Wissenschaftsallianz hat Schavan "Bärendienst" erwiesen

Bildungsministerin Annette Schavan (CDU)
Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Andreas Keller im Gespräch mit Marietta Schwarz · 22.01.2013
Sollten sich die Plagiatsvorwürfe gegen Annette Schavan (CDU) erhärten, könnte sie das ihr Amt kosten. Doch die Bundesbildungsministerin erhält Unterstützung - von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Dass die sich einmischt, hält der Gewerkschafter Andreas Keller für unklug.
Marietta Schwarz: Aussitzen nennt man das, was Bundesbildungsministerin Schavan seit gut einem Dreivierteljahr tut, denn so alt sind die Plagiatsvorwürfe gegen sie inzwischen, die anonym im Internet erhoben worden waren. Annette Schavan soll in ihrer Doktorarbeit Quellen mangelhaft ausgewiesen und wissenschaftliche Standards vernachlässigt haben, der entsprechende Fakultätsrat der Universität Düsseldorf berät heute, ob ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels eingeleitet wird. Und sollte dies passieren, wäre das dem deutschen Hochschulverband zufolge dann auch ein Grund, über das Verbleiben Schavans im Amt nachzudenken – also vielleicht dann doch noch ein dickes Ende nach dem langen Schweigen.

Am Telefon ist Doktor Andreas Keller, zuständig für Hochschulen bei der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Guten Morgen, Herr Keller!

Andreas Keller: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Ja, zunächst einmal ist es ja erstaunlich, dass diese Plagiatsaffäre doch so wenig Wind gemacht hat. Traut sich keiner, gegen die Ministerin aufzumucken?

Keller: Na ja, das ist jetzt gar nicht mein Eindruck, dass es wenig Wind gemacht hat, weil wir haben ja seit einiger Zeit eine ganz lebhafte Debatte. Und das Erstaunliche ist eigentlich, dass sich alle möglichen Akteure politischer Organisationen, wissenschaftspolitischer Organisationen berufen fühlen, sich dazu zu äußern. Und das ist eigentlich schwierig, denn die Universität Düsseldorf ganz alleine ist in der Lage und berechtigt zu entscheiden, ob denn ein Plagiat vorliegt oder nicht.

Schwarz: Sie spielen auf die Allianz der Forschungsorganisationen an, die sich am Wochenende zu Wort gemeldet hat und ein zweites Gutachten fordert. Also von daher kommt da schon Gegenwind auf die Uni Düsseldorf zu. Die Frage ist ja, darf, wer Geld von der Ministerin erwartet, keine Kritik an ihr üben?

Keller: Also das ist eigentlich genau das Problem, dass hier die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die sich eingemischt hat, der Ministerin letztlich einen Bärendienst erweist. Denn angenommen, die Uni Düsseldorf kommt am Ende zum Ergebnis, es war kein Plagiat, oder sie korrigiert noch mal ihr Verfahren, wird man hinterher sagen, das hat die Ministerin der Allianz zu verdanken, und in Zukunft wird es bei allen Entscheidungen, die die Allianz betreffen - also die Finanzierung der Hochschulen, der Forschungseinrichtungen betreffen, wo ja Milliarden vom Bund hineinfließen - wird dann immer die Frage auftauchen: Hat das womöglich damit zu tun, dass die ihr damals geholfen haben? Und allein, dass es diese Diskussion gibt, das beschädigt das Amt, und letztlich hat die Allianz wie gesagt der Ministerin damit eigentlich gar nicht geholfen.

Schwarz: Aber dieser Bärendienst, von dem Sie sprechen, dürfte ja nicht die Absicht gewesen sein.

Keller: Nein, vermutlich nicht. Das würde mich jedenfalls sehr wundern. Über die Absicht kann ich ehrlich gesagt nichts sagen, das ist reine Spekulation. Ich kann nur feststellen, es war letztlich – egal, wie es ausgeht – ungeschickt.

Schwarz: Karl-Theodor zu Guttenberg, der fällt einem natürlich beim Stichwort Plagiat sofort ein. Der war ein Stern am Polit-Himmel, als die Plagiatsvorwürfe ihn zu Fall brachten, das kann man jetzt von der Bildungsministerin vielleicht weniger sagen. Zumindest geht von ihr weniger Strahlkraft aus. Wie ist denn Ihre Bilanz bis hierhin?

Keller: Erst mal finde ich es gut, dass wir tatsächlich auch vielleicht diese Debatte um das Plagiat zum Anlass nehmen, uns stärker auch mit der Politik der Ministerin auseinanderzusetzen, das hat sie eigentlich auch verdient, dass wir das tun.

Das Problem der Ministerin ist, dass sie eigentlich in einem großen Dilemma steckt: Sie hat sich damals als Bildungsministerin in Baden-Württemberg ganz massiv dafür eingesetzt, mit praktisch allen Ländern und mit dem Bund zusammen, die Föderalismusreform voranzubringen, das heißt, den Bund zu entmachten, ihm Kompetenzen wegzunehmen. Und jetzt ist sie in dem Amt genau in diesen Zwängen drin, dass sie zwar viele ambitionierte Vorstellungen hat, aber dem Bund letztlich die Hände gebunden sind, weil er im Bildungsföderalismus keine Kompetenzen hat, weil er die Bildungspolitik nicht wirklich gestalten kann, und das ist eigentlich das Kernproblem.

Schwarz: Aber hat sie denn Als Bundesbildungsministerin gar nicht auf den Lehrbetrieb eingewirkt in den letzten Jahren?

Keller: Doch, das hat sie natürlich im Rahmen der Möglichkeiten, die es gab, gemacht. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Bologna-Prozess, der ja vorhat, die Studiengänge in Deutschland zu reformieren, und das ist auch ganz überwiegend ja schon geschehen. Das ist ja ein gemeinsames Projekt von Bund und Ländern, und in diesem Zusammenhang muss man eigentlich auch der Ministerin zugute halten, dass sie vor einigen Jahren – 2009 –, als die Studierenden auf die Barrikaden gingen, die Bildungsproteste in Gang setzten und auch den Bologna-Prozess kritisierten, dass sie dann gesagt hat, okay, ich will hier auch einen Kurswechsel einleiten – ich bin dafür, sagte Frau Schavan damals, dass alle Bachelor-Absolventen den freien Zugang zum Masterstudium bekommen sollten. Das war eigentlich sehr bemerkenswert, aber …

Schwarz: … das hat sie bis dahin nicht erreicht.

Keller: Genau, das Problem ist, sie hat das damals gesagt, hat eigentlich auch ein Stück weit mit ungedeckten Schecks gearbeitet, denn für die Umsetzung waren wiederum die Länder zuständig. Sie hätte zwar die Möglichkeit gehabt, ein Bundesgesetz auf den Weg zu bringen – die GEW hat dann damals ein Rechtsgutachten vorgelegt, aus dem klipp und klar hervorging, dass der Bund die Kompetenz hätte, den Zugang zum Masterstudiengang zu regeln –, aber das hat sie dann auch wieder nicht getan, obwohl das eigentlich die richtige Konsequenz aus der Ankündigung gewesen wäre.

Schwarz: Viele kritisieren ja auch, dass durch Bologna das Studieren und die Lehre, der Wissenschaftsbetrieb bürokratischer geworden ist. Ist das etwas, was man Frau Schavan vorwerfen kann?

Keller: Na ja, der Bologna-Prozess wurde ja 1999 gestartet, das war noch Herr Rüttgers, der damals Bundesbildungsminister war, und es sind wie gesagt ganz maßgeblich die Länder, die den Bologna-Prozess voranbringen, und die Hochschulen wirken daran mit. Das kann man sicher nicht Frau Schavan anlasten, aber sie hat natürlich mit ihren Kollegen in den Ländern eine Mitverantwortung dafür, wie man den Bologna-Prozess ausgestaltet.

Und Sie sprechen von der Bürokratisierung: In der Tat ist ein großes Problem am Bologna-Prozess, dass ein großer Bürokratischer Aufwand auf die Hochschulen zukommt, sie müssen Studiengänge akkreditieren, Modulhandbücher schreiben, die Lehre evaluieren. Und all diese Dinge, die muss ja auch jemand machen, und das sind dann letztlich die Lehrenden, die Hochschulbeschäftigten. Und man hat vergessen, die Hochschulbeschäftigten, die Lehrenden auch dafür zu entlasten, dass sie immer mehr Aufgaben auf ihre Schultern geladen bekommen. Das ist ein ganz zentrales Defizit, auch aus Sicht der GEW, die die Hochschulbeschäftigten vertritt, ein ganz zentrales Defizit im Bologna-Prozess, wo auch letztlich Bund und Länder gemeinsam bisher versagt haben.

Schwarz: Andreas Keller, zuständig für Hochschulen bei der Gewerkschaft GEW. Herr Keller, danke für das Gespräch!

Keller: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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