"Wolffsohn ist übers Ziel hinausgeschossen"
Horst-Dieter Schlosser, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt und Initiator des "Unwortes des Jahres", hält den Vorwurf des Historikers Michael Wolffsohn, SPD-Chef Franz Müntefering benutze mit seinem "Heuschreckenvergleich" Nazi-Rhetorik, "schlicht für absurd". Gleichwohl halte er es für gefährlich, an die Ängste der "kleinen Leute" vor den Großkonzernen zu appellieren.
Maja Ellmenreich: Herr Schlosser, "diese Plage nennt man heute Heuschrecken, damals Ratten- oder Judenschweine", ich zitiere noch einmal aus Michael Wolffsohns Text. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf, Franz Müntefering bediene sich der Nazirhetorik?
Horst-Dieter Schlosser: Also ich halte diesen Vergleich schlicht für absurd. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, den Antisemitismusvorwurf, den Wolffsohn damit erhoben hat, auch zurückgewiesen ist. Also ich meine, es gibt kaum jemanden, der so sensibel ist wie Paul Spiegel. Aber schon allein die Zusammenstellung der Wörter, auf der einen Seite Heuschrecken und auf der anderen Seite Ratten, das sind ja nun völlig verschiedene, auch biologisch verschiedene Bereiche, und hier ist Wolffsohn wieder mal übers Ziel hinausgeschossen.
Ellmenreich: Paul Spiegel haben Sie gerade schon angesprochen. Charlotte Knobloch, die Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, pflichtete heute in der Leipziger Volkszeitung Wolffsohn allerdings bei und sagte, historische Parallelen können aber gezogen werden, und wir leben in einem Land der freien Meinungsäußerung.
Schlosser: Das ist richtig. Aber ich glaube, es wäre auch der größte Philosemit eigentlich nicht auf die Idee gekommen, darin nun Antisemitismus zu sehen. Ich meine, das eine ist natürlich - und da würde ich Wolffsohn wieder zustimmen - dieser Verbalradikalismus von Herrn Müntefering, dem ja überhaupt keine Taten folgen.
Ich meine, er steht einer Partei vor, die im Grunde genommen dieses System noch gestützt und gefördert hat, und ich glaube, der Verdacht liegt in jedem Fall nahe, dass kurz vor einer Landtagswahl, in der man im Grunde genommen kaum noch Chancen hat, er plötzlich die Seele des Volkes entdeckt. Das ist eigentlich gefährlich, das muss ich allerdings sagen. Den kleinen Man aufzurufen gegen große Kapitalisten, da sehe ich ganz andere Parallelen mit dem Nationalsozialismus, der in dieser Hinsicht ja auch einen Verbalradikalismus geprägt hat, indem er an die kleinen Leute, deren Ängste usw. appellierte und im Grunde genommen das Kapital gestützt hat.
Ellmenreich: Sie sehen also Parallelen zwischen Nazipropaganda und einer heutigen Polemik, die zum politischen Geschäft dazugehört?
Schlosser: Ja, die sehe ich allerdings, muss ich ganz ehrlich sagen, aber nicht auf der antisemitischen Schiene, dass ich sage, die Nazis waren Antisemiten und Herr Müntefering ist ein Antisemit.
Ellmenreich: Kommen wir auf diesen Vergleich von Mensch mit Tier. Das hat die Gemüter in diesen Tagen erregt. Was ist so schlimm daran, den Menschen mit einem Tier - Sie haben gerade den Unterschied zwischen Ratten und Heuschrecken aufgezeigt - zu vergleichen? Was berührt uns daran?
Schlosser: Ganz klar, dass der Mensch immer der Meinung ist, dass er das höchste Wesen der Schöpfung ist und jedes Tier eigentlich sehr viel weniger Wert ist. Man greift ja nicht zu irgendwelchen netten Tierbeispielen. Man spricht in der Wirtschaft zum Beispiel von Elefantenhochzeit, und das wird auch durchaus positiv gesehen, weil Elefanten sympathische Tiere sind. In dem Moment, wo man sozusagen in der Hierarchie der Tiere der Natur nach unten geht, kommt man in Bereiche, vor denen sich der Mensch ekelt. Dazu gehören in jedem Fall die Ratten einerseits, und da war die Wortwahl der Nazis durchaus nicht zufällig.
Wir haben auch noch ganz andere Beispiele, Parasiten und dergleichen, und die Heuschrecken sind ja für sich gesehen ganz niedlich, nur wenn sie in Schwärmen auftreten, sind sie gefährlich, und davor hat man natürlich auch Angst. Also es geht eigentlich darum, dass man sozusagen die Minderwertung der Tiere, die am stärksten dort ist, wo eben die Tiere ganz unten in der Hierarchie der Tiere sind, nutzt, um damit Menschen klein zu machen.
Ellmenreich: Also die Reduzierung auf die bloßen Instinkte. Ist der Vergleich deshalb so heikel?
Schlosser: Ja, Instinkte, weiß ich nicht, denn so instinktiv arbeiten die Menschen nicht zusammen.
Ellmenreich: Das Fehlende des Menschlichen, sagen wir es mal so, das ist die andere Seite.
Schlosser: Ja, natürlich, auch schlichte Vorurteile. Es gibt ja genügend Leute, die sich Ratten im Haus halten. Das sind durchaus niedliche Tiere, nur in der Kanalisation, wenn sie Krankheiten verbreiten usw., sind sie schlimm. Ich meine, da muss man auch die Unterschiede sehen.
Ellmenreich: Sie haben vorhin schon die Polemik angesprochen, haben gesagt, dass es ein Schlagabtausch ist, der häufig in der Politik herrscht. Wie drastisch muss ein Bild, ein Begriff sein, um heutzutage Aufmerksamkeit zu erzeugen?
Schlosser: Das Schlimme ist, dass man vor allen Dingen in einer Zeit, in der sogenannte "Politikverdrossenheit" existiert, sich kaum noch Gehör verschaffen kann in der Fülle der Äußerungen, der Informationen, die täglich über einen hereinbrechen. Also da hatten die Nazis es wesentlich einfacher, denn da gab es kaum Rundfunkgeräte in den deutschen Familien, Fernsehen gab es nicht, Zeitungen haben auch nicht alle gelesen. Da konnte man im Grunde genommen auf Vorurteilen aufbauen.
Hier werden Vorurteile geweckt - das muss man sehen -, und zwar mit kräftigen Bildern, um überhaupt noch Gehör zu bekommen, denn ich meine, wer hat sich in der letzten Zeit für die Regierungspolitik interessiert, außer dass man sich gefragt hat, welche Folgen hat sie für mich? Aber dass da eventuell auch positive Aspekte drin sind, das haben die meisten Leute gar nicht mehr wahrgenommen.
Ellmenreich: Man muss sozusagen mit der verbalen Faust auf den Tisch hauen. Werden aber gleichzeitig Ausdrücke gewählt, die eine gewisse Sprengkraft in sich bergen, dass man also gleich davon ausgehen kann, dass auch Reaktionen wieder folgen werden?
Schlosser: Natürlich. Ich meine, es ist ja so, wer überhaupt keine Reaktionen mehr bekommt, auch auf Grund von negativen Meinungen, der ist sozusagen aus dem Geschäft heraus. Also ich kann es im Grunde genommen sogar an der Unwortaktion sagen. Wir verbuchen es auch als Erfolg, wenn wir im Zuge einer Unwortwahl - und das war dieses Jahr, wo wir gezeigt haben, dass uns bestimmtes ökonomisches Denken nicht gefällt - sozusagen Zünder bekommen. Dann wird über eine Sache diskutiert, das ist durchaus beabsichtigt, auch bei Herrn Müntefering. Ob er da immer die richtigen Bilder gebraucht hat, das lasse ich jetzt mal beiseite, aber ich würde mich immer noch weigern zu sagen, das hat er gemacht, um unsere antisemitischen Instinkte anzusprechen.
Ellmenreich: Das hat er nicht gemacht, sagen Sie, aber Müntefering muss klar gewesen sein, mit so einem Vergleich Kritik hervorzurufen?
Schlosser: Ja, durchaus, und da sagt natürlich die Masse derer - und zu denen würde ich mich auch zählen -, die die verschiedenen Kapitalgesellschaften, Risikokapitalgesellschaften und was er alles gemeint hat, nicht voneinander unterscheiden können, ja, ja, die Wirtschaft, die Wirtschaft. Das ist natürlich gefährlich, denn ich bin überzeugt, wenn Sie eine Umfrage machen, sagt jeder, ja, das sind alle Bosse, die gehören zu den Heuschrecken. Da sehe ich eigentlich die Gefahr der Verallgemeinerung beziehungsweise des Evozierens von sehr pauschalen Vorurteilen gegenüber einem möglichen Gegner.
Ellmenreich: Aber auch die Gefahr, dass die Debatte gar nicht mehr um die Inhalte kreist, sondern sich an diesen Worten festkrallt?
Schlosser: Das ist richtig. Aber da muss ich nun allerdings sagen, daran sind die Medien vor allen Dingen schuld. Ich glaube, kein Mensch, der keinen Zugang zu den Medien hätte, vielleicht sogar gezwungen ist, täglich etwas über den Sender und in die Zeitungsseiten zu bringen, hätte diese Diskussion losgetreten. Man wartet ja geradezu darauf - aus Konkurrenzgründen, das muss man deutlich sagen -, dass man möglichst bald ein Thema hat, das man in einer Zeitung, in einem Sender oder im Fernsehen breittreten kann.
Wir müssen sehen, dass sich da auch die Medienlandschaft erstens gegenüber der Nazizeit verändert hat und dass heutzutage kaum ein Wort von einem gewissen Belang nicht in die Kritik oder in die Diskussion kommt. Also sehr schön war ja die Geschichte mit dem Köhler damals, dass es nie eine Gleichheit zwischen den Bundesländern geben würde. Dafür hat sich der Focus hinterher entschuldigt, weil er eine bestimmte Passage aus der Rede rausgerissen hat und alle haben es nachgedruckt. Eine Woche lang, zwei Wochen lang hatten wir eine hitzige Debatte darüber, wie unsozial und wie wenig national und patriotisch der Bundespräsident Köhler sei, bis sich herausstellte, dass die Rede dazu keinen Anlass gab, wenn man sie nur mal ganz liest.
Ellmenreich: Danke für das Gespräch.
Horst-Dieter Schlosser: Also ich halte diesen Vergleich schlicht für absurd. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, den Antisemitismusvorwurf, den Wolffsohn damit erhoben hat, auch zurückgewiesen ist. Also ich meine, es gibt kaum jemanden, der so sensibel ist wie Paul Spiegel. Aber schon allein die Zusammenstellung der Wörter, auf der einen Seite Heuschrecken und auf der anderen Seite Ratten, das sind ja nun völlig verschiedene, auch biologisch verschiedene Bereiche, und hier ist Wolffsohn wieder mal übers Ziel hinausgeschossen.
Ellmenreich: Paul Spiegel haben Sie gerade schon angesprochen. Charlotte Knobloch, die Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, pflichtete heute in der Leipziger Volkszeitung Wolffsohn allerdings bei und sagte, historische Parallelen können aber gezogen werden, und wir leben in einem Land der freien Meinungsäußerung.
Schlosser: Das ist richtig. Aber ich glaube, es wäre auch der größte Philosemit eigentlich nicht auf die Idee gekommen, darin nun Antisemitismus zu sehen. Ich meine, das eine ist natürlich - und da würde ich Wolffsohn wieder zustimmen - dieser Verbalradikalismus von Herrn Müntefering, dem ja überhaupt keine Taten folgen.
Ich meine, er steht einer Partei vor, die im Grunde genommen dieses System noch gestützt und gefördert hat, und ich glaube, der Verdacht liegt in jedem Fall nahe, dass kurz vor einer Landtagswahl, in der man im Grunde genommen kaum noch Chancen hat, er plötzlich die Seele des Volkes entdeckt. Das ist eigentlich gefährlich, das muss ich allerdings sagen. Den kleinen Man aufzurufen gegen große Kapitalisten, da sehe ich ganz andere Parallelen mit dem Nationalsozialismus, der in dieser Hinsicht ja auch einen Verbalradikalismus geprägt hat, indem er an die kleinen Leute, deren Ängste usw. appellierte und im Grunde genommen das Kapital gestützt hat.
Ellmenreich: Sie sehen also Parallelen zwischen Nazipropaganda und einer heutigen Polemik, die zum politischen Geschäft dazugehört?
Schlosser: Ja, die sehe ich allerdings, muss ich ganz ehrlich sagen, aber nicht auf der antisemitischen Schiene, dass ich sage, die Nazis waren Antisemiten und Herr Müntefering ist ein Antisemit.
Ellmenreich: Kommen wir auf diesen Vergleich von Mensch mit Tier. Das hat die Gemüter in diesen Tagen erregt. Was ist so schlimm daran, den Menschen mit einem Tier - Sie haben gerade den Unterschied zwischen Ratten und Heuschrecken aufgezeigt - zu vergleichen? Was berührt uns daran?
Schlosser: Ganz klar, dass der Mensch immer der Meinung ist, dass er das höchste Wesen der Schöpfung ist und jedes Tier eigentlich sehr viel weniger Wert ist. Man greift ja nicht zu irgendwelchen netten Tierbeispielen. Man spricht in der Wirtschaft zum Beispiel von Elefantenhochzeit, und das wird auch durchaus positiv gesehen, weil Elefanten sympathische Tiere sind. In dem Moment, wo man sozusagen in der Hierarchie der Tiere der Natur nach unten geht, kommt man in Bereiche, vor denen sich der Mensch ekelt. Dazu gehören in jedem Fall die Ratten einerseits, und da war die Wortwahl der Nazis durchaus nicht zufällig.
Wir haben auch noch ganz andere Beispiele, Parasiten und dergleichen, und die Heuschrecken sind ja für sich gesehen ganz niedlich, nur wenn sie in Schwärmen auftreten, sind sie gefährlich, und davor hat man natürlich auch Angst. Also es geht eigentlich darum, dass man sozusagen die Minderwertung der Tiere, die am stärksten dort ist, wo eben die Tiere ganz unten in der Hierarchie der Tiere sind, nutzt, um damit Menschen klein zu machen.
Ellmenreich: Also die Reduzierung auf die bloßen Instinkte. Ist der Vergleich deshalb so heikel?
Schlosser: Ja, Instinkte, weiß ich nicht, denn so instinktiv arbeiten die Menschen nicht zusammen.
Ellmenreich: Das Fehlende des Menschlichen, sagen wir es mal so, das ist die andere Seite.
Schlosser: Ja, natürlich, auch schlichte Vorurteile. Es gibt ja genügend Leute, die sich Ratten im Haus halten. Das sind durchaus niedliche Tiere, nur in der Kanalisation, wenn sie Krankheiten verbreiten usw., sind sie schlimm. Ich meine, da muss man auch die Unterschiede sehen.
Ellmenreich: Sie haben vorhin schon die Polemik angesprochen, haben gesagt, dass es ein Schlagabtausch ist, der häufig in der Politik herrscht. Wie drastisch muss ein Bild, ein Begriff sein, um heutzutage Aufmerksamkeit zu erzeugen?
Schlosser: Das Schlimme ist, dass man vor allen Dingen in einer Zeit, in der sogenannte "Politikverdrossenheit" existiert, sich kaum noch Gehör verschaffen kann in der Fülle der Äußerungen, der Informationen, die täglich über einen hereinbrechen. Also da hatten die Nazis es wesentlich einfacher, denn da gab es kaum Rundfunkgeräte in den deutschen Familien, Fernsehen gab es nicht, Zeitungen haben auch nicht alle gelesen. Da konnte man im Grunde genommen auf Vorurteilen aufbauen.
Hier werden Vorurteile geweckt - das muss man sehen -, und zwar mit kräftigen Bildern, um überhaupt noch Gehör zu bekommen, denn ich meine, wer hat sich in der letzten Zeit für die Regierungspolitik interessiert, außer dass man sich gefragt hat, welche Folgen hat sie für mich? Aber dass da eventuell auch positive Aspekte drin sind, das haben die meisten Leute gar nicht mehr wahrgenommen.
Ellmenreich: Man muss sozusagen mit der verbalen Faust auf den Tisch hauen. Werden aber gleichzeitig Ausdrücke gewählt, die eine gewisse Sprengkraft in sich bergen, dass man also gleich davon ausgehen kann, dass auch Reaktionen wieder folgen werden?
Schlosser: Natürlich. Ich meine, es ist ja so, wer überhaupt keine Reaktionen mehr bekommt, auch auf Grund von negativen Meinungen, der ist sozusagen aus dem Geschäft heraus. Also ich kann es im Grunde genommen sogar an der Unwortaktion sagen. Wir verbuchen es auch als Erfolg, wenn wir im Zuge einer Unwortwahl - und das war dieses Jahr, wo wir gezeigt haben, dass uns bestimmtes ökonomisches Denken nicht gefällt - sozusagen Zünder bekommen. Dann wird über eine Sache diskutiert, das ist durchaus beabsichtigt, auch bei Herrn Müntefering. Ob er da immer die richtigen Bilder gebraucht hat, das lasse ich jetzt mal beiseite, aber ich würde mich immer noch weigern zu sagen, das hat er gemacht, um unsere antisemitischen Instinkte anzusprechen.
Ellmenreich: Das hat er nicht gemacht, sagen Sie, aber Müntefering muss klar gewesen sein, mit so einem Vergleich Kritik hervorzurufen?
Schlosser: Ja, durchaus, und da sagt natürlich die Masse derer - und zu denen würde ich mich auch zählen -, die die verschiedenen Kapitalgesellschaften, Risikokapitalgesellschaften und was er alles gemeint hat, nicht voneinander unterscheiden können, ja, ja, die Wirtschaft, die Wirtschaft. Das ist natürlich gefährlich, denn ich bin überzeugt, wenn Sie eine Umfrage machen, sagt jeder, ja, das sind alle Bosse, die gehören zu den Heuschrecken. Da sehe ich eigentlich die Gefahr der Verallgemeinerung beziehungsweise des Evozierens von sehr pauschalen Vorurteilen gegenüber einem möglichen Gegner.
Ellmenreich: Aber auch die Gefahr, dass die Debatte gar nicht mehr um die Inhalte kreist, sondern sich an diesen Worten festkrallt?
Schlosser: Das ist richtig. Aber da muss ich nun allerdings sagen, daran sind die Medien vor allen Dingen schuld. Ich glaube, kein Mensch, der keinen Zugang zu den Medien hätte, vielleicht sogar gezwungen ist, täglich etwas über den Sender und in die Zeitungsseiten zu bringen, hätte diese Diskussion losgetreten. Man wartet ja geradezu darauf - aus Konkurrenzgründen, das muss man deutlich sagen -, dass man möglichst bald ein Thema hat, das man in einer Zeitung, in einem Sender oder im Fernsehen breittreten kann.
Wir müssen sehen, dass sich da auch die Medienlandschaft erstens gegenüber der Nazizeit verändert hat und dass heutzutage kaum ein Wort von einem gewissen Belang nicht in die Kritik oder in die Diskussion kommt. Also sehr schön war ja die Geschichte mit dem Köhler damals, dass es nie eine Gleichheit zwischen den Bundesländern geben würde. Dafür hat sich der Focus hinterher entschuldigt, weil er eine bestimmte Passage aus der Rede rausgerissen hat und alle haben es nachgedruckt. Eine Woche lang, zwei Wochen lang hatten wir eine hitzige Debatte darüber, wie unsozial und wie wenig national und patriotisch der Bundespräsident Köhler sei, bis sich herausstellte, dass die Rede dazu keinen Anlass gab, wenn man sie nur mal ganz liest.
Ellmenreich: Danke für das Gespräch.

Der Sprecher der Jury für das Unwort des Jahres 2003, Horst-Dieter Schlosser© AP

Horst-Dieter Schlosser präsentiert das Unwort des Jahres 2002: Die "Ich-AG"© AP