Wo Kuben statt Körpern sich bewegen

Von Wiebke Hüster · 30.03.2009
Die umtriebigen Künstler und Visionäre des Bauhaus revolutionierten nicht nur die Architektur und das Design, auch im Bereich des Theaters wagten sie einige radikale Neuerungen, so wie Oskar Schlemmer mit seinem "Triadischen Ballett". Er untersuchte die Beziehung zwischen Figur und Raum auf der Bühne und entwickelte so eine neue, geometrischen Formensprache fürs Ballett.
"Schillernde, vieleckige Ungeheuer, Fischchen mit langen, glitzernden Schweifen, sich drehend und schwänzelnd, eigenartig kubistische Urformen, Kristalle, Schlangen, Ballons, Sonnen, Sterne, Luftschiffe, Muscheln, Ampeln, kleine Winzlinge und Riesen, Drachen jeder Fantasiegestalt..."

Sie alle tummeln sich an späten Oktobertagen der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts am Himmel über Weimar, immer, wenn die Bauhäusler Drachenfest feierten. Nicht weniger berühmt sind die mittsommerlichen Laternenfeste der Künstler. Und wer noch an keinem ihrer legendären Kostümbälle teilgenommen hatte, mochte sich bereits über die alltägliche Verkleidung der experimentierfreudigen Gestalter verwundern:

"Ein seltsam Völkchen, diese sogenannten Bauhäusler der Weimarer Schule. In bunten Röckchen, farbig wie Stieglitze, mähnenflatternd die Männlein, die Weiblein häufig kurz geschnittenen Haarschmucks, Phantasiegewänder tragend, hängend lose, stilisierte, zeitlose, launisch-bizarre, bloße Füße, Sandalen, ausgeschnitten, kurzärmelig, barhäuptig."

Die Vorliebe für das Komische, Verspielte, Heitere, Phantastische teilt auch der 1888 in Stuttgart geborene Maler Oskar Schlemmer. 1923 übernimmt er die Leitung der Bühnenwerkstatt am Weimarer Bauhaus. Im Reigen der künstlerischen Gestaltungsfelder nimmt das Theater keinen unbedeutenden Raum ein.

Dem Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, schwebt nichts Geringeres vor als "die klare Neufassung des verwickelten Gesamtproblems der Bühne". Es galt, die einzelnen Probleme des Raumes, des Körpers, der Bewegung, der Form, des Lichtes, der Farbe und des Tones zu erforschen, in bewusster Anwendung der Gesetze der Mechanik, der Optik und der Akustik.

Das bis heute berühmteste Beispiel dieser abstrakten theoretischen Vorgaben ist das 1922 in Stuttgart uraufgeführte "Triadische Ballett" von Oskar Schlemmer. Die Zahl Drei ist konstitutiv für den Tanz auf allen Ebenen. Drei Tänzer, zwei Männer und eine Frau, tanzen das Ballett, welches aus drei Akten besteht: Raumtanz, Formentanz und Gestentanz. In achtzehn Kostümen erscheinen die Tänzer vor drei verschiedenen Farben: Gelb, Rosa und Schwarz, die drei Stimmungen korrespondieren.

In der Beziehung von Figur und Raum empfindet Schlemmer die Möglichkeiten der Bühne als Erweiterung gegenüber jener Kunst, in der er ausgebildet ist - der Malerei. Aber er verfolgt auch darüber weit hinausgehende Ziele. Das "Triadische Ballett", reflektiert er, kokettiere mit dem Heiteren, ohne der Groteske zu verfallen, streife das Konventionelle, ohne mit dessen Niederungen zu buhlen und solle die Anfänge zeigen,

"daraus sich ein deutsches Ballett entwickeln könne, das in Stil und Eigenart so verankert wäre, um sich gegenüber den vielleicht bewundernswerten, doch wesensfremden Analogien zu behaupten."

Das hieß vor allem gegenüber den weltberühmten "Ballets Russes", die seit 1909 die Pariser Theaterwelt für immer verändert hatten. Anders als das Bauhaus, wo man den theaterhistorischen Ballast abwerfen und der Regentschaft der Geometrie huldigen wollte, schwelgten die Ballets Russes, Diaghilew und seine Künstler Strawinsky, Nijinsky, Balanchine und Picasso, in folkloristischen Bezügen und exotischen Sujets, begründeten aber mit ersten neoklassischen Werken die Moderne im Tanz.

Diese von Diaghilew genialisch zusammengeschlungene Künstlergemeinschaft herauszufordern, war von den Ufern der Ilm aus etwas zu hoch gegriffen. Weswegen Gropius vielleicht auch die vornehme Unabhängigkeit der Bauhausbühne von wirtschaftlichen Erwägungen betonte, gerade in Abgrenzung zu den kommerziell erfolgreichen Exilrussen.

Ausgerechnet ein Lob ihrer Kunst aber verweigert dem Tourneeprogramm der Bauhausbühne, das bis 1929 in vielen Städten gastiert, der Kritiker Benno Reifenberg in der "Frankfurter Zeitung". Kunstgewerbe nennt er, was er sieht:

"Auf der Bühne weht es nachtschwarz; daraus blitzen gewellte Metallplatten auf, zwischen denen eine menschliche Gestalt heftig, fechtermäßig, sich regt, mit silbernen Kugeln angetan, glühbirnenüberglänzt."

Reifenbergs anschaulichen Beschreibungen folgt ein unerbittliches Urteil:

""Diese Gesetze nämlich, des Raumes etwa oder der Flächenaufteilung oder der Farben an sich, sind uns wesenlos, wenn man, um sie zu erkennen, vorerst den Menschen wegeskamotiert. Was gehen uns Ornamente an, wenn nichts da ist, was zu schmücken wäre; was geht uns ein Raum an, in dem Kuben statt eines Menschenleibes sich träge lümmeln? Rund heraus: Er kann uns gestohlen werden"."

Aus der historischen Distanz betrachtet, bleibt eine Lehre, die für alle deutsche Kunst gilt, für den Tanz aber vielleicht am stärksten: Durch den Nationalsozialismus werden die Verbindungsstränge zu diesen frühen Experimenten gekappt - mit fatalen Folgen. Das mangelnde Verständnis für Ballett, für gegenstandslosen Tanz, hier hat es seine Ursache.