Wortlos glücklich

Von Katja Nicodemus · 04.08.2010
Ende der zwanziger Jahre war Anita Page eine der bekanntesten Hollywood-Schauspielerinnen. 1933 zog sie sich nach nur acht Jahren im Filmgeschäft überraschend zurück – und hatte in dieser Zeit immerhin rund dreißig Filme gedreht. Als sie vor zwei Jahren starb, war sie die letzte Überlebende der allerersten Oscar-Verleihung im Jahr 1929.
Es waren diese säuselnden Kitschklänge, mit denen Anita Page während der Oscarverleihung geehrt wurde, kurz nach ihrem Tod im Jahr 2008. Dazu zeigte man eine Reihe ineinander überblendeter Aufnahmen des Stummfilmstars. Wie eine überirdisch schöne Skulptur schwebte sie da in den Fotoposen der 20er-Jahre über den Stars von heute: Brad Pitt, Angelina Jolie oder auch Kate Winslet, in deren Augenwinkel eine Träne glitzerte.

Aber Pietät hin oder her – wären die Bilder in Bewegung gewesen, wäre eine andere Stimmung aufgekommen. Dann nämlich hätte man keine starre Leinwandgöttin erlebt, sondern eine quirlige Blondine. Eine Schauspielerin, die mit ihrer Lebendigkeit und ihrem schillernden Sex-Appeal die Leinwand zum sprechen brachte, bevor der Ton das Kino erreichte. Eine Frau, die zu den größten Stars der Stummfilmära gehörte.

Auch als über 90-Jährigegab sie noch gerne Auskunft über sich und die frühe Zeit des Kinos. Etwa in amerikanischen Talkshows, wo sie stets ein Auftritt war: im lila farbenen Pailettenkleid, mit schickem Hütchen und langen Glitzerohringen.

" Als ich sechs Monate alt war, wurde meine Mutter während einer Studiotour gefragt, ob sie vielleicht wolle, das ich ein Babystar werde. Sie sagte nein. Ihr war wichtig, dass ich zur Schule gehe und eine Ausbildung bekomme. Aber tatsächlich wollte ich dann ein Filmstar werden, schon seit ich fünf Jahre alt war. Ich wusste es! Ich wusste es einfach. "

Anita Page, die am 4. August 1910 in New York geboren wurde, spielte mit 15 Jahren ihre erste Rolle in dem Stummfilm-Märchen "A kiss for Cinderella".

Zum Star wurde sie als 18-Jährige mit "Our dancing daughters", einem der schönsten Filme über das Lebensgefühl der Jazz-Ära. In der Rolle einer skrupellosen Partylöwin spielte Anita Page ihre Filmpartnerin Joan Crawford an die Wand, für die "Our dancing daughters" eigentlich als Starvehikel gedacht war. Als 18-jähriges Mädchen befand sich Page plötzlich unter Vertrag bei MGM, im glamourösen Zentrum und Olymp des Kinos. Pro Woche erhielt sie 10.000 Fanbriefe, fast so viele wie Greta Garbo.

" Es war wunderbar! MGM war der Ort, an dem man sein musste. Sie kümmerten sich besonders um die weiblichen Stars. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Es war eine aufregende Zeit. Paramount und ein kleineres Studio umwarben mich auch. Alles war in Bewegung. "

Anita Page spielte mit Joan Crawford noch in zwei weiteren Filmen über lebenshungrige Großstadtgirls: "Our Modern Maidens" und "Our Blushing Brides". Sie drehte Thriller und Horrorfilme, Komödien und Melodramen. Aber was auch immer sie spielte und egal wie groß oder klein ihre Rollen waren, Anita Page prägte jeden Film durch ihre Schönheit und umwerfend lebendige Präsenz.

" Es waren die Augen, auf die es ankam. Es waren die Augen, mit denen man der Kamera damals eine Geschichte erzählte. Natürlich musste man auch fotogen sein, ein gutes Gesicht haben. Aber das Leben und der Ausdruck kommen durch die Augen. Sie sind der Spiegel der Seele." "

Anders als den meisten Stummfilmstars gelang Anita Page der Übergang zum Tonfilm. In "The Broadway Melody", der 1929 den allerersten Oscar für den besten Film gewann, hat sie umwerfende Auftritte, gemeinsam mit ihrer Filmpartnerin Bessie Love – als Gesangsduo, das es um fast jeden Preis zu Starruhm bringen will.

In dieser Phase ihrer Karriere erhielt Anita Page über hundert Fanbriefe und mehrere Heiratsanträge von Benito Mussolini. Sie lehnte sie ebenso ab wie die Avancen der MGM-Produktionschefs Irving Thalberg und Louis B. Mayer. Später begründete sie ihren frühen Ausstieg aus dem Filmgeschäft mit den Schikanen der beiden zurückgewiesenen Großproduzenten. Mit Mitte 20 kehrte Anita Page Hollywood den Rücken zu.

Nach dem Tod ihres zweiten Mannes, mit dem sie 54 Jahre lang verheiratet war, übernahm Anita Page wieder kleine Gastauftritte. Mit viel Spaß und Selbstironie gab sie die hexenhafte alte Dame, in Mystery- und Horrorfilmen wie "Sunset after dark" oder "Witchcraft XI – Sisters in Blood". Ihren letzen wunderbar durchtriebenen Auftritt als Frankensteins Schwester in dem 2008 gedrehten Film "Frankenstein Rising" konnte sie sich im Kino nicht mehr ansehen . Im selben Jahr starb sie mit 98 Jahren.