Witze, die wehtun

Von Susanne Balthasar |
Mit Geschichten über Stulli, das Pausenbrot, oder Wonderbra Bernd unterwandern die Rattelschneck-Cartoons selbst die Flagschiffe der deutschen Publizistik. "Rattelschneck ist Gott" hat Walter Moers einmal gesagt. Gemeint hat er Marcus Weimer und Olav Westphalen, die beiden Zeichner der Rattelschneck-Cartoons.
Olav Westphalen: "Es geht darum, dass man in dieser Welt mitspielt, ohne die dümmeren Regeln mitmachen zu müssen."
Marcus Weimer: "Das Schöne ist daran, dass man damit Geld verdienen kann."

"Mein Name ist Marcus Weimer und mein Beruf ist (...) ja, weiß ich auch nicht. Zeichner. Leben tue ich davon, dass ich Witze zeichne."

"Mein Name ist Olav Westphalen und ich bin auch Zeichner. Ich mache Kunst und Comics. Zusammen haben wir uns vor 20 Jahren überlegt, dass wir zusammen zeichnen wollen und haben uns Rattelschneck genannt."

Wären die beiden ein Paar, würde man denken: Gegensätze ziehen sich an. Marcus Weimer hat ein markantes Kinn und sieht ein bisschen abweisend aus. An Olav Westphalen ist alles rund, offen, jungenhaft. Beide Jahrgang 1967. Vorlieben: gesund sein, lustig sein, Hefeweizen. Vorbilder: die Osterinsel-Figuren.

Westphalen: "Wenn du eine Frau wärest, würde ich dich heiraten."

"Rattelschneck" stellt die besten Witze in Deutschland her. Sagt Rattelschneck.

Westphalen: "Wenn man eine Zeitung aufschlägt und einen normalen Cartoon haben will, eine Karikatur, die einem sagt, welche Meinung der Karikaturist hat, wer böse und wer gut ist, dann findet man bei Rattelschneck natürlich nicht viel."

Rattelschneck-Karikaturen: Keine Schraffuren, keine Schatten, gar nichts. Nur dürre Linienplörre. Knollennasen, Hasenzähne, sackige Körper. Hässliche Menschen, deprimierende Leben, aber die Welt ist ja auch ein unbehauener Ort. Kunst darf das also auch sein. Caricatura Brute, heißt der Stil. Achtung, der Witz darf weh tun:

Westphalen: "Also auf diesem Bild sieht man einen Touristen, wahrscheinlich europäischer Herkunft auf einem Kamel in der Wüste, der sagt auf relativ rotzige Weise zu einem arabisch anmutenden Menschen, der vor einem Zelt auf dem Boden sitzt und auf einem harfenähnlichen Instrument Töne hervor bringt...:"

Weimer:"...Nichts gegen arabische Musik an sich, aber es gibt gute und schlechte arabische Musik."

Westphalen: "Wir haben beide mal für Thomas Gottschalk gearbeitet als Witzschreiber. Was mir aufgefallen ist, dass es nicht Witze waren, die die wollten, sondern die wollten launige, humorige Sprache, die allen das Gefühl gibt, dass sie zusammen gehören, sich verstehen und sich einig sind. Ein Witz ist ja oft ein relativ brutales rhetorisches Produkt, das Leute verunsichert oder Macht kritisiert oder den gegebenen Zustand verdreht. Und politisch korrekter Humor ist nie witzig auf fundamentale Art und Weise, sondern es geht nur darum, dass man sich bestätigt, dass man sich einig ist, und das hat uns nie interessiert."

Weimer:"Postkartenformat, alles schwarz, aber oben steht:..."

Westphalen: "...Der große Heinz Erhard-Abend bei Nacht...also schwarze Fläche"

"Und es geht eigentlich um ein Humorverständnis oder auch eine intellektuelle Leistung, die eigentlich den Witz aushebelt. Eine Form des Grotesken oder Absurden, die nicht einfach ist und schnell und konventionell. Wo es viel mehr darum geht, wie Leute Realität verstehen, wie sie Geschichten erzählt haben wollen und so, ständig gegen den Strich zu bürsten."

Das war schon immer so. Schon an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung. Acht Leute wollten damals zusammen zeichnen. Wie eine Band suchten sie nach einem Namen. Rattelschneck? - Rattelschneck!

Westphalen: "Es kam aus einem Cartoon, den glaube ich Markus gezeichnet hatte über ein deutsches Touristenehepaar, das eine Klapperschlage sieht und im Lexikon nachschaut und der Mann zeigt darauf und sagt Rattelschneck. Das heißt sozusagen die verdeutsche Form von rattlesnake."

Damals haben selbst die Satiriker bei Magazinen wie Titanic oder Kowalski über die verdrehten Cartoons gestaunt. Heute ist die Avantgarde Standard. Und jeden Samstag in der "Süddeutschen". In der "Zeit", der "Frankfurter Allgemeinen". Von den acht Gründungs-Zeichnern sind noch zwei übrig:

Westphalen: "Die meisten Leute, die ernsthaft Cartoons machen und irgendwann einen gewissen Erfolg haben, die fangen irgendwann an, regelmäßig Bücher raus zu hauen, Merchandising, Fernsehen. Und da haben wir immer, wenn sich das andeutete, abgewinkt. Also der Erfolg ist natürlich relativ. Zwei Leute könnten davon nicht leben."

Olav Westphalen ist nur im Nebenberuf Cartoonist. Außerdem ist er Performance-Künstler in New York und Kunstprofessor in Stockholm, hat eine Frau und zwei Kinder. Ich habe eine Freundin, sagt Marcus Weimer. Und er ist derjenige, der wirklich jeden Tag Witze in Kästchen steckt. Damit am Ende des Tages ein druckfähiger Cartoon auf seinem Schreibtisch liegt, läuft er tagsüber durch Berlin – auf der Suche nach Inspiration:

"Bisschen zeichnen, sich was überlegen, aber richtig gearbeitet habe ich im Zivildienst und bei Gottschalk, dass die Leute es verstehen, was man da macht. Normalerweise fahr ich Fahrrad. Im Sommer gehe ich immer ins Prinzenbad wie ein ganz normaler Mensch, ohne dass man groß auffällt."