Wohnungen, die krank machen

Von Bettina Kaps · 26.06.2013
In Paris und Umgebung kann praktisch jedes Kellerloch vermietet werden, und das geschieht auch. In der Arbeitervorstadt Gennevilliers hat das Wohnungsamt 900 Elendsquartiere ausgemacht. Ein Skandal, findet der Bürgermeister - und zieht drastische Konsequenzen.
Jacques Bourgoin zieht die blau-weiß-rote Schärpe über. Damit man ihn als Bürgermeister erkennt. Dann stellt er sich an die Spitze des kleinen Demonstrationszugs. Vor das Spruchband mit der Aufschrift: "Gennevilliers kämpft gegen Mietwucherer und Elendsquartiere".

Jacques Bourgoin: "Wir prangern das Verhalten der so genannten Schlafhändler an. Das sind völlig skrupellose Besitzer, die die Wohnungsnot im Großraum Paris ausnutzen. Sie vermieten verslumte Wohnungen und sogar Kellerräume. Zu unglaublichen Preisen."

Beim Protest allein bleibt es nicht: Der Bürgermeister, ein groß gewachsener Mann mit breitem Schnauzer, will den Mietwucher beseitigen. Seit zehn Jahren bemüht sich das kommunistisch regierte Rathaus von Gennevilliers, alle Wohnungen zu erfassen, die so verwahrlost sind, dass sie krank machen. Die Stadt drängt die Besitzer, die Mieter umzuquartieren. Aber manche wollen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. In solchen Fällen greift Bourgoin auch zu handfesten Methoden.

"Wir schreiten zur Tat. Zum fünften Mal werden wir jetzt Elendsquartiere zumauern. Wir wollen diesen Skandal publik machen. Nur so können wir hoffen, dass dieses Problem eines Tages endgültig beseitigt wird."

An weißen Arbeiterhäusern mit blühenden Kletterrosen vorbei marschiert Jacques Bourgoin zielstrebig auf ein Backsteinhaus zu. Die rosa Fassade sieht freundlich aus. Aber das täuscht, sagt Martine Monsel. Die beigeordnete Bürgermeisterin für Wohnen trägt auch eine Schärpe in den Nationalfarben.

Martine Monsel: "Sie sehen hier ein Haus, das in gutem Zustand ist, aber im Hof werden Sie einen Schwarzbau entdecken, der längst abgerissen sein müsste, weil man krank wird, wenn man unter solchen Umständen wohnt. Schon 1999 hat die Präfektur ein Wohnverbot erlassen."

Die Haustür steht offen, zwei Möbelpacker tragen einen rostigen Kühlschrank heraus. Bürgermeister Bourgoin durchquert den Flur. Am Ende des Gangs liegt kein Hof, wie bei den meisten Arbeiterhäuschen der Stadt, sondern: ein zweites Haus. Hier wohnt Naima mit Mann und vier Kindern. Die 36-Jährige steht in ihrem ausgeräumten Wohnzimmer. Bis zur Brusthöhe sind die Wände mit Sperrholz verkleidet.

Naima: "Alle sechs Monate musste ich die Wohnung neu tapezieren. Aber weil die Mauer so feucht ist, habe ich noch diese Holzwände davor genagelt."

Das einzige Fenster zeigt zum Vorderhaus. Wenn Naima sich über die Brüstung beugt, kann sie die gegenüberliegende Mauer berühren. Sieben Jahre lang hat es die Familie in diesem dunklen Loch ausgehalten. Für knapp 40 Quadratmeter musste sie 680 Euro Kaltmiete bezahlen. Naima ahnte nicht, dass die Wohnung als Elendsquartier eingestuft war:

"Als ich letztes Jahr beim Rathaus vorsprach, um eine Sozialwohnung zu beantragen, erfuhr ich, dass diese Wohnung gar nicht vermietet werden darf. Die Stadt hat uns dann aufgefordert, die Mietzahlungen einzustellen. Daraufhin hat uns der Besitzer zweimal den Gerichtsvollzieher geschickt."

Aber selbst wenn sie Bescheid gewusst hätte, wäre sie hier eingezogen, sagt Naima. Die Französin arbeitet als Kassiererin, ihr algerischer Mann liefert Waren aus. Die Familie muss mit 1.700 Euro im Monat auskommen.

Naima: "Ich hatte keine Wahl. Eine normale Wohnung ist zu teuer für uns. Außerdem erfüllen wir die Bedingungen nicht: Die Besitzer verlangen Bürgen, Gehaltszettel …"

Außerdem kennt Naima Menschen, denen es noch viel schlechter geht. Ihren Nachbarn zum Beispiel. In dem schmalen Gang zwischen den beiden Häusern führt eine Treppe nach oben: Dort gibt es noch ein Einzelzimmer mit Waschbecken und Toilette. Sieben Quadratmeter. Die hat sich Hamid mit Frau und zwei Kindern geteilt.
Der schmale Mann mit dem hageren Gesicht baut das Stockbett ab. Hamid lebt illegal in Frankreich. Deshalb hat er für dieses Loch fünf Jahre lang 400 Euro pro Monat bezahlt. 57 Euro pro Quadratmeter. Er klagt nicht, stattdessen schluckt er Medikamente.

Hamid: "Der Besitzer ist mit seinem Bruder gekommen und hat mich bedroht, als ich die Miete nicht mehr bezahlt habe. Weil er das Zimmer doch gar nicht vermieten darf. Jetzt habe ich Angstzustände. Ein Psychologe hat mir Beruhigungsmittel verschrieben."

Der Bürgermeister zeigt auch noch den Keller im Vorderhaus. Ein vergittertes Kellerfenster an der Decke ist die einzige Öffnung nach draußen. Die Luft ist feucht und faulig. Hier hat Khalef mit seiner Frau gelebt, gekocht, geschlafen. Neun Jahre lang, dabei hat er sich Asthma geholt. Die drei Kinder konnten in einem Kabuff im Erdgeschoss übernachten. Khaldef hat 470 Euro Kaltmiete pro Monat bezahlt. Alles in allem hat der Besitzer im Elendsquartier also 1.550 Euro monatlich abkassiert.

Jetzt ist der Keller leer. Khalefs Töchter hüpfen fröhlich von Wand zu Wand. Trotz einer Warteliste mit 4.000 Antragsstellern bringt die Stadt die drei Familien in Sozialwohnungen unter. Während Khalef noch einen Karton aus dem Keller trägt, schleppen Handwerker Hohlblocksteine und Zementsäcke ins Haus. Bürgermeister Bourgoin will dem skrupellosen Vermieter das Handwerk legen:

"Die Firma mauert jetzt alle Türen und Fenster zu. Leider müssen wir in Gennevillers noch einige Elendsquartiere dicht machen. Aber eins steht fest: Wir werden den Kampf gegen die Mietwucherer zu Ende führen!"
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