Wissenschaftler: Russland ist "manipulierte Demokratie"

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 19.08.2011
Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik zeigt sich skeptisch hinsichtlich der demokratischen Entwicklung in Russland. In den vergangenen Jahren sei der Umgang der Regierung mit Demokratiebestrebungen seitens der Opposition oder der Medien immer rigider geworden.
Jan-Christoph Kitzler: Heute vor 20 Jahren war das der Anfang vom Ende des Sowjetunion: Am 19. August 1991 begann ein dreitägiger Putsch gegen den damaligen Präsidenten der UdSSR, gegen Michail Gorbatschow, und von da an war es nur noch ein kleiner Schritt. Gorbatschow kam zwar noch einmal zurück an die Macht, doch wirklich mächtig war er von da ab nicht mehr.

Er trat wenige Monate später zurück, die Sowjetunion wurde am 21. Dezember 1991 offiziell aufgelöst. Alle Staaten, die aus der UdSSR hervorgegangen sind, sie haben einen weiten Weg hinter sich, und insbesondere die Entwicklung in Russland wird im Westen immer mit viel Skepsis beobachtet. Ist das ein wirklich guter Weg, eine Entwicklung im demokratischen Sinne? Darüber spreche ich jetzt mit Hans-Henning Schröder, er leitet die Forschungsgruppe Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schönen guten Morgen!

Hans-Henning Schröder: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Wenn wir in Deutschland über Russland diskutieren, werden da eigentlich in Ihren Augen zu strenge oder zu lasche Kriterien angelegt?

Schröder: Beides, wir haben ja so Konjunkturen. Manchmal überschlagen wir uns vor Begeisterung, etwa so in den Anfangsjahren von Putin oder in den Anfangsjahren von Medwedew, und dann wieder, so etwa nach 2003, sind wir dann sehr negativ eingestellt. Insgesamt denke ich, wir sollten das nüchtern betrachten, und wir sollten uns mehr Informationen holen über das, was sich dort tatsächlich entwickelt.

Kitzler: Michail Gorbatschow, der frühere Chef der Sowjetunion, blickt ja selbst in diesen Tagen recht kritisch zurück. Er hat gesagt, Putins Partei Einiges Russland erinnere ihn so ein wenig an seine alte kommunistische Partei in der Sowjetunion-Zeit. Hat er recht?

Schröder: Na ja, Einiges Russland ist ein Chaoshaufen, auch mit wenig Erfolg. Die Bevölkerung selber nennt sie die Partei der Diebe und Betrüger, und so tief war die KPdSU nie gesunken.

Kitzler: Sie befassen sich ja jetzt auch mit der Entwicklung Russlands in den letzten 20 Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion, ist das für Sie insgesamt eine positive Entwicklung, hin zur Demokratie?

Schröder: In den letzten Jahren ganz sicher nicht. Wir hatten eigentlich mit Gorbatschow und dann eigentlich in den ersten Jelzin-Jahren wirklich einen Aufbruch – sehr viel Liberalismus, viel Freiheit, es entstand auch sozusagen eine bunte Medienlandschaft, viel war möglich. Und eigentlich, so seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, aber dann natürlich sehr viel schärfer in den beiden Amtszeiten von Putin, also von 2000 bis 2008, wurde das ganze System immer rigider und immer stärker von oben durchgesteuert, immer stärker wird es eine von oben manipulierte Demokratie. Unter Medwedew schien jetzt wieder einiges möglich. Im Moment ist in Russland selbst die Hoffnung sehr gering, weil man das Gefühl hat, es muss sich ungeheuer viel ändern, man glaubt aber nicht, dass sich etwas ändert. Also die Frustration ist in Russland, in der russischen Bevölkerung im Moment ungeheuer.

Kitzler: Liegt das auch daran, dass die Opposition zurzeit einen ziemlich schweren Stand hat, dass sie behindert wird, wo es nur geht?

Schröder: Na ja, das hat ja zwei Seiten. Das, was wir immer wahrnehmen, also die sogenannte liberale Opposition – Kasjanow, Nemzow –, hat, glaube ich, in Russland überhaupt keine Chance, mehr als vier, fünf Prozent werden sie nicht bekommen. Auf der anderen Seite haben wir eine sehr starke rot-braune Opposition, so Kommunisten, Jirinowski-Leute, alle möglichen absurden Parteien am rechten Rand. Aber Sie haben recht, vom Kreml her wird das gesteuert, sie werden sehr stark eingeschränkt, sie haben keinen Zugang zum Fernsehen, also es wird sozusagen schon von oben durchregiert.

Kitzler: Bei einer anderen Frage ist man sich ja nicht ganz sicher, wenn ich es richtig verstehe, ob es wirklich vom Kreml gesteuert wird, ich rede vom Umgang mit den Medien. Immer wieder kommen Journalisten, die kritisch berichten, ums Leben. Wie groß ist denn der Druck auf kritische Journalisten?

Schröder: Das muss man, glaube ich, sehr in der Breite sehen. Es gibt keine Zensur, um es mal deutlich zu sagen, und Sie werden in russischen Buchläden alles finden, von der Politkowskaja, Beresowski, also von rechtsextrem bis linksextrem. In den Zeitungen ist es schon schwieriger, es gibt einige Qualitätszeitungen, die nicht schlecht sind, und im Fernsehen finden Sie überhaupt nichts. Im Fernsehen, das heißt das Medium, in dem flächendeckend das gesamte Land besendet werden kann, dort findet nur Staat statt und sonst nichts weiter.

Kitzler: Auch Minderheiten haben es schwer, man denke nur an die Gewalt, zum Beispiel gegen homosexuelle Demonstranten. Sind das Auswüchse oder ist der Grund dafür vielleicht, dass man auch andere Vorstellungen von Demokratie hat, als wir es haben?

Schröder: Man hat andere Vorstellungen von Demokratie, man hat vor allen Dingen auch keine Vorstellung davon, wie man mit Minderheiten, mit Ausländern, insbesondere mit Zuwanderern aus dem Südkaukasus, Zentralasien umgeht oder man geht sozusagen feindselig mit ihnen um. Man geht mit Gruppen wie Homosexuellen geht man massiv negativ um, da fehlt einfach auch so ein Stück Offenheit. Aber das gilt für die gesamte Gesellschaft, das ist nicht nur eine Frage der Führung.

Kitzler: Sie haben Rückschritte in den letzten Jahren deutlich gemacht, wie viel Zeit braucht Russland in Ihren Augen noch?

Schröder: Das hängt natürlich sehr davon ab, was in den nächsten sechs Jahren, das ist die nächste Amtszeit des nächsten Präsidenten, die 2012 beginnt. Die Frage ist immer sozusagen, wie viel Gesellschaft lässt er zu, wie viel Selbstorganisation, wie viel Initiative von unten. Unter Putin und eigentlich auch unter Medwedew wurde alles von oben gesteuert, und jeder Versuch, sozusagen von unten Politik zu machen, wurde unterdrückt, aus großer Angst, es könnte so was passieren wie die Orangene Revolution in der Ukraine. Wenn sozusagen das so weitergeht – und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch –, dann wird in den nächsten sechs oder zwölf Jahren nichts passieren. Und das ist zu lang.

Kitzler: Eine außenpolitische Lösung, um die Entwicklung eines Landes zu beeinflussen, heißt ja einbinden, Dialog führen – passiert denn in dieser Richtung genug oder fruchten die Versuche im Fall Russland gar nicht so recht?

Schröder: Ich glaube auch, dass die wichtigste Möglichkeit ist sozusagen, möglichst viel Austausch zuzulassen, sozusagen auch Eliten einzubinden. Man muss einfach auch realistisch sehen, in vielen Fällen hat es nicht gefruchtet, in vielen Fällen ist sozusagen der Widerstand aus den russischen Eliten groß, aber die andere Möglichkeit, Druck auszuüben und sie zu zwingen, etwas zu tun, die existiert überhaupt nicht. Im Grunde einbinden, ihnen zeigen, wie es geht, sie versuchen zu sozialisieren, scheint mir auch die einzige Möglichkeit, aber das wird kurzfristig wenig Erfolge bringen.

Kitzler: Der schwierige Weg Russlands in den letzten 20 Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion. Das war Hans-Henning Schröder, der Leiter der Forschungsgruppe Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Schröder: Auf Wiederhören!


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