Wohin treibt die Deutsche Oper?
Etwas, was man Nicht-Berlinern erklären muss, ist das merkwürdig emotionalisierte Verhältnis des Hauptstädters zu seiner Deutschen Oper. Sicher, die Staatsoper ist schöner, das sehen sogar die eingefleischten Moderne-Fans ein, die es im Fall der Deutschen Oper mit einem besonders scheußlichen Klotz aus den sechziger Jahren zu tun haben. Keine Frage, die Komische Oper, jüngst zur "Oper des Jahres" gekürt, ist das ästhetisch innovativere Haus.
Kein Zweifel auch, dass die Deutsche Oper in den letzten Jahren besonders viel Negativ-Schlagzeilen gemacht hat. Ihr Umgang mit dem schwierigen Thielemann, ihr unglücklicher Übergangskandidat Zimmermann, der aus der überlangen Götz-Friedrich-Ära in eine neue Zeit führen sollte, schließlich die Halsstarrigkeit der amtierenden Intendantin Harms im "Idomeneo"-Skandal: das alles hat dem Haus nicht gut getan. Und doch.
Und doch wird kein Berliner Opernfan dieses Haus preisgeben wollen, wenn denn tatsächlich irgendwann eines der drei Opernhäuser geopfert werden muss. Noch die oft hysterischen Reaktionen der Berliner Musikkritik, die weder am späten Götz Friedrich noch auch oft an den geradezu verzweifelten Bemühungen von Frau Harms, dem Haus an der Bismarckstraße ein neues Profil zu verschaffen, ein gutes Haar lässt, noch selbst diese oft ungerechten Urteile können darüber hinwegtäuschen, dass die Berliner zu "ihrer" Deutschen Oper eine sehr spezielle Beziehung unterhalten.
Das hat mit Geschichte zu tun. Die Deutsche Oper, 1912 als "Charlottenburger Oper" eröffnet, war eine Bürgergründung. Sie war Ausdruck eines selbstbewussten, bürgerschaftlichen Engagements einer der damals reichsten Gemeinden Deutschlands, eben jenes Charlottenburg bei Berlin, das erst 1920 der Reichshauptstadt einverleibt wurde. Die daraus entstehende Opposition zur "Hofoper" Unter den Linden hat sich eigentlich nie ganz verloren. Noch heute hat kein Berliner Opernhaus einen so potenten, aktiven Bürger-Freundeskreis wie dieses Haus. Und in der Zeit der Teilung wuchs die innere Bindung weiter. Mit der Deutschen Oper ist es für die geschichtsbewussten Berliner wie mit der eigenen Familie: Man geht, sofern man zu ihr gehört, sehr kritisch mit ihr um – aber wehe, ein Außenstehender tut dieses auch. Dann stellt man sich ganz automatisch und aus familiärer Solidarität davor.
Trotzdem kommt auch der größte Fan des Hauses in der Bismarckstraße nicht darum herum, sich zu fragen: "Wohin treibt die Deutsche Oper?" Was könnte ihr dritter Weg zwischen dem repräsentativen Haus Unter den Linden und dem experimentellen in der Behrenstraße sein? Nun, eine erste Antwort gab Kirsten Harms zu Beginn ihrer Amtszeit durch die Ausgrabungen vergessener oder sogar unbekannter Stücke abseits des Repertoires. Ein Stück wie die italienische Preußen-Oper "Germania" mochte im Zeitalter des neuerwachten Preußen-Booms noch einleuchten. Doch ein fader spätromantischer "Taugenichts"-Aufguss wie Alexander von Zemlinskys "Traumgörge" konnte beim besten Willen nicht überzeugen, auch wenn die Inszenierung in ein mit Fleiß auf hässlich und auf zeitgemäß getrimmtes Bühnenbild gestellt wurde. Schaut man sich die letzten Produktionen einmal näher an, wird man feststellen, dass die neue Leitung des Hauses sich bereits behutsam korrigiert hat und einen vielversprechenden Weg zu gehen beginnt. Eine Doppel-Produktion wie "Cassandra/Elektra", wo wiederum ein bekanntes mit einem unbekannten Stück kombiniert wird, legt den Schwerpunkt auf die europäische Verknüpfung. Das erscheint sinnvoll, weil nicht nur die nationale Lösung in den Blick gerät, sondern, was gerade im Hinblick auf die Gattung Oper angemessen scheint, ein gesamteuropäisches musikalisches "Gespräch" über jene antiken Stoffe, die nun einmal das Fundament unseres Musiktheaters darstellen.
Einen weiteren interessanten und ausbaufähigen Schritt im Hinblick auf Verknüpfung geht die neue Inszenierung von "Tiefland". Hier gelingt dem Regisseur eine anregende Reflexion der Rezeptionsgeschichte dieser ja nicht ganz unproblematischen, sehr deutschen Oper, deren Stadt-Land-Antagonismus viel mit der "deutschen Ideologie" zu tun hat.
Sollte Frau Harms mit diesen beiden Produktionen exemplarisch neue Wege beschreiten wollen, hin zu einer Problematisierung deutscher Traditionsbestände, unter Berücksichtigung des europäischen Kontexts, könnte sich das Opernangebot der Stadt Berlin tatsächlich um einen klugen, ins Zentrum unseres gegenwärtigen Selbstvergewisserungsprozesses zielenden dritten Schwerpunkt erweitern.
Und doch wird kein Berliner Opernfan dieses Haus preisgeben wollen, wenn denn tatsächlich irgendwann eines der drei Opernhäuser geopfert werden muss. Noch die oft hysterischen Reaktionen der Berliner Musikkritik, die weder am späten Götz Friedrich noch auch oft an den geradezu verzweifelten Bemühungen von Frau Harms, dem Haus an der Bismarckstraße ein neues Profil zu verschaffen, ein gutes Haar lässt, noch selbst diese oft ungerechten Urteile können darüber hinwegtäuschen, dass die Berliner zu "ihrer" Deutschen Oper eine sehr spezielle Beziehung unterhalten.
Das hat mit Geschichte zu tun. Die Deutsche Oper, 1912 als "Charlottenburger Oper" eröffnet, war eine Bürgergründung. Sie war Ausdruck eines selbstbewussten, bürgerschaftlichen Engagements einer der damals reichsten Gemeinden Deutschlands, eben jenes Charlottenburg bei Berlin, das erst 1920 der Reichshauptstadt einverleibt wurde. Die daraus entstehende Opposition zur "Hofoper" Unter den Linden hat sich eigentlich nie ganz verloren. Noch heute hat kein Berliner Opernhaus einen so potenten, aktiven Bürger-Freundeskreis wie dieses Haus. Und in der Zeit der Teilung wuchs die innere Bindung weiter. Mit der Deutschen Oper ist es für die geschichtsbewussten Berliner wie mit der eigenen Familie: Man geht, sofern man zu ihr gehört, sehr kritisch mit ihr um – aber wehe, ein Außenstehender tut dieses auch. Dann stellt man sich ganz automatisch und aus familiärer Solidarität davor.
Trotzdem kommt auch der größte Fan des Hauses in der Bismarckstraße nicht darum herum, sich zu fragen: "Wohin treibt die Deutsche Oper?" Was könnte ihr dritter Weg zwischen dem repräsentativen Haus Unter den Linden und dem experimentellen in der Behrenstraße sein? Nun, eine erste Antwort gab Kirsten Harms zu Beginn ihrer Amtszeit durch die Ausgrabungen vergessener oder sogar unbekannter Stücke abseits des Repertoires. Ein Stück wie die italienische Preußen-Oper "Germania" mochte im Zeitalter des neuerwachten Preußen-Booms noch einleuchten. Doch ein fader spätromantischer "Taugenichts"-Aufguss wie Alexander von Zemlinskys "Traumgörge" konnte beim besten Willen nicht überzeugen, auch wenn die Inszenierung in ein mit Fleiß auf hässlich und auf zeitgemäß getrimmtes Bühnenbild gestellt wurde. Schaut man sich die letzten Produktionen einmal näher an, wird man feststellen, dass die neue Leitung des Hauses sich bereits behutsam korrigiert hat und einen vielversprechenden Weg zu gehen beginnt. Eine Doppel-Produktion wie "Cassandra/Elektra", wo wiederum ein bekanntes mit einem unbekannten Stück kombiniert wird, legt den Schwerpunkt auf die europäische Verknüpfung. Das erscheint sinnvoll, weil nicht nur die nationale Lösung in den Blick gerät, sondern, was gerade im Hinblick auf die Gattung Oper angemessen scheint, ein gesamteuropäisches musikalisches "Gespräch" über jene antiken Stoffe, die nun einmal das Fundament unseres Musiktheaters darstellen.
Einen weiteren interessanten und ausbaufähigen Schritt im Hinblick auf Verknüpfung geht die neue Inszenierung von "Tiefland". Hier gelingt dem Regisseur eine anregende Reflexion der Rezeptionsgeschichte dieser ja nicht ganz unproblematischen, sehr deutschen Oper, deren Stadt-Land-Antagonismus viel mit der "deutschen Ideologie" zu tun hat.
Sollte Frau Harms mit diesen beiden Produktionen exemplarisch neue Wege beschreiten wollen, hin zu einer Problematisierung deutscher Traditionsbestände, unter Berücksichtigung des europäischen Kontexts, könnte sich das Opernangebot der Stadt Berlin tatsächlich um einen klugen, ins Zentrum unseres gegenwärtigen Selbstvergewisserungsprozesses zielenden dritten Schwerpunkt erweitern.