Wo die Persönlichkeit zu finden ist

Von Stephanie von Oppen |
Der Solar Plexus gilt in der indischen Heilkunst als Energiezentrum des Körpers: Dort finde sich der Sitz der Persönlichkeit, heißt es. Die Choreografin Maya Levy macht den Begriff des Solar Plexus zum Thema ihrer neuen Tanztheaters, mit Erfolg: Die 29-jährige Israelin gilt mittlerweile weltweit als hoffnungsvolle Nachwuchskünstlerin.
Vier Gestalten auf der Bühne treten ins Scheinwerferlicht. Sofort ins Auge fällt die Körpergröße der beiden Frauen: Die eine ist ungewöhnlich hoch gewachsen, die andere extrem klein. Drei der Tänzer bilden eine Art sich fortbewegender Brücke, während die kleine Balletteuse auf ihnen entlang schreitet.

"”Solar Plexus ist eine Geschichte über die Schwierigkeiten des Menschseins, über die Unterschiedlichkeit von Menschen. Ich habe bewusst Tänzer ausgewählt, die sich äußerlich stark voneinander unterscheiden. Das sollte gleich ins Auge fallen und dann habe ich diese unterschiedlichen Menschen miteinander umgehen lassen.""

Die 29-jährige Maya Levy hat sich die tiefschwarzen Haare locker hochgesteckt. Auch wenn sie eine lose sitzende, abgetragene Jeans und einen schwarzen Rolli trägt, lässt sich an ihren eleganten Bewegungen der spannungsvolle, durchtrainierte Körper einer Balletttänzerin erkennen.

"Wie jedes niedliche Mädchen wurde ich von meinen Eltern zum Ballett geschickt als ich klein war, aber den ersten ernsthaften Schritt meiner Karriere machte ich als ich an ein künstlerisches Gymnasium wechselte. Damals wurde mir bald klar, dass der Tanz eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen würde und nicht mehr nur ein Hobby für mich war."

Nach der Schule hätte die Tochter einer Gymnastiklehrerin und eines Kunsttischlers ihre Ballett-Karriere direkt fortzusetzen können, ohne den in Israel obligatorischen Militärdienst abzuleisten. Sie entschied sich jedoch für die Armee.

"Ich hatte das Gefühl, dass ich eine Pause brauchte, dass ich mit dem Tanzen aufhören musste, um dann noch einmal ganz neu entscheiden zu können. Also arbeitete ich während der zwei Jahre Armeedienst als Wanderführerin in der Wüste. Als ich damit fertig war, wusste ich, dass ich zum Tanz zurückkehren wollte."

Sie besuchte die "School of Visual Arts" in Jerusalem, eine weltweit ziemlich ungewöhnliche Einrichtung: Die Studenten erlernen dort eine ganze Bandbreite von künstlerischen Fähigkeiten: von Tanz, Schauspiel, Gesang und Malerei bis hin zu Fotografie, Videokunst, Bühnenbild und Kostümschneiderei. Für Maya Levy war längst klar, sie wollte nicht nur Tänzerin sein.

"Eigentlich wollte ich schon ziemlich früh Choreografin werden, denn am meisten reizt es mich, ein Stück zu entwickeln, zu komponieren, zu bearbeiten und nicht so sehr, selber zu tanzen."

Inzwischen unterrichtet Maya Levy, deren einzige Schwester als Malerin in New York lebt, selbst an der School of Visual Arts. Vor allem aber ist sie Choreografin.

Sie arbeitet nicht in Tel Aviv, wo es die meisten israelischen Künstler hinzieht. Sie habe sich, gerade weil es eine so schwierige, zerrissene Stadt sei, bewusst für Jerusalem entschieden.

Dort gibt es ein altes Industriegelände, das vor einigen Jahren von einem Investor aufgekauft wurde und nun Cafés, Ateliers, Ausstellungsräume sowie eine Bühne für freie Künstler beherbergt. In diesem sogenannten "Laboratory" studierte sie mit den Tänzern ihr Stück Solar Plexus ein.

Solar Plexus ist die Bezeichnung für den Nervenknoten oberhalb des Bauchnabels, der in der indischen Heilkunst als ein Chakra oder Energiezentrum des menschlichen Körpers gilt. Dem Solar-Plexus-Chakra wird der Sitz der Persönlichkeit zugeschrieben. Das hat Maya Levy zu ihrem Stück inspiriert, das mit körperlichen Gegensätzen spielt. Besonders fasziniert hat sie die Zusammenarbeit mit der extrem kleinen Tänzerin. Sie ist der Spielball der anderen Tänzer.

"Sie lassen sie springen, fliegen, verbiegen sie und sie war einfach beeindruckend. Es war ja am Anfang gar nicht so leicht, mit ihr zu arbeiten, weil es auch irgendwie peinlich ist, und ich war mir zunächst nicht sicher, wie ich damit umgehen sollte. Man möchte ja niemanden verletzen. Aber dann war sie sehr unkompliziert und sie war tatsächlich bereit, fast alles auszuprobieren. Sie war wirklich mutig."

Dass der Tanz in ihrem Land so stark ist und sich international so großen Interesses erfreut, hat Maya Levys Vermutung nach auch mit der politischen Situation zu tun. Diese werde von ihr und vielen israelischen Künstlern eigentlich ungern thematisiert. Sie hätten es satt, sich mit den ewigen Konflikten auseinanderzusetzen. Der Tanz jedoch biete ganz andere Ausdrucksmöglichkeiten.

"Beim Tanz musst du bestimmte Dinge nicht laut aussprechen, du kannst abstrakt bleiben und immer noch sehr ausdrucksvoll sein. Außerdem ist die Situation hier so extrem, dass uns nichts extrem erscheint. Ich glaube, wir fürchten uns nicht vor hartem Stoff, und darin mag unsere Kraft liegen."