, da gibt es jetzt paar Probleme, dem, der wo die Verantwortung hat, der lässt sich a wenig gehen, und der kümmert sich so richtig drum, und da kommt auch von den anderen Seiten nichts, weil jeder leicht zu faul ist, aber das kriegt man normal immer schon wieder.“
Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Um die Verwaltung zu leiten, um zwischen Stadtrat, Bürgern und Staat zu vermitteln, für die Kür.
Anita Meinelt in Moosburg an der Isar hat viele Jahre lang bei Elektronik-Firmen gearbeitet, auf Messen Kunden betreut und gegen Provision Geschäftsabschlüsse vermittelt. Mit 48 Jahren wurde sie Bürgermeisterin.
Anita Meinelt: „Man lernt soviel dazu und es ist so spannend und es ist eigentlich genau das, was ich mir immer erträumt habe. Irgendwo so beruflich so aktiv zu sein, daß täglich neue Herausforderungen kommen. Ich find, das hält einen jung, das hält einen spontan, und mir macht es Riesen-Spaß, und ich könnte mir überhaupt nichts anderes mehr vorstellen. Ich hoffe auf die nächste Wahl.“
Wolfgang Gerum in Friesenried dagegen ist gewissermaßen Bürgermeister wider Willen. Er hatte bei der letzten Wahl gar nicht für den Posten kandidiert. Die zwölf Jahre zuvor hatte er das Amt schon innegehabt und wollte nicht mehr – weil er fand, der Schwung sei weniger geworden, weil er manchen Ärger mit den Bürgern beim Thema Kanalsanierung leid war, weil er mit damals 53 Jahren gerne wieder voll in seinen erlernten Beruf eingestiegen wäre, sagt er. Aber dann fand sich in Friesenried überhaupt kein Kandidat.
Umfrage: „Dann gab es die leeren Stimmzettel. Da mussten wir Namen reinschreiben, ja.“
Beim Auszählen erschien „Wolfgang Gerum“ so oft wie kein anderer Name auf den Stimmzetteln. Damit war er wieder gewählt. Ob bei der nächsten Wahl 2008 wohl jemand den Job freiwillig übernimmt?
Umfrage: „Ich? Nein! Um Gottes Willen lacht. Das wär es letzte, das ist kein schöner Posten. Man – braucht einen breiten Buckel dazu und den – der fehlt bei mir lacht.“
„Sie wollen auch nicht Bürgermeister werden?“
„Nee! Bestimmt nicht. Bin der Vorstand vom TSV, vom Sportverein, und das reicht mir als Arbeit.“
„Er kann nur mit Wasser kochen, und was er macht, ist okay. Was soll das. Es ist kein anderer da! Also ich würd es auch nicht machen. Um Gottes Willen!“
Anita Meinelt: „Mein Vater hat immer gesagt, du bist was Besonderes und aus Dir wird etwas Besonderes, und wenn es lange dauert. Und ich find, Bürgermeister von Moosburg zu sein ist schon was Besonderes, und deswegen meine ich, dass mein Vater, wenn er zur Erde von oben runterschaut, zufrieden sein kann lacht.“
Friesenried im Ostallgäu. Die Gemeinde mit 1550 Einwohnern, etlichen Kühen und immer wieder Traktoren und knatternden Mopeds auf der Hauptstraße ist aus mehreren Ortsteilen und Weilern zusammengewürfelt. Statt eines großen, zentralen Münsters wie in Moosburg gibt es hier viele Kirchen, Kirchlein und Friedhofskapellen.
Bürgermeister Wolfgang Gerum ist auf einen der Kirchhöfe gekommen. Er spricht mit dem Gemeindearbeiter ab, wo ein neues Grab angelegt werden soll.
„Der Friedhof ist einer der wenigen Orte, wo der Bürgermeister noch selbst entscheiden kann. Und nicht die Regierung in München fragen muss.“
Die Gemeinden bilden die Grundlagen des Staates und des demokratischen Lebens. Bayerische Gemeindeordnung, Artikel eins.
Aber wie frei kann sich das demokratische Leben überhaupt entfalten und wie stark stecken die Kommunen im Korsett von Regelungen, die außerhalb ihrer Grenzen entstanden sind? Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Kommunen im Korsett von Verordnungen.
Nach Moosburg an der Isar wie in die anderen Städte und Gemeinden Bayerns gelangen Regelungen und Vorgaben aus Brüssel, Berlin, München und der nächsten Kreisstadt.
Anita Meinelt: „Wenn ich jetzt nur Büchergeld sage. Das Gesetz, umsetzen müssen es die Kommunen mit einem immensen Aufwand, da sind die Einnahmen – und wenn man den Aufwand dagegen rechnet, da muss man das betont hinterfragen.“
Von der Qualität des Trinkwassers übers Büchergeld bis zu Hartz IV: 80 Prozent der Gesetze von Bund und Ländern werden von den Gemeinden vollzogen. Dazu kommen zahlreiche Vorschriften von der Europäischen Union. Sie beruhen auf Entscheidungen, die außerhalb der Gemeindegrenzen fallen. Beeinflussen können die Gemeinden sie allenfalls durch ihre Interessenvertretungen. Und so entsenden Gemeinde- und Städtetage ihre Lobbyisten in die Metropolen, genauso wie Industrieverbände oder Gewerkschaften es tun. Nur dass hier der Staat bei sich selbst hausieren geht.
Anita Meinelt: „Wir sind in vielen Bereichen schon gefragt worden und auch der Städtetag ist gefragt worden, auch der Gemeindetag ist gefragt worden und die ham alle ihre Bedenken angemeldet und gesagt, so funktioniert es net, aber das ist nicht so angekommen, wie wir uns das gewünscht hätten.“
2004 ist das Konnexitätsprinzip auch in der Bayerischen Verfassung verankert worden. Demnach kann der Staat Städten und Gemeinden nur dann zusätzliche Aufgaben übertragen, wenn er auch dafür zahlt. Das gilt auch für den Verwaltungs-Aufwand. Trotzdem fürchtet Anita Meinelt die Anstrengung, zum Beispiel auch im Fall des Kinderbetreuungsgesetzes. Demnach müssen die Eltern für die öffentliche Betreuung ihrer Sprößlinge feste Zeiten buchen. Moosburg hat sieben Kindergärten und einen Hort, argumentiert sie, und dass es da schon allein ein großer Aufwand sei, diese Zeiten zu ermitteln und abzurechnen. Und dann ergeben sich aus dem Gesetz auch noch konkrete Auflagen für die Stadt.
Anita Meinelt: „Es gibt diesen Betreuungsplan, den der Landkreis mit aufgestellt hat, da sind dann Notwendigkeiten vorgegeben, dass man sagt, Du Kommune brauchst Krippenangebot, oder Du Kommune brauchst ein Angebot für die 10- bis 14-Jährigen, das ist ein 100-Seiten-Werk, das wird grad in der Abteilung überarbeitet, dann wird festgelegt, wo müssen wir was tun, dann wird die Satzungen, die wir alle haben, entsprechend geändert, im Endeffekt brauchen Sie eine Satzung, dass Sie die Satzung verändern können, das wieder zur lächelnd Bürokratievereinfachung, und dann wird der Stadtrat drüber entscheiden, das ist unsere Satzung, das sind unsere Buchungszeiten, wo biet ich was an, wie sind dann die Gebühren für diese Buchungszeiten, das ist alles ein Wahnsinns-Aufwand, die Umsetzung.“
Womöglich wird Moosburg aufgrund der Vorgaben des Kinderbetreuungsgesetzes nun eine Kinderkrippe eröffnen müssen, also professionelle Betreuung für die Kleinsten. Das ist allerdings eine Einrichtung, die das aktive CSU-Mitglied Anita Meinelt höchstens als Notlösung gutheißt.
Anita Meinelt: „Ich glaube nicht, dass eine Mutter ein Kind bewusst auf die Welt bringt, um es gleich in eine Krippe zu geben. Ich finde es nicht positiv, sag ich ganz ehrlich.“
Und so erweist sich die Klage über schuriegelnde Bestimmungen aus Brüssel, Berlin, München oder der Kreisstadt auch als Instrument im Konzert der Kommunalpolitik. Sie ist eine gängige Weise, die je nach Gefälligkeit des Themas virtuos variiert werden kann. Im Fall des neuen Baugebietes etwa, das politisch gewollt war, hat sie einen anderen Klang.
Anita Meinelt: „Wenn ich heut sag, ich weis ein Baugebiet aus. Ja gut, dann fragt sich jeder, warum kommt morgen net der Bagger! Ja weil’s net geht. Weil ich ganz einfach den Umgriff festlegen muss, weil ich mir das genehmigen lassen muss, weil ich ungefähr 100 Träger öffentlicher Belange anhören muss, ich muss Stellungnahmen einholen, ich muss Bürgerbeteiligung einholen, ich hab ein Verfahrensschritt, der unendlich ist. Es heißt Verwaltungsvereinfachung, und am nächsten Tag kriegen Sie einen Ordner mit 187 Seiten mit neuen Vorschriften!“
Umfrage: „Es wird ja wirklich viel gemacht, man hat n Feuerwehrhaus gebaut, man hat n Wertstoffhof baut, wir ham a Turnhalle und a schöne Schule, also was wollen wir noch mehr. Gemeindehaus, ja, hat man schön renoviert, das ist auch schön...“
All diese Bauten könnte die kleine Gemeinde Friesenried, die kaum Gewerbesteuer einnimmt, aus eigenen Mitteln nie zahlen.
Wolfgang Gerum: „Es hängt natürlich vom jeweiligen Haushaltsplan ab, was ich selber entscheiden kann, es – unsere Gemeinde ist pro Jahr unterschiedlich so – ich würd sagen, im Schnitt sind es 200.000 Euro. Was die Gemeinde aus eigenen Mitteln leisten kann. Ohne jetzt Dritte zu fragen.“
Das reicht gerade einmal, um die Wege zu unterhalten und die Friedhofsmauern zu reparieren. Also muss auch der Bürgermeister von Friesenried Zuschüsse einwerben. In München hat er in seiner Amtszeit bisher aber nur selten vorgesprochen.
Wolfgang Gerum: „Eigentlich in den 16 Jahren zweimal. Das war eigentlich beim Bau von Schule und Sportgelände.“
Er meidet solche Fahrten schon aus Prinzip.
Wolfgang Gerum: „Wenn man jetzt unseren Landkreis uns unsere Gemeinde bissl als Zentrum anschaut, dann ist München sehr abgelegen.“
Der Bürgermeister von Friesenried im Ostallgäu ist aus Überzeugung parteifrei.
Wolfgang Gerum: „Weil ich mir eigentlich nicht aus irgendeiner Zentrale Vorgaben machen lassen will, wie ich mich politisch zu verhalten habe.“
Vor allem aber ist es für ihn praktisch schwierig, womöglich mehrere Tage pro Woche zu verreisen.
Von seiner Halbtagsarbeit im Bezirkskrankenhaus kommt er mittags heim. Seine Frau hat gekocht. Der dampfende Fisch liegt schon auf dem Teller, da erledigt Wolfgang Gerum noch rasch ein Telefonat, steht auf, um von nebenan ein paar Unterlagen zu holen. Wenn er in Friesenried ist, ist er praktisch immer im Dienst. Die ersten Anrufe kommen um halb sieben Uhr morgens, am Abend schauen die Bürger auch gerne mal persönlich vorbei.
Statt auf langwierige Fahrten in die Landeshauptstadt setzt Wolfgang Gerum auf die Vernetzung in der Region. So treffen sich die Bürgermeister des Ostallgäus regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Seit die EU das Trinkwasser schärfer kontrolliert und die Anforderungen an die Wassermeister so hoch geschraubt hat, dass der Gemeindearbeiter sie nicht mehr erfüllen kann, kooperiert Friesenried mit den Wasserwerken des benachbarten Kaufbeuren, nutzt bei Bedarf deren Knowhow und auch das Wasser.
Wolfgang Gerum: „Um net immer nur über die EU zu schimpfen, muss man sagen, dass sie in letzter Zeit auch Projekte fördern, die einfach sinnvoll sind, gemeindeübergreifende, landkreisübergreifende, auch Projekte, die gemeinsam mit einer Stadt abgewickelt werden oder es müssen zum Beispiel mindestens acht oder neun Gemeinden zusammenarbeiten, und da kommen jetzt zunehmend gemeinsame Radwege, gemeinsamer Hochwasserschutz, an die man vorher nicht so gedacht hat, und automatisch denkt man auch in anderen Bereichen dann an eine Zusammenarbeit nach, gemeinsamen Einkauf, Bauhofbewirtschaftung, gemeinsamer Maschinenpark, vielleicht auch mal gemeinsame Gemeindearbeiter und sowas, ja.“
Sein Bürgermeisteramt wird dadurch allerdings allmählich überflüssig.
Wolfgang Gerum: „Letztendlich war ja meine Überlegung immer seit Jahren, dass die drei Gemeinden unserer Verwaltungsgemeinschaft, die eng zusammenarbeiten, sich eigentlich politisch zusammenschließen sollten, weil sie dann eine Einwohnerzahl hätten, so um die 4000, wo man einfach größere Projekte einfach schlagkräftiger anpacken könnte, als es jetzt der Fall ist. Es gäb dann für die drei Gemeinden noch einen Bürgermeister und den aber hauptamtlich, bei dem würden die Fäden zusammenlaufen, es gäbe nur einen Gemeinderat, wo jetzt drei entscheiden und wo es natürlich manchmal sehr mühsam ist, gemeinsame Sachen zu realisieren.“
Demnach ist der Bürgermeister der Zukunft ein Profi, der sich ausschließlich um die Verwaltung kümmert. Und kleinere, dezentrale Gemeinden verbinden sich zu größeren Einheiten.
Wolfgang Gerum: „In den Köpfen der Bürger spukt natürlich immer rum, mir sind selbständig, mir können selber entscheiden, was wir mit unserem Geld machen, aber ich denk, dass die Zeit der ehrenamtlichen Bürgermeister eigentlich am Auslaufen ist, notgedrungen, weil es kaum noch leistbar ist.“
Entweder der Beruf leide oder das Bürgermeisteramt, meint Wolfgang Gerum. Denn die Anforderungen an letzteres seien in den vergangenen Jahren gestiegen.
Wolfgang Gerum: „Durch die EU auch, durch das Wissen, das mehr notwendig ist, um mehr Fördermöglichkeiten, um die notwendige Zusammenarbeit mit den Ämtern, natürlich die Bürokratie wird net weniger, wie es immer versprochen wird, die wird mehr, und ja, die Verantwortung. In vielen Bereichen wird mehr. Wenn zum Beispiel ein Bürgermeister versäumt, eine Fördermöglichkeit zu beantragen, entweder weil er es nicht weiß oder er versäumt Fristen, da geht es dann ganz schnell um große Summen. Es war zum Beispiel das Feuerwehrhaus. Wo mir die notwendigen Ausschreibungen n bisschen lässig gehandhabt haben. Und da sind wir sehr nahe an ner saftigen Zuschussrückzahlung vorbeigeschrammt, es war haarscharf.“
Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Umfrage. „Also ich bin der Meinung, dass ein Bürgermeister eigentlich schon viel machen kann. Für das wird er halt auch bezahlt, sag ich mal, und für das muss er viel leisten.“
„Was würden Sie sich wünschen?“
„Westumfahrung! Sehen Sie selber am Verkehr, wenn man da steht, es ist einfach das, das, was Moosburg noch fehlen würde.“
„Das Pflaster hier könnte weg und ein anderes. Aber das ist eigentlich nicht – lohnenswert. Das würde zuviel kosten.“
„Ich wohn erst seit nem halben Jahr hier, also – ich find’s eigentlich ganz super hier.“
„Ja dass sie sich mehr für die Jugend einsetzt. Zum Beispiel soll sie ein paar mehr Konzerte hier stattfinden lassen und so. In der Mehrzweckhalle oder so. Oder unser Kino könnte mal erneuert werden.“
„Dass die Verkehrssituation in der Stadt amol besser wird.“
„Ich bin politisch wenig engagiert, ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung. Die letzte Wahl hab ich verschlafen...“
Die vielen Bürgerwünsche können nicht alle auf einmal erfüllt werden. Über die Reihenfolge entscheidet der Stadt- oder Gemeinderat. Der beauftragt die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, diese Prioritäten weiter zu verfolgen. Oft setzen aber auch diese die Akzente. Der Moosburger Lokalpolitiker Hinrich Groeneveldt über die Gestaltungsfreiheit der Bürgermeisterin:
Hinrich Groeneveldt: „Beispiel wäre der Anbau der Hauptschule, so wie ich die Sache sehe, hat sie in einem sehr frühen Stadium sich aus dem Bauch heraus entschieden, diesen Anbau zu machen, obwohl das eigentlich bei genauerer Betrachtung der Zahlen nicht notwendig gewesen wäre, aber sie hatte sich selbst darauf festgelegt, und dann musste das auch durchgepeitscht werden, und genau so hat sie es dann auch gemacht.“
Die Freien Wähler hatten aus den Statistiken der örtlichen Kindergärten errechnet, dass künftig ein Drittel weniger Kinder pro Jahrgang die Moosburger Schulen besuchen. Deshalb werde der teure Schulneubau bald überflüssig. Bürgermeisterin Anita Meinelt lässt das nicht gelten.
Anita Meinelt: „Man geht da immer von Zahlen von ganz Bayern aus und das, was in anderen Bereichen die Regel ist, dass immer weniger Kinder da sind, bewahrheitet sich bei uns in keinster Weise. Bei uns kommen auch noch Kinder. Auch im Rathaus sind die Frauen schwanger lachend grad der Herr Walter ist da am meisten geschlagen.“
„Der Stadtkämmerer?“
„Ja, zwei seiner Mitarbeiterinnen sind jetzt in kurzen Abständen dann weg lacht und ich hab gesagt, da ist ja richtig was los, in der Abteilung lacht, ne, und wir haben hier auch eine Baugebietsausweisung. Und die Baugebiet, die sind für junge Familien da, und die wollen wir auch bei uns haben. Gleichzeitig kommt dann noch dazu, dass kleinere Gemeinden zum Beispiel wie Langenbach nicht mehr die notwendige Klassenstärke haben. Das heißt die Schüler aus den umliegenden Gemeinden kommen auch zu uns.“
Je komplexer die Kommunalpolitik wird, je weniger die dezentralen Gemeinden leisten können, desto stärker wird die Position der Bürgermeister – will heißen: der Verwaltungschefs – einzelner etwas zentraler gelegener Orte. Hier werden die alltäglichen Entscheidungen getroffen, hier laufen alle Informationen zusammen, der Wissensvorsprung ist immens.
Anita Meinelt: „Nach draußen zum Bürger. Auch zum Stadtrat. Weil der Stadtrat ja nicht die Arbeitsabläufe hier erkennt.“
Neben dem Pflichtpensum der Gemeinde wie Müllabfuhr, Kanalbau und Abwasserentsorgung, neben Aufgaben wie Kinderbetreuung und Feuerwehr ist da noch die Kür der Kommunen: Städtepartnerschaften, Schwimmbäder, Seniorenprogramme, Parks und Gärten, Geothermie-Projekte, Musikschulen, Büchereien, Straßenreinigung, Kunsteisbahnen, auch zum Beispiel die Jugendarbeit.
Im Jugendhaus von Moosburg an der Isar spielen einige Teenager Tischfußball.
Im Juz Moosburg
„Wer ist denn die Bürgermeisterin von Moosburg?“
" Anita Meinelt“
„Wieso kennt Ihr sie?“
„Die tut unser Jugendhaus nicht renovieren. Die ist nicht nett. Echt jetzt.“
„Was würdet Ihr Euch wünschen hier im Jugendhaus?“
„Ja bisschen halt fröhlicher, so schöner halt. Ist ja alles wie in der Altsteinzeit!“
„Warum nehmt Ihr nicht selbst Pinsel und Farbe in die Hand?“
„Weil wir keinen Bock haben. Jetzt echt, richtig gesagt, wir haben echt keine Lust. Wir haben oft mit ihr geredet und sie sagt, nein, für ein paar Jungs, die hier werdt, werde ich das nicht renovieren. Sie sagt, seit zwei, drei Jahren sagt immer dieselbe Antwort. Sie sagt immer, für 20 Türken renovier ich nicht dieses Jugendhaus.“
„Ausländer. Ausländer.“
Im Rathaus trifft sich derweil die Bürgermeisterin mit dem hauptamtlichen Jugendreferenten der Stadt Moosburg und dem Vertreter des Jugendparlaments. Dessen Haar ist schon grau.
Auf dem Tisch liegt ein 21 Seiten starkes Konzeptpapier. Noch ist alles offen. Die Bürgermeisterin, selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern, und die anderen überlegen laut. Ein selbstverwaltetes Jugendzentrum könne nicht funktionieren, da sind sich alle einig. Aber vielleicht ein Café mit einem freundlichen Wirt, der nachmittags billig Getränke verkauft und schon einmal ein Auge auf die Jugendlichen hat? Oder soll man lieber den zentralen Treff schließen und in den einzelnen Stadtteilen Bolzplätze einrichten? Zwischen Kläranlage und Waldrand hätte die Jugendlichen einen eigenen Freiraum... In solchen Konzeptionen zwickt die Kommunen kein Korsett.
In Friesenried ist der Jugendtreff im renovierten, mächtigen Gemeindehaus untergebracht – auf einem Flur mit dem großen Saal, in dem auch die Musikkapelle probt und eine Etage über der Kanzlei des Bürgermeisters.
Wolfgang Gerum: „Die Jugendlichen haben selber zwei Schlüssel, die wählen sich selber so ne Art Anführer, machen ihren eigenen Putzplan und ihre Reglementierung, was sie so brauchen, er ist normal so frequentiert von Jugendlichen zwischen 15 bis 18, so dass die Führungspersönlichkeiten so alle zwei, drei Jahre wechseln, es klemmt natürlich gelegentlich, so alle sechs, acht Wochen, dann muss der Bürgermeister hoch und ein Machtwort sprechen, aber ich schau auch, wenn ich hier abends in der Kanzlei noch bin, geh ich hoch und trink n Bier mit denen, und dann besprechen wir, wie es passt oder net, außerdem sind die anderen Vereine im Haus, die auch bissl für Ordnung sorgen, und ja, ansonsten läuft es alles ohne Aufsicht. Ohne Sozialarbeiter, ohne alles, was eigentlich kein Mensch außerhalb des Dorfes glauben kann.“
Die vier Schüler, die am Nachmittag im Jugendtreff DVDs anschauen, finden die Selbstverwaltung selbstverständlich.
Jugendliche: „Eigentlich ganz in Ordnung, ein paar kleine Probleme, gab es jetzt, mit dem Putzplan bei uns, weil wir monatlich eigentlich einmal putzen, da gibt es jetzt paar Probleme, dem, der wo die Verantwortung hat, der lässt sich a wenig gehen, und der kümmert sich so richtig drum, und da kommt auch von den anderen Seiten nichts, weil jeder leicht zu faul ist, aber das kriegt man normal immer schon wieder.“
Wozu brauchen wir noch Bürgermeister?
Um die Verwaltung zu leiten, um zwischen Stadtrat, Bürgern und Staat zu vermitteln, für die Kür.
Anita Meinelt in Moosburg an der Isar hat viele Jahre lang bei Elektronik-Firmen gearbeitet, auf Messen Kunden betreut und gegen Provision Geschäftsabschlüsse vermittelt. Mit 48 Jahren wurde sie Bürgermeisterin.
Anita Meinelt: „Man lernt soviel dazu und es ist so spannend und es ist eigentlich genau das, was ich mir immer erträumt habe. Irgendwo so beruflich so aktiv zu sein, daß täglich neue Herausforderungen kommen. Ich find, das hält einen jung, das hält einen spontan, und mir macht es Riesen-Spaß, und ich könnte mir überhaupt nichts anderes mehr vorstellen. Ich hoffe auf die nächste Wahl.“
Wolfgang Gerum in Friesenried dagegen ist gewissermaßen Bürgermeister wider Willen. Er hatte bei der letzten Wahl gar nicht für den Posten kandidiert. Die zwölf Jahre zuvor hatte er das Amt schon innegehabt und wollte nicht mehr – weil er fand, der Schwung sei weniger geworden, weil er manchen Ärger mit den Bürgern beim Thema Kanalsanierung leid war, weil er mit damals 53 Jahren gerne wieder voll in seinen erlernten Beruf eingestiegen wäre, sagt er. Aber dann fand sich in Friesenried überhaupt kein Kandidat.
Umfrage: „Dann gab es die leeren Stimmzettel. Da mussten wir Namen reinschreiben, ja.“
Beim Auszählen erschien „Wolfgang Gerum“ so oft wie kein anderer Name auf den Stimmzetteln. Damit war er wieder gewählt. Ob bei der nächsten Wahl 2008 wohl jemand den Job freiwillig übernimmt?
Umfrage: „Ich? Nein! Um Gottes Willen lacht. Das wär es letzte, das ist kein schöner Posten. Man – braucht einen breiten Buckel dazu und den – der fehlt bei mir lacht.“
„Sie wollen auch nicht Bürgermeister werden?“
„Nee! Bestimmt nicht. Bin der Vorstand vom TSV, vom Sportverein, und das reicht mir als Arbeit.“
„Er kann nur mit Wasser kochen, und was er macht, ist okay. Was soll das. Es ist kein anderer da! Also ich würd es auch nicht machen. Um Gottes Willen!“