Wohnungsmangel

Bauboom ist die falsche Antwort

04:23 Minuten
Blick auf die Fassade eines neuerbauten Wohnhauses an der East Side Gallery in Berlin
Neu erbaute Eigentumswohnungen in Berlin: So werden Mietwohnungen nicht bezahlbarer, kritisiert Daniel Furhop. © picture alliance / chromorange
Ein Einwurf von Daniel Fuhrhop · 23.07.2019
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Wohnen wird immer teurer: Wer 1.300 Euro netto verdient, gibt im Schnitt aktuell fast die Hälfte davon für die Warmmiete aus. Warum mehr Wohnungen bauen trotzdem keine Lösung ist, erklärt der Publizist Daniel Fuhrhop.
Seit zehn Jahren werden in Deutschland Jahr für Jahr mehr Wohnungen gebaut. Und doch hat man den Eindruck, es fehlten in den Großstädten so viele Wohnungen wie lange nicht. Warum eigentlich?
Die Zahl der Einwohner Deutschlands stieg seit 1991 um zwei Millionen. Durchschnittlich leben zwei Personen in einem Haushalt. Das heißt: Eigentlich hätte eine Million neue Wohnungen ausgereicht. Gebaut wurden seit 1991 aber sieben Millionen Wohnungen. Wo sind die sechs Millionen zusätzlichen Wohnungen hin? Die Antwort führt zu sichtbarem Leerstand und zu verstecktem Wohnraum. Und das hat drei Ursachen: Wir wohnen anders als früher, wir wohnen anderswo, und wir verlieren Wohnraum durch Spekulation.

Schweizer haben Wohnungsspekulation eingeschränkt

Wenn Investoren mit Wohnungen spekulieren, dann nicht unbedingt, damit jemand drin wohnt. Oft entsteht die Zweit- oder Drittwohnung, und manche Opernwohnung in München wird nur einmal im Jahr genutzt, um eine Vorstellung der "Zauberflöte" zu besuchen. Wohin das führt, zeigen Innenstädte wie in London, mit teuren Häusern dicht bebaut, aber menschenleer.
Doch man kann diesen Trend auch stoppen, wie die Schweizer zeigen. Seit einer Volksabstimmung im Jahr 2012 sind dort Zweitwohnungen ab einem gewissen Prozentsatz verboten. Das verhindert auch die Zweckentfremdung durch Ferienwohnungen.

Steigender Leerstand in ländlichen Regionen

Geändert hat sich auch: Wo wir wohnen. Seit zehn, 15 Jahren ziehen viele Menschen in die boomenden Großstädte. Sie verlassen schrumpfende Orte und ländliche Regionen: Dort stehen in Deutschland seit mehreren Jahren zwei Millionen Wohnungen leer, und die Zahl steigt sogar. Mit fatalen Folgen: Weil schon so viele Menschen aus diesen ländlichen Gegenden weggezogen sind, fehlen dort Arbeitskräfte.
Es ist also höchste Zeit, nicht nur in die vermeintlich hippen Stadtviertel wie Prenzlauer Berg in Berlin zu streben. Dabei könnte die Politik helfen, indem sie mit einer neuen Art der Wirtschaftsförderung nicht boomende Städte noch voller macht, sondern unterschätzte Orte stärker macht.

Millionen Deutsche leben auf mehr als 80 Quadratmetern

Das größte Potential, um Wohnraum ohne Neubau zu schaffen, bietet aber das "Wie" des Wohnens. Familien werden kleiner und immer mehr Menschen wohnen allein. Über 80 Quadratmeter Wohnraum als Alleinlebende haben in Deutschland vier Millionen Menschen. Ihre Wohnungen und Häuser sind so groß, dass ein, zwei oder mehr Personen noch Platz finden könnten.
Dieser sogenannte "unsichtbare Wohnraum" lässt sich auf verschiedene Weisen nutzbar machen: Manche Häuser kann man umbauen und dort Einliegerwohnungen abtrennen. Die Politik könnte dabei helfen, durch Geld für Beratung und Zuschüsse. Andere Menschen möchten nicht mehr allein leben, sondern Untermieter aufnehmen.

"Wohnen für Hilfe" als Modell

Dafür gibt es das Modell "Wohnen für Hilfe": Junge Leute, meist Studierende, ziehen zu älteren Menschen, und man hilft sich gegenseitig. Die einen bieten Wohnraum und Erfahrung, die anderen helfen im Garten, im Haushalt und beim Einkaufen oder leisten einfach nur Gesellschaft.
Wieder andere Bewohner großer Wohnungen würden sich gern verkleinern. Ihre Umzüge könnte man fördern durch einen Zuschuss zu den Umzugskosten oder besonders günstige Mieten. Zwar wollen manche gern allein im großen Haus leben, aber bei vielen hat sich das einfach so ergeben, als die Kinder auszogen, und sie möchten sich verändern.
Erfüllen wir die Wünsche derjenigen, die unsichtbaren Wohnraum abgeben könnten – nutzen wir die leeren Wohnungen und Häuser in unterschätzten Orten – und stoppen wir die Spekulation. So schaffen wir Wohnraum für alle, ohne immer weiter bauen zu müssen.

Daniel Fuhrhop, geboren 1967 in Paris. Studium der Architektur und Betriebswirtschaft. Bis 2013 Verleger (Stadtwandel Verlag), dann Verkauf des Verlags. Jetzt Sachbuchautor zum Stadtwandel ohne Neubau. Seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Dort ist sein Forschungsschwerpunkt: "Wohnen für Hilfe". Seit 2013 eigener Blog "Verbietet das Bauen".

Porträtaufnahme von Daniel Fuhrhop
© privat
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