Worte am Schopf gepackt

Elfriede Czurda bezeichnet ihre 23 Texte im Untertitel als "Kurzprosa & Erörterungen". Die exzellente Sprachkünstlerin nimmt die Worte beim Schopf und schüttelt sie so lange, bis scheinbar alle Bedeutungen herausgefallen sind. Doch wie bei einer Hydra wachsen neue, ungeahnte nach.
Wer denkt bei dem Gebrauch eines Löffels schon über dessen Form nach oder wozu dieses Ding noch nützlich sein könnte. Die österreichische Autorin Elfriede Czurda tut es, wobei das Schöpfinstrument geradezu geadelt wird.

"Aus der Buchstaben-Ursuppe schöpft er das Alte, das Neue und alle sonstigen Testamente ... So ein Schöpflöffel ist, wie man sieht, ein richtiger Schöpfer."

In einem rasanten Tempo kommt die einstige Avantgardistin der Wiener Gruppe vom Honiglöffel über die mütterliche Karfiolsuppe zur Schöpfungsgeschichte. Wobei einmal XX-Chromosomen und dann wieder XY-Chromosomen ans Tageslicht geschaufelt werden.

Doch nicht nur das in Europa bevorzugte Esswerkzeug hat es Elfriede Czurda angetan, um über Werden und Vergehen zu philosophieren. In ihrer jüngsten Publikation "Untrüglicher Ortssinn" geht es ebenso um die brutalen Attacken eines Aktenvernichters oder die Windseele der japanischen Bambusflöte Shakuhachi. "Stille Post von einer Shakuhachi Flöte" ist einer der schönsten Texte des Bandes. Eine bizarre Lautprosa, bei der man tatsächlich zu hören meint, wie die Winde mit ihren "Staubkörnern auf die lanzettförmigen Blätter des Bambus" treffen.

"Setzt jemand das Instrument an die Lippen, rauscht der Wind auf, orgelt, pfeift. Singt, lispelt."

Elfriede Czurda bezeichnet ihre 23 Texte im Untertitel als "Kurzprosa & Erörterungen". Es bedarf einer aufmerksam-kritischen Lektüre, um hinter der verhaltenen Ironie und dem lakonischen Stil die poetische Idee beziehungsweise das geschickte Annullieren einer Idee des Erzählens zu entdecken. Die exzellente Sprachkünstlerin nimmt die Worte beim Schopf und schüttelt sie so lange, bis scheinbar alle Bedeutungen herausgefallen sind. Doch wie bei einer Hydra wachsen neue, ungeahnte nach. Dabei geht es ihr nicht nur um die Etymologie der Worte, sondern immer wieder um den Gebrauch von Sprache als Machtinstrument. In "Die Scham" und "Eine politische Affäre" wird das Vokabular der Mutter zur kalten moralischen Instanz. Während das Kind auf einem Schemel sitzt und verträumt an grüne Wiesen und blauen Himmel denkt, befiehlt die Stimme:

"Schließ die Knie! Schäm dich! Wirklich, meine Mutter sagte, ich sollte mich schämen. Nicht: schemel dich. Schemelhaft war ich sehr gerne."

In "Mein Abschied vom Jahr 2000 – Fünf Jahre vor dem Paradies", dem mit 28 Seiten längsten und letzten Text der Sammlung, wird Czurdas Prinzip des Erörterns deutlich. Angesichts der Feierlichkeiten zur Jahrtausendwende beklagt sie, dass Zukunft, Geschichte und Vergangenheit unter der "Sichtbarkeitsschwelle" bleiben. In einer raffinierten Schnitttechnik werden reale Orte wie Rom, Berlin oder Sarajewo mit Bildern der Kindheit zusammengedacht. Zeiten und Räume verkanten sich ineinander und bilden einen vertikalen Gedächtnisraum.

"Nun sind sie doch alle wiedergekehrt die schrecklichen Krankheiten die schrecklichen Kriege die schrecklichen Lebensverhältnisse die schrecklichen Naturkatastrophen."

Elfriede Czurda legt mit "Untrüglicher Ortssinn" ein sprachlich aufrüttelndes Buch vor, das in uns zu arbeiten beginnt, wenn wir es längst zugeschlagen haben.

Besprochen von Carola Wiemers

Elfriede Czurda: Untrüglicher Ortssinn
Verbrecher Verlag, Berlin 2009
198 Seiten, 14 Euro