Wissenschaft

Der gefälschte Mond

Moderation: Katrin Heise · 12.02.2014
In seiner Begeisterung für den "Sternenboten" sei ihm nicht aufgefallen, dass es sich bei dem Schriftstück um eine Fälschung handelt, sagt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Diese Erfahrung aufzuarbeiten und darüber zu schreiben, habe ihn entlastet.
Katrin Heise: 1610 hatte Galileo den Mond mit einem Fernrohr beobachtet und dabei festgestellt, dass seine Oberfläche uneben und pockennarbig ist, und er hat bestätigt, dass der Mond um die Erde kreist. Sein Buch "Der Sternenbote" wurde ein Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte.
Es war eine Sensation, als Forscher, führend unter ihnen der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp, 2007 die Entdeckung der Urfassung dieses Buches bekannt gaben, mit angeblich originalen Tuschezeichnungen von Galileo selber, bestätigt von einem internationalen Team von Fachleuten. Im vergangenen Dezember dann wurde öffentlich: Diese angeblich erste Fahne ist eine Fälschung. Bredekamp nahm in unserem Programm dazu auch schon Stellung . Er und seine Kollegen haben den Fall jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet. Das Buch über diesen Fälschungsskandal erscheint am Freitag.
Horst Bredekamp, Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Uni, war vor der Sendung bei uns und ich fragte ihn, ob dieses Buch, "A Galileo Forgery", so eine Art Therapie für ihn persönlich, aber auch für das Forscherteam war.
Horst Bredekamp: Das ist eine sehr schöne Vermutung und ich werde sie hoffentlich beantworten können, wenn der Freitag vorbei ist. Es hat in der Tat etwas Entlastendes, vielleicht sogar Kathartisches, wenn eine Gruppe, die insgesamt ja geirrt hat, jedes Mitglied hoch spezialisiert, die eigenen Fehler analysiert und in einem weiteren Schritt Methoden vorstellt, mit denen derartige Irrtümer nicht mehr begangen werden.
Heise: Seit dem Wochenende vor Weihnachten ist dieser Fälschungsfall in Deutschland auf jeden Fall bekannt. Seither haben Sie etliche Interviews gegeben, auch hier, es ist viel über Sie geschrieben worden. Wie geht es Ihnen eigentlich?
Bredekamp: Gut. Einige Berichte waren von einer überzogenen und vielleicht auch besserwisserischen Qualität. Was mich irritiert hat ist, dass niemand sich in eine Situation zurückversetzt hat von vor etwa zehn Jahren oder vielleicht sogar 15 Jahren, als ich meine Galileo-Forschung intensiviert habe, dann in eine Situation kommend, in der einem ein Buch entgegenkommt, in einem Moment, in dem man eigentlich gar nicht annahm, dass man Bücher fälschen könnte.
Heise: Und nur noch mal Betonung auf "ganze Bücher fälschen".
Bredekamp: Ganze Bücher. Und das Buch kam an mich, als amerikanische Spezialisten das ohne jede Frage als authentisches Werk definiert hatten, und da es keine Illustrationen hatte, musste das ein sehr früher Druck sein, über den Galileo auch gesprochen hat. Es passte sehr viel zusammen, es kamen auch stilistische Gründe zusammen. Dass sich niemand die Mühe gemacht hat, den komplexen "Angriff", den wir auf dieses Buch gestartet haben, Naturwissenschaftler, Geisteswissenschaftler, Restauratoren, dieses alles zu rekonstruieren und zu würdigen, das hat mich schon irritiert.
Heise: Sie sagen "Angriff", weil Sie natürlich erst mal die These zugrunde gelegt haben, das Buch ist eine Fälschung?
Bredekamp: Ja.
Heise: Obwohl, wie Sie gesagt haben, man davon ausging, Bücher kann man so nicht fälschen, haben Sie das als These zugrunde gelegt, das ist eine Fälschung, und haben diese These entkräftet mit Ihrem Team?
Bredekamp: "This Book is a Forgery”, habe ich dem Besitzer gesagt. Dieses Buch ist eine Fälschung. Soll ich es trotzdem übernehmen? Und er hat gesagt, "I want to know the Truth", ich will die Wahrheit wissen. Ja natürlich, Sie sollen das. Und dann haben wir nach allen Regeln der Kunst, die uns zur Verfügung standen, das Buch analysiert und haben geirrt, und das ist ein Phänomen, das uns bis heute überrascht.
Heise: Welche hauptsächlichen Lehren ziehen Sie daraus, dieser Fälschung aufgesessen zu sein? Machen Sie heute was anders als damals?
Bredekamp: Ja. Wir wissen, dass die Fälscher von Papier alleine im Moment über Methoden verfügen. Ohne dass man Proben nimmt, ist das Papier nicht als eine Fälschung zu erschließen. Das ist der überraschende Tatbestand. In der Zukunft wird man, wenn man absolute Gewissheit haben will, nicht mehr umhinkommen, an Stellen, die nicht im ersten Moment ins Auge springen, Proben zu entnehmen.
Heise: Man wirft Ihnen aber auch vor, dass Ihre Begeisterung Sie sozusagen davongerissen hat, denn dieses Buch hat ja Thesen von Ihnen - wir kommen auch gleich noch darauf zu sprechen - quasi bestätigt. Haben Sie nicht genau genug hingeguckt?
Bredekamp: Ich kann mich über diese Argumentation nur zutiefst ärgern, weil ohne eine Überzeugung gegenüber dem, was man überhaupt tut, kann man die einsamen schwierigen Wochen und Monate und Jahre überhaupt nicht überstehen.
Heise: Die Wochen der Forschung, wo man alleine ist mit dem Gegenstand.
Bredekamp: Der Forschung! Ich habe Wochen zugebracht mit der Bestimmung der Technik der Zeichnungen, im Vatikan, in der Nationalakademie in Rom, in verschiedensten Archiven, in denen Briefe von Galileis liegen. Ich habe Briefe auf Briefe auf Briefe studiert, um nach Zeichnungen zu suchen. Das hat alles Monate und Jahre gedauert. Und vor allem habe ich bei insgesamt zwölf Büchern jeweils Buchstabe für Buchstabe miteinander verglichen, um einen Stammbaum der Druckfehler zu finden. Das dauert Monate, man muss nach Amerika.
Heise: Denn man geht davon aus, dass in der ersten, also in der Korrekturfassung, natürlich die meisten Fehler sind und später dann weniger. Wo die meisten Fehler sind, das ist eine erste Ausgabe oder eine frühere Ausgabe. Deswegen haben Sie die gesucht.
Bredekamp: Das gilt als Faustregel, und als Faustregel muss man zunächst diesen Stammbaum der Druckfehler herstellen, um eine Art Chronologie jedes einzelnen Werkes, jedes Exemplars beschreiben zu können.
Heise: Dann kann man sich vorstellen, dass das gelinde gesagt langweilig ist, und das meinten Sie. Um über diese Phase wegzukommen, braucht man eigentlich ein inneres Feuer, was einen antreibt.
Bredekamp: Ohne dem können Sie das nicht leisten und von heute her kann man nicht ausschließen, dass man in einem bestimmten Moment, in dem man überzeugt ist, innerlich überzeugt ist, obwohl man immer noch Testreihen durchführt, sich dann möglicherweise selbst eher bestärkt, als man es hätte tun sollen. Das ist nicht auszuschließen. Wir haben uns aber wechselseitig kontrolliert. Also es ist ein Prozess, den man ablaufen lassen muss, in der Hoffnung, dass man richtig liegt. In diesem Fall war es nicht der Fall, aber es lag nicht an dem Enthusiasmus, weil ohne den hätten wir überhaupt kein Ergebnis gehabt und hätten auch kein positives gehabt.
Heise: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp und sein Umgang mit der Tatsache, von einem Fälscher getäuscht worden zu sein. - Sie, Herr Bredekamp, stehen für die These, dass Kunst zur Wissenschaft gehört, nicht nur bei Galileo, aber besonders. Der dachte quasi durch die Hand, zeichnend, malend. Diese These untermauerten Sie in Ihren früheren Werken mit eben auch jenen gefälschten Bildern. Was heißt das jetzt?
Bredekamp: Das heißt, in Bezug auf die Forschung, die ich ja bei Darwin, in Bezug auf Leibnitz, Galileis mit noch größerer Breite und vielleicht auch Intensität durchgeführt habe, dass diese aus meiner Sicht auch nicht im mindesten dadurch in Misskredit gekommen sind. Das Buch über Galileis, "Galileis - Der Künstler", war geschrieben im Manuskript, als mir dieses Buch entgegengebracht wurde.
Heise: Und dann folgten aber noch zwei Bücher "Galileo's O".
Bredekamp: Ja, aber "Galileo's O", Band eins und zwei, waren die naturwissenschaftlichen und restauratorischen Untersuchungen, die durchgeführt worden waren, bevor ich mein Buch "Galileis - Der Künstler" veröffentlicht habe. Ich wollte unter keinen Umständen mein Buch mit diesem Kapitel über dieses ominöse Buch veröffentlichen, bevor ich mich nicht mit vor allem Kollegen von anderen Disziplinen ausgetauscht hatte.
Die beiden Bände "Galileo's O" sind das Produkt dieser Kampagne, die wir durchgeführt haben, und der fügen wir jetzt das dritte Buch hinzu, in der wir nicht nur unsere Fehler analysieren, sondern ganz neue Methoden vorstellen, mit denen Fälschungen leichter entschlüsselt werden können. Meine These ist davon absolut unbenommen, und das hat mich am stärksten, sagen wir, verwundert, dass in einigen Besprechungen diese Grundthese, dass zwischen Wissenschaft und Kunst eigentlich bis ins späte 19. Jahrhundert hinein ein Bündnis bestand, dass das angezweifelt wurde.
Heise: Na ja, nicht nur angezweifelt. Es wird Ihnen quasi in diversen Artikeln vorgeworfen, durch Ihre Betonung der ja zum Teil hingeworfenen Skizzen, durch die Betonung und dadurch, dass Sie diese hingeworfenen Skizzen quasi zu Meisterwerken machen, würden Sie Begehrlichkeiten erst wecken und Fälscher auf den Plan rufen.
Bredekamp: Ja, das ist für mich eines der abwegigsten und beschämendsten Argumente, die auf denjenigen zurückfallen, der diese in die Welt gebracht hat. Ich habe keinesfalls Zeichnungen, die nicht vom Künstler stammen, zu Meisterwerken gemacht, sondern mein Argument war, etwa bei Darwin, der überhaupt nicht zeichnen konnte, dass der Denkprozess - es ging dort um die ersten Visualisierungsschritte seiner Evolutionstheorie -, dass er das Papier brauchte, um sich ihrer zu vergewissern, und das hat gar nichts mit der Frage von Künstler oder nicht Künstler zu tun, sondern das ist die Frage des Denkprozesses.
Das Denken geht in meiner tiefsten Überzeugung nicht allein im Kopf vor sich, sondern es braucht ein Gegenüber, indem ein autonomer Prozess abläuft, und in diesem Sinn ist Galileis eines der kostbarsten Beispiele, weil er eben an der Kunstakademie, am Rande der Kunstakademie in Florenz studiert hat und nur zwei Semester oder drei in Pisa. Er hat sein Studium dort auch damit verbracht, dass er bei Ostilio Ricci, einem Mathematiker, anhand des Manuskriptes von Alberti, dem Künstler Alberti, über die Perspektive gelernt hat und er hat Zeichnen gelernt. Mit diesen beiden Fähigkeiten war er in der Lage, alles was er am Himmel sah, aber auch auf Erden, sofort perspektivisch zu bestimmen und auch wiederzugeben. Und wenn sein Biograph sagt, Viviani, dass er unter den Zeitgenossen zur höchsten Schicht derjenigen zu zählen war in der Fähigkeit zu zeichnen, dann kann man das nur bejahen.
Heise: Der gefälschte Sternenbote liegt ja noch im Berliner Kupferstich-Kabinett. Was wird dann eigentlich mit ihm geschehen?
Bredekamp: Ich hoffe sehr, dass dieses Exemplar in öffentlichem Besitz bleibt. Meine größte Hoffnung wäre, dass es ans Berliner Institut für Wissenschaftsgeschichte geht und dass man um dieses Buch herum eine Art Pool bilden könnte von gefälschten Werken, sodass man an einem Ort die Daten, die sich auf gefälschte Werke und zeitgenössische originale Werke beziehen, dann zusammenführen könnte, weil all das fehlte uns.

Wir haben ins Dunkel hineingeforscht, wir hatten keine Vergleichsdaten, und das wäre dann ein großes Vorankommen, ein schönes Ergebnis dieses fatalen Irrtums.
Heise: Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einer der weltweit führenden Galileis-Forscher. Am Freitag erscheint das Buch "A Galileo Forgery" bei De Gruyter. Es beschäftigt sich mit dem Umstand, auf die Fälscher hereingefallen zu sein.

Herr Bredekamp, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
Bredekamp: Danke meinerseits.
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