Wo der Schuh drückt

Von Andreas Meyer-Feist |
Glanzvoll will Ungarn den EU-Vorsitz präsentieren. Zu Sitzungen und Konferenzen wird ins Prunkschloss Gödöllö eingeladen. Dabei haben Pracht und Glanz im vergangenen Jahr mehr als nur einen Kratzer bekommen, zuletzt durch ein Mediengesetz, das kritische Journalisten mundtot machen könnte.
Die Taxifahrer in Budapest - seit jeher gute Stimmungsbarometer, wenn es um die politische und wirtschaftliche Lage geht. Sie gehören nicht zu den Großverdienern im Land - die meisten haben noch weniger in der Tasche als die Durchschnittsungarn, die sich mit Monatseinkommen von etwa 700 Euro begnügen müssen - brutto. Wenig Geld, dafür viel Schulden. Die Ungarn sind bekannt dafür, gerne auf Pump zu leben. es ist ganz normal, einen Kredit von 15.000 Euro abzustottern - in Euro natürlich und nicht in der schwachen Landeswährung Forint. Das Leben in Ungarn ist teuer. Und gut leben eine Herausforderung. Daran hat auch die rechtskonservative Regierung von Victor Orban bis jetzt wenig geändert. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr hat sie immerhin eine komfortable Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht.

"Meiner Meinung nach ist niemand wirklich zufrieden mit dieser Regierung. Die hat bisher alles in den Sand gefahren und alles schlecht gemacht."

Geht es nach Victor Orban, dann sollte sich dieser Taxifahrer freuen. Über die neue Steuerreform. Nur 16 Prozent Steuern sollen die Ungarn zahlen. Egal wie viel sie verdienen. Nur. davon profitieren vor allem die Reichen. Die Armen, befürchtet der Budapester Taxifahrer, zahlen am Ende drauf.

"Das ist doch wirklich ein Schnellschuss, diese Flat-Tax. Alles mit heißer Nadel gestrickt wie überhaupt alle Gesetze der Regierung Orban, die tun und lassen kann was sie will mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament. Wenn jetzt die Steuern gesenkt werden auf pauschal 16 Prozent, dann fehlen dem Staat Milliarden Einnahmen an Steuern."

Ungarn im Winter: Geschimpft wird im Stillen. Kaum jemand, der auf die Straße geht - keine Proteste wie gegen die sozialistische Vorgängerregierung, die mit einem harten Sparkurs die Menschen gegen sich aufgebracht hat.

"Es ist Ruhe im Land, der Grund dafür ist einfach: Weil die Gegner der Regierung Orban nicht so lautstark sind wie die Anhänger der regierunden Fidesz-Partei."

Nicht nur die niedrigen Einkommen macht die Ungarn unzufrieden. Viele fühlen sich auch verunsichert durch gesetzliche Änderungen der Altersversorgung.

Auch der Taxifahrer bekam zu Weihnachten Post, über die er sich ärgerte. Absender: Victor Orban. In einem ausführlichen Schreiben begründet der Premier, warum Ungarn sein Rentensystem umbaut. Zu Lasten der Arbeitnehmer, befürchten Kritiker. Bisher bestand das Rentensystem aus zwei verpflichtenden Säulen. Die staatliche Pflichtversicherung und eine private Zusatzpflichtversicherung. Die private Säule des Versicherungssystems wurde jetzt verstaatlicht. Zwar können die Ungarn weiter ihre Privatrentenversicherung behalten - sie verlieren aber dann jeden Anspruch auf eine staatliche Rente. Für den ungarischen Staat bedeutet das: er hat Zugriff auf alle an- gesparten Rentenmilliarden der Privaten Rentenkassen. Und kann damit den Staatshaushalt stabilisieren. Mit dem Ziel, das enorme Haushaltsdefizit auf unter drei Prozent zu drücken - so wie es die EU-Stabilitätskriterien vorschreiben.

"Das alte Rentensystem hat die Schulden des Staates nur noch erhöht, sagt Ungarns Premier Orban, weil die Versicherungen allein die Renten nicht auszahlen können. Wir mussten uns verschulden für die Rentnergeneration. und das macht das leben für uns alle nahezu unerträglich."

Rentenklau und Rentendiebstahl - tönt die Opposition. Doch Orban sieht das anders.

"Wenn die Privatrenten wieder zu Staatsrenten werden, dann wird niemand Verluste erleiden, verspricht der Premier. Und wer einen Überschuss bei seiner Privatrente erwirtschaftet hat - das sind nur sehr wenige - der kann sich diese Summe steuerfrei auszahlen lassen, vorausgesetzt, er kehrt in die staatliche Rentenkasse zurück."

Die sozialistische Opposition in Ungarn wirft Orban vor, durch den schnellen Zugriff auf angesparte Rentenvermögen nur neue Spielräume für die Wirtschaftspolitik zu schaffen - und für Steuersenkungen für Unternehmen und Gutverdiener.

Immerhin: Ungarns Regierung will dadurch die Schuldenlast in den Griff bekommen. Und macht die sozialistische Vorgängerregierung für die Misere verantwortlich. Die wurde im April abgewählt. In der Amtszeit der Sozialsten war Ungarn wirtschaftlich zurückgefallen. Die Beschäftigungsrate stürzte auf den EU-Tiefstand von nur 55 Prozent. Die Landeswährung Forint wurde schwach. 2008 konnte Ungarn nur durch einen Kredit des internationalen Währungsfonds vor der Pleite gerettet werden. Jetzt sei man wieder auf einem guten, wenn auch schmerzhaften weg nach oben, sagt Außenstaatssekretärin Enikö Györi. Auch die Defizitvorgaben der EU würden schon bald wieder eingehalten. Erwartet wird auch ein respektables Wirtschaftswachstum von 3 Prozent im Jahr 2011.

Viele Sparmaßnahmen und andere Zumutungen für die Bürger sind eben notwendig um EU-Vorgaben zu erfüllen. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen glauben, dass alles sei nur für Brüssel notwendig. Es ist aber vor allem für unsere Stabilität wichtig. Das alles hat aber auch dazu geführt, dass die EU in Ungarn heute nicht sehr beliebt ist.

Ungarn ist unter internationaler Beobachtung - nicht erst, seit klar ist, dass das Land die EU-Ratpräsidentschaft übernimmt. Victor Orban krempelt das Land um - mit einer großen Parlamentsmehrheit im Rücken. Die im April aus dem Amt gejagten und in Korruptionsaffären verstrickten Sozialisten sind weitgehend verstummt.
Durchregieren ist angesagt - in allen gesellschaftlichen Bereichen. Orban setzte eine Reform der Mediengesetze und eine neue Medienverfassung durch, - mit umfangreichen Sanktionen für eine unausgewogene Berichterstattung. Die Aufsichtsgremien besetzte Orban mit Parteigängern. Bei Verstößen gegen die Ausgewogenheit drohen hohe Geldstrafen - bis zu 90.000 Euro für Zeitungen - für viele Verlage existenzgefährend. Journalisten befürchten eine stärkere politische Kontrolle der Medien durch die Regierung - und gehen auf die Straße.

"Ich meine, jenes Land hat ein Problem, wenn seine Pressefreiheit gefährdet ist, kritisiert der Fernsehjournalist Andras Käepes. In einer bürgerlichen Demokratie ist ja die Pressefreiheit ein Grundpfeiler. Und die muss gehütet werden."

Das Gesetz wurde ohne große Anhörungen im Schnelldurchlauf verabschiedet. Es zwinge die presse zur Selbstzensur, wenn darauf gedrängt wird, etwa nicht mehr so viele schlechte Nachrichten zu bringen, warnt Andras Käpes.

"Ein Mediengesetz braucht einen gesellschaftlichen Konsens. Ich möchte dass, die Menschen auch weiterhin unabhängig und authentisch informiert werden können."

Ob das neue Mediengesetz Probleme verursacht, müssen die nächsten Monate zeigen. Und auch, ob das Kalkül der Regierung Orban aufgeht. Wirtschaftlich wieder nach oben zu kommen. Hier jedenfalls sind die Voraussetzungen nicht schlecht. Krisensteuern und der griff in die private >Rentenkassen bescheren neue Einnahmen - und politische Störungen von der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik, mit 17 Prozent im Parlament vertreten - sind nicht mehr zu erwarten. Die Führungsmannschaft hat sich hoffnungslos zerstritten. Die Rechtsaußenpartei ist kaum noch wahrnehmbar.