Wissenschaft

Die Gefahren des "Neuro-Enhancements"

Tabletten liegen in einem Glas. Verschreibungspflichtige Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat gehören zu den Arzneistoffen mit stimulierender Wirkung, die oft als "Studentendroge" bezeichnet werden.
Selbstoptimierung per Tablette: Neuro-Enhancement geht auch mit Medikamenten. © dpa
Von Susanne Billig |
Viele tun es bereits: Schon wer Pillen für die Uni-Prüfung einwirft, betreibt "Neuro-Enhancement", die Optimierung geistiger Fähigkeiten. Es ist ein noch junges Forschungsfeld, doch was ist, wenn seine Möglichkeiten in Zukunft in falsche Hände fallen? Die Biologin Wiebke Rögener hat ein sachlich und ethisch überzeugendes Buch geschrieben, das sich kritisch mit dem Thema auseinander setzt.
Pillen für die Uni-Prüfung, Hochbegabung durch Magnetstimulation, Stromstöße in die Tiefen des Gehirns, um kreative Kräfte freizusetzen: Neuro-Enhancement, dieses hochaktuelle und kontroverse Thema, hat sich die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Wiebke Rögener in ihrem Buch "Hyperhirn" vorgenommen, erstklassig recherchiert und mit dem gebührenden kritischen Abstand politisch eingeordnet.
Der Beginn des Buches fällt noch beschwichtigend aus: Das pharmakologische "Neuro-Enhancement", also die treffsichere Optimierung geistiger Fähigkeiten mit Hilfe chemischer Substanzen, sei bislang weitgehend Zukunftsmusik, erklärt die Autorin. Wunderdrogen sind nicht in Sicht und zweckentfremdete Medikamente bringen kaum den erwünschten Erfolg. Wer Gesundheitsrisiken ignoriert und sich mit Ritalin oder Parkinson-Medikamenten durch Prüfungen zu pushen versucht, erntet im besten Fall widersprüchliche Resultate. Weit zuverlässiger wirken die guten alten Wachmacher Kaffee und Tee.
Die Moral geht durch die Behandlung verloren
Doch im Verlauf des Buches wechselt der Tonfall der Autorin merklich, denn es gibt auch Gebiete, in denen Neuro-Enhancement bedenklich fortgeschritten ist. Schon heute bieten private Kliniken an, den Kopf mit speziellen Magnetpulsen zu behandeln. Dabei werden Nervenfasern an der Oberfläche des Gehirns moduliert - mit dem Effekt, dass ganz normale Menschen plötzlich außergewöhnliche Inselbegabungen an den Tag legen, ähnlich wie Autisten. So zumindest die Behauptung. Andere Studien haben einen fatalen Kollateralschaden ausgemacht: Das moralische Urteilsvermögen der Behandelten geht zeitweise verloren.
Wie funktionieren solche Magnetpulse im Detail? Alles, was wissenschaftlich kompliziert wird, lagert die Autorin übersichtlich in Textkästen aus. Zudem fühlt sie in spannend zu lesenden Interviews Forschern kritisch auf den Zahn. Warum etwa versucht der Göttinger Neurologieprofessor Michael Nitsche mit außen am Kopf angelegten Elektroden die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu verbessern? Zielgruppe dieser "transkraniellen Gleichstromstimulation" seien vor allem Schlaganfall- und Schmerzpatienten, unterstreicht der Wissenschaftler. Ohnehin könne die Technik nur vorhandene Gehirntätigkeiten verstärken. "Wenn ein Kind eine Matheaufgabe nicht begriffen hat, hilft auch die Hirnstimulation nicht. Dann müsste ich mich aufraffen, ihm das zu erklären", erklärt er trocken.
Neuro-Enhancement noch in den Kinderschuhen
Was aber, wenn die Möglichkeiten der Hirn-Manipulation in fragwürdige Hände fallen? Schon heute interessieren sich weltweit vor allem militärische Forschungseinrichtungen für das Neuro-Enhancement - schließlich sind leistungsgetunte Soldaten ohne viel moralisches Empfinden der Traum aller Generäle. Aber auch sonst ist unsere Konkurrenz geprägte Gesellschaft anfällig für Manipulationsofferten, warnt Wiebke Rögener, und mahnt am Ende ihres sachlich, stilistisch und ethisch überzeugenden Buches eine breite Debatte um die politische Ausgestaltung des Themas an. Denn noch steckt das Neuro-Enhancement in den Kinderschuhen und es ist nicht zu spät.

Wiebke Rögener: Hyper-Hirn - Durch Neuro-Enhancement klüger, wacher, effizienter?
Reinhardt Verlag, München 2014
188 Seiten, 19,90 Euro

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