Wo bleibt die Umwelt?
Drei Ereignisse hätten die Welt in den letzten Wochen erschüttern müssen - doch nichts ist geschehen.
Mitte Oktober haben Wissenschaftler festgestellt, dass über der Antarktis das Ozonloch größer ist als bisher angenommen. Um so schneller schmilzt nun die Polkappe. Und wie berichteten die deutschen Fernsehnachrichten darüber? Sie meldeten das Ereignis unter "ferner liefen", irgendwo zwischen Lokalpossen und Neuigkeiten aus dem Showbusiness. Über die Gesundheitsreform bringen die Nachrichten einen Beitrag von mehreren Minuten, die nahende Klimakatastrophe war den Sendern drei Sätze wert.
Beispiel Nummer Zwei: Nicolas Stern, ein früher Chefökonom der Weltbank, hat im Auftrag der britischen Regierung ein Gutachten über die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels geschrieben. Sein Ergebnis: Wenn nicht sofort etwas gegen die Erderwärmung getan wird, droht eine ökonomischer Zusammenbruch von ungeahntem Ausmaß. Je länger wir warten, so Stern, desto teurer wird es. Und wie reagiert die deutsche Regierung auf dieses Gutachten? Sie streitet sich um Zuständigkeiten. Sigmar Gabriel fordert ein "grünes Industriekabinett", in dem sich ein kompetenter Kreis von Ministern versammeln soll. Angela Merkel pfeift ihren Umweltminister zurück. Man brauche keine neuen Institutionen. Damit mag sie ja Recht haben, aber warum streitet sich das Kabinett überhaupt über Organigramme und Geschäftsordnungsdetails, statt über die Sache. Was will Deutschland gegen den Klimawandel tun? Wie lautet Merkels Agenda für die anstehende EU-Ratspräsidentschaft? Darauf gab es keine Antwort aus Berlin.
Schließlich kam vor drei Wochen ein neuer Dokumentarfilm mit dem Titel "Eine unbequeme Wahrheit" in die Kinos. Al Gore hat ihn gedreht. Der frühere US-Vizepräsident zeigt, wie sehr wir den Planeten schon in eine Sauna verwandelt haben und was das für unsere Zukunft bedeutet. Das alles erklärt Gore auf lockere amerikanische Art, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern sehr unterhaltsam. Und wie reagiert das deutsche Publikum darauf? Mit mäßigem Interesse. Der Film landet auf Platz 15 der Kino-Charts. Zwanzig mal mehr Zuschauer in Deutschland haben sich für "Der Teufel trägt Prada" entschieden.
Gegen Meryl Streep kommt Al Gore nicht an. Nur wenige Menschen lassen sich durch ihn wachrütteln. Der Klimawandel scheint weit weg. Wir haben den goldenen Oktober genossen, den zweitwärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Ein Sonnenbad am See oder ein ausgelassener Nachmittag im Biergarten, das war bis vor einer Woche noch möglich. Bilder, wie es sie sonst nur im Sommer gibt. Das sonnige Vergnügen sei jedem gegönnt, doch dass dieser Wärmeschub vielleicht auch etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, kam nur wenigen in den Sinn. Allzu schön war es, im Cabriolet mit offenem Verdeck noch eine Extrarunde an einem knallig warmen Herbsttag zu drehen.
Wer etwas gegen den Klimawandel tun will, muss sich die anthropologische Frage nach der Trägheit des Menschen stellen. Der Homo Sapiens scheint so ‚sapiens’ nicht zu sein. Er reagiert zwar auf Veränderungen, aber, und da liegt der Haken, immer nur mit Verzögerung.
Wie können wir dem apathischen Menschen Beine machen? Der britische Umweltminister Miliband fordert höhere Steuern für Kiwis aus Neuseeland und Blumen aus Südafrika. Auch der Weihnachtsflug nach Thailand soll teurer werden. Doch besser als Strafen wirken Anreize. Wer mit den Mitteln der Ökonomie ökologische Politik betreibt, kann vielleicht sogar noch George Bush und Konsorten davon überzeugen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Bisher ist das nicht gelungen, und das obwohl das Kyoto-Protokoll mit dem Handel von Emissionsrechten marktwirtschaftliche Elemente enthält.
Diese können freilich immer nur ergänzend wirken. Trotz Kyoto-Protokoll ist die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre auf die Rekordmarke von 380 ppm, also Teile pro Million, gestiegen. Der Boom in Indien und China sowie die Scheuklappenpolitik der USA nehmen den Planeten weiter in den Schwitzkasten. Die Kongresswahlen werden auch auf diesem Gebiet einen wichtigen Stimmungstest liefern.
Und die Europäer? Sie gehen leider nicht immer mit gutem Beispiel voran. In Spanien lag der CO2-Ausstoß 2004 um 49 Prozent über dem Wert von 1990. In Deutschland engen die energiepolitischen Ideologien des vergangenen Jahrhunderts unser Denken ein. Die Atomkraft gilt weiter als Teufelswerk. Deshalb steigen wir aus der Atomenergie aus und in die Verbrennung fossiler Kraftstoffe kräftiger ein denn je. Die Erde wird sich bedanken. Die Atomkraftgegner fürchten sich vor einem GAU à la Tschernobyl, und übersehen dabei, dass der GAU schon da ist, nämlich in Form des Klimawandels. Der aber schafft es nur dann in die Schlagzeilen, wenn es schon zu spät ist.
Hartmut Kühne, Jg. 1965, Jura-Studium und Promotion über ein völkerrechtliches Thema, Grundsatzreferent in der Staatskanzlei Berlin. Seit 1999 Hauptstadtkorrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur".
Beispiel Nummer Zwei: Nicolas Stern, ein früher Chefökonom der Weltbank, hat im Auftrag der britischen Regierung ein Gutachten über die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels geschrieben. Sein Ergebnis: Wenn nicht sofort etwas gegen die Erderwärmung getan wird, droht eine ökonomischer Zusammenbruch von ungeahntem Ausmaß. Je länger wir warten, so Stern, desto teurer wird es. Und wie reagiert die deutsche Regierung auf dieses Gutachten? Sie streitet sich um Zuständigkeiten. Sigmar Gabriel fordert ein "grünes Industriekabinett", in dem sich ein kompetenter Kreis von Ministern versammeln soll. Angela Merkel pfeift ihren Umweltminister zurück. Man brauche keine neuen Institutionen. Damit mag sie ja Recht haben, aber warum streitet sich das Kabinett überhaupt über Organigramme und Geschäftsordnungsdetails, statt über die Sache. Was will Deutschland gegen den Klimawandel tun? Wie lautet Merkels Agenda für die anstehende EU-Ratspräsidentschaft? Darauf gab es keine Antwort aus Berlin.
Schließlich kam vor drei Wochen ein neuer Dokumentarfilm mit dem Titel "Eine unbequeme Wahrheit" in die Kinos. Al Gore hat ihn gedreht. Der frühere US-Vizepräsident zeigt, wie sehr wir den Planeten schon in eine Sauna verwandelt haben und was das für unsere Zukunft bedeutet. Das alles erklärt Gore auf lockere amerikanische Art, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern sehr unterhaltsam. Und wie reagiert das deutsche Publikum darauf? Mit mäßigem Interesse. Der Film landet auf Platz 15 der Kino-Charts. Zwanzig mal mehr Zuschauer in Deutschland haben sich für "Der Teufel trägt Prada" entschieden.
Gegen Meryl Streep kommt Al Gore nicht an. Nur wenige Menschen lassen sich durch ihn wachrütteln. Der Klimawandel scheint weit weg. Wir haben den goldenen Oktober genossen, den zweitwärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Ein Sonnenbad am See oder ein ausgelassener Nachmittag im Biergarten, das war bis vor einer Woche noch möglich. Bilder, wie es sie sonst nur im Sommer gibt. Das sonnige Vergnügen sei jedem gegönnt, doch dass dieser Wärmeschub vielleicht auch etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, kam nur wenigen in den Sinn. Allzu schön war es, im Cabriolet mit offenem Verdeck noch eine Extrarunde an einem knallig warmen Herbsttag zu drehen.
Wer etwas gegen den Klimawandel tun will, muss sich die anthropologische Frage nach der Trägheit des Menschen stellen. Der Homo Sapiens scheint so ‚sapiens’ nicht zu sein. Er reagiert zwar auf Veränderungen, aber, und da liegt der Haken, immer nur mit Verzögerung.
Wie können wir dem apathischen Menschen Beine machen? Der britische Umweltminister Miliband fordert höhere Steuern für Kiwis aus Neuseeland und Blumen aus Südafrika. Auch der Weihnachtsflug nach Thailand soll teurer werden. Doch besser als Strafen wirken Anreize. Wer mit den Mitteln der Ökonomie ökologische Politik betreibt, kann vielleicht sogar noch George Bush und Konsorten davon überzeugen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Bisher ist das nicht gelungen, und das obwohl das Kyoto-Protokoll mit dem Handel von Emissionsrechten marktwirtschaftliche Elemente enthält.
Diese können freilich immer nur ergänzend wirken. Trotz Kyoto-Protokoll ist die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre auf die Rekordmarke von 380 ppm, also Teile pro Million, gestiegen. Der Boom in Indien und China sowie die Scheuklappenpolitik der USA nehmen den Planeten weiter in den Schwitzkasten. Die Kongresswahlen werden auch auf diesem Gebiet einen wichtigen Stimmungstest liefern.
Und die Europäer? Sie gehen leider nicht immer mit gutem Beispiel voran. In Spanien lag der CO2-Ausstoß 2004 um 49 Prozent über dem Wert von 1990. In Deutschland engen die energiepolitischen Ideologien des vergangenen Jahrhunderts unser Denken ein. Die Atomkraft gilt weiter als Teufelswerk. Deshalb steigen wir aus der Atomenergie aus und in die Verbrennung fossiler Kraftstoffe kräftiger ein denn je. Die Erde wird sich bedanken. Die Atomkraftgegner fürchten sich vor einem GAU à la Tschernobyl, und übersehen dabei, dass der GAU schon da ist, nämlich in Form des Klimawandels. Der aber schafft es nur dann in die Schlagzeilen, wenn es schon zu spät ist.
Hartmut Kühne, Jg. 1965, Jura-Studium und Promotion über ein völkerrechtliches Thema, Grundsatzreferent in der Staatskanzlei Berlin. Seit 1999 Hauptstadtkorrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur".