Wo die Nazis ihr "Reichserntedankfest" feierten

Streit um den NS-Gedenkort Bückeberg

Der Historiker Bernhard Gelderblom steht im Februar 2018 am Bückeberg bei Hameln.
Emmerthal, Niedersachsen: Der Historiker Bernhard Gelderblom steht im Februar 2018 am Bückeberg bei Hameln. © picture alliance/dpa/Foto: Ole Spata
Von Alexander Budde · 30.07.2018
Der Bückeberg in Niedersachsen ist in der Öffentlichkeit als Gedenkort für die NS-Diktatur wenig bekannt. Dabei pilgerten bis zu eine Million Menschen dorthin zum Erntedankfest und beteiligten sich am Führerkult. Eine geplante Gedenkstätte ist umstritten.
Grillen zirpen in der Sommerglut: Die AfD-Landtagsabgeordneten Christopher Emden, Harm Rykena und Stefan Wirtz besteigen im Pulk der Journalisten den Bückeberg, wollen sich erstmal selbst ein Bild machen. In Hufeisenform zieht sich die von Bäumen gesäumte Wiese 800 Meter hinauf bis zur Hügelkuppe. Auf halber Strecke zum Gipfel lässt Wirtz den Blick schweifen. "Unspektakulär", sagt er, sei der Bückeberg.
"Hier scheint nicht mehr viel zu wachsen, wenn, wird´s wohl noch von Schafen abgegrast. Man muss sich das schon von Anwohnern oder von Interessierten erklären lassen, was hier früher mal stattgefunden hat. Spuren in dem Sinne sind eigentlich nicht zu erkennen."
Zwischen 1933 und 1937 inszenierten die Nationalsozialisten auf dem Bückeberg ihre "Reichserntedankfeste". Hier, in der Naturkulisse, wollte NS-Chefpropagandist Goebbels die Begeisterung für das noch junge Regime und für die militärische Aufrüstung wecken. Und die Menschen lassen sich gern verführen: Bis zu eine Million Besucher von nah und fern beteiligten sich in der Hochphase der Feste am Führerkult.
"Wie weit müssten wir denn zum ersten freiliegenden Fundamentsockel jetzt gehen? Können wir den da gleich sehen?"
"Gehen Sie mal 20,30 Meter weiter!"

Erinnerungsstätte von nationaler Bedeutung

Auf dem Gipfel angekommen, zeigt der Historiker Bernhard Gelderblom auf die letzten Spuren der einstigen Nutzung – die Beton-Fundamente der Ehrentribüne, überwuchert von Büschen, angepflanzt von der Gemeinde Emmerthal. Gelderblom vergleicht den Bückeberg mit Erinnerungsstätten von nationaler Bedeutung – wie dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.
Laut Kreistagsbeschluss vom März soll dort ein Lernort für Schulklassen mit Wegenetz und Schautafeln entstehen: Kostenpunkt: rund 450.000 Euro, die sich der Landkreis, die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und weitere öffentliche Geldgeber teilen wollen. Den heftigen Widerstand etlicher Anwohner aus der Gemeinde Emmental kontert Gelderblom mit dem Hinweis auf größere Zusammenhänge: International möge Nachkriegsdeutschland gelobt werden, für seine Aufarbeitung der NS-Verbrechen – doch mit den Erfolgen der Rechtspopulisten in Bund und Land schlage das Pendel längst zurück:
"Ich habe wahrgenommen, dass es zunächst überhaupt gar keine Widerstände gab", sagt Gelderblom. "Aber nach den, die AfD-Anhänger ermutigenden Landtagswahlergebnissen, ist hier regelrecht eine Kampagne losgebrochen worden. Und dahinter steht dieses Schlussstrich-Argument: Wir sind es satt, wir haben zu viel, wir werden mit Schuld übergossen!"
Tino Schriegel spricht für die Bürgerinitiative mit angeblich 2.000 Unterstützern eines Bürgerbegehrens, das sich nicht nur an den Kosten, sondern auch an der gewählten Form stört – sie sei wahlweise "pompös", "kaum durchdacht" oder "nicht zeitgemäß".


"Problematisch ist ja gar nicht die Erstellung dieses Projekts. Da gibt es Fördergelder, alles in Ordnung, die Planung liegt ja auch soweit vor. Was mein großes Problem ist, sind die Folgekosten!"
Toiletten, Ladesäule für E-Bikes, barrierefreier Zugang für Rollstuhlfahrer: Erst wenige Tage alt ist die Information, dass die Bundesregierung das Projekt mit 725.000 Euro unterstützt, um die Infrastruktur des Gedenkortes zu verbessern. Für die AfD-Vertreterin im Samtgemeinderat, Cornelia Klages, wirft die unverhoffte Botschaft aus Berlin allerdings mehr Fragen auf als sie Antworten gibt:
"Ich finde, dass das wirklich fies ist! Dass man versucht, den Emmerthaler Bürgern hier die Bürgerbefragung abzukaufen. Demokratie nach meinem Verständnis ist weder für 725.000 Euro noch für jeden anderen Betrag zu haben!"
"Reichserntedankfest" auf dem Bückeberg
"Reichserntedankfest" auf dem Bückeberg © picture alliance/dpa/arkivi

Die AfD möchte eine Gedenktafel

Diskussion im Gemeindehaus: In der von den AfD-Landtagsabgeordneten moderierten Veranstaltung im Anschluss an die Ortsbegehung stellt Klages allerhand kuriose Vergleiche an. Die Pläne für den Bückeberg erinnern die AfD-Ratsfrau an eine Zwangsneurose:
"Jemand, der an Waschzwang leidet, weil er sich vermeintlich beschmutzt oder schmutzig fühlt, der wird dieses Gefühl nicht los, wenn er sich ständig die Hände wäscht. Das einzige, was passiert: Er zerstört die Haut, die seinen Körper stützt. Und genau das sehe ich hier, in einem Immer-mehr und Immer-Weiter und Immer-Größer!"
Auch der AfD-Landtagsabgeordnete Wirtz meint, am Bückeberg "verselbständige sich die Erinnerungskultur", die Projektbefürworter – allen voran Landrat Tjark Bartels (SPD) hätten sich über die sachlichen Einwände der Emmerthaler stets hinweggesetzt. Die AfD werde allenfalls zwei bescheidene Gedenktafeln akzeptieren. Sie poche weiterhin auf eine Bürgerbefragung in der Region. Die hat der Kreistag zugesagt, aber noch keinen Termin dafür angesetzt.
Unterdessen sieht sich Gelderblom bei seinem Auftritt in der Bürgerversammlung des Ortes mit weiteren Vorhaltungen konfrontiert. Der Bückeberg könnte zum Schauplatz eines Gedenktourismus für Ewiggestrige werden, meint einer. Dafür sei Geld da, für die Instandhaltung der Schulen hingegen nicht, schimpft eine andere. Der Historiker dagegen sagt, der Berg müsse für die Nachgeborenen lesbar sein:
"Was ist eigentlich so schlimm und so schwierig daran, sich mit dem Bückeberg zu beschäftigen? Das ist nun mal ein Erbe, was Emmerthal empfangen hat. Aber ich sage auch, am Bückeberg sind keine Verbrechen passiert. Sie müssen sich für den Bückeberg nicht schämen!"
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