Für Weltoffenheit und ein besseres Image

Wie werden wir attraktiv für Fachkräfte? Diese Frage stellt sich in Sachsen unter anderem deshalb, weil das Image des Freistaats durch die Erfolge von Pegida und AfD schwer gelitten hat. Nun haben sich Menschen getroffen, die das ändern wollen.
Der Standort Sachsen hat seit dem Aufkommen von Pegida und dem Aufschwung der AfD schwer gelitten. Die offen fremdenfeindlichen Haltungen der Anhänger von Bewegung und Partei belasten das Image - und werden immer mehr zu einem Wettbewerbsnachteil im Ringen um Arbeitskräfte und junge Leute. Im ostsächsischen Ostritz haben sich vor kurzem Vertreter verschiedener Initiativen getroffen, die das ändern wollen, über die eigene Region hinaus.
"Wie weit ist denn das zur Grenze von hier, weiß das jemand?", fragt ein Seminar-Teilnehmer und schaut etwas ratlos in die Runde. Die Antwort ist einfach. Nicht einmal 100 Schritte sind es vom Foyer des Tagungsraumes im Kloster St. Marienthal in Ostritz bis zur deutsch-polnischen Grenze. Die barocken Gebäude der großzügigen, noch aktiv betriebenen Klosteranlage liegen direkt an der Neiße. Bei Hochwasser ist das dem Kloster auch schon zum Verhängnis geworden.
Sachsen-Rückkehrer aktiv für Weltoffenheit
Hier ist auch das Internationale Begegnungszentrum St. Marienthal angesiedelt. Christin Stupka ist Projektleiterin für den Bereich "Gelebte Demokratie". Sie stammt aus der Region, hat aber – wie so viele aus ihrer Generation – lange Zeit in Westdeutschland gelebt und ist erst vor einiger Zeit zurückgekehrt.
Dadurch sei ihr Blick auf die Willkommenskultur in ihrer Heimat geschärft: "An vielen Stellen mangelt es da, glaube ich, und ich will das gar nicht den Menschen vorwerfen. Der Ausländeranteil war hier immer sehr gering und den Leuten fehlt einfach die Erfahrung damit. Aber da müsste man vielleicht auch Gesicht zeigen."
Offensives Umgehen mit fremdenfeindlichen Vorurteilen oder Sprüchen sei sowohl am Arbeitsplatz wie im privaten Freundes- und Familienumfeld möglich und nötig, sagt die Kulturmanagerin und Osteuropa-Expertin.
Christin Stupka nennt ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag: "So, wie du das gerade gesagt hast zu deinem Kollegen oder zu der Verkäuferin, das war so nicht in Ordnung. Das müsste man vielleicht anders formulieren; oder dass man an Stellen sich sensibilisiert, als Unternehmer, als Zivilgesellschaft oder als Kommune, dass man da versuch gezielt entgegenzusteuern."
Hier setzt auch die Arbeit des Vereins "Wirtschaft für ein Weltoffenes Sachsen e.V." ein. Mit Workshops und politischer Bildung in den Betrieben, die Unterstützung suchen. Vorstandsmitglied Sylvia Pfefferkorn erklärt: "Es soll nicht unbedingt nur Haltung verändern, sondern Handeln in den Unternehmen – damit Jung und Alt, Inland und Ausland, Männlein und Weiblein und was es noch gibt, gut zusammenarbeiten können."
Rechtsrockfestival spaltet Ostritz
Der kleine Ort Ostritz, gleich neben dem Kloster St. Marienthal ist stigmatisiert, seit Extremisten dort vor einigen Jahren begannen, zu einem Rechtsrockfestival an die Neiße zu laden: Ostritz galt auf einmal als "braunes Nest".
Doch die Zivilgesellschaft um eine engagierte Bürgermeisterin, in Gemeinschaft mit dem Begegnungszentrum St. Marienthal, wusste sich zu wehren: Es gab die Kampagne 'Kein Bier für Nazis', wie Stupka sich erinnert, "wo wir alle im Landkreis aufgefordert waren, die Supermärkte leer zu kaufen, damit die Festival-Teilnehmer nichts zu trinken haben. Das wurde bundesweit in der Presse und im Kabarett rezipiert."
Das Kalkül ging auf, doch die Ortsgemeinschaft ist seitdem gespalten: Manche Einwohner meinen, man habe dadurch erst die bundesweite Aufmerksamkeit für das rechtsgerichtete Festival geweckt: "Die Friedensfestinitiative in Ostritz selbst ist ja auch überschüttet worden mit Preisen und auch mit Aufmerksamkeit", sagt Stupka. "Es ist dennoch so, dass eher das Negativ-Image von außen wahrgenommen wird."
Man veranstalte gerade eine Kinoreihe, zu der Referenten aus dem ganzen Bundesgebiet eingeladen seien, zum Beispiel zu einem Kurzfilmabend zum Thema Antisemitismus: "Da kommt sofort die Nachfrage, ob wir etwas dafür tun, dass die Veranstaltung geschützt ist; ob Polizeischutz da ist?"
Nachteile im Ringen um Arbeitskräfte
Ganz ähnliche Erfahrungen hat der Jurist und Werbefachmann Bernhard Kelz in seiner Agentur in Dresden gemacht. Bei seinem Versuch, aus einer aufgelösten Berliner Werbeagentur Arbeitskräfte abzuwerben, bekam er erstaunliche Antworten:
"Man hörte dann von einigen Kreativen im direkten Einzelgespräch: 'Auf die Agentur hätte ich Lust, aber ich gehe nicht nach Nazi-Sachsen.' Und der Begriff 'Nazi-Sachsen' fiel tatsächlich genau so, wortwörtlich", erzählt er.
Für die Unternehmen im Freistaat sind das schlechte Nachrichten. Bis zum Jahr 2030 werden heutigen Prognosen zufolge auf dem Arbeitsmarkt in Sachsen rund 320.000 Fachkräfte fehlen. Jeder fünfte Erwerbstätige wird bis dahin in Rente gehen.
Viele Unternehmen suchen schon jetzt verzweifelt nach einem Nachfolger. Das gilt auch für den Landkreis Görlitz, wie Sven Mimus von der regionalen Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz sagt: "Wir haben vor allem im Bereich der Verwaltung in den nächsten Jahren ein massives Nachbesetzungsthema, wir haben von der Gastronomie bis in den Handel, aber auch bis hin zu den Busfahrern ein Thema – und das ist ein Riesenproblem."
Nach Görlitz pendeln viele Polen von der anderen Flussseite der Neiße zur Arbeit, manche wohnen auch in der schmucken Europa-Stadt.
Viele Polen arbeiten bei Birkenstock in Görlitz
Vor allem im Görlitzer Werk des Schuhherstellers Birkenstock arbeiten mehrheitlich Arbeitskräfte aus Polen. Das Werk hat mit Jagoda Damrath eine polnische Geschäftsführerin, die seit vielen Jahren in Deutschland arbeitet. Auch sie mahnt eine bessere Willkommenskultur an, allein schon, um die ausländischen Arbeitskräfte vor Ort zu halten.
Sie selbst sei schon in mehreren Ländern tätig gewesen, bei ihr sei die Toleranz für anderen Kulturen und auch Religionen sehr ausgeprägt: "Und das versuche ich jetzt bei Birkenstock auch den anderen beizubringen: Bei manchen geht das schnell, bei anderen nicht so, aber wir versuchen es, durch solche Programme wie den Sprachkurs."
Mit Sprachkursen für Polnisch bietet das Internationale Begegnungszentrum St. Marienthal auch zugleich interkulturelle Kurse an, die das betriebliche Miteinander verbessern sollen. "Im normalen Leben, beim Arbeiten, die Zusammenhänge Familie und Arbeit: Das ist doch nicht immer so gleich in beiden Ländern."
Vielfach beginne die Willkommenskultur schon mit der korrekten Aussprache des polnischen Nachnamens, ergänzt Projektleiterin Christin Stupka. Zugleich brauche es Scouts, die die Neuankömmlinge mit in die Vereine nähmen, um so den persönlichen Anschluss zu erleichtern.
Welcome-Center im Erzgebirge
Auf Scouts setzt man auch im Erzgebirge, wo Arbeitskräfte ähnlich knapp sind. Kristin Koksch arbeitet in Annaberg-Buchholz, in der Wirtschaftsförderung Erzgebirge. Auch sie war einige Jahre nicht in ihrer Heimat und ist zurückgekehrt. Im Erzgebirge habe man frühzeitig, bereits 2008, auf die Einrichtung eines Welcome-Centers gesetzt, sagt Koksch, um so Fachkräfte gezielter anwerben und betreuen zu können.
Werbekampagnen begleiteten den Prozess, sagt sie: "Tue Gutes und rede darüber, das heißt: Nicht nur unter dem Radar agieren und sich weltoffen positionieren, sondern dies auch vermarkten und wirklich auch selbstbewusst darstellen, dass die Negativbeispiele, wie gesagt, die durch Presse gehen, überhaupt nicht die Mehrheit abbilden."
Im Erzgebirge scheint dieser Ansatz aufzugehen, aktuell hat der Kreis mit 20 Prozent immerhin die höchste Rückkehrerquote einstmals abgewanderter junger Leute zu verzeichnen.
Willkommenskultur in der Region stärken
Das reicht natürlich perspektivisch nicht aus, um die Lücken zu füllen aber, so Koksch: "Wir versuchen die Willkommenskultur nicht nur in den Betrieben zu stärken, sondern auch die Willkommenskultur in der Region. Das heißt, die Bevölkerung mitnehmen. Wie schaut es denn dort aus? Wir werden Zuwanderer, Rückkehrer, Neubürger aufgenommen? Welche Schwachstellen gibt es? Und dort versuchen wir anzusetzen und eher Positivbeispiele zu bringen."