Wo die Freiheit aufhört
Von Christian Gampert · 17.07.2010
Eine Zensur findet nicht statt - oder etwa doch? Zwar hält sich der Staat inzwischen mit Verboten zurück, aber auf informellen Wegen wird die Kunstfreiheit noch immer beschnitten - und sei es nur durch die Schere im eigenen Kopf. In Marbach haben Experten zum Thema getagt.
Die Marbacher Tagung versuchte nun, zunächst einmal eine Geschichte der Zensur in Deutschland zu schreiben. Die germanistischen Referenten spannten einen Bogen vom so genannten "Realisten-Prozess" noch im Kaiserreich 1890 (als die der Unsittlichkeit geziehenen Schriftsteller sich mit dem Argument verteidigten, ihre Werke hätten keinerlei Wirkung!) über Alfred Döblin, der absolute Kunstfreiheit als Zeichen der Impotenz von Kunst wertete, hin zum provinziellen Nachkriegs-Adenauer-Deutschland, als die Wut der christlichen Leser (oder auch Nicht-Leser) sich vor allem gegen den angeblich pornographischen Günter Grass richtete - bis zum Verbotsantrag gegen "Katz und Maus".
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs tritt allerdings fast nie der Staat als Zensor in Aktion, sondern Privatiers klagen gegen Autoren, von denen sie ihr moralisches Empfinden beleidigt sehen oder sie sich selbst unvorteilhaft dargestellt fühlen. Auch das "Esra"-Verbot wurde ja von zwei Privatpersonen erwirkt. Juristisch gesehen kollidieren hier Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit, und die Gerichte tun sich schwer, Gradmesser der Persönlichkeitsverletzung zu installieren, sagt der Jurist und Literaturwissenschaftler Christian Eichner.
"Deshalb geht es ja insbesondere um die Frage der Erkennbarkeit, die jetzt vom Bundesverfassungsgericht als eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen definiert worden ist - was natürlich sehr schwer zu fassen ist…"
Der Marbacher Komparatist York-Gothart Mix sieht aber in den Gerichtsprozessen - noch in den 60iger Jahren wurde der Mephisto-Roman von Klaus Mann verboten - eher das kleinere Problem.
"Es geht uns bei dieser Tagung auch darum, den traditionellen Zensurbegriff zu hinterfragen und uns mit dem Problem zu beschäftigen, ob wir Zensur immer nur als staatliches Handeln begreifen dürfen, oder ob es nicht auch Bereiche sogenannter informeller Zensur gibt, die äußerst wirksam sind…"
Informelle Zensur: Das ist im Grunde alles, was im Vorfeld der Gerichtsbarkeit stattfindet, von den Mechanismen des Literaturmarkts bis zur Schere im Kopf des Autors. Heiner Müller hielt jeden Rezensenten für einen Zensor. So weit wollte man in Marbach natürlich nicht gehen. Der Germanist Markus Joch demonstrierte stattdessen am Beispiel des Schriftstellers Jurek Becker, wie listig man sogar mit der autoritären DDR-Zensur umspringen konnte.
"1977 gibt er im Interview mit dem 'Spiegel' zu verstehen, dass er dieses Interview viel lieber mit dem 'Neuen Deutschland‘ führen würde. Das bedeutet, dass er den Realsozialisten vorführt, dass sie eigentlich keinen Öffentlichkeitsbegriff haben, aber dass sie ihn haben müssten…"
Jurek Becker war allerdings auch im Westen, als Autor der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg", völlig unempfänglich für subtil zensierende Redakteurs-Eingriffe.
Markus Joch: "Es gab eine Szene in 'Liebling Kreuzberg', wo Liebling selbst einen jungen Kollegen bittet, sich eine neue Anwaltsrobe zuzulegen. Liebling entdeckt, dass der Vater dieses jungen Kollegen bereits Anwalt war, und fragt den Jüngeren: Warum nehmen Sie nicht einfach die Robe des Vaters? Und der Junge muss leider antworten: Darauf sind leider noch die Spuren des Hakenkreuzes zu sehen. Und das war eine Passage, die man dann wie selbstverständlich herausgestrichen hat. Und gegen die Streichung hat Becker protestiert…"
…aber keinen Erfolg gehabt. Später verbat er sich solche Belehrungen - und konnte sich das leisten, weil "Liebling Kreuzberg" gute Einschaltquoten hatte.
Die Ausgrenzung der DDR-Malerei aus dem deutschen Museumsbetrieb nach der Wiedervereinigung: Ist das Zensur? Die Absetzung des Fassbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985 in Frankfurt: ein Fall von Zensur oder nicht doch eher der Beginn eines Dialogs zwischen Deutschen und deutschen Juden? Solche Fragen wurden in Marbach debattiert. Und man war weit davon entfernt, die Autoren nur zu Opfern juristischer Willkür zu machen. Die Germanistin Friederike Reents zeigte am Schluss, dass Autoren oft sehr bewusst an der Grenze zur Strafbarkeit entlangschreiben, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen - zum Beispiel Maxim Biller.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs tritt allerdings fast nie der Staat als Zensor in Aktion, sondern Privatiers klagen gegen Autoren, von denen sie ihr moralisches Empfinden beleidigt sehen oder sie sich selbst unvorteilhaft dargestellt fühlen. Auch das "Esra"-Verbot wurde ja von zwei Privatpersonen erwirkt. Juristisch gesehen kollidieren hier Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit, und die Gerichte tun sich schwer, Gradmesser der Persönlichkeitsverletzung zu installieren, sagt der Jurist und Literaturwissenschaftler Christian Eichner.
"Deshalb geht es ja insbesondere um die Frage der Erkennbarkeit, die jetzt vom Bundesverfassungsgericht als eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen definiert worden ist - was natürlich sehr schwer zu fassen ist…"
Der Marbacher Komparatist York-Gothart Mix sieht aber in den Gerichtsprozessen - noch in den 60iger Jahren wurde der Mephisto-Roman von Klaus Mann verboten - eher das kleinere Problem.
"Es geht uns bei dieser Tagung auch darum, den traditionellen Zensurbegriff zu hinterfragen und uns mit dem Problem zu beschäftigen, ob wir Zensur immer nur als staatliches Handeln begreifen dürfen, oder ob es nicht auch Bereiche sogenannter informeller Zensur gibt, die äußerst wirksam sind…"
Informelle Zensur: Das ist im Grunde alles, was im Vorfeld der Gerichtsbarkeit stattfindet, von den Mechanismen des Literaturmarkts bis zur Schere im Kopf des Autors. Heiner Müller hielt jeden Rezensenten für einen Zensor. So weit wollte man in Marbach natürlich nicht gehen. Der Germanist Markus Joch demonstrierte stattdessen am Beispiel des Schriftstellers Jurek Becker, wie listig man sogar mit der autoritären DDR-Zensur umspringen konnte.
"1977 gibt er im Interview mit dem 'Spiegel' zu verstehen, dass er dieses Interview viel lieber mit dem 'Neuen Deutschland‘ führen würde. Das bedeutet, dass er den Realsozialisten vorführt, dass sie eigentlich keinen Öffentlichkeitsbegriff haben, aber dass sie ihn haben müssten…"
Jurek Becker war allerdings auch im Westen, als Autor der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg", völlig unempfänglich für subtil zensierende Redakteurs-Eingriffe.
Markus Joch: "Es gab eine Szene in 'Liebling Kreuzberg', wo Liebling selbst einen jungen Kollegen bittet, sich eine neue Anwaltsrobe zuzulegen. Liebling entdeckt, dass der Vater dieses jungen Kollegen bereits Anwalt war, und fragt den Jüngeren: Warum nehmen Sie nicht einfach die Robe des Vaters? Und der Junge muss leider antworten: Darauf sind leider noch die Spuren des Hakenkreuzes zu sehen. Und das war eine Passage, die man dann wie selbstverständlich herausgestrichen hat. Und gegen die Streichung hat Becker protestiert…"
…aber keinen Erfolg gehabt. Später verbat er sich solche Belehrungen - und konnte sich das leisten, weil "Liebling Kreuzberg" gute Einschaltquoten hatte.
Die Ausgrenzung der DDR-Malerei aus dem deutschen Museumsbetrieb nach der Wiedervereinigung: Ist das Zensur? Die Absetzung des Fassbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985 in Frankfurt: ein Fall von Zensur oder nicht doch eher der Beginn eines Dialogs zwischen Deutschen und deutschen Juden? Solche Fragen wurden in Marbach debattiert. Und man war weit davon entfernt, die Autoren nur zu Opfern juristischer Willkür zu machen. Die Germanistin Friederike Reents zeigte am Schluss, dass Autoren oft sehr bewusst an der Grenze zur Strafbarkeit entlangschreiben, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen - zum Beispiel Maxim Biller.