Wohnungsneubau

Hamburgs Weg aus der Wohnungsmarktkrise

07:33 Minuten
Mehrere Neubauten stehen am Grasbrookhafen vor der Elbphilharmonie in Hamburg.
Teil des Hamburger Baubooms: Am Kleinen Grasbrook soll ein neues Stadtviertel entstehen mit 3000 Wohnungen, Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten. © picture alliance / Hauke-Christian Dittrich
Von Axel Schröder · 03.11.2021
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In Hamburg gründet Olaf Scholz als Erster Bürgermeister 2011 das "Bündnis für das Wohnen": Ein Bauboom folgt, es entstehen mehr Sozialwohnungen, die Mieten steigen nur moderat. Doch ob Scholz den Erfolg auf Bundesebene wiederholen könnte, ist unklar.
Gegenüber der Hamburger Hafencity, die langsam am Nordufer der Elbe in Richtung Elbbrücken wächst, soll schon bald der nächste Stadtteil vom Reißbrett entstehen. Der Kleine Grasbrook, eine Halbinsel am südlichen Flussufer, war früher von Industrie- und Hafenbetrieben geprägt. Aber das wird sich ändern.
"Es werden etwa 3000 Wohnungen entstehen, die müssen auch entstehen, weil das die kritische Masse ist dafür, dass man eine Grundschule dort bauen kann, dass man Kindergärten bauen kann, dass man eine Nahversorgung hinbekommt und damit auch fußläufig auch einkaufen gehen kann oder mit dem Fahrrad", sagt Jürgen Bruns-Berentelg.
Er hat als Geschäftsführer der Hafencity GmbH die Entwicklung des neuen Stadtteils und auch die des Kleinen Grasbrooks maßgeblich mitbestimmt. Die Fehler aus der Frühphase der Hafencity-Planungen, zum Beispiel der Bau nur hochpreisiger Wohnungen oder der Verzicht auf große Grünflächen, sollen auf dem Kleinen Grasbrook vermieden werden.
"Erst mit dem geförderten Wohnungsbau war die ganze Mischungsbreite der Wohnungsbaunutzung und die sozioökonomische Mischung der Haushalte tatsächlich auch möglich!", sagt er.

Wieder mehr Sozialwohnungen

Gerade ist Jürgen Bruns-Berentelg in den Ruhestand gegangen. Der Wohnungsbau in Hamburg geht aber weiter. Jedes Jahr entstehen rund 10.000 neue Wohnungen, ein Drittel davon ist staatlich gefördert, um über die sogenannte Sozialbindung besonders günstigen Wohnraum zu schaffen.
Bis zum Regierungswechsel 2011 dümpelte der Wohnungsbau in der Hansestadt vor sich hin. Und weil die zeitlich befristeten Sozialbindungen der bestehenden Wohnungen mit den Jahren ausliefen, sank ihre Zahl von Jahr zu Jahr. Dieser Trend bestehe schon seit Mitte der 80er-Jahre, sagt Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg:
"Die Zahl der Sozialwohnungen ist von 400.000 auf 80.000 zusammengeschrumpft. Seit 2011 versucht Hamburg intensiv gegenzusteuern."
Und dieses Gegensteuern funktioniere in Hamburg, so Chychla.

Bauboom durch gemeinsame Absprachen

Mittlerweile steigt die Zahl der Sozialwohnungen in der Hansestadt langsam wieder und weil das Wohnungsangebot insgesamt größer wird, würden auch die Mieten nur noch moderat steigen. Eine Erklärung für den Hamburger Bauboom sei, dass alle Beteiligten sich in einem vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz initiierten "Bündnis für das Wohnen" zusammengefunden und gemeinsame Absprachen getroffen haben, so Mietervereins-Chef Chychla.
"Da hat man vonseiten der Politik zwischen der Wohnungswirtschaft und der Politik und auch den Mieterverbänden einen Modus Vivendi zu finden. Man hat sich zusammengesetzt, jede Seite musste Federn lassen. Und was herausgekommen ist, kann sich sehen lassen."
Seitdem sind insgesamt 80.000 Wohnungen in Hamburg gebaut worden. An den Treffen des "Bündnisses für das Wohnen" nimmt auch Andreas Breitner vom "Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen" regelmäßig teil. Denn dort könnten sich Politik, Verbände und die Bauwirtschaft über kleine und große Probleme und die Leitplanken der Wohnungsbaupolitik austauschen: über vermeintlich allzu teure städtische Grundstücke oder über die Anzahl der zu bauenden Sozialwohnungen oder die Dauer der Sozialbindung.
"Über Zieldefinitionen, wo man eigentlich hin will. Dann die konkreten Vereinbarungen, wie man die Ziele erreichen kann und eine institutionelle Zusammenarbeit, die im Laufe der Zeit zu großem Vertrauen zwischen Wirtschaft und Politik geführt hat", sagt Breitner.

Ausreichend Personal in Hamburg

Wichtig sei zum Beispiel, genau zu wissen, dass die vom Scholz-Senat gegründete Hamburger Investitions- und Förderbank die nötigen Mittel dafür pünktlich zur Verfügung stellt. Und gleichzeitig brauche es in den bezirklichen Bauämtern genügend qualifiziertes Personal, um die Bauanträge abarbeiten zu können.
Genau das sei passiert, sagt Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt:
"Um das Ziel zu erreichen, 10.000 Wohnungen mit einer Baugenehmigung auf den Weg zu bringen pro Jahr, gibt es Zielzahlen für die Bezirke und auch Zielzahlen für die Gebiete des Senats. Und es sind insgesamt rund 70 zusätzliche Stellen für Ingenieurinnen und Ingenieure unterschiedlicher Fachrichtungen ausgeschrieben und besetzt worden."

Im Bund viel komplizierter

280 Millionen Euro gebe die Stadt pro Jahr für den Neubau von gefördertem Wohnraum aus, so die Senatorin. Wenn das Hamburger Wohnungsbaurezept nun auch auf Bundesebene umgesetzt werden soll, wäre ein Vielfaches dieser Summe nötig. Und in einem bundesweiten "Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" säßen dann neben den Mieterverbänden, neben Vertretern der Bauwirtschaft und der zuständigen Bundesministerin oder dem Bundesminister auch die Länder und vielleicht sogar die großen Kommunen mit am Tisch.
Im Stadtstaat Hamburg war der Bauboom vergleichsweise einfach zu organisieren, erklärt Andreas Breitner vom Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen. Im Bund sei das sehr viel komplizierter:
"Der Bund kann Fördermittel zur Verfügung stellen, der Bund kann Rahmenbedingungen schaffen, der Bund kann appellieren an die Länder. Es gibt eine Bauministerkonferenz. Er könnte ein Baubeschleunigungsgesetz schaffen, wie es schon das schon 1990 in Deutschland gab."
Aber: Ob der Bund das wolle, werde sich zeigen. "Der Bund ist natürlich irgendwie ein Stück kastriert im Wohnungsbau, weil vieles föderal, aber noch mehr durch die Kommunen und deren Planungshoheit vor Ort entschieden wird."
Annalena Baerbock (l-r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat und Bundesminister der Finanzen, und Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender der FDP, geben nach den Sondierungsgesprächen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur Bildung einer neuen Bundesregierung nach der Bundestagswahl ein Statement.
Selbst wenn Olaf Scholz Bundeskanzler wird: Für eine Bundesregierung ist der Wohnungsbau schwieriger als für einen Landeschef.© picture alliance /dpa / Kay Nietfeld
Wie eine Bundesregierung unter Olaf Scholz den Bau der von ihm geforderten 400.000 Wohnungen pro Jahr umsetzen will, ist im Detail noch nicht bekannt. Denkbar wäre aber auch, die schon existierenden Instrumente zu schärfen, mit denen ein Mietenanstieg für bestehenden Wohnraum begrenzt werden kann.

Was ist möglich mit FDP und Grünen?

So plädiert Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg dafür, den einst vom Bundesgerichtshof kassierten Paragraph 5 des Wirtschaftsstrafgesetzbuchs so zu formulieren, dass er einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Mietwucher würde dann empfindliche Strafen nach sich ziehen. Aber auch Chychla weiß, dass derartige Maßnahmen in einem Bündnis mit der FDP und deren Credo eines möglichst freien Marktes nicht ganz einfach werden würden.
"Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die FDP noch konservativer als die CDU ist, was Wohnungsbau angeht. Und da bin ich gespannt, was der ehemalige Erste Bürgermeister der Hansestadt jetzt noch im Portfolio hat, um die FDP ins Boot zu ziehen."
Und am Ende könnten auch die Grünen als Teil einer neuen Bundesregierung Bedenken gegen einen Bauboom ohne Grenzen hegen. Dann, wenn Neubauten auf einstigen Grünflächen entstehen, wenn immer mehr Stadtraum versiegelt oder Naturschutzgebiete durch neue Siedlungen bedroht werden, könnten auch die Grünen das 400.000-Wohnungen-Ziel von Olaf Scholz gefährden.
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