"Wohlstandsindikator" soll Fixierung auf Wachstum ablösen

Matthias Zimmer im Gespräch mit Nana Brink · 21.03.2013
Wachstum sei nicht alles, sondern müsse auf Wohlstand und Lebensqualität abzielen, meint Matthias Zimmer (CDU). In einer Enquete-Kommission des Bundestags hat er mit Kollegen über differenzierte Modelle jenseits des Bruttoinlandsprodukts diskutiert.
Nana Brink: Es begann hoffnungsfroh und, wie einer der Beteiligten es formulierte, "die Fenster für große Ideen standen weit offen". Als sich die 34 Mitglieder der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des Bundestages im Januar 2011 zusammenfanden, Politiker und Wissenschaftler quer durch die politische Farbenlehre, herrschte Aufbruchstimmung. Fukushima war noch nicht lange her, die Euro-Krise mitten im Gang, und auf den Finanzmärkten verdampften Milliardenwerte. Also, warum nicht querdenken? Enquete-Kommissionen waren immer auch Orte für die großen Fragen der Zukunft, auch parteiübergreifend.

Aber man hat sich davon verabschiedet, beim Thema Wachstum schieden sich die Geister. Im Frühsommer soll nun der Endbericht der Enquetekommission vorliegen und es ist fraglich, ob es ein gemeinsamer ist. Und ob wir Antworten auf die Frage zum Beispiel hören, wie viel Wachstum braucht das Land, das will ich jetzt mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Zimmer besprechen. Er ist stellvertretender Vorsitzender dieser Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität. Schönen guten Morgen, Herr Zimmer.

Matthias Zimmer: Guten Morgen.

Brink: Sie haben kürzlich geschrieben, eine ausschließliche Fixierung auf Wachstum ist vulgär. Was meinen Sie damit?

Zimmer: Na, das ist ja schon etwas, was Ludwig Erhard gesagt hat. Insofern habe ich das nur paraphrasiert, andere Begrifflichkeiten benutzt. Aber selbst bei Ludwig Erhard ging es ja nie um Wachstum als ein Ziel, sondern es ging immer um die Frage: Was ist den Menschen bekömmlich? Und diese Fragestellung, die wir in der Enquete-Kommission hatten – Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität –, spiegelt das zum Teil ja wider. Wachstum ist nicht alles, sondern es muss auf Wohlstand und Lebensqualität abzielen. Und Wohlstand und Lebensqualität können sich durchaus auch mal vom Wachstum abkoppeln.

Brink: Und warum haben Sie es dann nicht geschafft, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, gerade beim Begriff Wachstum? Wenn Sie sich schon auf Ludwig Erhard beziehen, was ja wahrscheinlich alle anderen auch getan haben?

"Eine soziale und eine ökologische Dimension"
Zimmer: Also, ich glaube, bei dem Begriff Wachstum haben sich die Geister dann auch letztendlich geschieden. Und das ist vielleicht auch gar nicht so dramatisch. Weil, am Ende lag man so weit gar nicht auseinander. Dass Wachstum kein Ziel ist, darin waren sich, glaube ich, alle auch einig. Aber wie, welche Rolle beispielsweise Umverteilung spielen sollte, welche Rolle die Freiheit spielen sollte, diese Fragen sind sehr unterschiedlich beantwortet worden. Das halte ich für völlig legitim. Ich finde es wichtig, dass wir an dieser Stelle die Diskussion in Gang gebracht haben. Denn das, was wir mit dem Bruttoinlandsprodukt ja machen, nur das Wachstum abbilden, ist wahrscheinlich ein bisschen zu wenig. Da hatte Robert Kennedy recht, indem er mal gesagt hat, das Bruttoinlandsprodukt bildet alles ab, nur nicht das, was den Menschen wichtig ist.

Brink: Nun werden Sie doch mal ein bisschen konkreter, wenn Sie sagen, wir müssen andere Maßstäbe wählen, zum Beispiel beim Thema Wachstum und Umverteilung. Wie sehen Sie das?

Zimmer: Na ja, wir hatten ja als Aufgabe in der Enquete-Kommission einen oder mehrere Indikatoren zu finden, die wir dem Bruttoinlandsprodukt als reinem Wachstumsindikator an die Seite stellen. Und wir sind da im Grunde genommen ein wenig ausgegangen von dem Nachhaltigkeitsbegriff. Und Nachhaltigkeitsbegriff hat ja eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dimension, das haben wir ein bisschen ausdifferenziert und sind dann zu einem Set von Indikatoren gekommen, so einer Art Wohlstandsindikator, der vielleicht sehr viel spannender ist, weil er die Lebenslagen und die Wohlstandslagen in der Bundesrepublik Deutschland abbildet.

Ich will das nur an einem Beispiel erklären: Wir können durchaus Wachstum haben, aber durch eine Einschränkung von Lebensqualität, etwa wenn es darum geht, dass die Umwelt verschmutzt wird, oder wenn es darum geht, dass wir zwar Wachstum haben, aber auf Kosten einer ungeheuren Arbeitsverdichtung und die Menschen sich in ihrer Arbeit unwohl fühlen oder krank werden. Und das wird jetzt auch mit dem neuen Wohlstandsindikator vielleicht ein wenig genauer gefasst.

Brink: Da würde ich aber gerne noch mal einhaken, weil Sie so getan haben, dass ja jetzt eine Diskussion in Gang gesetzt worden ist. Und guckt man sich aber an, was zum Beispiel Ihr Koalitionspartner, die FDP, sagt: Ganz klar, Philipp Rösler hat gesagt, das Einzige, was wirklich wichtig ist, ist Wachstum. Wie wollen Sie denn Ihren kritischen Wachstumsbegriff mit einem Koalitionspartner FDP durchsetzen, wenn das schon in der Enquete-Kommission nicht geht?

Zimmer: Also, ich glaube, die europäische Krise hat ein wenig gezeigt, dass dieses Wachstumsthema sich wieder mit Gewalt in den Vordergrund drängt. Denn auch hier würden wir ja mittlerweile heute, auch die Sozialdemokraten und die Grünen würden durchaus argumentieren, dass das, was den Ländern des europäischen Südens in der Staatsschuldenkrise hilft, dass das Wachstum ist, selbstverständlich. Aber dann ist natürlich die spannende Frage, welches Wachstum meinen wir denn? Meinen wir unterschiedslos jedes Wachstum oder machen wir irgendwelche Unterschiede? Und da fangen die Fragen wirklich an, spannend zu werden. Und die haben auch ein klein wenig die Arbeit in der Enquete, glaube ich, etwas überlagert.

Brink: Aber trotzdem noch mal auf die FDP zu sprechen oder auch auf Teile Ihrer Partei, denn selbst Meinhard Miegel, der Chef des Denkwerks Zukunft, den die CDU ja auch in dieses Rennen geschickt hat, in diese Enquete-Kommission, ist ja mehr als frustriert. Er sagt nämlich, wenn man keine Veränderung will, muss man es genau so anstellen.

Im Hafen von Piräus stapeln sich die nicht abgefertigten Container.
In Griechenland wächst zur Zeit gar nichts mehr: Hafen von Piräus© AP
"Liberale setzen sehr bedingungslos auf Wachstum"
Zimmer: Ich glaube, das ist eines der großen Probleme, die wir als Volkspartei haben, dass wir sehr unterschiedliche Positionen dort vertreten haben. Meinhard Miegel, der sehr argumentiert in der Tradition eines klassischen Tugendbegriffes, für den Maß und Mittel zählt, Suffizienz vielleicht auch ein ganz entscheidender Faktor ist, und wir haben da auch Menschen in unserer Fraktion, die sagen, wir brauchen eine gewisse Form des Wachstums und wir müssen da aber nur die ordnungspolitischen Leitlinien vernünftig setzen. Da haben es die Liberalen, glaube ich, etwas einfacher, weil sie sehr bedingungslos auf Wachstum setzen.

Brink: Um noch mal auf die Arbeit der Enquetekommission zu sprechen zu kommen: Die Kritiken, die Sie ja in der letzten Zeit bekommen haben, waren – ich sage es mal vorsichtig – eher mäßig. Die "WirtschaftsWoche" sprach zum Beispiel von intellektueller Leere, zu viel Parteischubladen. Was hat denn die Arbeit bislang gebracht, auch für Ihre Partei?

Zimmer: Also, ich glaube, man muss in dieser Arbeit der Enquete-Kommission auch mal das ein oder andere würdigen. Wir haben beispielsweise in einer der Arbeitsgruppen, in denen es um die Frage ging, ob und inwiefern wir Wachstum von Ressourcenverbrauch entkoppeln können, eine Reihe von Erkenntnissen gehabt, die, glaube ich, so bisher noch nicht in der Öffentlichkeit präsent waren, auch in der Wissenschaft nicht präsent.

Das betrifft beispielsweise die Frage der Rolle des sogenannten Rebound-Effektes. Das heißt, Effizienzgewinne, die wir durch technische Innovationen haben, werden dann durch ein geändertes Konsumentenverhalten aufgefressen oder teilweise überkompensiert. Und dieser sogenannte Rebound-Effekt, mit dem haben wir uns da sehr intensiv beschäftigt und uns auch die Frage gestellt, wie man dem entgegenwirken kann. Da gibt es, glaube ich, tatsächlich einige wirklich neue und innovative Ansätze, die in der Enquete-Kommission diskutiert worden sind. Dass im Übrigen die Enquete-Kommission sich nicht in einem luftleeren Raum bewegt, der von politischen Interessen völlig unbeeinflusst ist, das ist auch klar.

Brink: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer, stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität. Herr Zimmer, schönen Dank für das Gespräch.

Zimmer: Ganz herzlichen Dank.

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