Wo es mal geklappt hat - oder nicht?

Von Michael Watzke, Anke Petermann, Tonia Koch und Matthias Biskupek |
Manchmal siegt die Vernunft und ein Großprojekt wird pünklich fertig, der Preis bleibt so hoch wie verabredet, und das Projekt ist dann auch noch funktionstüchtig - also anders als beim Berliner Großflughafen oder bei der Elbphilarmonie. Mit einem Augenzwinkern stellen wir Ihnen perfekt funktionierende Großprojekte vor.
Den Gründungsmythos des bajuwarischen Paradieses, es handelt sich dabei um ein einzigartiges Bauwerk, stellt diesseits des Weißwurstäquators niemand infrage, jedenfalls nicht ausdrücklich.

Der Mythos geht so: Einst, in grauer Vorzeit, als Bavarien noch ein so flaches Land war wie die Nordseeküste, da hob die CSU eigenhändig eine riesige Grube aus und füllte das Loch mit Wasser aus dem Inn. So entstand der Chiemsee, das Meer der Bayern. Die CSU betrachtete ihr Werk und sah, dass es gut war. Dann nahm sie den Aushub des Chiemsees und türmte damit ein gewaltiges Gebirge auf, so hoch, dass seine Gipfel auch im Sommer mit Schnee bedeckt waren. So entstanden die Alpen.

Die CSU betrachtete ihr Werk und sah, dass es gut war. So gut, dass die bayerischen Bürger den Schwarzen fortan sagenhafte Wahlergebnisse schenkten. Denn die CSU betonte stets, dass sie ihr Werk zu erstaunlich günstigen Baukosten fertiggestellt hatte. Als Bezahlung verlangte sie lediglich die absolut mehrheitliche Besetzung sämtlicher Leitungsposten im Freistaat: in bayerischen Rathäusern, Landratsämtern, Bayern-LB-Aufsichtsräten, Baywa-Kontroll-Ausschüssen, Bayerischer-Rundfunk-Gremien, dem bayerischen Landtag und - natürlich - der Staatskanzlei. Ein wahrhaft geringer Preis, den Bayerns Bürger aus Dankbarkeit jahrzehntelang klaglos entrichteten wie einen uralten Tribut.

Genau hier setzt nun die Wahlkampfstrategie der Sozialdemokraten an. Die Schwarzen, so behaupten die Roten, hätten dem Bürger die Folgekosten ihrer Bautätigkeit verschwiegen. Die handwerkliche Ausführung der Alpen sei nicht fachgerecht erfolgt. Immer häufiger gebe es Lawinen, Erdrutsche und Muren, weil die CSU die Statik falsch berechnet habe. Und alle zehn Jahre sammelten sich in den Bergen gewaltige Wassermengen, um sich hernach unkontrolliert in den Freistaat zu ergießen.

Leider habe die CSU den Chiemsee nicht tief genug ausgehoben, deshalb könne er das viele Wasser nicht auffangen. Und weil die CSU die Alpen so hoch aufgetürmt habe, sei ihr am Ende das Baumaterial für die Deiche an Donau, Inn und Isar ausgegangen. Das räche sich jetzt, der CSU stehe das Wasser bis zum Hals, und ganz Bayern müsse es ausbaden.

Eine clevere Wahlkampfstrategie der SPD! Man merkt gleich, dass die SPD in Bayern derzeit Oberwasser, um nicht zu sagen: Hochwasser haben! Allerdings findet die Landtagswahl erst am 15. September statt. Dann sind die Fluten längst wieder versickert. Und wenn es dumm läuft für die SPD (also so wie immer), dann saufen am Ende die Sozialdemokraten ab. An der Urne. Denn durch historische Funde im Archiv der Hans-Seidel-Stiftung sind folgende urbayerische Volksweisheiten zweifelsfrei belegt: "Wenn in Bayern die Sonne lacht, dann hat das die CSU gemacht.". Doch "Müssen die Bayern durch Hochwasser waten, dann warens die Sozialdemokraten."

Beispiel: Stiller Flughafen Kassel-Calden
Mitte März, da war tagelang richtig was los im kleinen Terminal von Kassel-Calden: die ganze Abflughalle permanent voll mit Passagieren, die unentwegt Gepäck aufgaben und sich bereitwillig abtasten ließen. Und pünktlich zu Betriebsbeginn alles im grünen Bereich - da kann sich die deutsche Hauptstadt mal eine Scheibe abschneiden von der nordhessischen Provinz.

"Brandmeldeanlage ist in Ordnung, Check-in-System funktioniert auch - alles das, was wir brauchen funktioniert."

So Thomas Uihlein, Chef des Testbetriebs. Aus Testbetrieb wurde Anfang April Normalbetrieb. Und damit fiel der kleine Airport hinter den nordhessischen Bergen schlagartig in Dornröschenschlaf. Sonntag? Ruhetag, wie sich das gehört. Montag? Ruhetag. Zumindest bis Ferienbeginn, dann gibt es immerhin eine Verbindung nach Mallorca. Ein Start, eine Landung. Und so geht das die Woche über weiter mit Antalya und Split. Ansonsten aber: herrliche Stille und Vogelzwitschern. Kassel-Calden - ein Ausflugsparadies für Ruhebedürftige. Wie die beiden Rentnerinnen aus dem Nachbarort.

Frau: "Es ist toll hier."
Frau: "Es ist wunderbar hier. Ich finde es sehr schon, auch zum Kaffeetrinken, zum Gucken."

Obwohl - viel gibt es von der Caféterrasse beim Blick übers Flughafengelände nicht zu sehen. Rund herum fahren noch ein paar Lastwagen Erdaushub weg. Ein Raunen schwillt an unter den Rentnern, die da bei Kaffee und Bier auf der sonnigen Terrasse sitzen. Hat man doch tatsächlich einen Flieger gesichtet auf der bislang leeren Startbahn.

Mann: "Geschäftsflugzeug, das ist eine zweistrahlige Düsenmaschine, der startet jetzt gleich, der ist jetzt in die Richtung gefahren, wendet oben."

Rollt an, hebt ab - weg ist es, und Ruhe breitet sich wieder aus über Nordhessens grünen Hügeln. War vielleicht ein bisschen teuer für das bescheidene Passagieraufkommen, aber eins muss man dem Airport Calden lassen.

Frau: "Die Flugzeuge stören uns nicht."

Denn mangels Flugzeugen kaum Geräusch - perfekter Lärmschutz bei vollem Flugbetrieb, das ist nordhessische Präzision. Doch nicht zu glauben: Trotz pünktlicher Eröffnung und absoluter Gesundheitsverträglichkeit stänkern Miesmacher gegen den adretten kleinen Airport. Doch wer meckern will, mischt sich besser nicht unter die Senioren auf der Sonnenterrasse. Denn die entkräften als eine Art erweiterter Marketingabteilung des Flughafens umgehend jeden Einwand. Nummer Eins: Zuviel öffentliche Gelder für ein, zwei Flieger am Tag? Lieber, so kontert Karin Knauf:

"Das Geld im Lande lassen, als dass wir's nach Afghanistan geben."

Jawoll: Besser Kassel subventionieren, als Deutschland am Hindukusch verteidigen. Nur: Die EU hat schon hunderte Verlust bringender Regionalflughäfen und allein Deutschland über 20 davon. Einwand Nummer Zwei, längst strapaziert von der TV-Prominenz, beschwert sich eine weitere Calden-Verfechterin mit Silberhaar:

"Wie Jauch da sich anmaßt im Fernsehen: 'n Flughafen, den keine Sau braucht.' In Erfurt braucht den auch keiner! Der ist auch mit unseren Solibeiträgen gebaut worden."

Genau: Wenn Erfurt einen überflüssigen Flughafen hat, warum sollte sich Kassel im Geberland Hessen dann keinen erlauben dürfen? Außerdem: Wirklich hübsch bepflanzt ist mittlerweile das nordhessische "Millionengrab" - und auch damit lag Kassel im Zeitplan.

Beispiel: Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt
Noch hat die Klausurphase nicht begonnen, deshalb lässt sich in der neuen Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) in diesen Tagen gut ein Arbeitsplatz an einem der langen Tische rund ums lichtdurchflutete Atrium ergattern. Durch das rautenförmige Glasdach fällt Tageslicht in alle sechs Stockwerke.

In der Klausurphase war die ULB teilweise komplett ausgebucht, die Arbeitsplätze für Besucher mussten aufgestockt werden - auf jetzt 850. Mit der Neueröffnung explodierte die Zahl der Nutzer auf das Dreifache. Rund 4.000 Menschen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet kommen am Tag, um unter Millionen von Büchern und Medien auszuleihen oder einfach nur, um zu büffeln. Die meisten sind begeistert.

Mann: "Es ist ne viel bessere Lernatmosphäre als in der Bibliothek, die wir vor zwei Jahren noch hatten. Da war es zumindest in der Lernzeit immer sehr eng, und jetzt bekommt man mindestens momentan sehr gut Plätze."

Frau: "Alles super hier eigentlich, ja, dass es einigermaßen ruhig ist, oben, dass man viel Auswahl hat, ja."

Mann: "Also ich komme öfter zum Lernen her fürs Abi und bin echt zufrieden, weil ich hier gut lernen kann. Es ist schön hell und ruhig. Das ist gut."

Eine funktionelle Bibliothek, kosten- und zeitgerecht eröffnet - was ist das Geheimnis des Erfolgs? Hans-Georg Nolte-Fischer hat als ULB-Leiter den Umzug gemanagt:

"Bei uns waren zwei Punkte sehr entscheidend: Das eine war eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Architekten, die bereit waren, mit uns Nutzern über das Gebäude sehr intensiv zu diskutieren, wie es im Inneren aussehen muss, welche Funktionen es erfüllen muss, und wo wir umgekehrt von den Architekten sehr gute architektonische und baulich Lösungen präsentiert bekamen. Das war die eine wesentliche Voraussetzung dafür. Die zweite ist, dass wir an der TU als autonome Universität das Baumanagement innerhalb der Universität haben."

Das bedeutet, erklärt Universitäts-Kanzler Manfred Efinger: Die Uni muss nicht mehr als Bittsteller beim Land auftreten, sondern hat ein Budget, über das sie selbst entscheiden kann:

"Innerhalb der TU wird ein Bedarf formuliert, wir planen selbst oder beauftragen selbst planende Unternehmen - Architektenbüros - und sind auch selbst für die Abwicklung des Bauvorhabens und die Abwicklung der Kosteneinhaltung verantwortlich. Das müssen Sie sich vorstellen, als wenn Sie selbst ein Einfamilienhaus bauen und ein gewisses Budget nur zur Verfügung haben, dann werden Sie als Erbauer dieses Einfamilienhauses auch alles tun, um im Rahmen Ihres Budgets zu bleiben, und genauso verhalten wir uns bei jedem einzelnen Projekt, weil wir wissen, wenn die Kosten nicht eingehalten werden können, dann gehen die zulasten von anderen Projekten, die wir auch selbst verantworten."

Mit 74 Millionen Euro fiel der Etat allerdings etwas üppiger aus, als beim Häuslebauer üblich. Die geplanten Fensterunikate im großen Glasdach entpuppten sich dennoch als zu teuer. Statt das Budget zu sprengen, entschied sich die Unileitung dafür, auf das künstlerische Element zu verzichten. Sehr zum Unmut der Architekten, gibt der Kanzler zu.

Efinger: "Sie waren schon, glaube ich, ein bisschen verschnupft - kann ich auch verstehen, wenn man, ein ästhetisches Highlight gern umsetzen will und dann aufgrund von nicht ganz so guten Ausschreibungsergebnissen umplanen muss, da kommt nicht unbedingt Freude auf. Aber ich glaube, die Architekten sind Profi genug, die wissen, dass in einem solchen Vorhaben das Umplanen nicht gerade täglich, aber häufiger vorkommt, und sie sind sehr professionell damit umgegangen."

Beispiel: Saarlandmuseum ohne Bewegung
Kaum merklich und ausgelöst durch eine Lichtschranke setzen sich die weißen Linien des Künstlers Leo Erb in Bewegung.

Uthemann: "Es sind verschiedene Arten von Kinetik, kinetischer Kunst zu sehen. Also, von Leo Erb mit einem Motor angetrieben oder hier die Skulptur, auch von Erb, die man mit den Händen verändern kann oder das Mobile von Sigrun Olafsdottir, das sich durch den Wind bewegen kann, wenn es denn Wind gibt."

Die SaarArt 2013 hat die Bewegung zum Thema gemacht, erläutert Ernest Uthemann, mitverantwortlich für die diesjährige Landeskunstausstellung des Saarlandes. Und nichts kann ihrem prominentesten Ausstellungsort, dem Saarland Museum, mehr helfen, als Bewegung. Denn noch immer steht der Erweiterungsbau der Modernen Galerie in Saarbrücken als unvollendeter Bauklotz in den Saarauen.

Wer hat Schuld am Stillstand? Das versucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss noch immer zu klären. Ohne eindeutigen Erfolg. Nur so viel, die handelnden Politiker - im vorliegenden Fall allesamt saarländische CDU-Ministerinnen und -Minister- gingen allzu nonchalant mit dem Sujet und seinen Kosten um. Da wo Sorgfalt und Geduld gefragt gewesen wären, herrschte Ungeduld. Am Ende wird der Bau wohl dreimal so teuer wie öffentlich versprochen.

Therre: "Wir haben seit etwa seit einem Jahr eine sehr detaillierte Sicht auf das Bauvorhaben und gehen mit dem Wissenstand davon aus, dass das Bauvorhaben mit 29,4 Millionen zu realisieren ist."

Bernd Therre hat als kommissarisch agierender kaufmännischer Stiftungsvorstand die Causa Vierter Pavillon geerbt. Davon, dass die Politik die Kosten bewusst kleingeredet hat, will er nicht sprechen, nur, nicht immer sei alles öffentlich beziffert worden, wie zum Beispiel die Baunebenkosten, die letztendlich aus dem Ruder gelaufen seien.

Therre: "In aller Regel, wenn man nach den Baukosten gefragt wird, nennt man aber nur die Kostengruppen 300 und 400, also das eigentliche Bauwerk und die technischen Anlagen."

Dass es auch anders geht, zeigt das gleiche Museum. 1962 geplant, wurden bis 1976 vom Saarbrücker Architekten Hanns Schönecker drei Museumspavillons nacheinander errichtet: ohne Skandalisierung, mit Wohlwollen einer Reihe von Sponsoren und im vorgegeben Kostenrahmen. Kathrin Elvers-Svamberg:

"Es war eine module Struktur, die war gewünscht, unter anderem auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer späteren Erweiterung des Gesamtkomplexes, deren Notwendigkeit man bereits früh erkannt hatte. Aber selbstverständlich war sehr willkommen, dass dies auch die Möglichkeit bot, abschnittweise vorzugehen und dementsprechend ohne Zeitdruck die Komplettrealisierung dann umzusetzen."

Auch seinerzeit sei um die Zuteilung von finanziellen Mitteln gerungen worden, allerdings nie unter Zeitdruck. Letztendlich, so die Museumschefin auf Zeit, habe die Vernunft gesiegt.

Svamberg: "Dass einfach die architektonische Struktur es ermöglichte, zu sagen, wir machen eins nach dem anderen und nehmen es phasenweise in Betrieb, das ist sicherlich ein Vorteil des Bestandsgebäudes."

Für dieses modulare Konzept, das auch die damals in Deutschland neue Idee eines eigenen Gebäudes für Wechselausstellungen umsetzte, erhielt der Architekt 1969 den Preis für vorbildlich ausgeführtes Bauen, verliehen vom Deutschen Architektenbund. Im Sommer, nach Jahren des ungeplanten Stillstandes, soll es auch mit dem 4. Pavillon endlich weiter gehen.

Beispiel: Erfolgreich in den Sand gesetzt
Vor Jahrzehnten war der Bau eines persönlichen Erholungsobjektes einfach, aber zeitaufwendig. Der Baugrund wurde antragsfrei durch eine möglichst große Familie in Besitz genommen. Man suchte sich jene Stelle am Strand der Ostsee aus, von der aus man feindliche Nachbarn im Auge behalten konnte, nutzte den an Ort und Stelle kostenfrei gehandelten Bausand und errichtete Wallburgen von mehreren Handtuchlängen Durchmesser und wenigstens einem Meter Mauerhöhe. Gelegentliche Güsse mit Meerwasser (Entnahmestelle geografisch günstig gelegen) festigten gegen Erdrutschgefahren.

Das Erholungsbauwerk wurde sodann mit besitzanzeigenden Inschriften aus Muscheln und Kieseln versehen:

"Strandburg Teutschenthal"
"Wir aus Hinternah" oder
"Hier erholen sich Herr Fischer und sine Fru"


Das einzige Problem damals war eine fast täglich nötige Sanierung. Nachts nutzten mehrgeschlechtliche Einbrecher die Burg sittenwidrig zu mehrgeschlechtlichen Aktionen, ganz ohne Genehmigung von Herrn Fischer und sine Frau.

Leider wurde der freie Burgenbau später völlig unterbunden. Es waren nur noch horizontale Strandmalereien erlaubt; Bauwerke lediglich in textiler, transportabler Form möglich. Holzstecken und Stoffplanen als kümmerlicher Ersatz einstiger Strandhochburgen.

Die Nachteile lagen klar im Sand. Eine flüchtige Immobilie, ständiger Auf- und Abbau war Pflicht. So konnte es passieren, dass das Stammterritorium unter und aus heiterem Himmel widerrechtlich besetzt wurde. Es gab langwierige Rechtsauslegungen in Karlsruhe.

Nun aber hat man erneut einen Weg gefunden, erfolgreich zu bauen. Bauen ohne Sünde. Bauen von oben. Man muss nur genug feuchten Sand in die Hand nehmen. Und diesen zielgenau fallen lassen. Schon entstehen, wahrlich unter der Hand, sogenannte Kleckerburgen. Der Kleckerburgenbau ist, vor allem was die Traufhöhe betrifft, völlig frei. Ein jeder Baumeister muss nur kleckern!

Kleckern, nicht Klotzen! Derart kann man alles, was man will, erfolgreich in den Sand setzen.
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