Wolfram König: Wir brauchen einen "Endlagerkonsens"

20.08.2008
Nach Ansicht von Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, belastet die aktuelle Debatte um eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken die Lösung des Problems der Endlagerung von Atommüll. Die Akzeptanz eines Endlagers hänge auch davon ab, dass die Abfallmengen nicht unendlich groß würden, sagte König.
Marcus Pindur: Je höher die Energiepreise steigen, desto heftiger wird die Debatte um die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke in Deutschland geführt. Die Gegner weisen allerdings immer wieder darauf hin, dass eines der größten Probleme die nicht gelöste Frage der Endlagerung von Atommüll sei. Aufgeschreckt wurden wir dann auch noch über die Meldungen über Wassereinbrüche im Atommülllager Asse II bei Wolfenbüttel, wo bis 1978 gering bis mittelverstrahlter Atommüll gelagert wurde. Wir sprechen jetzt mit Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz. Guten Morgen!

Wolfram König: Guten Morgen!

Pindur: Sie sind u.a. für die Endlagerung von Atommüll verantwortlich. Jetzt suchen wir seit 30 Jahren in Deutschland ein Endlager. Warum haben wir immer noch keins?

König: Erst mal haben wir ein Endlager, und zwar ist jüngst endgültig genehmigt worden, wir befinden uns im Umbau für ein Endlager für schwache- und mittelradioaktive Abfälle, das Endlager Konrad. Dieses wird 2014 in Betrieb gehen. Wir haben aber damit nur einen Teil des Problems gelöst, nämlich mengenmäßig einen sehr großen Teil, aber radioaktivitätsmäßig nur 0,1 Prozent. Die große Herausforderung sind die hochradioaktiven Abfälle. Und hier hat man sich sehr frühzeitig auf das Endlagermedium Salz in den 70er-Jahren konzentriert, hat dann aber festgestellt, dass die wissenschaftliche Debatte, die Anforderungen, die Kriterien für die Sicherheitsanalysen, die notwendig sind, weltweit natürlich weitergegangen sind und es stellt sich jetzt die Frage, ob dieser Standort diesen Kriterien überhaupt gerecht werden kann. Was wir auf jeden Fall nicht haben, ist ein transparentes und offenes Verfahren, wie dieser Standort ausgewählt worden ist. Und dieses ist wesentlicher Bestandteil auch der Vorgehensweise, wie sie inzwischen international festgeschrieben ist.

Pindur: Wie kann man sich das denn erklären? Ich meine, es sind 30 Jahre seit 1977 vergangen, als das erste Atommüllgesetz verabschiedet wurde. Wie kann man sich erklären, dass es immer noch keine definitive Zusage für Gorleben gibt oder für einen anderen Standort?

König: Es ist, denke ich, sicher auf der einen Seite eine politische Herausforderung, sich so einer Problematik zu stellen. Es sind die Altlasten auf der einen Seite, aber es sind ständige Neulasten, die entstehen. Hier hat der Staat eine besondere Verantwortung. Er hat für die Entsorgung dieser Abfälle zu sorgen. Gleichzeitig wird natürlich keine Region begeistert sein, wenn man in der Nachbarschaft nach einem Endlagerstandort sucht. Aber wir sind gefordert, unter dem Stand von Wissenschaft und Technik die bestmögliche Alternative darzustellen und diese dann auch transparent und offen zu kommunizieren und dann auch durchzusetzen. Bei Gorleben haben wir einen anderen Fall gehabt. Damals ging es darum, ein Entsorgungszentrum mit Wiederaufarbeitungsanlage, mit Brennelementfabrik und anderen Teilen zu errichten. Man brauchte eine Fläche von 25 Hektar. Und da sollte u.a. dann auch der Salzstock, der unterhalb des Geländes liegt, dann auf die Eignung hin untersucht werden. Diese anderen Teile sind weggefallen, und es blieb übrig der Salzstock. Dieses Verfahren, was seit Ende der 70er-Jahren geführt worden ist und noch für viele präsente Momente gesorgt hat durch den Widerstand, das wendländische Dorf, was errichtet worden ist, die Polizeiaktionen, die Errichtung von großen Mauern um das Bergwerk. All das hat natürlich dazu geführt, dass von Transparenz und Offenheit auch sinnbildlich nicht die Rede sein kann. Und dieses hat zusätzlich zu dem Widerstand und auch zu dem Misstrauen geführt. Und letztendlich hat man dort ein Endlager schon fertig in weiten Teilen gebaut ohne Bürgerbeteiligung, ohne Möglichkeiten, dass Dritte dieses Verfahren begleiten können, wie es heute eigentlich selbstverständlich ist für jeden Straßenbau.

Pindur: Aber der Erkundungsstopp zum Beispiel, den es seit zehn Jahren gibt, der durch Rot-Grün verfügt wurde, der ist doch dann auch nicht hilfreich gewesen?

König: Der Erkundungsstopp sollte die Möglichkeit geben, innerhalb von bis zu zehn Jahren konzeptionelle und fachliche Fragen zu lösen. Die sind hinsichtlich der fachlichen Fragen bearbeitet worden. Da gibt es einen Bericht, der deutlich macht, dass es per se kein Endlagermedium, kein Endlagergestein gibt, was per se besser ist als andere.

Pindur: Ich halte fest, es gibt nach zehn Jahren einen Bericht?

König: Nein, nein, es gibt sehr viele Berichte.

Pindur: Keine Lösungen?

König: Es gibt keine Lösung des Problems. Der Stopp ist auch erst sieben Jahre, acht Jahre jetzt. Und dieser Zeit sind eine Vielzahl von Instrumenten auch entwickelt worden, überhaupt einen Vergleich durchführen zu können. Aber was es nicht gibt, ist es derzeit ein politischer Konsens, so ein Standortsuchverfahren, ein alternatives Suchverfahren zu Gorleben durchzuführen. Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Regierung, auch unterschiedliche Auffassungen in Richtung Energieversorgungsunternehmen. Was uns fehlt, ist meines Erachtens ein Endlagerkonsens, der die Möglichkeit schafft, auch Planungssicherheit über den Zeitraum zu gewährleisten, den wir brauchen. Vielleicht eine Zahl. Selbst wenn wir heute in die unmittelbare Erkundung von Gorleben wieder einsteigen, würden wir noch 15 Jahre brauchen, bis die Sicherheit nachgewiesen werden kann. Dann würde sich noch ein Klageverfahren anschließen. Das heißt, wir brauchen Planungssicherheit, indem sich die politischen Akteure, die Energieversorgungsunternehmen auf einen Weg verständigen, der dann auch belastbar über Legislaturperioden hinaus gegangen werden kann.

Pindur: Das hört sich in meinen Ohren alles so an, als habe die Politik dieses Problem einfach endlos hinausgeschoben, und zwar jedweder Couleur, jedweder Parteienkonstellation?

König: Man ist schnell bei Politikbeschimpfungen. Ich glaube, wir waren aber als Gesellschaft in den 50er-, 60er-Jahren so begeistert von der Möglichkeit, diese zerstörerische Kraft der Atomenergie zu nutzen für die zivile Gesellschaft, dass viele Probleme maßlos unterschätzt worden sind. Karl Friedrich von Weizsäcker hat noch 1969 gesagt, das Endlagerproblem im Jahre 2000, das kann man lösen, indem man einen Kubus von 20 Meter Kantenlänge unter die Erde bringt und dann sei das gelöst. Das waren sicherlich keine leichtfertigen Äußerungen. Sondern es war damals das Bewusstsein, was vorherrschte. Inzwischen stellen wir fest, dass weltweit kein Endlager realisiert worden ist für derartige Stoffe, das heißt völlig unabhängig von politischen Interessenslagen, ob man die Kernenergie gut oder schlecht findet, hat es kein Staat geschafft, die Sicherheitsanforderungen zu realisieren, die bislang als erforderlich gehalten werden. Und das macht deutlich, dass es eben nicht nur ein politisches, sondern auch ein technisches Problem ist.

Pindur: Wenn man sich, was keineswegs sicher ist, vielleicht nach der nächsten Bundestagswahl dazu entscheidet, Laufzeiten zum Beispiel für jüngere Kernkraftwerke zu verlängern, würde das Ihrer Ansicht nach auch die Entscheidung für eine Endlagerstätte beschleunigen, weil der Problemdruck steigen würde?

König: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall, weil der Konsens, der 2001 zwischen den Energieversorgungsunternehmen und der Politik hergestellt worden ist, auch Planungssicherheit gegeben hat. Und auch deutlich gemacht hat, dass die Abfallmengen begrenzt sind. Die Akzeptanz eines Endlagers hängt meines Erachtens nicht unmaßgeblich davon ab, dass eben auch die Abfallmengen nicht unendlich groß werden. Und ich befürchte, dass mit dieser Debatte über Laufzeitverlängerungen oder gar Neubau von Kernkraftwerken es eher zu einer Verunmöglichung kommt, ein Endlager zu realisieren, weil die Versuchung sicherlich groß ist, selbst wenn man wissenschaftlich-technisch das Problem lösen könnte, die Entsorgungsfrage stellvertretend zu nutzen für die Unmöglichkeit einer entsprechenden Akzeptanz für den Betrieb herzustellen.

Pindur: Herr König, vielen Dank für das Gespräch!

König: Auf Wiedersehen!