Wo "Rauchfrosch" und "Schnute" herrschten

Von Laf Überland · 16.08.2005
Vor fast 3000 Jahren tauchten die Menschen aus dem Nebel der Geschichte auf, die diesen Ort zur Blüte trieben, als einen der Mächtigsten in diesem unwirtlichen Landstrich. "Schnute" und "Rauch-Frosch" hießen beispielsweise die Herrscher, die an diesem Ort regierten - nur zwei aus einer Dynastie von 39 Regenten.
Dieser Ort, den die UNESCO bereits vor 24 Jahren ins Weltkulturerbe aufnahm, war eines der wichtigsten Zeremonialzentren seiner Zeit, eine versunkene Stadt bereits, als die Eroberer ein dreiviertel Jahrtausend später die Wälder durchstreiften. Da stießen sie auf gespenstische Kulissen: gewaltige Plätze, monströse Paläste - alles mit feiner Architektur gebaut und zieseliert, rund viertausend Tempel, Paläste und mehrstöckige Wohnhäuser, Wolkenkratzer einer vergangenen Zeit mit engen Räumen im Innern, doch überwuchert von Jahrhunderten ungestörter Natur. In den Steinbrüchen liegen noch heute die vor mehr als tausend Jahren unfertig bearbeiteten Kalksteinblöcke...

Immer prunkvoller wurden die Bauwerke: Tempel und künstliche Berge aus Steinen für die Götter, pompöse Paläste für die Gottkönige. Wo vorher Wald gewesen war, erstreckte sich bald eine Stadt, so weit das Auge reichte. Breite Prachtstraßen verbanden die Tempel und Hallen, die Sportplätze und Wasserreservoirs. Freitreppen von Schwindel erregender Höhe zogen sich an den Bauwerken hoch, über die - bei gegebenem Anlass - auch schon mal zu Bällen zusammengeschnürte Opfer-Menschen hinabgerollt wurden.

Dicht bevölkert war dieser Ort, und dennoch verschwand der Sammelplatz von Macht und Hochkultur beinahe von einer Generation zur nächsten: Zweihundert Jahre, nachdem die Stadt oder besser: das Reich, das von hier aus beherrscht wurde, seine größte Ausdehnung erreichte, zerfiel plötzlich die Macht. Nicht nur an diesem Ort: fast die gesamte Kultur verschwand in kürzester Zeit vom Angesicht der Erde.

Der letzte Stand der Deutung lässt die Wissenschaft erkennen, dass hier ein ganzes, nach Millionen zählendes Volk verhungerte, weil das Land einer Dürreperiode anheim fiel. Und selbst die Menschenopfer halfen nicht mehr.

Heute liegt dieser Ort im Zentrum eines weiten Nationalparks, der geschützt ist, um die Plünderer fernzuhalten.

Lösung: Tikal

Hintergrund

Der Wirkungskreis der Maya umfasst weite Teile der mexikanisch-mittelamerikanischen Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika. Das Siedlungszentrum dieses Volkes konzentrierte sich jedoch auf die Halbinsel Yucatan und die südlich gelegenen Landstriche bis beinahe zum Pazifik.

Kurz nach der Jahrtausendwende vor Christus tauchten die ersten Maya dort auf und errichteten vor allem im Norden friedliche und ökonomisch sehr effiziente Bauernstaaten.

Die erste Besiedelung der Gegend von Tikal - im Tiefland der Halbinsel Yucatan gelegen - begann im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Während rund achthundert Jahre später - ungefähr im sechsten Jahrhundert nach Christus - die traditionellen, bäuerlich orientierten Maya-Staaten in ihrer gemächlichen Blüte lebten, explodierte die geballte Macht der Götterstaaten, jener Unterreiche, die auf der Basis der mythologischen Machtverteilung und des Wissens um die streng vorangetriebenen Wissenschaften aufbauten. Die Macht des Wissens basierte vor allem auf der exakten Sternenbeobachtung und einem komplizierten Kalendersystem. Eines der bedeutendsten dieser Gottkönigreiche war Tikal.

Die Gottkönig-Mayas führten eine Art Turbo-Feudalismus ein, einschließlich der exzessiven Ausbeutung von Ackerland und Bevölkerung, was letztendlich, als die Dürreperioden hereinbrachen, die Überlebensmöglichkeit auf einer überlieferten, natürlichen Basis zerstörte.

In Tikal fand die Maya-Kultur ihre wahrscheinlich ausgeprägteste Kulturform mit bis zu siebzig Meter hohen, aus behauenem Stein errichteten Pyramidenbauten für die Götter und weitläufigen Palästen für die Priester, den Adel - und die Wunderheiler sowie mit einem strengen Reglement von Gesetzen, Kunst und Architektur, Wirtschaft und - Ballspiel!

Nach aktuellem Erkenntnisstand der Wissenschaft hat der plötzliche Zusammenbruch der Maya-Kultur mehrere, zeitlich zusammenfallende Gründe: die erodierende Ausbeutung des Bodens; ferner das "Heranzüchten" einer aufstrebenden gebildeten Schicht, deren Wissen die Macht der Gottkönige unterlief und jene nachgewiesene, wiederholte Trockenheit, die das gesamte Tiefland der Halbinsel Yucatan für mehrere Jahre verdorren ließ.

Um 900 n. Chr. brach Tikal zusammen. Im 11. und 12. Jahrhundert besiedelten wenige versprengte Maya-Nachfahren die Region - und leben dort bis heute und halten seltsame überlieferte Maya-Regen-Riten am Leben.