Wolfgang Muthspiel: "RIsing Grace"

Zärtlich, sanft und musikalisch raffiniert

Der österreichische Jazz-Gitarrist Wolfgang Muthspiel, hier beim Karthargo Jazz Festival im April 2013
Der österreichische Jazz-Gitarrist Wolfgang Muthspiel, hier beim Karthargo Jazz Festival im April 2013 © picture alliance / dpa / ohamed Messara
Von Johannes Kaiser · 14.11.2016
Die Klänge schmiegen sich aneinander, fast schwerelos fügen sich die Melodiebögen. Für sein Album "Rising Grace" ist der österreichische Jazz-Gitarrist mit vier Profis der Improvisation ins Studio gegangen: Brian Blade sitzt am Schlagzeug, Larry Grenadier spielt Bass, dazu kommen noch Brad Mehldau am Klavier und Ambrose Akinmusire an der Trompete.
"Ich würde sagen, dass auf diesem Album wenig Ego im Spiel war, ja, das kann man sicher so sagen, wobei das keine bewusste Entscheidung ist. Das ist ein Aufeinander-reagieren und dann quasi sehen alle, was ist der gemeinsame Weg jetzt musikalisch und niemand von denen muss sich irgendwie besonders beweisen. Die haben alle ihre großartigen Sachen schon gemacht und es zählt der Moment und alle sind hellwach und es ist relativ unaufgeregt. Das ist auch vielleicht ein Merkmal dieser Produktion und dieser Aufnahme, dass das alles einen gewissen ruhigen Fluss hat, obwohl das nie schläfrig wird, aber es hat eine gewisse Gelassenheit, würde ich mal sagen."
In der Tat hat sich der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel für seine jüngstes Album "Rising Grace" prominente Mitspieler ins Studio geholt, die selbst Bandleader sind und brillante Musiker. Dazu gehören die Pianist Brad Mehldau, der Bassist Larry Grenadier sowie der Schlagzeuger Brian Blade. Sie alle schätzt Wolfgang Muthspiel seit langem. Mit Brian Blade und Larry Grenadier hat er bereits seine letzte Trioplatte 'Driftwood' aufgenommen. Brad Mehldau hat er dagegen bislang nur gehört und live erlebt.
"Brads Karriere verfolge ich jetzt schon lange und ich liebe seine Musik, ich liebe seine Art zu improvisieren, diesen Touch, den er am Klavier hat, sehr differenziert, auch von der Klassik beeinflusst, sein harmonisches Verständnis, das einerseits die gesamte Jazzwelt abdeckt und andererseits aber wirklich auch beeinflusst ist von Komponisten wie Brahms oder Bach und dann noch diese unglaubliche rhythmische Flexibilität, die er hat."
Das Stück 'Wolfgangs Waltz' hat Brad Mehldau dem Gitarristen für dieses Album sozusagen auf den Leib geschrieben und es passt perfekt zu den übrigen neun Kompostionen aus Muthspiels Feder. Kein Wunder:
"Auch harmonisch von seinen Kompositionen her habe ich immer eine gewisse Verwandtschaft auch empfunden zu ihm. Die Art von Stücken, die er schreibt, das sind Stücke, wo ich oft gedacht habe, das sind Stücke, die mir liegen könnten und die ich auch spielen könnte und so habe ich mir gedacht, hoffentlich ist es umgekehrt auch so und, ja, dann war das alles von einer gewissen, ja, ich würde sagen Leichtigkeit oder Mühelosigkeit geprägt, also auch von den ersten Proben weg. Die Geschwindigkeit, mit der Brad die Kompositionen aufnimmt und sie dann auf seine Art gestaltet und sich zu eigen macht, ist atemberaubend.”

Spontan gegenläufige Melodiefolgen

Bei mehreren Stücken hat Wolfgang Muthspiel den amerikanischen Trompeter Ambrose Akinmusire mit hinzugenommen. Dessen unverkrampfte Art zu spielen hat ihm ausgesprochen gut gefallen. Er schätzt am 34-jährigen Trompeter nicht nur den ganz eigenen Ton, sondern auch die Art und Weise, wie er spontan gegenläufige Melodiefolgen erfindet, Muthspiels Kompositionen ausweitet, ergänzt.
Auffallend ist der ruhige Fluss der Musik, ihre Geschlossenheit selbst bei den Improvisationen, die sich so in die Stücke einschmiegen, als wären sie bereits aufgeschrieben gewesen. Als klassisch ausgebildeter Musiker hatte der Gitarrist seine Ideen natürlich auf Notenpapier fixiert und sie an seine Mitspieler geschickt, bevor man mit den Proben begann. Dem Schlagzeuger lässt Wolfgang Muthspiel dabei allerdings völlig freie Hand. Er weiß, dass Brian Blade seine Rhythmen im Augenblick des Spielens erfindet und nie dasselbe spielt.
"Eigentlich läuft das bei mir so ab, dass ich, wenn ich ein Projekt habe, für das ich schreibe, diese Band sozusagen im Kopf ab, die Klänge dieser Musiker und dann ergibt sich meistens das Komponieren aus einem gewissen absichtslosen Spiel mit der Gitarre alleine und aus diesem absichtslosen Spiel kommen Zellen, die vielleicht Bausteine sind von Stücken und da denke ich auch schon wieder an die ganze Band und da kann man dann genauer ausarbeiten, wer spielt was und wie viel will man fixieren. Eine große Kunst des Komponierens für Jazzband besteht darin, dass man eben nicht zu viel schreibt. Man muss immer genug Freiraum lassen für die tollen Improvisatoren, weil die ja auch ihre wunderbaren Stimmen da einbringen. Man lädt als Komponist dazu ein, dass sie das machen."
Von den zehn Stücken auf dem neuen Album "Rising Grace" heißt eines österreichisch lautmalerisch "Den Wheeler, Den Kenny". Es ist eine Hommage an den verstorbenen kanadischen Trompeter und Flügelhornspieler Kenny Wheeler und dessen Stück "Gnu high". Dessen Musik hat ihn als Student fasziniert und geprägt. Das letzte Stück ‚ "Oak", ist seiner jüngst geborenen Tochter gewidmet, weil er zusammen mit seiner Frau für sie kurz vor ihrer Geburt eine Eiche gepflanzt hat. Wolfgang Muthspiel ist überzeugt, dass ihn das Vaterwerden bereits beim Komponieren stark beeinflusst hat. Wie vermag er nicht zu sagen, aber die Geschichten, die seine Stücke auf dem neuen Album erzählen, strahlen bei all ihrer musikalischen Raffinesse auch so eine Art Zärtlichkeit und Sanftheit aus, wie man sie gegenüber einem Neugeborenen empfindet. Vielleicht war es denn auch kein Zufall, dass der Gitarrist diesmal häufiger zur akustischen Gitarre mit ihrem warmen Ton griff. Herausgekommen ist ein Album, das nicht nur durch die musikalische Brillanz seiner Spieler und ihr scheinbar müheloses Zusammenspiel überzeugt, sondern auch durch schwerelose, meist fröhlich schwingende Melodiebögen.