Wo Nofretete den Helios grüßt

Von Barbara Wiegand |
Fast 70 Jahre lang war das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel eine Ruine und seit sechs Jahren eine Großbaustelle. Jetzt wird das nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield umgestaltete Gebäude wiedereröffnet. Ein Rundgang durch die Sammlung.
"Sie haben die Entscheidungsfreiheit, ob Sie nur wenig Zeit haben und nur zur Nofretete wollen. Aber Sie können sich auch Zeit lassen, für die Ägyptische Sammlung, und das würde ich natürlich auch jedem empfehlen!"

- sagt Friederike Seyfried, die Direktorin des Ägyptischen Museums. Gleich nachdem man das Neue Museum durch den Haupteingang betreten hat, steht man also vor der Frage: durchstreift man zunächst die umliegenden Räume im Erdgeschoß - mit Teilen der Ägyptischen Sammlung zur Rechten und Objekten der Vor- und Frühgeschichte zur Linken - oder begibt man sich direkt zur berühmten Königinnenbüste? Hier führt der Weg nach oben, die Treppe der imposanten Haupthalle empor und dann links in den Nordkuppelsaal, wo der Star des Hauses residiert. Unter ihrer blau rot goldenen Krone, die übrigens beeindruckend mit den erhaltenen Wandmalereien harmonisiert, blickt Nofretete in Richtung Südkuppel – eine wunderbare Sichtachse entlang.

"Jetzt sind wir auf der großen Enfilat - die Prachtstraße des Museums. Und wir sehen hier schon den Helios durch die Tür schauen. Auch der Helios kommt aus Ägypten, ist eine spätantike Skulptur des 2. Jahrhunderts. Er ist ja auch eine Lichtgottheit, so wie die Nofretete mit dem Lichtkult in Verbindung gebracht wird. Da liegen zwar 1500 Jahre zwischen, aber es ist eine Achse, die durch den Raum geht. Die Zeiten übergreifen, Verbindungen herstellen, das soll unser Haus auch wesentlich prägen."

Erläutert Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Aber auch jenseits der Prachtstraße gibt es – mitunter gewichtige - Entdeckungen. Im Erdgeschoß werden zum ersten Mal seit 1939 drei ägyptische Opferkammern ausgestellt. Sie sind in helles Licht getaucht, die Wände auseinandergerückt, sodass man gut hineinsehen kann. Museologe Frank Marohn:

"Sie müssen sich vorstellen, diese Gräber dieser Beamten, die hatten oberirdische Grabbauten und in diesen sogenannten Mastaba-Gräbern befinden sich oben kleine Opferkammern, kleine Kulträume. Die waren frei zugänglich. Abgekoppelt von dem unterirdischen Bereich, der mit der Mumie nicht zu betreten war."

Nebenan kann man sich ein Bild machen von den Menschen in Ägypten -zumindest von der Upper Class - den Königen, Priestern und Beamten, so wie sie die alten Bildhauer formten. Auf hohen Sockeln in schlanken Vitrinen sind bis zu 5000 Jahre alte Köpfe postiert.

Friederike Seyfried: "Wenn Sie sich das hier anschauen als Beispiel aus der ersten Dynastie, also ganz zu Beginn der pharaonischen Kultur um 2950, dann sehen Sie, wie das noch in sich geschlossen ist. Dann folgt das alte Reich, das mittlere Reich, das zum ersten Mal auch einen Höhepunkt in der Individualität zeitigt. Hier finden wir zum ersten Mal Altersbildnisse, dass ein König nicht mehr nur in der jugendlichen Strahlkraft seiner besten Jahre dargestellt wird, sondern dass die Gesichter fast von Sorgenfalten gezeichnet sind."

Im benachbarten ägyptischen Hof fällt der Blick ins Untergeschoß auf die tonnenschweren Steinsarkophage, die vom Leben und Sterben in Ägypten erzählen, genauso wie die dort unten aufbewahrten Grabbeigaben und Alltagsutensilien. Oben sieht man die auf Betonsäulen ruhende, neu eingezogene Plattform, die Skulpturen der königlichen Familie der Nofretete vorbehalten ist. Was im noch leeren Museum allzu wuchtig wirkte, ordnet sich verblüffend den Herrscherbildern unter- und hebt sie doch hervor.

Überhaupt ist es erstaunlich, wie gut die zumeist im wiedererrichteten Nordwestflügel postierten ägyptischen Skulpturen mit der kühlen Betonarchitektur harmonieren. Ja von deren Zurückhaltung profitieren.

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte dagegen präsentiert seine 5700 ausgestellten Objekte überwiegend in weniger zerstörten Räumen. Hier wagt man den Bezug auf Erhaltenes, bewusst lückenhaft Rekonstruiertes – und gewinnt immer wieder. Etwa im Vaterländischen Saal. In den Bildern über der Tür wird die im 19. Jahrhundert geschaffene Einteilung in Stein-, Bronze- und Eisenzeit thematisiert. Museumsdirektor Matthias Wemhoff

"Wir sehen hier einen Steinzeitkrieger, eine Bestattung, und der hat tatsächlich nur Steingeräte bei sich. Eine andere Bestattung daneben ist geprägt von Metallfunden, von Bronzefunden, von Gold. Deswegen stehen diese drei Vitrinen auch hier diesen Wandfeldern zugeordnet. Wenn man genau hinschaut, zum Beispiel dieses Schwert, das kann man da oben gemalt wiederentdecken."
Auch sonst gehen Ausstellung und Architektur gut zusammen. So brüchig manche Wandbemalung, so unvollständig manche Zierde, so sehr sind dies auch die ausgestellten Objekte. Gezeigt werden etwa die wenigen nicht als Beutekunst nach Russland verbrachten Teile des berühmten, von Schliemann in Troja gehobenen Schatz des Priamos. Und weitere Funde aus allen Teilen Europas - abgebrochene Henkel in Form fantastischer Tierfiguren, reich mit Edelsteinen verzierte Dolchgriffe, geheimnisvoll bemalte Spindeln.

Zur Sicherheit der Objekte präsentiert man all das in elegant gestalteten Vitrinen. Perfekt ausgeleuchtet und ausgestaltet haben kleinste Scherben ihren großen Auftritt. Wobei manchmal doch zuviel des Guten gezeigt wird und die Präsentation sperrig museal gerät.

Experimenteller geht es im Obergeschoß zu. Der berühmten Goldhut aus der Bronzezeit erstrahlt aus einem Harry-Potter-zauberhaften Dunkel heraus. Jahrtausendealte Gebeine ruhen im Sand, Krüge ragen aus der moorigen Erde heraus. Das ist meist anschaulich, selten plakativ. Und passt damit zum Gesamteindruck.

Im Neuen Museum ist es gelungen, ein schon im Leerzustand beeindruckendes Gebäude mit zwei großen musealen Sammlungen zu einem Ganzen zu vereinen. Zu einer Reise von der Steinzeit über die alten Ägypter bis hin zur römischen Antike.
Blick in einen Ausstellungsraum im Neuen Museum mit der Beterstatue des Königs Amenemhet III.
Blick in einen Ausstellungsraum im Neuen Museum mit der Beterstatue des Königs Amenemhet III.© AP