Wo bleibt Merkel?

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur |
Von der CSU-Politikerin Dorothee Bär stammt das folgende zauberhafte Bild über die schwarz-gelbe Koalition: Ein Liebespaar nach den Flitterwochen, das vor der Aufgabe steht, aus zwei Haushalten einen zu machen. Zitat: Zwei Einbauküchen sind vorhanden und zwei Schrankwände sind vorhanden. Einmal Bauhaus und einmal Gelsenkirchener Barock. Das passt nicht zusammen und muss entrümpelt werden. Zitatende.
Ein schönes Bild, wie gesagt, nur mein Bild von der Koalition ist inzwischen ein ganz anderes. Die noch nicht einmal drei Monate alte Regierung aus CDU, CSU und FDP ähnelt eher einer ausgeleierten Wohngemeinschaft. Steinbach und Westerwelle streiten sich, wer den Müll runterbringt.

Seehofer klagt, dass Westerwelle immer an seinen Leberkäse rangeht, aber nie selber einkauft. Guttenberg geht eins A gestylt aus dem Haus, macht aber nicht das Waschbecken sauber. Schäuble lamentiert ständig, dass er mit dem Haushaltsgeld nicht hinkommt, weil Westerwelle und Seehofer immer nur Party machen. Und wo ist Angela Merkel, die Hauptmieterin?

Die schaut nur noch gelegentlich vorbei, weil sie es leid ist, dem Hausbesitzer immer erklären zu müssen, wann denn endlich mal die Mietrückstände beglichen werden. So. Und demnächst ist also WG-Plenum angesagt. Dann geloben immer alle Besserung, aber danach geht es weiter wie bisher.

Diese Regierung hat weder ein gemeinsames Ziel noch einen gemeinsamen Kurs. Sie hat einen Koalitionsvertrag, der nichts taugt, weil er zwar Ziel und Kurs vorgaukelt, in Wahrheit aber jede Lesart hergibt und allen Seiten alles mögliche verspricht.

Deshalb, weil nicht eine einzige wesentliche und weniger wesentliche Frage prinzipiell geklärt ist, wächst jedes Thema zum Zankapfel heran: Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, der Stiftungssitz der Frau Steinbach, Steuersenkungen in Zeiten der Höchstverschuldung, die Familienförderung und – der neue Dauerbrenner – EU-Mitgliedschaft der Türkei: ja oder nein. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie das demnächst mit richtig dicken Brettern gehen soll, wenn es um ein einfacheres Steuersystem und eine neue Gesundheitsreform geht.

Die einstige Wunschpaarung der Angela Merkel erinnert inzwischen in ganz fataler Weise an das zweite Kabinett von Gerhard Schröder. Das schlingerte auch erst einmal ganz heftig, bis der Kanzler – was seinem Naturell entsprach – ins Ruder griff und mit einem gewagten Manöver die Richtung änderte: Agenda 2010 hieß das neue Ziel, eine umfassende Reform der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Heute wissen wir, dass bei diesem Manöver ganz viel über Bord ging, weil es schlecht vorbereitet war.

In einer vergleichbaren Situation findet sich nun Angela Merkel. Sie hatte einmal eine Richtung – formuliert in den Beschlüssen des CDU-Parteitags von Leipzig. Nur nach der fast verlorenen Bundestagswahl von 2005 hat sie die aufgegeben. In der Großen Koalition wurde das nicht vermisst; da galten mildernde Umstände, zumal in Zeiten des akuten Krisenmanagements.

Von einer neuen Kursbestimmung der Kanzlerin wissen wir gerade mal, dass sie keine Politik der sozialen Kälte betreiben will. Das ist aber zum einen dürftig, zum anderen zeigt sich daran, dass es seit der Absage an die Beschlüsse von Leipzig einen nennenswerten Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen den einstigen Wunschpartnern gar nicht mehr gibt.

Angela Merkel wird sich nun bestimmt nicht zu einer Basta-Kanzlerin mausern; das würde ihr auch keiner abnehmen. Aber sie wäre auch schlecht beraten, wenn sie die Dinge weiter treiben ließe nach dem Motto: Mal sehen, was und wer sich am Ende durchsetzt, und das mache ich mir dann zueigen. Nein, die Kanzlerin wird nicht umhinkommen, ihre Richtlinienkompetenz auch einmal einzusetzen.

Sie wird nicht umhinkommen, den Koalitionsvertrag in Teilen durch eigene Auslegung zu korrigieren, zu präzisieren und vor allem eigene Prioritäten zu setzen, auch um den Preis, dass das ohnehin kaum vorhandene Einvernehmen mit den Juniorpartnern für eine Weile getrübt ist. Opposition ist Mist, lautet ein bekanntes Wort eines berühmten SPD-Politikers. Aber Opposition in der Regierung ist ganz großer Mist.