"Wovor sie wirklich Angst haben, das ist das Sparprogramm"

Marcus Pindur im Gespräch mit Jorgo Chatzimarkakis · 28.04.2010
Die Bundesregierung darf jetzt mit Hilfszusagen für Griechenland nicht zögern, warnt Jorgo Chatzimarkakis - und fordert für das Land und seine verunsicherten Bürger eine politische Radikalreform.
Marcus Pindur: Junk-Bonds – das sind Wertpapiere, die nichts mehr wert sind. Auf diesen Status hat die Ratingagentur Standard & Poor's die griechischen Staatsanleihen zurückgestuft und das heißt: Die griechische Regierung bekommt auf dem freien Markt de facto keine Kredite mehr. Das wiederum heißt, dass da wohl die anderen Euroländer und der Internationale Währungsfonds, der IWF, einspringen müssen und zwar ziemlich schnell. Experten schätzen, dass die Europäer noch jahrelang Griechenland stützen müssen.

Ich begrüße jetzt den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis, guten Morgen!

Jorgo Chatzimarkakis: Guten Morgen aus Athen!

Pindur: Sie sind gerade in Griechenland. Eine griechische Zeitung schrieb: Die Therapie des IWF, die sei mit den Worten Schock und Angst zu beschreiben. Wovor hat man denn mehr Angst in Griechenland, vor den Sparmaßnahmen des IWF oder vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit?

Chatzimarkakis: Ich glaube, die Zahlungsunfähigkeit betrifft den einzelnen Bürger nicht so sehr, wie wir ja auch manchen deutschen Boulevardzeitungen entnehmen konnten die letzten Tage, aber was sie schockiert, oder wovor sie wirklich Angst haben, das ist das Sparprogramm der Regierung. Und dass das jetzt so angezweifelt wird, das macht wiederum Sorge, denn Ministerpräsident Papandreou ist fest entschlossen und hat gestern in einer langen Rede vor seiner Fraktion noch mal klargemacht, dass das umgesetzt werden muss, und es wird kommen. Und Schock ist immer die Voraussetzung dafür, dass es einen Mentalitätswechsel gibt, und der ist Voraussetzung, dass dieses Programm auch langhaltig hält.

Pindur: Klar ist, dass es nicht nur einen Mentalitätswechsel geben muss, sondern auch in Zukunft ein anderes Instrumentarium, damit es zu solchen Situationen nicht mehr kommen kann. Sind Sie auch für einen europäischen Währungsfonds, also eine europäische Institution, die sich darum kümmern soll, wie das zum Beispiel Bundesfinanzminister Schäuble auch fordert?

Chatzimarkakis: Ja, ich gehöre in der FDP zu denen. Und es gibt in allen Parteien zwei Denkschulen: Die einen sind für einen solchen Mechanismus, der aber Disziplin eben erwartet und die Länder diszipliniert und nicht einfach nur Geld verteilt – dann wäre der Währungsfonds falsch verstanden. Aber ich glaube, da sind wir schon einen Schritt zu weit. Wir haben den Fehler gemacht, den Ratingagenturen einfach viel zu viel Macht noch zu lassen. Das ist so, dass die Ratingagenturen mit ihrem Urteil eine große Macht über die Finanzmärkte haben und das ist ja ein Lehrstück, was hier passiert ist: Diese ständige Abwertung hat dazu geführt, dass jetzt Griechenland nun wirklich zahlungsunfähig ist und jetzt Griechenland das Problem hat, gar keine Anleihen mehr aufnehmen zu können beziehungsweise Banken griechische Anleihen abstoßen – und das alles nur wegen des Urteils von einigen Herren und Damen in New York. Wir brauchen ein europäisches Rating, wir können, glaube ich, unsere Volkswirtschaften zum Teil besser beurteilen. Und das war der große Fehler, dass wir nicht aus der großen Finanzkrise gelernt haben. Genau die gleichen Ratingagenturen haben ja auch Lehman Brothers hoch eingestuft, und wir wissen alle, wie das geendet ist. Also: Dringend brauchen wir ein europäisches Rating, denn es geht schon los, dass jetzt Portugal herabgestuft wird. Das Spiel geht weiter, die Angriffe auf den Euro gehen weiter.

Pindur: Tatsache ist aber, dass die Ratingagenturen die schlechte Nachricht nur überbringen. Kommen wir doch mal zurück zum IWF: Ist der nicht besser für diese Aufgabe gerüstet, eben, weil es keine europäische Institution ist, weil er von außen kommt und eben deshalb im Zweifel auch härter durchgreift, das heißt, härtere Strukturmaßnahmen den Regierungen verschreibt?

Chatzimarkakis: Ja, der IWF hat die richtige Methode, das ist absolut richtig. Insofern muss man der Kanzlerin auch beipflichten, dass die Methode, die die Europäer eben nicht haben, ... Die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank, haben nicht das Instrumentarium. Das ist wohl wahr. Aber wir hätten diese Methode auch haben können ohne amerikanisches und chinesisches Geld, denn das haben wir jetzt mit im Boot, damit eben auch das US-Vetorecht. Aber das ist alles schon einen Schritt zu weit. Wie gesagt, wir müssen früher ansetzen. Jetzt allerdings kann und sollte die Bundesregierung auch nicht mehr lange zögern, denn jetzt ist die sogenannte Ultima Ratio gegeben. Das war die Voraussetzung dafür, dass wir vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht scheitern, denn das muss man ja auch sehen: Wir können ja nicht einfach hier Hilfsmittel zusagen und damit Gefahr laufen, dass wir eine Niederlage erleben der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht, denn es gibt ja die sogenannte No-Bail-Out-Klausel, also das Verbot, sich Kredite zu geben innerhalb der Eurozone. Und wenn eine Ultima Ratio gegeben ist, also die Gefahr, dass ganze Staaten mit in den Sog gezogen werden können, dann ist eine neue Situation da und die scheint sich jetzt abzuzeichnen.

Pindur: Herr Chatzimarkakis, wie schätzen Sie denn sowohl die Fähigkeit als auch den Willen der griechischen Regierung ein, diese harten Sparmaßnahmen, die es geben werden muss, auch durchzusetzen?

Chatzimarkakis: Also, ich habe keine Zweifel an Ministerpräsident Papandreou, denn der ist nun international erfahren, der ist auch vom Volk akzeptiert und der ist fest entschlossen, das alles zu tun. Aber da gehört nicht nur ein Ministerpräsident zu, Sie brauchen dafür, wenn Sie so wollen, eine politische Klasse und auch eine Verwaltung, die sich umstellen kann. Und da, muss ich Ihnen sagen, habe ich meine Zweifel. Ich sage das nicht nur Ihnen, ich sage das auch ganz klar und deutlich im griechischen Fernsehen, im griechischen Radio, ich werde heute den griechischen Staatspräsidenten treffen: Ich glaube, Griechenland braucht eine wirkliche Radikalreform, was seine Politiker angeht, was seine Verwaltung angeht, und leider dauert so was Zeit, das geht nicht auf Knopfdruck. Aber es ist dringend geboten, denn die Griechen können leider so nicht weitermachen. Das wissen sie auch. Die Bürger wissen das. Es gibt hier Umfragen, wonach mehr als die Hälfte der Bevölkerung neue Parteien sich wünscht, neue Politiker sich wünscht, und das ist jetzt auch angebracht.

Pindur: Herr Chatzimarkakis, vielen Dank für das Gespräch!