Wodarg: Ich glaube nicht mehr an diese Reform

Moderation: Marie Sagenschneider |
In der Debatte um die Gesundheitsreform sieht der SPD-Politiker Wolfgang Wodarg keine Chance auf eine Einigung innerhalb der Koalition. Eine grundsätzliche Reform sei nicht machbar, dazu seien die Gegensätze zwischen den beiden Koalitionsparteien zu stark, sagte der SPD-Gesundheitsexperte.
Marie Sagenschneider: Wie schätzen Sie das ein? Wird es bei der Ein-Prozent-Klausel eine Einigung geben können?

Wolfgang Wodarg: Ja, möglicherweise wird es dort eine Einigung geben, aber diese Einigung, die findet dann statt unter ganz wenigen Menschen. Und ich glaube, dass es keine Einigung geben wird zwischen den Parteien und auch keine Einigung geben wird zwischen den Fraktionen, so leicht. Das wird noch ein zweiter Schritt sein. Es sind einfach zu viele Dinge in diesen Kompromissen enthalten, die einen, ja, die man nicht hinnehmen kann.

Sagenschneider: Versuchen wir es mal, ein bisschen zu strukturieren. Bleiben wir mal bei der Ein-Prozent-Klausel erst mal. Bleibt es dabei, dass für die SPD dieses eine Prozent nicht verhandelbar ist?

Wodarg: Das ist richtig, ja. Darauf haben wir uns schon geeinigt, auch innerhalb der Arbeitsgruppe wollen wir davon nicht abweichen.

Sagenschneider: Nun hat ja Angela Merkel zart angedeutet, man könne die Lücken über Gelder aus dem Steuersäckel füllen. Wären Sie damit einverstanden?

Wodarg: Das ist ein ziemlich billiger Trick, denn ein Finanzminister - und das haben wir ja gerade gesehen -, der kann Geld geben und im nächsten Moment wieder nehmen. Wir haben ja gerade den Verlust von etwa drei Milliarden zu beklagen. Der Finanzminister hat zugelangt. Und wir hatten mehr Geld, mehr Steuergeld bei den Krankenkassen und das ist jetzt gerade wieder gestrichen worden.

Sagenschneider: Die Frage "Ein-Prozent-Klausel: Ja oder Nein?", die wird ja auch Einfluss haben auf die Debatte über den Finanzausgleich zwischen den Kassen. Und da ist ja auch längst noch nicht klar, ob das, auf das sich die Gesundheitsexperten am Montag verständigt haben, Bestand haben wird, denn die Unionsministerpräsidenten, gerade eben die aus den reichen Südländern, die machen da nach wie vor schwer mobil, weil die Krankenkassen ihrer Länder dabei eine Menge Geld verlieren würden. Bayern spricht von 1,7 Milliarden Euro. Das wäre ja schon happig.

Wodarg: Ja ich glaube, das ist nur ein Aspekt dieses fehlenden Risikostrukturausgleichs. Die Kassen werben um möglichst gesunde Menschen, das lohnt sich immer noch. Und das hat dazu geführt, dass wir einen mobilitätsorientierten Risikostrukturausgleich eingeführt haben, der ja schon Gesetz war, der dafür sorgt, dass es sich für die Kassen auch lohnt, sich für kranke Menschen einzusetzen und dort sich Mühe zu geben, auch für chronisch Kranke. Das haben die Kassen bisher viel zu wenig getan, weil wenn sie attraktiv werden für chronisch Kranke, dann kommen alle chronisch Kranke zu ihnen, dann müssen sie die Beiträge erhöhen und das wirkt sich im Wettbewerb schlecht aus.

Das, was die CDU jetzt eingebracht hat und was jetzt der Stand ist, heißt, dass zwar vermehrte Wettbewerbselemente dort sind - die Kassen können sich also noch mehr drücken vor chronisch Kranken. Aber der Risikostrukturausgleich wird sogar halbiert. Das heißt es wird noch attraktiver, chronisch Kranke alleinzulassen. Und das können wir von der SPD überhaupt nicht mittragen.

Sagenschneider: Aus der SPD kommt ja ebenfalls Kritik, was die Vereinbarung von Montag anbelangt und konzentriert sich auf die Frage - das habe ich, ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden -, wie viele Krankheiten berücksichtigt werden sollen bei diesem Ausgleich oder welche Krankheiten? Vielleicht können Sie das noch mal erklären.

Wodarg: Ja. Es gibt eine ganze Zahl von chronischen Erkrankungen. Einige sind häufig, andere sind weniger häufig. Und von daher ist es wenig sinnvoll, die Zahl der Erkrankungen zu nehmen, sondern wie viel Prozent des Mobilitätsrisikos wird abgedeckt durch diesen Ausgleich zwischen den Kassen. Und da habe ich, der letzte Stand, den ich habe, ist, dass es etwa 50 Prozent nur sein sollen. Wir hatten im Gesetz schon den Versuch, und hatten beschlossen eigentlich schon seit Jahren, dass es 100 Prozent sein sollen.

Das ist also ein ganz klarer Verlust für die SPD. Wir haben nichts durchgesetzt von der Bürgerversicherung. Wir kriegen den Risikostrukturausgleich nicht. Es gibt weitere Anreize, in die Privatversicherung zu gehen. Selbstbehalte, Beitragsrückerstattung führen zu Entsolidarisierung. Wir haben die Gestaltungsleistung, die Seehofer früher schon mal haben wollte, gegen die wir Wahlkampf gemacht haben. Wir haben die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge drin in diesen Regelungen. Das sind alles Dinge, die wir in mehreren Wahlkämpfen bekämpft haben, die wir nie gewollt haben. Die CDU hat das alles durchgesetzt und ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Partei das mitmacht.

Sagenschneider: Und Sie glauben nicht mehr an diese Reform?

Wodarg: Nein, das tue ich nicht.

Sagenschneider: Und Sie glauben auch nicht, dass Ihre Fraktion da zustimmen wird?

Wodarg: Ich glaube, für viele bei uns ist es so, dass der Erhalt der Solidargemeinschaft wichtiger ist als der Erhalt dieser großen Koalition.

Sagenschneider: Dann brauchen sich die Koalitionsspitzen heute eigentlich gar nicht erst zu treffen?

Wodarg: Das müssen sie sicher. Sie müssen ihre Pflicht tun. Aber es wird sich möglicherweise herausstellen, dass hier inkompatible Vorstellungen miteinander leben wollen. Und wir haben ja nicht umsonst erlebt, dass in den Koalitionsverhandlungen das Thema Gesundheit ausgeklammert war. Wir haben auch dann in den Fraktionen ja gar nicht abgestimmt über die Eckpunkte. Die Eckpunkte sind uns nicht in der Fraktion vorgelegt worden und es ist nicht um Zustimmung dort - es ist zwar geworben worden, aber wir haben kein Meinungsbild gemacht, das hat man vermieden. Es hat eine kleine Gruppe verhandelt und diese kleine Gruppe präsentiert jetzt das Ergebnis. Und es kann sein, dass die ganz alleine dasteht.

Sagenschneider: Und was wäre dann Ihr Fazit? Dass man die Reform aussetzen sollte?

Wodarg: Ich denke, dieser Brocken ist zu groß. Hier muss eine Regierung dann sich dieser Sache annehmen, die diese grundsätzlichen Dinge neu regelt, die das auch kann und die dann, ja, nicht Dinge zusammenwürfelt, die nicht zusammenpassen. Und ich glaube, dass wir hier eine kleine Gesundheitsreform machen können, die zum Beispiel Strukturverbesserung schafft, die bestimmte Dinge, die auch zu Kostenersparnissen führen müssen, noch wieder regelt. Aber das sind kleine, ja, weitere Kostenersparnisreformen, wie wir sie in den vergangenen Jahren schon mehrfach gemacht haben - und die wir auch in diesem Jahr schon gemeinsam mit der CDU über die Bühne gebracht haben.

Sagenschneider: Die also erst mal so für die nächsten Jahre ein bisschen halten würde, um das halbwegs über die Bühne zu bringen und das System stabil zu halten

Wodarg: Wir können jetzt keine grundsätzliche Reform schaffen, dazu sind die Gegensätze zu stark.

Sagenschneider: Herr Wodarg, ich danke Ihnen. Wolfgang Wodarg war das. Er gehört der SPD an.