Wo der Kolonialgeist in der Luft hängt

01.08.2011
Der kolumbianischer Autor Juan Gabriel Vásquez erzählt die Geschichte vom Bau des Panamakanals - und vor diesem Hintergrund ein leises Vater-Sohn-Drama. Das Ergebnis ist ein Roman, aus dem man ungeheuer viel lernt, während man voller Abenteuerlust in einer vergangenen Welt versinkt.
Costaguana ist ein Land, das Joseph Conrad erfunden hat. Dort spielt im Wesentlichen sein Roman "Nostromo", der angeblich aus einer Geschichte hervorging, die er einst als Schiffsoffizier gehört hatte "..im Jahre 1875 oder 1876, als ganz junger Mensch, in Westindien oder vielmehr im Golf von Mexiko, denn meine Berührungen mit dem Lande waren kurz, selten und flüchtig". So schreibt Conrad in seinem Vorwort und erwähnt auch noch einen kolumbianischen Gesandten als Ideengeber.

Juan Gabriel Vásquez, ein kolumbianischer Autor, dessen erster Roman "Die Informanten" begeistert aufgenommen und auch ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt die Geschichte, die hinter Joseph Conrads Roman steht, von einer ganz anderen Seite.

Die Geschichte vom Bau des Panamakanals, von der Sezession Panamas von Kolumbien 1903 und damit vom Beginn des "Amerikanischen Jahrhunderts" mit der Kontrolle der USA über den gesamten südlichen Kontinent ist der Hintergrund eines leisen Vater-Sohn-Dramas (das übrigens ein wenig an das der "Informanten" erinnert): Der liberale Journalist Miguel Altamirano, ein Fortschrittsgläubiger von nahezu religiösem Eifer, wird durch die Wirren der kolumbianischen Bürgerkriege nach Colon in der Provinz Panama verschlagen und lässt sich – zunächst von dem Franzosen Ferdinand de Lesseps – zum Propagandisten des Kanalbaus machen. Während die Arbeiter, die Techniker und Verwaltungsbeamten samt Familien in dem ungesunden Klima sterben wie die Fliegen, während Wetter, Urwald und die Erde selbst zu unüberwindlichen Hindernissen werden, verfasst Altamirano glühende - und erlogene - Schilderungen vom Sieg des menschlichen Geistes über die Natur.

Sein Sohn José, ein Versager, der Mühe hat, seinen Platz in der Welt zu finden, schreibt aus seinem späteren Exil in Europa die ganze Geschichte auf – und ist dabei ständig bemüht, Joseph Conrad zu überflügeln, der ihm angeblich die ganze Geschichte gestohlen hat.

Wunderbar sind Vásquez' Charaktere, in ihrem Heldentum und ihrer Feigheit, ihrer Verblendung und ihrem Pragmatismus. Das Milieu der Hafenstadt Colón um die Jahrhundertwende - "..dort also, auf dem Isthmus Panamas, hing der Kolonialgeist in der Luft wie die Tuberkulose" - wird unter seinen Worten lebendig; und wie nebenbei bringt er die großen politischen Verläufe und Brüche der zeitgenössischen Ideengeschichte ohne jede Aufdringlichkeit in seinem üppigen Roman unter.

Es ist also ein Buch, aus dem man ungeheuer viel lernt – während man voller Abenteuerlust, wie ein lesendes Kind, in einer vergangenen Welt versinkt.

Besprochen von Katharina Döbler

Juan Gabriel Vásquez: Die geheime Geschichte Costaguanas
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Verlag Schöffling & Co, Frankfurt a.M. 2011
336 Seiten, 22,95 Euro