"Wofür sterben unsere Soldaten?"

Hannes Wendroth im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 06.06.2011
In Afghanistan sind bisher 52 deutsche Soldaten ums Leben gekommen, allein vier sind in den letzten zwei Wochen gefallen - doch in der Öffentlichkeit werden Nachrichten aus Afghanistan nur beiläufig wahrgenommen. Oberst Hannes Wendroth von der Führungsakademie der Bundeswehr wünscht sich daher eine größere Aufmerksamkeit.
Klaus Pokatzky: Auf dem Evangelischen Kirchentag hat die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, gefordert, dass wir mit den afghanischen Taliban über Frieden verhandeln sollen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs hat ebenfalls auf dem Kirchentag zu Käßmanns Vorschlag gesagt, das ist in etwa so, als müssten Sie mit dem Teufel verhandeln. In den Arbeitsgruppen der evangelischen und der katholischen Kirche für ethische Bildung in den Streitkräften sitzt Oberst Hannes Wendroth von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, den ich nun im Studio begrüße. Guten Tag, Herr Wendroth!

Hannes Wendroth: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Wendroth, dass in zivilen, in intellektuellen Kreisen über unsere Soldaten am Hindukusch so diskutiert wird wie jetzt auf dem Kirchentag, ist ja eher die Ausnahme. Ansonsten nehmen wir doch die Nachrichten von gefallenen Soldaten zunehmend beiläufig auf. Woran liegt das?

Wendroth: Herr Pokatzky, ich denke, dafür gibt es ein einfaches Erklärungsmuster: Hier in Deutschland herrscht Frieden – Gott sei Dank! – und meine Kameraden sind über 5000 Kilometer von zu Hause entfernt.

Pokatzky: Aber in anderen Ländern herrscht auch Frieden, und wenn dort die Särge von gefallenen Soldaten heimgebracht werden, nimmt die Bevölkerung in einer ganz anderen Weise Anteil daran.

Wendroth: Diese Staaten, von denen Sie sprechen, die verfügen über eine andere Geschichte als wir. Wir sind erst nach der Wiedervereinigung in diese weltweite Verantwortungsrolle hineingekommen, und ich bin sicher, dass wir auch mit dem Ritual, wie wir uns um unsere Toten kümmern, wie wir sie bedenken, wie wir mit den Angehörigen umgehen, dass wir uns diesbezüglich auch weiterentwickeln werden.

Pokatzky: Aber wie weit werden wir uns da entwickeln? Schwebt nicht doch immer noch im Hintergrund diese fürchterliche, grauenhafte großdeutsche Wehrmachtsgeschichte da in den Köpfen herum?

Wendroth: Nein, das denke ich nicht. Wenn Sie mal bedenken, wie wir von den Anfängen unserer Einsätze in Kambodscha über den Balkan bis heute nach Afghanistan dazugelernt haben, wie auch die Bevölkerung dazugelernt hat, mit welcher Selbstverständlichkeit das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin am Bendlerblock hingenommen und akzeptiert wurde, ich denke, da haben sich gewaltige Schritte getan, die man auch als solche bedenken und würdigen muss.

Pokatzky: Aber Herr Wendroth, wir haben, was unsere Auslandseinsätze angeht, nur eine wirklich intensive Diskussion gehabt in der Bevölkerung, in den Medien, auch in der Politik, und das war, als wir unseren ersten Balkan-Einsatz hatten 1995, 96 noch in Kroatien. Später, über den Kosovo-Krieg unter deutscher Beteiligung, wo die Bundesrepublik Deutschland das erste Mal im Kriegszustand war, da haben wir überhaupt nicht mehr groß diskutiert. Und über Afghanistan wird im Grunde doch auch nicht richtig diskutiert. Woran liegt das, tut die Bundeswehr da genug?

Wendroth: Ich denke, wir tun genug. Wir versuchen Sie, Ihre Berufsgruppe zu informieren, und damit auch die Bevölkerung, aber Sie müssen natürlich das Angebot annehmen. Und ich bin mir nicht immer ganz sicher, ob alle Kollegen und Kolleginnen auch da den nötigen Ernst mitbringen, um dann zu sagen, ja, wir sind an einer intensiven Berichterstattung interessiert.

Pokatzky: Das ist jetzt Medienschelte, Medienschelte ist so das Übliche, was Politiker dann auch machen. Tut die Politik denn genug, hat die Politik genug getan, um nach einem jahrelangen Gezerre um diesen Begriff "Krieg" für den Einsatz in Afghanistan, um der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken?

Wendroth: Genau so, wie ich keine Medienschelte betreibe, betreibe ich auch keine Politikerschelte, das steht mir gar nicht zu. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wirklich auch jeder Politiker mit der Zeit begriffen hat, was sich da in Afghanistan tut. Und inzwischen reden wir davon, dass meine Kameraden tagtäglich in Gefechten stehen und um ihr Leben und das der afghanischen Kameraden kämpfen.

Pokatzky: Warum hat das so lange gedauert, bis diese Ehrlichkeit wenigstens in Teilen der Politik Einzug gehalten hat?

Wendroth: Herr Pokatzky, dafür bin ich der falsche Gesprächspartner.

Pokatzky: Dann frage ich Sie jetzt aber, wo Sie ganz garantiert der richtige Gesprächspartner sind: Sie waren ja vor drei Jahren Verbindungsoffizier zum afghanischen Verteidigungsministerium in Kabul, in der afghanischen Hauptstadt. Beim Attentat auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai im April 2008, bei dem zwei Menschen davon getötet wurden, da haben Sie nicht weit davon entfernt auf der Zuschauertribüne gesessen. In einem Buchbeitrag haben Sie geschrieben, dass nach Ihrer Rückkehr aus Afghanistan Ihre Erfahrung und Erkenntnisse nur bedingt nachgefragt werden. Wer fragt nicht nach?

Wendroth: Ja, einmal das ganz unmittelbare Umfeld von Hannes Wendroth, zum Beispiel die Kirchengemeinde im Norden Berlins, aber es sind natürlich auch vorgesetzte Dienststellen gewesen, die sich nicht immer leicht damit getan haben, das einzuordnen, was der Verbindungsoffizier dort erlebt hat.

Pokatzky: Was hat der Verbindungsoffizier erlebt, was für uns wichtig ist, um die Verhältnisse in Afghanistan zu begreifen?

Wendroth: Ja, ich bin in diesen sechs Monaten tagtäglich im afghanischen Verteidigungsministerium ein- und ausgegangen und habe bis auf die Ebene des Verteidigungsministers über intensive Kontakte verfügt, die nicht nur Kontakte waren, sondern auch enge menschliche Beziehungen, dazu interne Kenntnisse über das Ministerium und sehr gute Kenntnisse über andere Stäbe in Kabul.

Pokatzky: So, Sie wollen ja jetzt hier keine Geheimnisse verraten, aber wenn Sie sagen, auch vorgesetzte Behörden wollen das nicht so wahrnehmen: Haben wir allgemein bei uns vielleicht auch in der Truppe so das Bedürfnis, Afghanistan zu verdrängen?

Wendroth: Absolut nicht, es ist eher das Tagesgeschäft und die Planung nach vorn, die jeden, der mit Afghanistan beschäftigt ist, wirklich derart unter Strom stehen lässt, dass er wenig zurückguckt.

Pokatzky: Wenn wir noch einmal 52 Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben gelassen haben, betrachten: Wie viele Tote verkraftet unsere Gesellschaft in Afghanistan?

Wendroth: Herr Pokatzky, Sie sprechen von den 52 deutschen Soldaten, aber es sind ja auch immer afghanische Kameraden, Sprachmittler, Zivilbeschäftigte …

Pokatzky: … also Dolmetscher, Sprachmittler, Dolmetscher …

Wendroth: … die mit in den Tod gehen. Und ich denke, es ist nicht die Frage, wie viel, sondern es ist die Frage, wofür. Wir Soldaten gehen mit Töten und Getötetwerden um, wir wissen, dass wir unser Leben verlieren können, aber wir wollen wissen, wofür.

Pokatzky: Aber glauben Sie denn, dass die Bevölkerung in unserem Lande, wenn Sie sagen, wir wissen, wofür wir unser Leben lassen, dass das angemessen gewürdigt wird?

Wendroth: Nein, das wird es sicherlich noch nicht, aber …

Pokatzky: … noch nicht?

Wendroth: Ich denke, wir sind da auf einem Weg und wir stehen am Anfang dieses Weges. Wenn Sie sich vor Augen halten, wie inzwischen die zurückgeführten sterblichen Überreste der Soldaten gewürdigt werden, unter welcher öffentlichen Anteilnahme, dann ist das doch ein Riesenschritt zu dem, was wir in den Anfangsjahren hatten.

Pokatzky: Also das heißt, Sie sehen, was die Würdigung angeht, einen Fortschritt?

Wendroth: Ja.

Pokatzky: Also nicht eher Beiläufigkeit, sondern zunehmendes Interesse?

Wendroth: Ja, zumindest eine offizielle Würdigung, ein Ritual, das sich beginnt, einzuspielen. Und wir Soldaten stehen ja nicht auf der Bühne und wollen beklatscht oder gewürdigt werden, aber wir haben ein Ritual entwickelt, das uns und unseren Angehörigen den notwendigen Rahmen gibt.

Pokatzky: Was passiert, wenn 50 Särge aus Afghanistan von gefallenen Soldaten gleichzeitig in Deutschland ankommen? Verkraften wir das?

Wendroth: Herr Pokatzky, diese hypothetische Frage, die muss ich noch mal mit dem Hinweis auf das Wofür versuchen zu beantworten. Es ist die Frage, wofür sterben unsere Soldaten? Und ich habe heute Morgen mit einem Freund telefoniert, der gerade aus Afghanistan zurückgekommen ist und sich dort um die Zuckerfabrik in Baghlan gekümmert hat. Es geht voran, und wir dürfen uns von diesen Rückschlägen, die wir wöchentlich im Moment erfahren, nicht in die Defensive drängen lassen.

Pokatzky: Wenn wir über das Wofür reden, Wofür von Auslandseinsätzen: Der frühere Bundespräsident Horst Köhler ist zurückgetreten, nachdem er in einem Interview mit unserem Sender erwähnt hat, dass es bei Einsätzen der Bundeswehr auch um wirtschaftliche Interessen gehen könne; der jetzige Verteidigungsminister hat fast wörtlich das Gleiche vor drei Wochen gesagt, als er die Zukunftsperspektiven der Bundeswehr präsentiert hat. Ist das nicht doch ein Ungleichgewicht?

Wendroth: Ja, aber das ist ein Bereich, der außerhalb meiner Zuständigkeit liegt. Beide haben fast wörtlich aus dem Weißbuch der Bundesregierung von 2006 zitiert.

Pokatzky: Außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs ist es nicht, wenn wir an die Philosophie des Bundeswehrsoldaten, des Staatsbürgers in Uniform denken. Sie sind ja auch Staatsbürger. Wenn Sie so was mitbekommen – der eine tritt zurück und bei dem anderen geht das fast sang- und klanglos unter!

Wendroth: Also für mich ist es selbstverständlich, dass wir als Instrument der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik auch dafür da sind, sichere Handelswege zu garantieren und zu gewährleisten.

Pokatzky: Aber ist das nicht doch ein Zeichen dafür, dass wir in der Bevölkerung, in den Medien nicht ausreichend darüber diskutieren? Also jetzt keine Medienschelte, aber jetzt mal an uns alle gesprochen, die wir ja die Bürger sind, die wir Regierungen wählen, Parteien wählen, die dann Soldaten nach Afghanistan schicken?

Wendroth: Herr Pokatzky, vielleicht haben wir uns ja da auch schon ein Stück weiterentwickelt, zwischen dem Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten und der Äußerung des Bundesministers der Verteidigung.

Pokatzky: Das heißt, Sie sehen auch jetzt was die Zukunft angeht, wenn wir von einer Wehrpflichtarmee zu einer Berufsarmee umschwenken, alles sozusagen im positiven, im grünen Bereich?

Wendroth: Nein, die Aussetzung der Wehrpflicht hat für mich schon einen grundlegenden Einschnitt bedeutet. Wir nehmen eben vornehmlich nur noch Zeit- und Berufssoldaten mit in die Einsätze, und die Mütter und Großmütter beweinen nicht mehr die wehrpflichtigen Söhne, sondern es ist jetzt unser Beruf wie der eines Polizisten oder Feuerwehrmannes, der bei seiner Tätigkeit ums Leben kommt.

Pokatzky: Steckt da nicht die Gefahr dahinter, dass in Zukunft das wirklich als selbstverständlich hingenommen wird, wenn deutsche Soldaten in Afghanistan sterben?

Wendroth: Ja, aber daran müssen Sie und ich arbeiten. Und ich tue es dadurch, dass ich mich auch öffentlich als Soldat bekenne und auch dort überall Rede und Antwort stehe, wo ich angefragt werde.

Pokatzky: Ist das auch ein Appell an andere Soldaten, das in Zukunft mehr zu tun als in der Vergangenheit?

Wendroth: Das tue ich an der Führungsakademie, wo immer ich Gelegenheit dazu habe, indem ich zum Beispiel dazu auffordere, in Uniform in die Öffentlichkeit zu gehen.

Pokatzky: Sagt Oberst Hannes Wendroth von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, und dort auch Leiter des Internationalen Forums Berufsethik für militärische Führungskräfte. Danke für Ihren Besuch beim "Radiofeuilleton"!

Wendroth: Vielen Dank, Herr Pokatzky!


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