Wortgefechte und Loops

Moderation: Katrin Heise |
Vor 40 Jahren entstand in New York der Hip-Hop. Dieser Musikstil hat in der Folge die "Kulturtechnik des Sampelns" geprägt, sagt der Musiker und Journalist Falk Schacht. Seit seinen Anfängen habe der Hip-Hop aber immer auch die Möglichkeit geboten, Aggressionen abzubauen.
Katrin Heise: Und da sind wir ja musikalisch auch schon ganz schön eingestimmt in die 70er-Jahre. Was wir eben gehört haben, entstammt ja auch den 70er-Jahren. Und genau in den 70er-Jahren, ganz genau '73, soll der Hip-Hop entstanden sein. Und ganz, ganz genau gestern. Ich begrüße jetzt Falk Schacht, selber Hip-Hopper und Musikjournalist. Warum kann man denn - oder überhaupt, kann man tatsächlich den gestrigen Tag als Geburtstag, den 40. Geburtstag des Hip-Hop, bezeichnen?

Falk Schacht: Das hängt damit zusammen, dass DJ Kool Herc als der Urvater der Hip-Hop-Bewegung festgesetzt wurde. Über Oral History wurde sich darauf geeinigt das er es ist. Er war auch einer der ersten, der Kulturtechniken entwickelt und auf seinen Partys ausgeführt hat. Und vor ein paar Jahren hat man einen Flyer gefunden, auf dem zu einer Party am 11. August 1973 eingeladen wird. Dastand: Kommt zusammen zu einer Party, die ich für meine Schwester gebe, weil sie etwas Geld sammelt, um sich Schulbücher zu kaufen.

Und auf diesem Flyer kann man auch lesen, dass ein special guest Coco eingeladen ist. Coco ist sein Freund, der später bekannt wurde als Coke La Rock, einer der ersten Rapper-MCs des HipHops. Über diesen Flyer gab es dann Artikel, darin stand das es somit ein historisch festgesetztes Datum gibt. Das ist jetzt der historisch belegbare Geburtstag von HipHop. Andere Journalisten nehmen das auf, verbreiten es weiter, und dann wird es ein fester Geburtstag.

Heise: Finde ich aber ganz interessant, was Sie jetzt auch schon alles angesprochen haben, zum Beispiel die Kulturtechniken. Vielleicht können wir auf die ja gleich am Anfang mal eingehen. Die Kulturtechnik des Sampelns, des Immer-wieder-Aneinanderreihens. Wollen wir uns am Anfang mal anhören, was eigentlich so an Musik zu der Zeit entstanden ist und was dann daraus gemacht werden konnte. Also hören wir uns am Anfang mal von der - also "Apache", den Titel "Apache" von der Incredible Bongo Band.



Heise: Der Titel "Apache" von der Incredible Bongo Band. Also nach Funk, würde ich sagen, hört sich das an, aber nach Hip-Hop doch ganz und gar nicht, oder, Falk Schacht?

Schacht: Das ist richtig, wobei man sagen muss, dass Funk der musikalische Vater von Hip-Hop ist. James Brown und Funk sind sehr wichtige Einflüsse für HipHop. Der Song "Apache" ist dabei sogar so etwas wie wie die inoffizielle Nationalhymne des Hip-Hops. Diesen Song hat DJ Kool Herc immer auf seinen Partys gespielt, und damit im Song Kanon von HipHop etabliert.

Dieser drum break am Anfang, später im Song kommt noch mal eine längerer Passage davon, ist genau der Punkt gewesen, wo die Tänzer besonders abgegangen sind und sich auch auf dem Boden bewegt haben. Weil das ein drum break ist, heißen diese Jungs, die dazu getanzt haben, auch break boy. Das wurde dann zur Kurzform B-Boy. Das ist der Name, den diese Jungs innerhalb der Szene haben.

Und natürlich ist es Funk-Musik, man kann ja nicht mit einem Knopfdruck sagen, okay, jetzt ist der 11. August 73, und schwupp wird es in der Sekunde zu Hip-Hop. Es ist eine fortlaufende musikalische Entwicklung die aus diesen Funk-Breaks HipHop werden lies. Bis Anfang der 80er wurde diese drum breaks mit den Plattenspielern verlängert - da wurde drüber gerappt - ab den frühen 80s wurde dann stetig erneuert, durch andere Musikstilistiken, die aufgenommen wurden, bis zu dem, was wir heute als Hip-Hop-Musik bezeichnen.

Heise: Und wie sich das angehört hat, das haben Sie mal ja technisch umgesetzt aus diesem Beispiel, was wir eben hörten, "Apache", haben Sie - hören wir uns erst an und dann sprechen wir drüber - haben Sie folgenden Beitrag gemacht.

(Einspielung)

Heise: Also von Falk Schacht jetzt Apache umgewandelt, abgewandelt, eben Hip-Hop draus gemacht. Wie haben Sie das gemacht, Herr Schacht? Das ist doch am Computer kreiert, oder?

Schacht: Ja, ich habe das am Computer kreiert und habe es aus einem Song herausgeschnitten, den wir nachher auch hören, von Grandmaster Flash. Was da passiert, ist, dass dieser Schlagzeugtakt auf zwei Plattenspielern links und rechts vorliegt, und der DJ, wenn der break auf der einen Platte zu Ende ist, die andere Platte anmacht. Dann geht es hin und her, von links nach rechts. Zwischendurch gab es die Geräusche, die Scratches zu hören. Das hilft den DJs auch den Punkt zu finden, wo er starten kann.

Die Kulturtechnik des Loopens und Sampelns wird hier sozusagen mechanisch und von Hand umgesetzt, ein Bedürfnis, das aber schon lange vorher in der Musikszene generell geherrscht hat. Ob die Beatles oder Frank Zappa - auch die haben schon auf Samples zurückgegriffen, konnten das aber nicht mit Plattenspielern machen, sondern habe es dann mit Tonbändern gemacht und haben die geschnitten.

Heise: Wenn man sich das mal so vorstellt, also Sie haben auch die Party, über die ich eigentlich auch noch ein bisschen mehr wissen möchte. Aber noch mal ganz kurz bei der Technik geblieben: Wenn man sich so vorstellt, diese zwei Plattenspieler, die dann eben live auf der Party hin- und hergescratcht wurden - dann kann doch davon aus der Zeit eigentlich wenig, können doch dann wenig Aufnahmen eigentlich vorhanden sein, oder? Weil das ja dann da entstanden ist, mit Plattenteller.

Schacht: Richtig, das ist sozusagen vor Ort, live. Und wenn es vorbei war, war es vorbei, aber natürlich gibt es Aufnahmen, allerdings in sehr schlechter Qualität. Und bisher haben wir keine Aufnahmen gefunden, die vor 1977 gemacht wurden. Und die Aufnahmen, die wir haben, da hat jemand einen Kassettenrekorder hingestellt und wollte das für sich zu Hause aufzeichnen. Wer möchte kann sich diese qualitativ sehr schlechten Aufnahmen heute im Internet anhören und runterladen.

Heise: Sie haben die Party beschrieben, die DJ Kool Herc da veranstaltet hat, wo er für mit einem Flyer eingeladen hat. Er hat die Musik verlängert, um diese Tanzeinlagen eigentlich so richtig anzuheizen, damit die Leute überhaupt richtig zum Tanzen kommen. Was waren das für Partys da in New York? Was entlud sich da?

Schacht: Sie müssen sich das so vorstellen, dass New York zu dem Zeitpunkt wirtschaftlich am Ende war. Die Stadt war fast pleite, die Sozialprogramme wurden gestrichen, in den Schulen wurden die Musikkurse gestrichen, es gab keine Instrumente für die Kids, und das Einzige, was sie an musikalischer Ablenkung für sich noch hatten, waren die Schallplatten ihrer Eltern oder das Radio. Im Radio lief nicht die Musik, die ihre Kultur widerspiegelte, und deswegen blieb ihnen nichts anderes übrig, als zusammen in der Bronx oder in ihren eigenen Stadtteilen sogenannte Blockpartys zu feiern.

In die Clubs Downtown, in New York, Manhattan, - also zum Beispiel was dann später das Studio 54 und ähnliche Diskotheken wurde - sind sie nicht rein gekommen, weil sie nicht entsprechend gekleidet waren und man dort auch gerne einfach solche Leute nicht sehen wollte.

Also haben sie bei sich in ihrem Viertel gefeiert, haben sich den Strom aus einem Laternenpfahl gezogen, weil sie sich den Strom auch nicht leisten konnten, und haben in den Abbruchhäusern diese Partys gefeiert.

Heise: Sie haben von dem Flyer vorgelesen. Da ist das ja schon ziemlich deutlich geworden, eben als eine Sammlung für die Schwester, um sich Schulbücher kaufen zu können. Da hat man ja einen ziemlichen Eindruck bekommen, in welcher Situation die Leute waren.

Schacht: Also, wen das interessiert, der kann sich auch Dokumentationen dazu anschauen- Die gibt es inzwischen zahlreich, über die 70er-Jahre und die Bronx im Speziellen. Da werden Sie Bilder sehen, das sieht aus wie im Kriegsgebiet, weil dort die Besitzer der Häuser die Häuser abgebrannt haben, um die Versicherungssummen zu kassieren. Und das sieht wirklich aus wie im Kriegsgebiet.

Heise: Falk Schacht, selber Hip-Hopper und Musikjournalist, zum Geburtstag des Hip-Hop. Ich kann mich vor allem an diese endlosen Stücke von Kurtis Blow erinnern, "These are the breaks" und diesen Sprechgesang. Von dem haben wir jetzt überhaupt noch nicht gesprochen, und genau von Kurtis Blow haben wir hier mal einen Ton, wo er erzählt, wie wichtig dieser Sprechgesang eigentlich war.

(Einspielung)

Heise: Der MC, der Master of Ceremony, braucht also das Mikrofon vom DJ. Das heißt, da wurde es dann irgendwann eine geteilte Aufgabe?

Schacht: Ja. Da die Techniken des break Verlängerns immer komplexer wurden und auch des Scratchens, war es natürlich klar, dass der DJ, der vorher die Moderation gemacht hatte, jetzt keine Zeit mehr dafür hatte. Also brauchte er jemanden, der das moderiert. Einen MC, einen Master of Ceremony, der Zeremonienmeister ist im Amerikanischen TV zum Beispiel auch ein Moderator. Und der DJ braucht jetzt einen Moderator, und so begann die Laufbahn der Rapper.

Heise: Um was ging es da eigentlich bei den Texten dann?

Schacht: Am Anfang ging es natürlich um sehr simple Sachen. Man hat einfach Leute, die man kannte, die zur Tür rein kamen, erwähnt. Oh, guck mal, da kommt der und der. Später wurde das immer komplexer und natürlich ging es vor allem auch darum, Frauen zu beeindrucken und irgendwie Telefonnummern zu bekommen.

Heise: Ich glaube, jetzt hören wir uns mal ein etwas längeres Stück an aus der Zeit damals, einen Hip-Hop-Klassiker vielleicht, kann man doch schon sagen. Von Grandmaster Flash "The Message".



Heise: "The Message" von Grandmaster Flash zum 40. Geburtstag des Hip-Hop. Und ich spreche mit Falk Schacht, selber Hip-Hopper und Musikjournalist. Herr Schacht, wir haben ja dieses Stück nicht nur ausgewählt, weil es so eine Art Klassiker ist des Hip-Hop, sondern weil sich genau an diesem Stück auch zeigen lässt, dass sich der Inhalt dessen, was da geredet wird, so ein bisschen verändert, oder?

Schacht: Genau. Dieses Stück ist von 1982 und somit neun Jahre nachdem alles angefangen hat. Es ist in zweierlei Maß ein Meilenstein und eine Zeitenwende. Weil zum einen das Tempo gewechselt wird, es ist viel, viel langsamer als die Party- und Funksachen, über die wir vorher gesprochen haben.

Und auf zweiter Ebene ist natürlich der Textinhalt plötzlich ein sozialkritischer und beschreibt die Lebensumstände dieser Menschen. Vorher war Hip-Hop eher etwas dafür um sich abzulenken. Das war escapism, ich will weg. Jetzt ist man plötzlich mit diesem sozialkritischen Text konfrontiert. Das führte auch intern bei der Band zu Konflikten. Die wollten das teilweise gar nicht rappen und nicht unter ihrem Namen veröffentlichen. Heute sind sie wohl ganz glücklich darüber, dass es doch veröffentlicht wurde. Den heute wird es auch gerne Fernsehwerbung benutzt.

Heise: Das ist das Text da das eine. Dieses Miteinander oder das Gegeneinander - war es eigentlich ein Gegeneinander oder ein Miteinander, DJ und MC, also dessen, der da das Ganze moderiert?

Schacht: Nein, nein. Das war ein Miteinander. Es ging in den 70ern darum, die Party zu rocken, das haben dann beide übernommen. Der MC hat sich aber natürlich immer weiter in den Vordergrund geschoben, was automatisch der Fall ist, wenn eine Plattenfirma ins Spiel eingreift und sagt "Hallo". Die brauchen einen Top-Star, und da ist der DJ halt eher so was wie der Schlagzeuger bei einer Rockband. Der steht halt hinten, und deswegen ist der MC heute der Star und der DJ guckt zu.

Heise: Jetzt ging es ja weiter mit dem Hip-Hop. Es ging ja darum, dass man also nicht nur diese politischen Inhalte transportieren wollte, sondern man ist ja quasi auch gegeneinander angetreten. Was ist unter diesen Battles eigentlich zu verstehen?

Schacht: Das ist im Grunde eine urschwarze Tradition, dass man sich miteinander in den Wettstreit begibt. Es gab in den Gettos in den USA ein Spiel, das hieß "The dozens", da ging es darum, sich möglichst kreativ gegenseitig zu beleidigen. Das klingt, wenn man jetzt von außen drauf schaut, erst mal irgendwie aggressiv und schlimm. Aber der Punkt war, besser, dass sie sich mit Worten beleidigen, als dass sie aufeinander losgehen oder irgendwelche anderen, zum Beispiel illegale, Aktivitäten machen.

Und dieses Element ist im Hip-Hop komplett aufgenommen worden. Da ging es darum, sich in einer gewissen Art und Weise sportlich auseinanderzusetzen, um keine dummen Sachen zu machen. Hat nicht immer funktioniert, aber als Ziel ist es genau das, was Hip-Hop immer wollte und was diese Ideologie des Hip-Hops ist.

Heise: Nannte man das eigentlich schon Gangster-Rap?

Schacht: Nein. Gangster-Rap kommt viel später. Wenn Sie "The Message" von Grandmaster Flash nehmen, dann war das das erste Mal, dass man plötzlich über die Umstände der Schwarzen in den Vereinigten Staaten und in den Gettos in Rapmusik sprach. Das führte automatisch zu so Bands wie Public Enemy, die die ganzen Inhalte der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre wieder aufgegriffen haben und einem völlig neuen und jungen Publikum, und vor allem auch einem weißen Publikum, näher gebracht haben. Also ich würde über die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen nichts wissen, wenn Public Enemy nicht immer wieder darüber gerappt hätten.

Das führt automatisch dazu, dass auch die eine Stimme bekommen, die sich komplett außerhalb der Gesellschaft bewegen, und die auch etwas sagen wollen. Also führt das zu Bands wie NWA, die große Vorreiter des Gangster-Raps Ende der 80er-Jahre waren. Plus - sie haben natürlich immer noch das Element der Fans, des Tabubruchs, und dass Kids das natürlich dann spannend finden.

Im Grunde, wenn man das ganz genau betrachtet, ist das so etwas wie Mafiafilme. Da regt sich auch keiner drüber auf. Sagt aber ein Rapper etwas in diese Richtung, dann gibt es gleich einen Riesen-Bohei.

Heise: Und da sind wir eigentlich im Heute angekommen, beim heutigen Hip-Hop, und da haben Sie sich noch ein Stück ausgesucht zum Schluss. Was hören wir jetzt?

Schacht: Wir hören ein Stück der Band Eins Zwo aus Hamburg, das Stück heißt "Discjockeys" und es beschreibt die Rolle des Discjockeys, es zollt ihm Tribut, und es gibt auch hier und da ein paar Seitenhiebe in Richtung der Rapper, die sich manchmal ein bisschen zu wichtig nehmen.

Heise: Und damit gratulieren wir dem Hip-Hop zum 40. Danke schön, Falk Schacht!

Schacht: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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