Woran arbeiten Sie gerade, Herr Ziegler?

Von Quadraten und Dreiecken

Günter M. Ziegler, Mathematiker
Günter M. Ziegler, Mathematiker © Deutschlandradio / Stefan Ruwoldt
Günter M. Ziegler mit Gespräch mit Moderatorin Nana Brink · 29.12.2016
Lässt sich ein Quadrat in eine ungerade Zahl gleich großer Dreiecke zerschneiden? An dieser Frage arbeitet der Berliner Mathematiker Günter M. Ziegler. Dass das Rätsel nicht lösbar ist, weiß er schon. Daher forscht er daran, wie nah man mathematisch an die Auflösung herankommt.
Schon seit langem beschäftigt sich der Mathematiker Günter M. Ziegler mit einem geometrischen Problem: Es geht um die Frage, ob man ein Quadrat in eine ungerade Anzahl von gleichgroßen Dreiecken zerschneiden kann. Antwort: Das kann man eigentlich nicht. Aber fast. Und genau hier setzt Zieglers Forscherdrang an.
"Es geht bemerkenswert genau, aber nicht exakt - und diese kleine Lücke zwischen 'fast' und 'ganz' fasziniert mich."
Ziegler arbeitet bereits seit Jahrzehnten an dem Problem - mit Bleifstift, Papier, dem Computer und zwei Co-Autoren. Und es ist für ihn beileibe kein nur theoretisches Problem: "Natürlich bringt uns das weiter." Die hochtechnisierte Welt sei auch "hochmathematisiert".
Eine Anwendung für sein Dreiecks-Problem sieht er zum Beispiel beim Bau von Glasdächern wie beim Berliner Hauptbahnhof, die heute vor allem aus Drei- und Vierecken konstruiert würden.
Die Architektur-Gilde muss sich allerdings gedulden, denn Ziegler weiß nicht, wann er sein Dreiecks-Problem endlich gelöst haben wird und die Sektkorken knallen lassen kann: "Ach, ich glaube, da werde ich noch eine Weile dran sein." (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Nana Brink: Die ganze Woche über fragen wir ja Menschen aus Kultur und Wissenschaft, was sie gerade umtreibt. Den Kulturwissenschaftler treibt zum Beispiel der Amoklauf um, den Regisseur die Gewalt im griechischen Drama, das können Sie alles auf unserer Website noch mal nachlesen natürlich, deutschlandradiokultur.de, da finden Sie die Gespräche. Und nun landen wir in einer nicht minder wichtigen Disziplin, nämlich in der Mathematik. Günter Ziegler war mit 32 der jüngste Professor an der TU Berlin, ist heute der vielleicht bekannteste Mathematiker Deutschlands und lehrt jetzt an der Freien Universität in Berlin. Ich grüße Sie hier im "Studio 9", schönen guten Morgen!
Günter M. Ziegler: Guten Morgen!
Brink: An was arbeiten Sie gerade?
Ziegler: An einem geometrischen Problem. Das ist eigentlich fast 50 Jahre alt, die alte Frage war gewesen, ob man ein Quadrat in eine ungerade Anzahl von Dreiecken zerschneiden kann, die die gleiche Fläche haben. Und auch vor fast 50 Jahren ist dann herausgefunden worden, das geht nicht, zumindest nicht exakt. Und ich arbeite daran, ob das ungefähr geht oder wie genau das geht.
Brink: Das ist erstaunlich, und man hat seit 50 Jahren das nicht herausgefunden?
Ziegler: Also, die Frage habe ich glaube ich vor 15 oder 20 Jahren aufgeworfen, wie genau das denn geht. Und es geht bemerkenswert genau, aber eben nicht exakt. Und diese kleine Lücke zwischen fast und ganz, die fasziniert mich.

Mathematik muss präzise formuliert werden

Und auf der einen Seite sind wir am Knobeln und andererseits arbeite ich, wenn Sie fragen, woran arbeiten Sie, eben auch an dem Aufschreiben. Und man muss diese Dinge dann eben auch so präzise formulieren, dass das am Ende dann eben auch überzeugt.
Brink: Wie machen Sie das? Also, sitzen Sie da und vermessen und arbeiten? Das hat ja wahrscheinlich weniger mit Geometrie, sondern auch mehr mit Algebra zu tun. Wie muss ich mir das vorstellen?
Ziegler: Ja … Also, ich … Man kann ja darüber nachdenken, dass man also jetzt sozusagen eine Pizza backt und die so zerschneidet und dann die Teile wiegt oder so, das mache ich nicht. Für mich ist es schon Bleistift und Papier zunächst mal, aufschreiben dann natürlich im Computer, ich habe zwei wunderbare und wichtige Co-Autoren, wo wir eben auch gemeinsam die Dinge diskutieren. Also, es ist insofern eben auch ein gemeinsames Arbeiten und nicht nur jetzt wie zwischen Weihnachten und Neujahr die einsame Arbeit am Schreibtisch und am Computer.
Brink: Ich habe in einem Interview mit Ihnen mal gelesen, dass Sie vor der Frage, die ich jetzt stelle, immer Angst haben, nämlich die Frage: Was genau berechnen Sie da und wie machen Sie das?
Ziegler: Wie machen Sie das? Ich habe da keine Angst davor, ich lade Sie ein an die Uni, dann studieren wir das mal. Es steckt da dann doch eine ganze Menge Mathematik drin, die einfach für mich deswegen spannend ist, weil das Hilfsmittel aus ganz unterschiedlichen Richtungen sind. Also, das klingt ja nach einem geometrischen Problem, ist am Ende eigentlich ein algebraisches Problem, zumindest der Beweis, dass das nicht exakt geht, dass Sie ein Quadrat nicht in fünf oder sieben oder neun Dreiecke gleicher Fläche zerschneiden können.

Am Ende ist es ein Optimierungsproblem

Der Beweis ist am Ende pure Algebra. Wir haben den aufgeschrieben in einem Buch, das heißt "Das Buch der Beweise", mit Martin Aigner. Ob das ungefähr geht oder wie gut es geht, ist am Ende ein Optimierungsproblem. Und da sind wir wieder in einem ganz anderen Bereich der Mathematik, der in dem Fall nicht linearen Optimierung, wo es eben darum geht, Dinge möglichst gut zu machen. Und die Frage, wie rechnet man denn dann eine möglichst gute Lösung aus, ist dann zunächst mal eine rechnerische Frage, die man auch dem Computer übergeben kann. Und wir haben experimentiert und am Ende muss man dann die optimalen Lösungen wieder interpretieren und schauen, ob man da was Allgemeineres rausholen kann als die Spezialfälle, die ein Computer ausrechnen kann.
Brink: Es klingt schon so ein bisschen, dass Sie das verrückt macht, nicht? Dass so dieses kleine Quäntchen Ungefähre für einen Mathematiker noch nicht herausgefunden ist, wo Sie schon so lange daran sitzen?
Ziegler: Na ja, also, verrückt machen ist ja eine sehr zweischneidige Metapher. Also, machen Sie sich keine Sorgen über meine und unsere geistige Gesundheit, das nicht. Aber die Herausforderung ist reizvoll und, ja, und so ein Problem, das einen über Jahre beschäftigt und wo man immer wieder rangeht, dann wieder neue Ideen dazukommen, das ist einfach spannend. Und dieses … David Hilbert hat damals gesagt: Wir wollen wissen, wir werden wissen, wir müssen wissen! Das ist schon was, was einen Mathematiker antreibt. Ich meine, ihm haben sie es dann auf den Grabstein geschrieben, da habe ich es nicht eilig mit.
Brink: Ich wollte gerade sagen! Bringt uns das denn weiter, wenn wir wissen, wie es geht? Oder ist das eine komplett falsche Frage?

Die Welt ist hochmathematisiert

Ziegler: Nein, das ist eine gute Frage und natürlich bringt uns das weiter! Ich sage mal, in dieser hoch technisierten Welt, die ja auch eine hoch mathematisierte Welt ist, überall steckt Mathematik drin, ist dann die Frage: Was geht exakt und was geht ungefähr und wie gut geht das? immer wieder eine pragmatische Frage. Und die Antworten aus der Mathematik gehen dann in die Technik rein.
Und ich sage mal, wenn man Techniken heute wie ein GPS anschaut, ohne höchst präziseste Mathematik und Physik würde das nie funktionieren. Aber eben auch, wenn Sie näher an diesem Dreiecksproblem dranbleiben wollen: So, wie heutzutage Architektur gemacht wird, Glasdächer konstruiert werden, geschwungene Formen aus flachen Dreiecken und Vierecken, das ist genau die Frage, welche Formen und welche geometrischen Strukturen kann man aus ganz einfachen Baustücken, Bausteinen, Dreiecken eben zusammenbauen.
Brink: Das heißt, die Ingenieure, die zum Beispiel, sagen wir mal, das Dach des Hauptbahnhofes in Berlin konstruiert haben oder vielleicht noch mal irgendwann ein neues bauen werden, die würden dann ganz erpicht darauf sein, dass Sie das endlich herausfinden?
Ziegler: Ach, der Hauptbahnhof ist ja auch fertig und der hält jetzt hoffentlich auch eine Weile.
Brink: Ja, der ist fertig, genau.
Ziegler: Als Mathematiker sage ich dann, so spannend ist der vielleicht auch gar nicht, das ist ja ein Tonnengewölbe und das ist eigentlich so ein Ausschnitt aus einem Zylinder. Da gibt es in Berlin interessantere Glasdächer, also …
Brink: Ja? Welche?

Ohne Mathematik kein Glasdach

Ziegler: Im Innenhof vom Historischen Museum Unter den Linden oder im Innenhof vom Jüdischen Museum oder eben auch The Brain, die zweite Kuppel, die Sir Norman Foster gebaut hat über der geisteswissenschaftlichen Bibliothek der FU in Dahlem, das sind geschwungene Formen, runde Formen, die eben auch, wo plötzlich die runden Formen aus natürlich flachen Glasscheiben zusammengesetzt sind.
Und wie das zusammenpasst an der Stelle, wo dann eine flache Glasscheibe auf die nächste stößt, da sind wir mitten inder Mathematik drin, wie wir sie hier in Berlin eben auch erforschen. Wir haben hier einen großen Sonderforschungsbereich, Berlin-München, der heißt "Diskretisierung in Geometrie und Dynamik". Und wir reden im Moment über die Diskretisierung in der Geometrie, also die Frage, wie man geschwungene Formen aus flachen Stücken zusammensetzen kann. Das ist schwierig und da kommt noch tolle Architektur raus, auch in der Zukunft, aus dem, was wir in der Mathematik machen.
Brink: Wann haben Sie es herausgefunden? Wie lange wird es noch dauern?
Ziegler: Ach, ich glaube, da werde ich noch eine Weile dran sein. Also, wir sitzen im Moment an einem Aufsatz, Jean-Philippe Labbé ist ein kanadischer Postdoc, Günter Rote ist ein Kollege hier an der FU in der Informatik, wir schreiben einen Aufsatz, der wird die nächsten Wochen fertig sein. Der wird massiven Fortschritt bringen, aber das Problem nicht vollständig lösen, insofern geht die Geschichte weiter.
Brink: Wird das Günter Ziegler noch weiter beschäftigen! Vielen Dank, Günter Ziegler, Professor für Mathematik, danke für das Gespräch! Und morgen frage ich die Regisseurin Doris Dörrie: Woran arbeiten Sie gerade?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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