Worte der Wende: Wiedervereinigung

Von Thomas Brussig |
"Was denn wieder?" fragte Udo Lindenberg schon im Januar 1990, als er sich auf offener Bühne der Tagespolitik widmete. Klar, ein Deutschland in den Grenzen von 1990 hatte es nie zuvor gegeben, und eine Bundesrepublik mit 16 Bundesländern auch nicht. Weshalb die ganze Veranstaltung Wiedervereinigung genannt wurde – ich weiß es nicht.
Als die deutsche Frage die Unverbindlichkeit der Sonntagsreden verlor und plötzlich aufs Tapet kam, blieb vielleicht keine Zeit, einen passenden Begriff zu suchen. Die Einheitsgegner nahmen den Begriff als Steilvorlage, strichen das erste E aus dem Wieder und demonstrierten wider Vereinigung. Auch nicht besonders originell.

Gerade im Ausland gab es Befürchtungen, dass Deutschland da weitermacht, wo es zuletzt aufhören musste. Vom US-Talkmaster David Lettermann soll der Gag stammen: "Die beiden Deutschländer wollen sich ja jetzt wieder vereinigen. Da fragt sich natürlich alle Welt, wann die auf Tournee gehen."

Wiedervereinigung: Ein Wort, zwei Lügen. Denn "Vereinigung" suggeriert, dass es sich um gleiche, gleichwertige Partner handelt. Tatsächlich war es aber eine Vereinigung höchst ungleicher Partner, und das böse Wort vom Anschluss traf es schon eher, denn im Westen änderte sich – abgesehen von Soli und Hauptstadtumzug – im Prinzip nichts, während sich im Osten im Prinzip alles änderte. In der Wirtschaft gibt es den Begriff takeover, also die Übernahme einer Firma durch eine andere. Und eben aus der Wirtschaft weiß man, dass auch ein freundliches takeover schief gehen kann, dass sich die übernehmende Firma mit einer Übernahme finanziell verhebt.