Wissenschaft und Arbeitsmarkt

Viel Erfolg bei der Studienwahl!

Studierende der Georg-August-Universität in Göttingen sitzen in einem Hörsaal.
19.000 Studiengänge gibt es. Aber bilden sie wirklich zum wissenschaftlichen Denken aus? © dpa / picture alliance / Swen Pförtner
Von Martin Tschechne · 28.06.2017
Mit neu designeten Studiengängen wie Fitnessökonomie buhlen die Unis um Studienanfänger. Und kehren dabei ihren Auftrag um, kritisiert Martin Tschechne: Sie lehren nicht mehr das selbstständige Denken, sondern legen die jungen Leute in fertig eingezäunten Feldern fest.
European Studies, Fitnessökonomie oder Christliche Medienkommunikation: Wer so tolle Auswahl hat, dem werden selbst die längsten Sommerferien sehr schnell knapp. Mehr als 19.000 Studiengänge listet die Konferenz der Hochschulrektoren in ihrem Kompass für angehende Studierende auf.
Und wenn sich die Zahl auch reduzieren lässt – Rechtswissenschaft zum Beispiel in Münster und in Marburg gehen als zwei Studiengänge in die Zählung ein – so braucht es doch Mühen und Vergleich, bevor eine Entscheidung fallen kann. Welches sind die Studienschwerpunkte? Wo lehren die Koryphäen? Was ist mit München oder Mannheim?
Und was ist von inhaltlich verwandten Studiengängen zu halten, von Internationalem Recht, Wirtschaftsrecht, Rechtspflege, Europäischer Rechtslinguistik oder Immobilien- und Vollstreckungsrecht?
Schöne Ferien also. Studienbeginn ist im Oktober. Bis dahin geht es ums Ganze. Neben Jura gibt es ja noch zwei oder drei andere Möglichkeiten, die eigene berufliche Zukunft nicht gleich mit der Wahl des Studienfaches vor die Wand zu fahren. Also: Tiermedizin oder Kirchenmusik, Informatik oder Indoiranistik, Molekularbiologie, Alternde Gesellschaften, Interkulturelle Wirtschaftspsychologie oder Evidenzbasierte Pflege.

Studienfachdesigner – ein Job mit Zukunft

Was sich bisweilen anhört wie der Titel einer ehrgeizigen Einzelklausur für höhere Semester – das sind ausgewachsene, nach allen Regeln der Hochschuldidaktik durchkomponierte Studiengänge über vier, sechs oder acht Semester. Am Ende steht der akademische Abschluss als Bachelor oder Master.
Vorsicht nur vor den pompös formulierten Bezeichnungen. Der Eindruck liegt nah, dass sie mehr mit Vermarktung und Standortpolitik zu tun haben als mit der evidenzbasierten Überzeugung, die Zukunft brauche mehr Spezialisten für Performative Künste in Sozialen Feldern oder im Fach Menschenbild und Werte in Christlicher Perspektive.
Der Grund: Nie gab es so viele Abiturienten wie heute. Mehr als 450.000 waren es im vergangenen Jahr, fast die Hälfte des Jahrganges. Und natürlich erwirbt man die Hochschulreife, um an die Hochschule zu gehen – und da ein Platz in Medizin viel Geld kostet und kein Arbeitsmarkt Jahr für Jahr 450.000 Altphilologen oder junge Rechtsanwälte unterbringen kann, braucht es eben ein bisschen Einfallsreichtum.
These eins also besagt: Studienfach-Designer – das bleibt ein Berufsfeld mit großer Zukunft.
Sportjournalismus zum Beispiel: ein toller Beruf für schnelle, sprachgewandte Typen. Wird heute an der Uni gelehrt. Ebenso Farbtechnik und Raumgestaltung oder Fundraising Management und Philanthropie: gute, anspruchsvolle Arbeitsfelder – schön. Aber wo steckt der akademische Anteil? Was haben sie mit freiem, wissenschaftlichem Denken zu tun?

Der Neugier werden Ziele vorgegeben

These zwei: Die Universitäten liegen im Wettbewerb. Untereinander und mit den Personalentwicklern aus der Wirtschaft. Die haben sich lange darüber beklagt, dass junge Akademiker noch längst nicht fertig seien für ihre Berufsanforderungen. Also haben sie eigene Programme entwickelt. Jetzt ziehen die Universitäten nach, revidieren ihr Angebot und denken sich tolle Namen dafür aus.
Leider drehen sie dabei die Richtung ihres Auftrags um 180 Grad: Sie führen junge Leute nicht mehr über Denken und selbständige Analyse auf einen Beruf zu, sondern setzen eine Entscheidung voraus und liefern die Werkzeuge, das fertig eingezäunte Feld zu bestellen.
Das Risiko liegt bei den jungen Leuten. Sie sind 17 und sollen sich für die nächsten 50 Jahre festlegen auf einen sehr konkreten Arbeitsplatz. Sie sollen eine Freiheit aufgeben, die erst zu entfalten wäre. Ihr Denken wird in Kanäle geleitet, ihrer Neugier werden Ziele vorgegeben.
Schöne Ferien also, aber es wäre eine gute Idee, sich genau jetzt ein paar sehr gründliche Gedanken zu machen.

Martin Tschechne ist promovierter Psychologe, arbeitet als Journalist und lebt in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).

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