Wissenschaftler: Medien sind ein "entscheidender Spieler im Machtspiel"

US-Präsident John F. Kennedy kündigte am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an.
US-Präsident John F. Kennedy kündigte am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an. © AP Archiv
Jochen Hörisch im Gespräch mit Susanne Burg |
Die Kuba-Krise vor 50 Jahren machte den Menschen deutlich, wie groß die Gefahr eines möglichen Atomkrieges war. Der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch erinnert sich an die bedeutende Rolle von Hörfunk und Fernsehen - und wie der damalige US-Präsident John F. Kennedy die Medien friedlich instrumentalisiert hat.
Susanne Burg: 13 Tage lang hielt die Welt 1962 den Atem an. Die Kuba-Krise machte den Menschen im Oktober 1962 deutlich, wie groß die Gefahr eines möglichen Atomkrieges war. Welche Rolle die Medien in der Kuba-Krise gespielt haben, das wollen wir nun etwas näher beleuchten. Und dazu begrüße ich am Telefon den Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch. Guten Tag, Herr Hörisch!

Jochen Hörisch: Guten Tag, Frau Burg!

Burg: Ja, wir haben eben auch einen Ausschnitt aus der Rede von John F. Kennedy am 22. Oktober 1962 gehört. Sie war ja eigentlich an die Sowjets gerichtet, aber Millionen Amerikaner haben diese Fernsehansprache mit verfolgt. Wie hat sich John F. Kennedy in dieser Rede präsentiert?

Hörisch: Er hat ein sehr deutliches Signal an Moskau losgeschickt, nämlich gesagt: Wenn ich mich jetzt an die Weltöffentlichkeit richte, dann ist deutlich, dass ich mich selbst unter einen Zugzwang stelle, denn ich werde von meiner eigenen Bevölkerung gewiss jetzt mit Erwartungen konfrontiert, die ich erfüllen muss. Das Signal war also, es ist wirklich ernst.

Aus einer Geschichte, die wir bislang unter Geheimdiensten ausgemacht haben, wird jetzt eine weltöffentliche, möglicherweise eine welthistorische Geschichte. Allein das Faktum dieser öffentlichen Fernsehrede als solche hat natürlich damit eine gewisse Eskalation wieder eingeleitet. Wie wir heute wissen, eine Eskalation, die Gott sei Dank dann zu einem Umschwung der vorhergegangenen militärischen Eskalation gekommen ist. Medien haben gewissermaßen Militär verhindert.

Burg: Diese Rede war 18 Minuten lang. In einem Absatz heißt es - ich zitiere mal - "Wir werden weder voreilig noch unnötigerweise die Folgen eines weltweiten Atomkrieges riskieren, bei dem selbst die Früchte des Sieges nur Asche auf unseren Lippen wären, aber wir werden auch niemals und zu keiner Zeit vor diesem Risiko zurückschrecken, wenn wir uns ihm stellen müssen!" So weit also Kennedy.

Ja, diese Formulierung – "bei dem selbst die Früchte des Sieges nur Asche auf unseren Lippen wären" –, das ist ja fast eine lyrische Umschreibung dafür, dass ein Atomkrieg im Grunde genommen verheerende Folgen hätte! Warum hat Kennedy für ein Thema von fast apokalyptischen Ausmaßen eine derart lyrische Sprache gewählt?

Hörisch: Da wird deutlich, dass es einem wirklich ernst ist und dass er in der Lage ist, auch eine Urteilskraft, eine historisch vergleichende, eine biblische, eine apokalyptische Urteilskraft einzuführen. Und ich glaube, dass die doch sehr markante Stimme von Kennedy, die Sie gerade noch mal in Erinnerung gerufen haben durch die historischen Tondokumente, eben auch wirklich eine bestimmte Stimmung herstellt. Und genau das war der Fall.

Und das ist ja nun eine klassische Rede, die sagt, wir sitzen Aug in Aug einander gegenüber, Aug in Aug auch mit der Apokalypse, die wir anrichten können, aber wir wollen zugleich bedenken, dass wir das verhindern können, wir sind nicht bereit, deshalb zu verlieren! Wir dürfen nicht vergessen, dass 45 von 1962 aus gesehen, also das Ende des Krieges gegen Nazi-Deutschland erst gerade lumpige 17 Jahre zurückreichten.

Wir sprechen heute über ein Ereignis, das 50 Jahre zurückreicht. Also, wie stark sind apokalyptische, kriegerische Umstände noch in den Köpfen auch der Amerikaner, von denen ja nur ein kleinerer Teil unmittelbar, nämlich die Soldaten, in den großen europäischen Zweiten Weltkrieg eingeweiht waren!

Burg: Sie waren damals elf Jahre alt. Wie erinnern Sie sich an diese Rede?

Hörisch: Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht allzu zynisch spreche: Ich erinnere mich daran, dass wir Unmengen von Schokoladen in meinem Reihenhaus, in dem ich groß war. Meine Mutter kaufte also wie viele deutsche Frauen hamstermäßig ein und das waren natürlich dann eben Lebensmittel, die langfristig nicht verderben, also Schokolade. Mein Gewicht hat sich dann, als die Kuba-Krise vorbei war, ganz, ganz groß entwickelt, weil wir eben Unmengen von Süßigkeiten hatten.

Aber jetzt will ich doch ins ernste Register wechseln: Schon für den kleinen Elfjährigen war wirklich sehr deutlich, dass die Erwachsenen Angst hatten. Und es waren ja nun Erwachsene, meine Eltern und viele Generationsgenossen werden diese Erfahrung auch gemacht haben, die eben noch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges hatten: Die handgreifliche Angst, die war wirklich spürbar!

Burg: Die ganze Welt saß vor den Fernsehern. Und Sie haben es eingangs schon erwähnt: Man ging ja damals auch den klassischen Weg der Geheimdiplomatie. Da ist es ein Problem, die Öffentlichkeit mit einzubeziehen. Kennedy hat dann beschlossen, eine Fernsehansprache zu halten, was hat denn Kennedy den Weg über die große, öffentliche Bühne gebracht, was die bis dahin übliche Geheimdiplomatie nicht bewirkt hätte?

Hörisch: Geheimdiplomatie hat ja große Vorteile. Das klingt in demokratischen Ohren zu Recht auch immer ein bisschen negativ und kritikbedürftig, aber dann sitzen Profis zusammen, die können sehr genau kalkulieren und sich als Fachleute untereinander verständigen. In dem Augenblick, wenn Sie Massenmedien einschalten – übrigens damals ja noch zum großen Teil, wir wollen es nicht vergessen, das Radio, also das Medium, das wir jetzt gerade bedienen, Fernsehen war ja in Deutschland gerade lumpige zehn Jahre alt –, also, wenn Sie Massenmedien einschalten, ist klar, dass Sie auch Facekeeping-Probleme haben.

Kennedy hätte sein Gesicht verlieren können, wenn er sich weltöffentlich in den Medien etabliert als einer, der dann einen großen Rückzug machen musste. Das Signal an die Sowjetunion war also wirklich deutlich: Ihr habt jetzt eine rote Linie überschritten, wenn ihr noch einen Schritt weiter geht, dann bin ich festgelegt, ihr müsst mit einkalkulieren, dass jetzt nicht mehr nur Profis, sondern eine emotionalisierte Weltöffentlichkeit mitredet, das müsst auch ihr Sowjets, die ihr keine demokratische Öffentlichkeit habt, in eure Kalküle mit einbeziehen! Die Militärs haben ja versucht, das auszunutzen und Kennedy zu sagen, jetzt musst du Kuba bombardieren, weil du dich in den Medien festgelegt hast! Kennedy war klug genug, darauf nicht einzugehen, sondern die Medien anders zu instrumentalisieren, nämlich friedlich.

Burg: Über die medialen Inszenierungen bei der Kuba-Krise vor 50 Jahren spreche ich mit dem Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch hier im Deutschlandradio Kultur. Jetzt haben wir viel über die amerikanische Seite gesprochen, lassen Sie uns noch über die sowjetische Seite sprechen!

Auch Chruschtschow hat ja die Medien genutzt, er hat übe den Rundfunk verkündet, dass die Sowjetunion einlenkt, wir haben es in dem kleinen Beitrag gehört. Wie gut hat denn Chruschtschow die Medien genutzt im Vergleich zu den USA, konnte er Kennedy überhaupt etwas entgegensetzen?

Hörisch: Kennedy war ein brillant aussehender Mann, Everybody’s Darling, hatte ein ganz anderes Renommee weltweit als Chruschtschow. Und die USA hatten natürlich eine ganz andere Tradition des Umgangs mit Medien. Es waren eben, bei aller Kritik, im Vergleich jetzt zum Standard in der Sowjetunion eben doch freie Medien, wo die Öffentlichkeit eben nicht so manipuliert werden konnte, wie es in der Sowjetunion der Fall war.

Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die Mediensouveränität des Westens unendlich viel größer war als die des Ostens. Das sind ja auch im Rückblick gesehen eigentlich sehr harmlose Möglichkeiten, eine Bevölkerung zu steuern. Jeder weiß gewissermaßen, dass in einer Diktatur gelogen wird und nicht verlässlich recherchiert werden kann. Und das ist gewissermaßen, wenn Sie so wollen, immer schon eingepreist bei den Medienrezipienten.

Man weiß dann genau, welcher Sender einigermaßen vertrauenswürdig ist und welcher nicht, und wie eine demokratische Öffentlichkeit funktioniert im Vergleich zu einer diktatorischen. Also, insofern gab es da schon eine, wenn Sie so wollen, medientechnische, aber auch, was die medieninterne Verfassung anging, Überlegenheit des Westens. Und ein paar Jahrzehnte später, um genau zu sein, 1989, ging dann ja mit großen Medienereignissen der Kalte Krieg zu Ende, endgültig.

Burg: Die Politik hat aber auch weiter, die westliche Politik, versucht, die Medien gezielt einzusetzen. Nur, eigentlich hat es ja schon im Vietnam-Krieg dann nicht mehr funktioniert, da haben die US-Medien die Politik beeinflusst in gewisser Weise, indem sie Bilder vom Gräuel des Krieges zeigten. War die Kuba-Krise im Grunde genommen der Endpunkt einer Entwicklung, wo man durch gelenkte Kommunikation Politik beeinflussen kann?

Hörisch: Stimme ich vollkommen zu! Mit dem Vietnam-Krieg – ja gar nicht so viele Jahre später, also 10, 15 Jahre später – mussten die Amerikaner die Erfahrung machen, dass – Gott sei Dank, füge ich sofort hinzu! – Medien selbst eine vierte Gewalt geworden sind neben der Exekutive, der Legislative und der Jurisdiktion. Und das hat bis heute ja eigentlich zugenommen. Der Vietnam-Krieg war gegen die Medien – ich ergänze sofort wieder: Gott sei Dank! – nicht zu gewinnen.

Und wenn man die Fotos gesehen hat von dem brennenden Mädchen, vom My-Lai-Massaker und dergleichen mehr, dann war klar, dass die Weltöffentlichkeit durch den Vietnam-Krieg so gegen die Amerikaner mobilisiert war, dass noch die größte Militärmacht der Welt dagegen nicht ankommen konnte. Man kann also sagen, sowohl der Osten wie der Westen haben in den 60er-, 70er- und natürlich dann verstärkt in den 80er-Jahren die Erfahrung gemacht, dass Medien selbst nicht nur – das wäre ja ein harmloses Modell – für zuverlässige, mehr oder weniger zuverlässige Berichterstattung zuständig sind, sondern selbst ein ganz entscheidender Spieler sind im Machtspiel!

Burg: Sagt der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch. Vielen Dank fürs Gespräch, Herr Hörisch!

Hörisch: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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