Wolfgang Ullrich zu Motiven von Kunstsammlern

Wachstumslogik "ist vielleicht wirklich ein bisschen von gestern"

Die Kunstsammlerin Julia Stoschek am 29. Januar 2016 in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf
Julia Stoschek hat im Bereich Videokunst eine wegweisende Sammlung, sagt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich. © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Moderation: Gesa Ufer · 28.02.2018
Früher haben vor allem Männer Baselitz, Kiefer oder Penck gesammelt und hätten sich mit dieser männlichen Kunst identifiziert, sagt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich. Auch mit der Kunstsammlerin Julia Stoschek habe sich das Metier des Kunstsammelns aber verändert.
Gesa Ufer: Mit dem Sammeln ist das so eine Sache. Nehmen wir mal das Beispiel Briefmarken – einige Jahrzehnte lang war es unglaublich hip, die zu sammeln, die Post brachte eine Sondermarke nach der nächsten raus, aber inzwischen gibt es da ein echtes Nachwuchsproblem bei den Philatelisten, und angehende Liebespaare gucken statt Briefmarkenalben ja schon längst Netflix. Auch Kunstsammlungen und vor allem der Blick auf sie verändern sich mit der Zeit. Die Beobachtung macht der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich. Schönen guten Tag!
Wolfgang Ullrich: Frau Ufer, hallo!
Ufer: Das Sammeln von Kunst ist, sagen wir mal, ja nach wie vor kein Thema, das so die breite Masse betrifft, weil es einfach mal sehr, sehr viel Geld kostet. Wann und unter welchen Bedingungen sind die wichtigsten Sammlungen hierzulande eigentlich entstanden? Also wer sammelt traditionell?
Ullrich: Gerade in Deutschland kann man feststellen, dass sehr viele Kunstsammlungen in den 70er-, 80er-Jahren begonnen wurden. Ich glaube, das hat was damit zu tun auch schon mit den besonderen Bedingungen in Deutschland nach dem Krieg in einer Wiederaufbauphase. Einerseits wollten die Leute, die es zu was gebracht haben, gerade jetzt aus dem Bereich der Wirtschaft, das auch noch mal auf eine andere Weise dokumentieren, ihre Erfolge, ihren Reichtum, ihre Potenz, und haben deshalb zum Teil angefangen, eben Kunst zu sammeln, und haben das interessanterweise auch nicht selten getan mit demselben Habitus, mit dem sie eben auch Manager oder Unternehmer waren, also mit der Vorstellung, das muss jedes Jahr wachsen, mit der Vorstellung, das muss nach außen hin von Stärke zeugen. Da kam noch als anderes Motiv hinzu, dass Kunst gerade Männern auch ein gutes Identifikationsangebot gegeben hat, also für ein sehr männliches, auch durchaus aggressives vorwärts preschendes Streben.
Wenn Sie nur an die ganzen Attribute denken, die man der Kunst seit der Avantgarde gibt, dann ist das ja was extrem Männliches, und es wurde auch bevorzugt die Kunst gesammelt, die einen männlichen Ausdruck hat, ob das ein Baselitz oder ein Kiefer oder ein Penck war zum Beispiel, und da haben die Männer sich identifizieren können, auch noch in einer Zeit, wo das Militär, wo Burschenschaften, wo andere, vielleicht traditionelle Bereiche, die sehr männlich kodiert waren, eher etwas zweifelhafter angeschaut wurden. Jetzt plötzlich wird das so bewusst, mit einigen Jahrzehnten Verspätung, die Motivation für das Kunstsammeln bei vielen, die damals begonnen haben und eben auch die Art der Sammlungen, weil jetzt wir jetzt in eine Phase eintreten, wo es drum geht, dass diese Sammlungen vererbt werden müssen, dass diejenigen, die sie angelegt haben, sie vielleicht eben nicht mehr selber weiter betreuen können, und plötzlich steht man da vor diesen Sammlungen.
Ich denke, das ist ein anderer Fall als mit den Briefmarken, den Sie gerade geschildert haben. Ich bin selber Opfer geworden einer meiner kindlichen Briefmarkensammlungen, die heute nichts mehr wert ist, aber da liegt es dran, dass heute einfach niemand mehr Briefmarken sammeln will. Es gibt heute nach wie vor, glaube ich, viele Menschen, vielleicht letztlich sogar mehr Menschen als den 70er-Jahren, die Kunst sammeln wollen, aber sie wollen es oft auf eine ganz andere Art tun. Sie wollen andere Sachen sammeln, und insofern gibt es da eine ziemliche Bewegung im Moment, und ich glaube, in den nächsten Jahren wird diese Bewegung noch zunehmen.

"Grundsätzlich wird heute anders gesammelt"

Ufer: Und Sie sagen auch, es gibt eben viel mehr Sammlerinnen hier in Berlin. Ganz prominentes Beispiel ja Julia Stoschek. Sammeln Frauen anders?
Ullrich: Eine schwierige Frage. Natürlich kann man sie nicht so pauschal beantworten. Ich glaube schon, dass heute grundsätzlich anders gesammelt wird. Das hat damit zu tun, dass mehr Frauen sich da auch engagieren. Das hat sicher auch damit zu tun, dass es eben eine andere Generation ist und dieser Habitus der 70er-, 80er-Jahre heute nicht mehr so üblich ist und nicht mehr angebracht ist. Das heißt eben zum Beispiel, sammeln muss heute nicht mehr eben bedeuten, es muss immer nur wachsen, man darf ja nie auch mal sich wieder von etwas lösen.
Vielleicht geht es heute schon viel stärker auch drum zu versuchen, mit einer Sammlung eine individuelle Haltung zum Ausdruck zu bringen, und das heißt vielleicht auch, eine Sammlung anzulegen, die sehr spezialisiert ist, gerade weil sie Julia Stoschek ansprechen, die nun wirklich im Bereich Videokunst eine wegweisende Sammlung hat und da vielleicht auch etwas tut, was die wenigsten Sammler der 70er-, 80er-Jahre getan hätten, nämlich sich zu überlegen, wie kann man hier eine Gattung von Kunst auch noch mal mit neuen Standards präsentieren und konservieren und damit umgehen, also wo tatsächlich Sammlerinnen und Sammler dann auch eine wichtige Funktion noch einnehmen, wenn es drum geht, eine bestimmte Form von Kunst sicher in die nächste Generation zu bringen, also wo es sich nicht darauf beschränkt, das irgendwie aufzuhängen und Vernissagen zu feiern und stolz zu sein.

Kunst mit repräsentativer Funktion

Ufer: Gerade am Beispiel Julia Stoschek erkennen wir ja auch einen Typus von Kunstsammler, der ganz eng auch in der Kunstszene selbst verwurzelt ist, der Kontakt pflegt zu jungen Künstlern, Projekte fördert. Das scheint ja auch gar nicht so sehr diesem Typus zu entsprechen von den Männern der Wirtschaft, die Sie da in den 70er-Jahren ausgemacht haben, oder?
Ullrich: Ja, die haben natürlich auch den Kontakt zu Künstlern gesucht, aber das war dann auch für die immer noch eher etwas Besonderes, wenn sie es geschafft haben, nachdem sie zehn Originale gekauft haben, mal ins Atelier vorgelassen zu werden von einem ihrer Helden, aber tatsächlich ging es da noch, glaube ich schon, im Großen und Ganzen – natürlich darf man auch hier nicht pauschalieren, aber –, im Großen und Ganzen viel stärker um repräsentative Funktion und eben sehr stark auch darum, etwas zu haben, womit man sich identifizieren kann.
Also man könnte ja auch Kunst sammeln, weil man noch mal die eigene Rolle relativieren möchte, reflektieren will, weil man sozusagen auch die eigene Identität eher noch mal brechen möchte, mit dem man sich konfrontiert als Kunstsammler oder Kunstsammlerin, aber ich würde sagen, in dieser ersten Generation derer, die sehr engagiert Kunst gesammelt haben, war dieses Motiv, sich damit identifizieren zu können, sehr viel stärker.

"Diese Logik, es muss alles immer nur wachsen, ist von gestern"

Ufer: Sie haben schon gesagt, zum Wesen des Sammelns scheint ja doch auch dieses Anhäufen zu gehören, dieses Immer-mehr-haben-wollen. Das hat Christian Lange, die Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, vor einiger Zeit mal in einem "FAZ"-Interview gefordert, eben dieser kapitalistischen Wachstumslogik endlich zu entsagen, nachdem es ja doch eigentlich immer mehr Museen gegeben hat, immer mehr an Bauten, immer mehr Ausstellungen. Denken Sie ernsthaft, wir werden insgesamt irgendwann doch so eine Zeit des Verkaufens, Verkleinerns, vielleicht auch Entsammelns noch erleben?
Ullrich: Ja, das glaube ich schon. Also jetzt hatten wir natürlich die letzten, gerade auch noch mal Jahre verstärkt die Eröffnung neuer Museen, ja gerade auch zum Teil Museen, die jetzt die Sammlungen privater Sammler zeigen, die werden dann im ersten Jahr gut besucht, weil sie vielleicht oft eine interessante Architektur bieten, weil jeder mal neugierig ist, aber sich vorzustellen, wie all diese Museen jetzt über Jahrzehnte hinweg betrieben werden können, ohne, dass das zum völligen finanziellen Desaster führt, kann man sich kaum vorstellen. Da muss sich tatsächlich etwas tun, da wird man natürlich auch dazu übergehen, vielleicht das eine oder andere Museum so nach und nach in seinen Funktionen zu verändern und andere Dinge da noch anzubieten, es zu einem Forum für andere Themen, für andere Veranstaltungen zu machen, also wo man dann sich nicht mehr drauf beschränkt, jetzt hier eine Sammlung zu zeigen.
Wie Sie auch schon gesagt haben mit Bezug auf Christiane Lange, diese Logik, es muss alles immer nur wachsen, die ist vielleicht wirklich ein bisschen von gestern. Vielleicht wird die nächste Sammlergeneration sich dadurch auszeichnen, dass sie in der Lage ist, eine eigene Sammlung immer wieder interessant zu transformieren und eben nicht mehr die Sammlung am Vorbild eines Unternehmens oder eines Werkes sehen, das also immer noch mehr auf Vollendung hin angelegt wird, sondern eher in der Analogie zu einem Körper zu sehen. So wie wir einem Körper auch mal mehr zuführen, aber auch mal wieder mehr auf Diät gehen, so kann man sich das genauso auch für Sammlungen vorstellen, dass immer wieder auch mal die Phasen eintreten, wo Sammler eher stolz darauf sind, sich von etwas trennen zu können, als wieder was Neues sich zuzulegen.
Ufer: Der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich diagnostiziert vielen Kunstsammlungen in Deutschland einen echten Statuswandel. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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