Wohnen in Berlin, ausstellen in London
An der Spree tobt das Szeneleben, an der Themse dominiert der Kunstmarkt. Der Band "Metropolitan Views" vergleicht die Berliner und die Londoner Szene für zeitgenössische Kunst. Dabei fällt die Gegenüberstellung für die Berliner Museen, die die lebhafte Künstlerszene vor der eigenen Haustür seit Jahren weitgehend ignorieren, erschütternd aus.
Vergleichendes Sehen ist eine zentrale Methode der Kunstgeschichte, stilbildend zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin an der Universität Berlin praktiziert. Seitdem werden in kunsthistorischen Vorlesungen stets zwei Werke nebeneinander projiziert. Weil erst die Wahrnehmung von Differenz differenziertes Beschreiben ermöglicht. Genau nach dieser Methode funktioniert der Band "Metropolitan Views", der die Berliner und die Londoner Kunstszene in einer Reihe von Artikeln und Interviews gegenüberstellt.
Um es gleich vorwegzunehmen: In Berlin leben die Künstler, in London werden sie ausgestellt. An der Spree tobt das Leben, an der Themse dominiert der Markt. Dieses gängige Klischee wird hier nicht widerlegt, sondern als historisch gewachsene Wirklichkeit beschrieben und untersucht. Es geht den Autoren dabei ausschließlich um die Kunst der Gegenwart: Tate Modern versus Hamburger Bahnhof. Whitechapel Art Gallery versus Kunst-Werke. Frieze Art versus Artforum. Die Vergleichsobjekte sind klug gewählt. Verglichen werden nicht nur die staatlichen Museen, die unabhängigen, aber staatlich subventionierten Ausstellungsforen und die Kunstmessen beider Städte, sondern auch Galerien, Privatsammlungen und sogar die Szene-Locations "Groucho Club" in London und "Grill Royal" in Berlin.
Für die Berliner Museen fällt der Vergleich erschütternd aus: Während das Berliner Museum für Gegenwartskunst die lebhafte Künstlerszene in der direkten Umgebung seit Jahren weitgehend ignoriert, gelingt es der Tate Modern mit spektakulären Ausstellungen zeitgenössischer Kunst ein Millionenpublikum anzuziehen. Während die Berliner Künstler sich wenig von den Museen versprechen, interessieren sich ihre Londoner Kollegen brennend dafür, wer von der Tate ausgestellt und angekauft wird. Während die Neue Nationalgalerie sich von New York aus mit Rundum-Sorglos-Blockbustern à la "MoMA in Berlin" beliefern lässt und die eigenen Bestände derweil ins Depot verbannt, schafft es die Tate jeden Sommer wieder, eine selbst kuratierte Großausstellung geschickt mit einer kleinen, experimentellen Schau zu verbinden – und neben beiden auch noch die Präsentation der eigenen Sammlung in neuem Licht erstrahlen zu lassen.
Zu einfachen Erklärungen erteilen die Autoren eine Absage:
"Die Erfolgsgeschichte der Tate Modern hat gezeigt, dass mangelnde staatliche Finanzierung kein Hinderungsgrund für beeindruckende Museumsbauten, kreatives Denken und innovatives Ausstellen ist."
In äußerst erhellenden Exkursen in die Geschichte der Institutionen, Einrichtungen und Märkte versuchen die Autoren stattdessen, die Entstehung von Schwerpunkten, Ausrichtungen und auch Versäumnissen aufzuzeigen: Woher kommt es, dass die Briten ein soviel entspannteres Verhältnis zum Kultursponsoring durch große Unternehmen haben? Warum werden Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Museen in London so viel intensiver gepflegt als in Berlin? Und worin hat die in Berlin beliebte Praxis, junge Talente als "Artists in Residence" in die Stadt zu holen, ihren historischen Ursprung? Auf all diese Fragen erhält der Leser Antworten, doch zur Finanzierung der einzelnen Häuser wären ausführlichere Angaben hilfreich gewesen.
Über das staatliche britische "Arts Council" erfährt man, dass es Mittel aus der "National Lottery" zu verteilen hat, aber nicht, wie hoch der jeweilige Anteil an der Finanzierung eigentlich ist. Über die Finanzierung der unabhängigen Berliner Kunst-Werke heißt es recht wenig aufschlussreich: Man suche in Berlin "trotz fehlenden Budgets, nach wie vor erfolgreich in der internationalen Liga der Kunstwelt mitzuspielen".
Immer wieder unterbrechen Interviews mit prägenden Machern der Szene auf angenehme Weise die Folge der Artikel: Gespräche mit Iwona Blazwick, der Leiterin der Whitechapel Art Gallery, mit Susanne Pfeffer, der Kuratorin der Kunst-Werke, und Mathew Slotover, dem Gründer der Londoner Kult-Messe Frieze Art. Auch ein Verzeichnis mit interessanten Adressen in Berlin und London fehlt nicht. Insgesamt eine sehr intelligent zusammengestellte Einführung für Szene-Neulinge, die auch den Freunden der Gegenwartskunst noch Neues zu bieten hat – und die vor allem Lust macht, ganz schnell nach London zu reisen und mal wieder die Tate Modern zu besuchen!
Rezensensiert von Alexandra Mangel
Conny Becker, Charlotte Klonk, Friederike Schäfer, Franziska Sollte (Hrsg.):
Metropolitan Views, Kunstszenen Berlin London,
Deutscher Kunstverlag, 221 Seiten, kostet 14,90 Euro.
Um es gleich vorwegzunehmen: In Berlin leben die Künstler, in London werden sie ausgestellt. An der Spree tobt das Leben, an der Themse dominiert der Markt. Dieses gängige Klischee wird hier nicht widerlegt, sondern als historisch gewachsene Wirklichkeit beschrieben und untersucht. Es geht den Autoren dabei ausschließlich um die Kunst der Gegenwart: Tate Modern versus Hamburger Bahnhof. Whitechapel Art Gallery versus Kunst-Werke. Frieze Art versus Artforum. Die Vergleichsobjekte sind klug gewählt. Verglichen werden nicht nur die staatlichen Museen, die unabhängigen, aber staatlich subventionierten Ausstellungsforen und die Kunstmessen beider Städte, sondern auch Galerien, Privatsammlungen und sogar die Szene-Locations "Groucho Club" in London und "Grill Royal" in Berlin.
Für die Berliner Museen fällt der Vergleich erschütternd aus: Während das Berliner Museum für Gegenwartskunst die lebhafte Künstlerszene in der direkten Umgebung seit Jahren weitgehend ignoriert, gelingt es der Tate Modern mit spektakulären Ausstellungen zeitgenössischer Kunst ein Millionenpublikum anzuziehen. Während die Berliner Künstler sich wenig von den Museen versprechen, interessieren sich ihre Londoner Kollegen brennend dafür, wer von der Tate ausgestellt und angekauft wird. Während die Neue Nationalgalerie sich von New York aus mit Rundum-Sorglos-Blockbustern à la "MoMA in Berlin" beliefern lässt und die eigenen Bestände derweil ins Depot verbannt, schafft es die Tate jeden Sommer wieder, eine selbst kuratierte Großausstellung geschickt mit einer kleinen, experimentellen Schau zu verbinden – und neben beiden auch noch die Präsentation der eigenen Sammlung in neuem Licht erstrahlen zu lassen.
Zu einfachen Erklärungen erteilen die Autoren eine Absage:
"Die Erfolgsgeschichte der Tate Modern hat gezeigt, dass mangelnde staatliche Finanzierung kein Hinderungsgrund für beeindruckende Museumsbauten, kreatives Denken und innovatives Ausstellen ist."
In äußerst erhellenden Exkursen in die Geschichte der Institutionen, Einrichtungen und Märkte versuchen die Autoren stattdessen, die Entstehung von Schwerpunkten, Ausrichtungen und auch Versäumnissen aufzuzeigen: Woher kommt es, dass die Briten ein soviel entspannteres Verhältnis zum Kultursponsoring durch große Unternehmen haben? Warum werden Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Museen in London so viel intensiver gepflegt als in Berlin? Und worin hat die in Berlin beliebte Praxis, junge Talente als "Artists in Residence" in die Stadt zu holen, ihren historischen Ursprung? Auf all diese Fragen erhält der Leser Antworten, doch zur Finanzierung der einzelnen Häuser wären ausführlichere Angaben hilfreich gewesen.
Über das staatliche britische "Arts Council" erfährt man, dass es Mittel aus der "National Lottery" zu verteilen hat, aber nicht, wie hoch der jeweilige Anteil an der Finanzierung eigentlich ist. Über die Finanzierung der unabhängigen Berliner Kunst-Werke heißt es recht wenig aufschlussreich: Man suche in Berlin "trotz fehlenden Budgets, nach wie vor erfolgreich in der internationalen Liga der Kunstwelt mitzuspielen".
Immer wieder unterbrechen Interviews mit prägenden Machern der Szene auf angenehme Weise die Folge der Artikel: Gespräche mit Iwona Blazwick, der Leiterin der Whitechapel Art Gallery, mit Susanne Pfeffer, der Kuratorin der Kunst-Werke, und Mathew Slotover, dem Gründer der Londoner Kult-Messe Frieze Art. Auch ein Verzeichnis mit interessanten Adressen in Berlin und London fehlt nicht. Insgesamt eine sehr intelligent zusammengestellte Einführung für Szene-Neulinge, die auch den Freunden der Gegenwartskunst noch Neues zu bieten hat – und die vor allem Lust macht, ganz schnell nach London zu reisen und mal wieder die Tate Modern zu besuchen!
Rezensensiert von Alexandra Mangel
Conny Becker, Charlotte Klonk, Friederike Schäfer, Franziska Sollte (Hrsg.):
Metropolitan Views, Kunstszenen Berlin London,
Deutscher Kunstverlag, 221 Seiten, kostet 14,90 Euro.