Woran heute noch glauben?
Religion ist Privatsache, wie alles, was der Mensch in seinem Inneren erwägt, verwirft, für gut hält oder hofft. Dem Staat ist es verwehrt, Gedanken, Ideen oder Glaubensätzen eine allgemeine Anerkennung zu verschaffen. Der Bürger ist verpflichtet, die Rechtsordnung zu respektieren, in der er lebt. Ob er deren Grundsätze billigt oder nicht, geht keinen etwas an.
Der neutrale Rechtsstaat als Rahmen für alle möglichen Lebensformen beruht auf der Überlegenheit des Inneren. Darin äußert sich die dem Menschen angeborene Freiheit und Würde. Sie ist vor dem Staate da, der eingerichtet wurde, sie zu schützen. Deswegen ist Toleranz die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Sie kann aber, wie Goethe zu bedenken gab, immer nur eine vorübergehende Gesinnung sein. „Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen“. Daran muss heute besonders die energischste und aktivste Orthodoxie, der Laizismus von der strengsten Observanz, immer wieder erinnert werden. Er will sich oft nicht einmal zur Duldung verstehen, auf gar keinen Fall zur Anerkennung ihm fremder, gar lächerlicher Gewohnheiten oder Überzeugungen.
Die radikalen Laizisten berufen sich gerne auf die Aufklärung. Sie halten sich aber nicht an den Rat des entschiedenen Lichtbringers Adolph von Knigge, der vor Ungeduld auch beim Umgang mit Vorurteilen oder religiösen Bekenntnissen warnte. Selbst Vorurteile bedürften einer schonenden Behandlung, um nicht leichtsinnig den geselligen Frieden zu zerstören. Über Religionen könne jeder denken, was er mag. Aber er solle nicht aussprechen, was ihn an Protestanten, Katholiken, Juden oder Mohammedaner verwundert oder stört. Schließlich gibt es viele Möglichkeiten, sich diese Welt zu erklären und sich in ihr zurechtzufinden.
Was manchen als Aufklärung und Licht erscheint, halten andere für Finsternis und Täuschung. So folgte der Freigeist und Freund praktischer Weltklugheit dem Rat Christi: Lernet einander zu ertragen oder der goldenen Regel, die schon vor ihm bekannt war, die er aber ausdrücklich bestätigte: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Darauf beriefen sich die Heiden gegenüber ungeduldig-eifernden Christen während der Spätantike. An dieses Gebot dürfen jetzt solche, die weiterhin Christen bleiben möchten, entschiedene Neuheiden erinnern, die den Monotheismus für gewalttätig und gemeingefährlich halten und auf einmal von den Götter Griechenlands schwärmen, als sie an der Freude Gängelband noch die Welt regierten und glücklichere Menschenalter heraufführten. „Einen zu bereichern, unter allen / Musste diese Götterwelt vergehen“.
Erst seit dem Eintritt Christi in die Welt als Geschichte weiß der Mensch, dass er als Ebenbild Gottes zur Freiheit geboren und mit einer der göttlichen verwandten Würde ausgestattet ist. Ein skeptischer Liberaler wie Alexis de Tocqueville blieb sich stets bewusst, wie eng mit dem Aufkommen des Christentums die allmähliche Ausfaltung der Freiheit verbunden war, dass gerade Demokraten auf die Religion als fester Anker angewiesen sind, um nicht haltlos zu schwanken und ihrer eigenen sittlichen Grundlagen zu schwächen. Eine Gesellschaft fröhlicher Heiden, die an den Jupiter Optimus Marxismus oder an Wotan und Fricka glauben, auf indische Gurus und bretonischen Druiden hört, Dämonen huldigt, sich mit edlen Steinen, Wurzeln oder Heilpflanzen erlöst, Geister beschwört oder vor dem Dalai Lama kniet, vermag sich kaum die öffentlichen Tugenden anzueignen, auf die nun einmal auch eine ganz weltlich gewordene Welt angewiesen ist. Es führt kein Weg zurück, vor die Geschichte, vor das Christentum, dessen Spiritualität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit den Weg zu deren Säkularisierung ebnete. Eine Welt, die aus dem Christentum hervorging, unterhöhlt ihre eigenen Fundamente, wenn sie meint, sorglos die Zukunft des Christentums beobachten zu können. Denn es ist ja nicht nur das Christentum, das Schwierigkeiten damit hat, zu begeistern. Der Goethekult, humanistischer Idealismus, der Historismus Hegels oder der Kantsche Dogmatik sind ebenfalls in Glaubwürdigkeitskrisen geraten. Diese können wiederum einem Christen nicht gleichgültig bleiben. Denn damit rutscht unserem gesamten Verfassungs- und Rechtsleben sein Fundament weg.
Die Privatsache Religion hat also unbedingt öffentliche Folgen. Eine konkurrierende civil religion um die neue Dreieinigkeit von Freihandel, Demokratie und Menschenwürde nähert sich totalitären Begehrlichkeiten, vor denen man Aufklärer immer wieder schützen muss. Mit Hilfe des Christentums, aber auch mit Hilfe des Islam. Statt in alter angelsächsischer Tradition Mohammedaner als Feinde des Menschengeschlechtes zu dämonisieren, wäre es angemessener, sich auf die erprobten, vernünftigen Gemeinsamkeiten zu besinnen. Es waren Mohammedaner, die uns Aristoteles vermittelten. Es ist leichter, mit einem gläubigen Mohammedaner einen Rechtsstaat zu erhalten als mit Neu-Germanen, die an den Externsteinen zu Ostern Freyas Fruchtbarkeit huldigen.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. „Die Wittelsbacher“, „Drei letzte Kaiser“, „Albert Ballin“ und „Eine kleine Geschichte Preußens“ sowie zuletzt „Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit“.
Die radikalen Laizisten berufen sich gerne auf die Aufklärung. Sie halten sich aber nicht an den Rat des entschiedenen Lichtbringers Adolph von Knigge, der vor Ungeduld auch beim Umgang mit Vorurteilen oder religiösen Bekenntnissen warnte. Selbst Vorurteile bedürften einer schonenden Behandlung, um nicht leichtsinnig den geselligen Frieden zu zerstören. Über Religionen könne jeder denken, was er mag. Aber er solle nicht aussprechen, was ihn an Protestanten, Katholiken, Juden oder Mohammedaner verwundert oder stört. Schließlich gibt es viele Möglichkeiten, sich diese Welt zu erklären und sich in ihr zurechtzufinden.
Was manchen als Aufklärung und Licht erscheint, halten andere für Finsternis und Täuschung. So folgte der Freigeist und Freund praktischer Weltklugheit dem Rat Christi: Lernet einander zu ertragen oder der goldenen Regel, die schon vor ihm bekannt war, die er aber ausdrücklich bestätigte: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Darauf beriefen sich die Heiden gegenüber ungeduldig-eifernden Christen während der Spätantike. An dieses Gebot dürfen jetzt solche, die weiterhin Christen bleiben möchten, entschiedene Neuheiden erinnern, die den Monotheismus für gewalttätig und gemeingefährlich halten und auf einmal von den Götter Griechenlands schwärmen, als sie an der Freude Gängelband noch die Welt regierten und glücklichere Menschenalter heraufführten. „Einen zu bereichern, unter allen / Musste diese Götterwelt vergehen“.
Erst seit dem Eintritt Christi in die Welt als Geschichte weiß der Mensch, dass er als Ebenbild Gottes zur Freiheit geboren und mit einer der göttlichen verwandten Würde ausgestattet ist. Ein skeptischer Liberaler wie Alexis de Tocqueville blieb sich stets bewusst, wie eng mit dem Aufkommen des Christentums die allmähliche Ausfaltung der Freiheit verbunden war, dass gerade Demokraten auf die Religion als fester Anker angewiesen sind, um nicht haltlos zu schwanken und ihrer eigenen sittlichen Grundlagen zu schwächen. Eine Gesellschaft fröhlicher Heiden, die an den Jupiter Optimus Marxismus oder an Wotan und Fricka glauben, auf indische Gurus und bretonischen Druiden hört, Dämonen huldigt, sich mit edlen Steinen, Wurzeln oder Heilpflanzen erlöst, Geister beschwört oder vor dem Dalai Lama kniet, vermag sich kaum die öffentlichen Tugenden anzueignen, auf die nun einmal auch eine ganz weltlich gewordene Welt angewiesen ist. Es führt kein Weg zurück, vor die Geschichte, vor das Christentum, dessen Spiritualität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit den Weg zu deren Säkularisierung ebnete. Eine Welt, die aus dem Christentum hervorging, unterhöhlt ihre eigenen Fundamente, wenn sie meint, sorglos die Zukunft des Christentums beobachten zu können. Denn es ist ja nicht nur das Christentum, das Schwierigkeiten damit hat, zu begeistern. Der Goethekult, humanistischer Idealismus, der Historismus Hegels oder der Kantsche Dogmatik sind ebenfalls in Glaubwürdigkeitskrisen geraten. Diese können wiederum einem Christen nicht gleichgültig bleiben. Denn damit rutscht unserem gesamten Verfassungs- und Rechtsleben sein Fundament weg.
Die Privatsache Religion hat also unbedingt öffentliche Folgen. Eine konkurrierende civil religion um die neue Dreieinigkeit von Freihandel, Demokratie und Menschenwürde nähert sich totalitären Begehrlichkeiten, vor denen man Aufklärer immer wieder schützen muss. Mit Hilfe des Christentums, aber auch mit Hilfe des Islam. Statt in alter angelsächsischer Tradition Mohammedaner als Feinde des Menschengeschlechtes zu dämonisieren, wäre es angemessener, sich auf die erprobten, vernünftigen Gemeinsamkeiten zu besinnen. Es waren Mohammedaner, die uns Aristoteles vermittelten. Es ist leichter, mit einem gläubigen Mohammedaner einen Rechtsstaat zu erhalten als mit Neu-Germanen, die an den Externsteinen zu Ostern Freyas Fruchtbarkeit huldigen.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. „Die Wittelsbacher“, „Drei letzte Kaiser“, „Albert Ballin“ und „Eine kleine Geschichte Preußens“ sowie zuletzt „Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit“.