With (no) direction home

Von Ole & Yana Schulz · 28.07.2010
Trampen wurde in den 60er-Jahren Ausdruck des lebenshungrigen Umherstreifens der Hippies. Auch wenn die Zahl der Anhalter durch Mitfahrzentralen und Billigflieger drastisch zurückgegangen ist, gibt es bis heute junge Leute, die auf andere angewiesen sind. Und wer per Anhalter fährt, der bekommt es mit Menschen zu tun, denen man sonst nie begegnet wäre.
"Eine Verkehrsmeldung für Tramper: In Richtung Süden herrscht augenblicklich entlang der Autobahn starker Andrang, mit Stauungen bis zu zehn Trampern und mehr an einer Auffahrt bzw. Raststätte ist zu rechnen. Wartezeiten zwischen einer und vier Stunden müssen in Kauf genommen werden."

"Der Daumen geht hoch, ein Auto fährt vorbei
Es ist fast ein Uhr Nachts, und hier stehe ich
trampend am Straßenrand
Zur Morgendämmerung will ich zu Hause sein

Ich habe kein Geld für ein Zugticket
und ersaufe fast im schweren Regen
Autostopp, per Anhalter fahren,
Bring mich nach Hause, an die Seite meines Mädchens"


"Hitchin a ride" - mit diesem Song lösten Vanity Fare Ende der 60er Jahre Begeisterung bei den Hippies der Westküste Amerikas aus: Langhaarige Typen mit Drei-Tage-Bart, die per Anhalter durch das Land reisen, nur der Liebe folgend, oder ganz ohne Ziel, ohne zeitliche Begrenzung. Losgelöst von jeglichem Druck, dem einen die bürgerliche Lebensart aufzwängt. Trampen war Ausdruck dieses lebenshungrigen Umherstreifens.

Spätestens seitdem Transportmittel mit vier Rädern keine privilegierte Fortbewegungsform mehr sind, sondern zur Massenware wurden, haben sich unzählige Menschen auf dieser Welt aufgemacht, um irgendwie von irgendwo nach irgendwohin mitgenommen zu werden.

Es ist fast 10.00 Uhr morgens, als ich in Nikolassee ankomme. Das Berliner ist sehr gut ausgebaut, so dass man per S-Bahn fast direkt bis zur ersten Autobahntankstelle fahren kann. Damit ist viel gewonnen, denn wie jeder Tramper weiß, ist das aufwendigste, erst einmal dort hinzukommen, wo man los trampen darf: Heutzutage meistens von Autobahnraststätten und Tankstellen aus.

Seitdem der ehemalige Grenzkontrollpunkt Dreilinden, das Westberliner Tramperparadies der 70er und 80er Jahre, 1990 stillgelegt wurde, trampt man aus Berlin nach Westen und Süden in der Regel von dieser Autobahn-Tankstelle los. Wo ich hin will? Nach Freiburg. Ich möchte dort den Vorsitzenden des ersten europaweiten Tramper-Vereins interviewen. Warum Menschen per Anhalter fahren? Dafür gibt es viele Gründe!


"Trampen" - ein Definitionsversuch: "Der Begriff kommt von `to tramp´. Das bedeutete im Englischen zunächst so viel wie wandern. Der `Tramp´ suchte meist keine feste Anstellung, sondern nur Gelegenheitsjobs. Im deutschen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff `Tramper´ zunehmend den per Autostopp Reisenden, den Anhalter. `Trampen´ ist also die kostenlose Mitreise in einem fremden Kraftfahrzeug, wahlweise auch in anderen Verkehrsmitteln. In den meisten Ländern spricht man hingegen in der Regel von `Autostopp´ anstatt von `Trampen´."

Solange es das Trampen gibt, solange wird auch schon vor seinen Gefahren gewarnt, gerade für alleinreisende Frauen. Die hätten dafür den Vorteil, hört man oft, dass sie nicht lange warten müssten. Doch laut Tramperin Siska ist die Legende von dem leicht bekleideten Mädchen, das sofort mitgenommen wird, eine Mär:

Siska: "Gerade in Deutschland habe ich es mal ausprobiert ganz gezielt, dass ich mich im Minirock an die Straße gestellt habe, weil alle Leute mir immer gesagt haben: Du bist ja ´ne Frau, du stellst dich im Minirock an die Straße, dann klappt das ja sowieso. Und ich bin noch nie so schlecht weggekommen."

Andere nehmen die manchmal sehr langen Wartezeiten am Straßenrand in Kauf, ohne sich darüber zu beschweren.

Karl Bär: "Es ist nicht so, dass ich trampe, weil ich das Zugfahren nicht mag. Aber Zugfahren ist eben sehr teuer. Also, wenn ich hier in Deutschland unterwegs bin, ist es vordergründig auch ein finanzieller Aspekt."

Karl Bär ist ein leidenschaftlicher Tramper. Was er als Erklärung anführt, war schon immer einer der Hauptgründe, der Menschen zum Mitfahren per Anhalter bewogen hat: Billig zu reisen. Doch heute, wo die natürlichen Ressourcen knapp werden und die Sensibilität für Umweltfragen gewachsen ist, gibt es auch ökologische Argumente für das Prinzip Autostopp.

Karl Bär: "Eigentlich mag ich ja keine Autos, aber dann ist das ja paradox, dass ich die ganze Zeit im Auto unterwegs bin, weil ich ja trampe. Aber ich denke, dass das einfach die beste Art und Weise ist die Autos auszunutzen, wenn möglichst viele Leute drinsitzen. (….) Ich mag das Wort eigentlich selber nicht so, Trampen im Deutschen. Ich sag auch eigentlich meistens per Anhalter fahren, Autostopp. Das Wort hat ja im Englischen einen ganz negativen Geschmack. Der Tramp das ist der Sandler, der Gammler… nicht unbedingt etwas sehr Positives. Ich hab´ irgendwie das Gefühl, dass dieses Wort im Englischen etwas sehr Negatives bezeichnet."

Bis heute sind Tramper vor allem junge Leute ohne eigene Transportmöglichkeit, die von einem Ort zum nächsten müssen, die auf andere angewiesen sind, weil es - zum Beispiel auf dem Lande - keine gute Verkehrsanbindung gibt. Aber dann gibt es auch noch jene, die freiwillig mit dem ausgestreckten Daumen am Straßenrand stehen und geduldig ausharren, um auf diese Weise tausende von Kilometern zu bewältigen.

Ihnen geht es nicht nur darum, möglichst kostengünstig von A nach B zu gelangen, sondern auch, um ein Gefühl von Freiheit. Diese Sehnsucht nach Ungebundenheit hat eine lange Tradition:

Wo sonst als in den unbegrenzten Weiten der USA entstand eine frühe Form des "Trampens”: das "Hoboing”. Das meint das Mitfahren auf Güterzügen als blinder Passagier. So schlugen sich Wanderarbeiter seit Ende des 19. Jahrhunderts von einem Bundesstaat zum nächsten durch. Es war Charlie Chaplin, der diesen "Tramp"-Charakter in seinen Stummfilmen verewigte.

Zum musikalischen Wegbegleiter der "Hobo"-Bewegung wurde schließlich der Sänger Woody Guthrie.

Woody war Sprössling einer armen Farmerfamilie aus Oklahoma. Als in den 30er Jahren die Wirtschaftskrise ausbrach und Dürrejahre einsetzten, gehörte Woody´s Familie zu den Hunderttausenden "Oakies", die sich auf den Weg nach Kalifornien aufmachten - zu Fuß, auf Pferdewagen, per Anhalter oder als "Hobos".

"Ich hab´ kein zuhause, ich bin nur ein herumziehender Strolch
Nichts weiter als ein Wanderarbeiter, ziehe ich von Stadt zu Stadt
Und die Polizei macht es einem schwer, wohin ich auch immer gehen mag
Ich hab´ kein zuhause mehr in dieser Welt."

Woody Guthrie´s "Dust Bowl"-Balladen, seine "Staubschüssel"-Lieder, handeln von Leben und Leid der von Dürre und Profitgier vertriebenen Farmer aus dem mittleren Westen, vom langen, entbehrungsreichen Weg ins gelobte Kalifornien, von der schweren Arbeit als Erntehelfer und Bauarbeiter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die wirtschaftliche Situation der USA wieder deutlich verbessert. Die, die es jetzt auf die Landstraßen Amerikas zog, trieb weniger wirtschaftliche Not wie ihre Vorgänger als vielmehr der Wunsch, die eigene Heimat näher kennen zu lernen.

"In Oakland trank ich ein Bier unter den Landstreichern einer Kneipe mit einem Wagenrad im Schild und war wieder auf der Straße. Ich wanderte durch ganz Oakland, um auf die Straße nach Fresno zu kommen. Zwei Anhalter brachten mich nach Bakersfield, sechshundert Kilometer südwärts."

"Unterwegs”, im Original: "On the Road", von Jack Kerouac. Das Kultbuch der "Beat-Generation" wurde 1957 veröffentlicht. Der Erzähler Sal Paradise begibt sich darin Anfang der 50er Jahre auf eine Reise durch die USA und Mexiko. Er trampt, springt auf Güterzüge auf, fährt mit Greyhound-Bussen, auf LKW-Pritschen oder mit gestohlenen Autos quer über den nordamerikanischen Kontinent und zurück, bis er am Ende in Mexiko landet.

"Der Erste, der mich mitnahm, war ein Verrückter, ein stämmiger blonder Junge in einem auf Rennwagen frisierten Vehikel. "Sehen Sie diese Zehe?" sagte er als er die Kiste auf hundertvierzig aufdrehte und jeden auf der Straße überholte. "Sehen Sie sich´s an." Sie war in einen Verband gehüllt. "Ich habe sie gerade amputieren lassen heute Morgen. Die Idioten wollten, dass ich im Spital bleibe. Ich habe meinen Koffer gepackt und bin weg. Was ist schon eine Zehe?" Oh weh, sagte ich mir, jetzt pass auf, und ich hielt mich fest. So einen verrückten Fahrer gibt’s nicht wieder."

Der nach oben gestreckte Daumen - das ist die wohl bekannteste Handbewegung für den Autostopp. Aber weltweit gibt es fast so viele Gesten, die den Wunsch nach einem Lift ausdrücken, wie Länder auf dieser Welt. Die langjährige Tramperin Siska:

Siska: "Also beim Trampen in Indien und Marokko ist mir aufgefallen, dass auch die ganz normale Bevölkerung sehr oft trampt. Also dass sehr viele Menschen am Straßenrand stehen und die Autos einfach runterwinken. Da trampt man nicht mit dem Daumen, sondern mit so `ner Handbewegung so ähhh, mach mal langsam…"

Ähnlich vielfältig wie die Tramper-Handzeichen sind die Gepflogenheiten in den jeweiligen Ländern, durch die man per Anhalter reist. Karl Bär über seine Erlebnisse beim Autostopp in der Türkei:

"Das war insofern ganz faszinierend, als dass das Problem in der Türkei nicht ist Leute zu finden, die einen mitnehmen, sondern die Leute wieder loszuwerden, die einen mitgenommen haben. Man muss dann mit jedem noch Tee trinken und noch mal Tee trinken. Ich hab das einmal ganz absichtlich einfach nicht gemacht, irgendwie zu versuchen, den wieder loszuwerden. Und das hat dann ungefähr fünf Stunden gedauert bis ich wieder unterwegs war aus dem Ort heraus, in dem wir waren, weil der hat mit Schafen gehandelt und kannte in dem Ort jeden Metzger und musste seinem deutschen Freund auch jeden Metzger in diesem Ort vorstellen."

Trotz aller Unterschiede: der Autostopp ist ein internationales Phänomen. Auch die Probleme und Schwierigkeiten beim Trampen überschneiden sich: zeitlich wie kulturell. In einer Radiosendung von 1971 heißt es:

O-Ton SWR 1971:
"Nehmen sie häufiger Tramper mit?" "Nein." "Warum nicht?" "Weil ich das nicht darf, von betrieblicher Seite her. Wenn was vorkommt, wer kommt dafür auf?" "Das ist bei den meisten Lastkraftwagenfahrern so?" "Das ist Vorschrift, das habe ich unterschrieben."
"Ich habe selber das Gefühl, den Eindruck, dass das Trampen in letzter Zeit schlechter geht wie früher." "Worauf führst Du das zurück?"
"Ich führe das auf die negative Propaganda zurück und dann ist es das versicherungstechnische Problem einfach."

"Früher war alles besser". Das war schon immer so. Stimmt das aber auch wirklich? So wurden in Deutschland im Jahr 2000 die Kraftfahrzeug-Versicherungsbestimmungen geändert: Alle Beifahrer sind seither automatisch durch die Kfz-Versicherung des Fahrers mitversichert. Man kann als Fahrzeughalter nun mitnehmen, wen man will.

Es ist 11:00 Uhr, als ich nach einer Stunde warten endlich jemanden gefunden habe, der mich bis Frankfurt mitnimmt: Robert, ein Rentner, 70 Jahre alt, seit 1958 Schwertransportfahrer. Wir haben fünf Stunden Fahrt vor uns und in diesen fünf Stunden werde ich alles über Robert erfahren: Was und wo er gearbeitet hat. Wen, wann und warum er geheiratet hat. Mit welchen Tricks er die erlaubten Maximal-Fahrzeiten überschreitet und welche Lottozahlen er heute gespielt hat …

Robert kennt die deutschen Autobahnen wie seine Westentasche. Er hat das Bedürfnis zu erzählen, und ich höre zu. Schließlich bin ich in sein rollendes Wohnzimmer, in seine Welt eingestiegen bin. Für einige Stunden werden wir auf engstem Raum zusammen sein und uns wahrscheinlich danach nie wieder sehen.


Trampen - eine soziologische Feldstudie. Wer per Anhalter fährt, der bekommt es mit Menschen zu tun, denen man vielleicht sonst nie begegnet wäre. Der Autostopp-"Profi" Karl Bär:

"Wenn ich tramp, dann hab ich auch Kontakt zu allen möglichen Leuten: Da kommt der eine, der fährt eigentlich nur Papier aus. Der beschäftigt sich mit nichts anderem als mit Autofahren. Der redet so krass Sächsisch, dass ich kein Wort, von dem, was er sagt, versteh. Und dann steig ich mit `nem anderen ein, der hat ein superteures Auto, der ist Manager inner Firma die international speziell angefertigte Postsortiermaschinen verkauft und kann mir wunderbar erklären, wie die Schwäche des Dollars gerade sich auf sein Unternehmen auswirkt. Ich lern´ ganz viel dabei, dadurch, dass ich mit so vielen unterschiedlichen Leuten unterwegs bin."

Robert lässt mich an einer Raststätte in der Nähe von Frankfurt raus. Ich brauche einen Espresso. Fünf Stunden Lebensgeschichte eines Schwertransportfahrers und dazu die eintönige Autobahn, die sich als langweilige Gerade durch die Lande zieht, haben mich müde gemacht. Jetzt sind es nur noch Zwei- bis Dreihundert Kilometer, und ich habe es geschafft.

An einen Poller, gleich gegenüber der Raststätte, lehnt ein Typ in einer Art Zimmermannskluft - Hose mit Schlag, Jackett, Weste und Hut mit Krempe. Ich frage mich, ob er wie ich auf ein Auto zur Weiterreise hofft. Er wäre der erste Tramper, den ich getroffen hätte. Und tatsächlich: Mark ist ein Steinmetz auf Wanderschaft. Handwerker auf der Walz, das sind auch "Tramper", sogar solche mit Tradition. Mark muss in die gleiche Richtung wie ich, und wir beschließen, es gemeinsam zu probieren. Nach wenigen Minuten werden wir angesprochen und sitzen kurz darauf in einem komfortablen Van Richtung Freiburg.

Mark ist seit anderthalb Jahren als Anhalter durch Deutschland unterwegs. Ohne Handy und Kreditkarte schlägt er sich durchs Land, die gut vernetzten Handwerkszünfte helfen ihm dabei. Die Handwerker-Tradition besagt, dass man in den drei Jahren des Reisens die Hälfte der Zeit Arbeiten und die andere Land und Leute kennen lernen soll. Nicht mehr als drei Monate darf Mark an einem Ort verweilen, dann muss er weiterziehen und bei einem anderen Meister nach Arbeit suchen. Auf der Wanderschaft verfeinert man sein Handwerkskunst, lernt aber auch mit eigenen Gefühlen umzugehen: Abschied nehmen, Vergänglichkeit zu akzeptieren, Heimat in seinem Innersten und nicht an einem Ort zu finden.


Eine eigene "Vagabundenkultur" hatte sich in Deutschland bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt: Abenteurer und Handwerksgesellen, Landstreicher und Künstler, die sich aus dem normalen Leben ausgeklinkt und das Reisen zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten. Meist ohne oder mit nur sehr wenig Geld und ohne festes Ziel vor Augen, verschlug es sie dorthin, wohin der Weg sie zufällig führte.

Der selbst ernannte "König der Vagabunden" war Gregor Gog. Er gab in den 20er Jahren die Zeitschrift "Der Kunde" heraus und verkündete:

"Generalstreik, ein Leben lang!"

1929 organisierte Gregor Gog ein großes Vagabundentreffen in Stuttgart. In jenen Jahren der Weltwirtschaftskrise war der Heer der umherziehenden "Kunden" auf mehrere Hunderttausend gestiegen. Doch Gog wollte die Vagabunden nicht auf Elend und Notlagen reduziert wissen.

"Wandertrieb ist Hungertrieb!
- Ja, Lebenshunger."

Im Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war der "Lebenshunger" der jungen Generation vielleicht noch größer: Es galt, dem Mief der Adenauer-Ära zu entkommen.

"Als langhaarige Gammler hatten wir begonnen, aus der Enge der Fünfziger Jahre auszubrechen. Die Straße wurde zum Inbegriff unserer Wut und unserer Hoffnungen."

So der Vagabunden-Experte Klaus Trappmann. Der Poet George Forestier verfasste derweil Hymnen auf die Welterkundung als Selbsterfahrungs-Trip:

"Vagabund, Zigeuner, Tramp
treib ich mit den Vogelschwärmen,
Güterzügen, Knochensammlern
von New York bis San Francisco
von St. Lorenz bis Habana…

Palmen, Säcke, Blechkanister
sind mein Bettzeug.
Aus den hohen Brückenbögen
fällt fas Lichtgezirp
der Sterne."



"… Ich schreibe mein Herz
in den Staub der Straße
vom Ural bis zur Sierra Nevada
von Yokohama zum Kilimandscharo
eine Harfe aus Telegraphendrähten.

Ich sage Gobi und ich sage Sahara
ich sage Eismeer und sage Hawaii.
Katarakte der Sehnsucht,
die nie verstummen.
Schweflige Blüte trockener Kakteen…"


"Am Abend trampten wir mit einem Fernlaster bis Osnabrück. Uns war ziemlich elend. Wir hatten seit drei Tagen nicht mehr geschlafen. Und waren 24 Stunden ohne Nahrung. Trotzdem waren wir halb wahnsinnig vor Freude. Der Mann hatte ein Radio eingebaut in seinem Schlitten und es gab eine Jazzsendung. Wir hörten Charlie Parkers `Night in Tunesia´, und Dizzy Gillespie und Charlie Parker zusammen in `Things to come´. Wir durften den Apparat so laut drehen, wie wir wollten. Das Führerhaus dröhnte von Dizzy Gabriels verbogener Trompete. `Wir leben´, schrie Harry, `das Leben kommt wieder unter meine Haut!´"

Hans-Christian Kirsch, Jahrgang 1934. 1961 erscheint seine `Zeitreportage´ "Mit Haut und Haar". Kirsch, später unter dem Pseudonym Frederik Hetmann als Jugendbuchautor bekannt, beschreibt darin seine "Lehrjahre": Kurz nachdem er die Schule verlassen hatte, lässt er sich als Tramper durch Europa treiben.

"Übernimm nie etwas als wahr und wirklich, ehe du dich davon aus eigener Erfahrung überzeugt hast. Tu, was dir Spaß macht und wenn es dir Spaß macht, tu es unbedingt. Sie dir alles an und versuche herauszufinden, wie es wirklich ist."

Es ist ungefähr 21 Uhr, als ich endlich Freiburger Boden unter den Füßen habe.
Ziel meiner Reise. Ich verabschiede mich vom wandernden Steinmetz Mark und mache mich auf den Weg zu Markus Bergmann, den Vorsitzenden des Trampervereins "abgefahren e.V.". Der 23-jährige Diplomingenieur für Energie- und Umwelttechnik lebt in einer Wagenburg in einem Bauwagen.


"Trampen wird’s immer geben, es wird immer existieren, es wird immer Menschen geben, die sich fortbewegen wollen, aber kein Mittel haben, um jetzt irgendwie Geld zu bezahlen, die trotz alledem vorwärts kommen wollen. Das wäre der erste Punkt. Es wird immer Leute geben, die das machen. Und das Aussterben, das stimmt schon, es schon weniger geworden. Andererseits habe ich es schon mal anders überlegt, es kann sein, dass man heute einfach schneller wegkommt. Zum Beispiel in Deutschland geht das ziemlich gut über das Tankstellennetz, also man sieht die Tramper auch gar nicht mehr so Stehen, weil man ist bestrebt, schnell auf eine Tankstelle zu kommen und dann einfach die Leute anzuquatschen und dann geht das schon relativ schnell, dass man innerhalb von ein paar Minuten schon wieder den nächsten Lift hat, um weiter zu kommen."

Bei der Verkehrswacht gibt es zwar keine offiziellen Statistiken über Tramper, aber man ist sich sicher: Wegen der Konkurrenz durch Mitfahrzentralen und Billigflieger sei die Zahl der Anhalter drastisch zurückgegangen. Für Markus Bergmann ist Autostopp trotzdem kein Relikt aus einer anderen Zeit:

"Ich bin überzeugt, dass das so ein Geben und Nehmen ist zwischen den Generationen, weil es eben so ist, dass die älteren Leute früher auch getrampt sind und das einfach wieder zurückgeben wollen, was sie früher mal genommen haben. Deswegen finde ich es z.B. wichtig, dass man beim Trampen kein Geld verlangt und wenn das jemand macht, dann lehne ich auch abrupt ab, weil ich das nicht gut finde, das muss ein Reisemittel bleiben, was umsonst ist, was für jeden ´ne mögliche Reiseform ist, damit diese Person oder du selbst dich damit verwirklichen kann, deinen Horizont erweitern kannst, durch die Reiseerfahrungen, die du sammeln kannst."

Das scheinen auch "fortschrittliche" Länder wie die Schweiz und Holland erkannt zu haben. Dort arbeitet man daran, das Trampen sicherer und angenehmer zu gestalten.

Markus: "Es gibt auch ´nen Schweizer System, Carlos heißt das, glaub´ ich, da hat man so ´ne Leuchtreklameschrift und tippt dann die Stadt ein, wo man hin will, dann sieht der Autofahrer, wo du hin willst und man kann dann einsteigen und während des Einsteigens wird das auch gefilmt das Kennzeichen, um das unter Umständen sicherer zu machen und Sicherheit zu geben während des Trampens. Das ist eine Möglichkeit. Oder in den Niederlanden gibt es Trampstellen, wo ganz klar ist, da sind Tramper willkommen oder da sind gute Möglichkeiten für ein Auto anzuhalten. Find ich auch ziemlich gut, weil es macht es sicherer und es bekommt mehr Akzeptanz in der Bevölkerung."

Um mehr Akzeptanz geht es auch dem Verein "abgefahren e.V." Als Plattform zum Erfahrungsaustausch wurde der Verein von Markus Bergmann und anderen im Jahr 2006 gegründet. Auf der Internetseite www.abgefahren.de gibt es Foren und Blog´s, in denen Tramper ihre persönlichen Erlebnisse schildern. Auch werden Tipps zur Sicherheit und Anregungen für Anfänger gegeben. Zum Beispiel, was man immer dabei haben sollte: Einen guten Autoatlas mit einem Verzeichnis aller aktuellen Tankstellen. Der "abgefahren e.V." dient aber auch der Interessenvertretung. Denn in Deutschland wird es immer schwieriger, Stellen zu finden, von denen man lostrampen kann.

Nach drei Tagen mache ich mich auf den Rückweg. Ich starte an einer Bundesstraße, die quer durch Freiburg führt. Und schon stehe ich vor dem ersten Problem: Tramper mitten in der Stadt sehen einfach deplaziert aus. Nicht besonders überzeugend halte ich meinen Daumen hoch und erinnere mich daran, was Siska meinte, warum sie so selten andere Tramper beim Autostopp trifft.

Siska: "Ich glaube es hat etwas damit zu tun, dass die Menschen ´nen volleren Terminkalender haben und wesentlich schneller ihr Ziel erreichen wollen und auch die Sicherheit haben wollen, dass es zu dem und dem Zeitpunkt in dem Rahmen funktioniert. Und dann habe ich schon oft gehört von Leuten in meinem Alter, die kein Geld und Zeit haben, die meinen das sei einfach zu unkomfortabel, also, die sich einfach lieber in den Zug setzen, anstatt sich an die Straße zu stellen, weil sie dann wissen, wo schlafen, und ja, ich denk´ Sicherheitsbedürfnis spielt ´ne große Rolle, wenn man nicht trampt."

Nach ungefähr 20 Minuten hält neben mir ein Taxi, das ich erst ignorieren will. Schließlich will ich Trampen. Dann verstehe ich, dass mich der türkische Taxifahrer einfach so mitnehmen will. Allen deutschen Verkehrsregeln zum Trotz hat er freundlicherweise angehalten, um mich hier aufzulesen. Er muss zwar eigentlich in die andere Richtung, kann mich aber immerhin bis zur nächsten Autobahnauffahrt bringen. Und jeder Kilometer, den ich vorwärts komme, ist ein Gewinn.

Im Niemandsland zwischen Bundesstraße und Autobahnauffahrt lässt er mich raus. Autos rasen an mir vorbei. Ich spüre den Sog des Fahrtwindes. Zu Fuß hat man auf einer Autobahn einfach nichts verloren. Außerdem ist es sehr riskant, hier anzuhalten. Aber siehe da, nach einer knappen Viertelstunde hält ein Ford Fiesta mitten auf der Auffahrt an. Ich schultere Sack und Pack, reiße die Autotür auf und rufe: `Bitte Losfahren´!

Hinter dem Lenkrad sitzt ein Mann mittleren Alters. Er ist Afrikaner, genau genommen: ein Ghanaer.

Wieder Geschichten über das Leben eines Mannes, den ich sonst wahrscheinlich nie über den Weg gelaufen wäre. Geschichten fremder Menschen reihen sich in meinem Kopf aneinander wie Autobahnstreifen, die an mir vorbeiziehen, unzählbar und gleichförmig.

Unser Gespräch dreht sich vor allem um eine Frage. Wie ist es, als Frau zu trampen? Ist der Autostopp nicht eine Männerdomäne? Mir kommt der Roman "Even Cowgirls get the Blues” von Tom Robbins in den Sinn. Darin trampt Sissy Hankshaw durch die USA, ohne sich um aufdringliche Männer zu scheren:


O-Ton "Even Cowgirls get the Blues”: "Immer wenn ich unterwegs bin fühle ich mich so frei und erleuchtet, so stark und so schön, dass selbst sexistische Schweine und sogar die Bullen nur noch freundlich mit den Augen zwinkern. Dann verkörpere ich den wahren Geist aller Reisenden."

Auch auf der Webseite von abgefahren e.V. wird die häufig übliche "Panikmache" relativiert: Immer noch passieren deutlich mehr Gewaltverbrechen im Familien- und Freundeskreis als beim Autostopp.

Garantien gibt es beim Trampen natürlich nicht, passt ja auch nicht zu dem Reiz des "Abenteuers" Autostopp. Doch trotz aller Unsicherheit, aller möglichen Gefahren: Ganz verschwinden wird der ausgestreckte Daumen von den deutschen Autobahnen, Landstraßen und Tankstellen wohl nicht. Vielleicht wird das per Anhalter-Fahren bald sogar eine Renaissance erfahren:

Karl Bär: "Ich glaube, dass mit der Zunahme von Spritpreisen und den Preisen bei der Bahn, die eine Katastrophe sind, politisch gesehen, auch viele Leute aus rein finanziellen Gründen überlegen zu trampen. Das ist wieder im Kommen, vielleicht sogar eher, als dass es am Verschwinden ist, es ist mal verschwunden gewesen."

Und doch nie ganz: Denn es gab und wird immer Menschen geben, die das Unerwartete erleben und Unbekanntes kennen lernen wollen.

"Weil es Straßen gibt, weil der nächste Lift schon anrollt, der dich weiterbringt, nach vorn. Und weil die Narren sich den Traum nicht nehmen lassen. Gestern nicht, heute nicht."