"Woyzeck" in Bonn

Versunken in der Hirnwut

Das Opernhaus in Bonn
Ein Befreiungsschlag ist dieser "Woyzeck" keineswegs, meint unser Kritiker © picture alliance / dpa / Wolfgang Moucha
Von Stefan Keim |
Der Bonner Simon Solberg steht für actionreiche, aber auch politische theatrale Umsetzungen klassischer Stoffe. Jetzt hat er zum ersten Mal in Bonn inszeniert: "Woyzeck". Die Aufführung ist "nach Georg Büchner" angekündigt und ist ein wildes Durcheinander der Einfälle.
Platsch! Fünf Körper rutschen von einer Schräge ins Wasser. Sie zappeln und zucken als seien sie gerade ins düstere Sein geworfen worden. An effektvollen Bildern mangelt es selten in Simon Solbergs Inszenierungen. Dafür an inhaltlicher Klarheit. Das gilt auch für sein Projekt "Woyzeck" nach Georg Büchner am Schauspiel Bonn.
Zentrale Sätze des Stückfragments setzt Solberg zu Collagen zusammen. Die Schauspieler sprechen auch Briefe Georg Büchners, ohne dass ein biographischer Ansatz deutlich würde. Das Wort "Beschäftigung" wird häufig anklagend heraus geschleudert. Woyzeck leidet unter dem Druck der Arbeitswelt. Er springt, wenn der Hauptmann (Laura Sundermann) nach ihm ruft und lässt sich vom Doktor (Hajo Tuschy) als Kandidat einer perversen Spielshow prügeln und über die Bühne jagen. Gelegentlich machen die Schauspieler das Theater selbst zum Thema, eine wirft als Regisseurin sinnentleerte Platitüden um sich. "Soll ich das vielleicht mal nackt spielen?" fragt Maike Jüttendonk als Marie. Auch die Mimen tragen ihre Haut zu Markte wie Woyzeck.

Alles, was es an Theatermoden gibt

Manchmal wird es deftig laut, dann wieder ganz leise. Mal juxt Simon Solberg herum, dann deutet er Ernsthaftigkeit an. Live-Videos vergrößern die Gesichter der Schauspieler, sie stehen aber auch frontal an der Rampe. In 90 Minuten packt die Regie alles, was einem gerade so an Theatermoden einfällt. Ohne etwas davon zu verdichten. Es wirkt, als würde Solberg alle Schubladen in seinem Hirnkästlein aufziehen, mit vollen Händen hineingreifen und den Inhalt auf die Bühne werfen. Theater mit Krawumm und ohne emotionale Nachwirkung.
Dabei zeigen Maike Jüttendonk als Marie und Serkan Kaya als sehr männlicher Woyzeck – eher ein Heldentyp als ein Opfer – in kurzen Momenten, dass sie berührende brüchige Charaktere zeigen könnten. Wenn nicht auf jeden Moment der Ruhe wieder das große Gezappel folgen müsste. Diese Art, Klassiker herzurichten, kommt allerdings gut an. In Köln ist Solbergs "Kabale und Liebe" immer noch ausverkauft, er gilt als Spezialist für schulklassenkompatibles Abistoff-Entertainment.

Kein Befreiungsschlag - dieser "Woyzeck"

"Woyzeck" ist die letzte Premiere des Schauspiels in der Halle Beuel. Wegen der angespannten Finanzlage waren ohnehin nur noch zwei Inszenierungen pro Jahr möglich. Nun wird das Gelände umgebaut, die Kabarettbühne Pantheon zieht ein. Mit diesem Verzicht erkauft sich das Theater Planungssicherheit. Die immer wieder von Schließungsdiskussionen bedrohten Kammerspiele in Bad Godesberg bleiben erhalten, eine wenig flexible Guckkastenbühne. Dazu kommt noch die Werkstatt hinter dem Opernhaus.
Außerdem sind dadurch absurde Kürzungsdebatten vom Tisch, die das gesamte Theater in Frage gestellt hätten. Das Bonner Schauspiel hat zuletzt mehr Zuschauer angezogen als in den ziemlich desaströsen Spielzeiten davor. Das künstlerische Profil bleibt uneinheitlich, ein Befreiungsschlag ist dieser "Woyzeck" keineswegs. "Du bist hirnwütig, Franz", sagt Marie einmal im Text und mehrere Male in der Aufführung. Der Begriff passt auf den gesamten Abend.
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