Wissensarbeiter sollten mittags schlafen

Martin Braun im Gespräch mit Joachim Scholl · 09.07.2013
Die positive Wirkung eines kurzen Mittagsschlafes kann man im Gehirn nachweisen, das sich durch die Phase des Abschaltens physikalisch verändert, sagt der Arbeitswissenschaftler Martin Braun. Ob man kurz auf dem Stuhl oder auf einer Liege ruhe, sei dabei unerheblich.
Joachim Scholl: Kommt im Zuge der europäischen Finanzkrise auch diese Tradition unter die Räder: die Siesta in südlichen Ländern? Darüber hat es in den Feuilletons der vergangenen Monate einige Diskussionen gegeben, die uns wiederum wach gemacht hat. Deshalb fragen wir in dieser Woche mal nach verschiedenen Aspekten dieser herrlichen Sitte, wie wir es finden, des Mittagsschlafs. Dass dieser nämlich höchst gesund ist und auch produktiv macht, davon ist man zum Beispiel in der Stadtverwaltung im niedersächsischen Vechta überzeugt.

Beitrag: Deutschlands Siesta-Pioniere: Verordneter Büroschlaf im Rathaus Vechta (MP3-Audio)

Aus einem Studio in Stuttgart ist uns jetzt Martin Braun vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation zugeschaltet. Guten Tag, Herr Braun!

Martin Braun: Guten Tag nach Berlin!

Scholl: Es ist jetzt viertel nach zwei, Herr Braun. Haben Sie Ihren Power Nap schon hinter sich?

Braun: Nein, nein, ich hab heute keinen Power Nap gemacht, aber ich bin gerade in der S-Bahn gefahren und da habe ich eine ganze Reihe von Zeitgenossen gesehen, die ihren Power Nap gemacht haben, und auch ich habe mir erlaubt, ein bisschen die Augen zu schließen.

Scholl: Sie haben diesen deutschen Feldversuch in Vechta, von dem wir gerade gehört haben, am Ort besichtigt für Ihre eigenen Forschungen zum Power Nap, zum Mittagsschlaf, zum Büroschlaf, wie man ihn auch nennen will. Zu welchen Ergebnissen sind Sie denn gekommen?

Braun: Ich muss vielleicht ergänzen, wir haben seinerzeit eine Studie durchgeführt zur Produktivität von Wissensarbeit, also eine spezielle Arbeitsform. Wissensarbeit, wo wir Büroarbeit, Verwaltungsarbeit dazuzählen. Und wir sind aufmerksam geworden, weil wir gefragt haben, welche Auswirkungen hat denn eigentlich der Mittagsschlaf, Power Nap?

Wir sind dorthin gegangen und das Erste war sehr beeindruckend: Es war ein sehr offenes Haus, eine sehr gute Unternehmenskultur, ein modernes Gebäude, man hat gemerkt, hier geht was, hier arbeiten die Menschen zusammen. Wir haben uns die Zahlen vorlegen lassen, der Krankenfehlstand war recht gering, die Produktivität in Bezug auf die Personen, die dort beschäftigt sind, recht gut. Was mich beeindruckt hat: Ja, wie werden Sie empfangen – Sie kriegen gleich einen Kaffee –, die Offenheit im Gebäude und eine Artothek. Nach Jahren erinnere ich mich noch an diese Artothek. Sie müssen sich vorstellen, eine Kreisstadt, 30.000 Einwohner, und die haben einen Service für ihre Bürger, die kümmern sich um die Kunst. Das habe ich noch nie gesehen, das hat mich beeindruckt.

Scholl: Wenn das so cool und so eindeutig schlagend und überzeugend mit dem Power Nap zu verbinden ist, Herr Braun, wie kommt es denn, dass die Stadtverwaltung Vechta die erste und anscheinend immer noch einzige deutsche Behörde ist, die das ihren Mitarbeitern erlaubt?

Braun: Nun, ich habe ja gerade ein bisschen ausgeholt, es sind sicherlich eine ganze Reihe von Faktoren, aber das Augenscheinlichste war eben dieser Power Nap. Es gab früher, es gab vor 200 Jahren, zu Beginn der Industrialisierung gab es in der Tat ein Verbot des Mittagsschlafes, als man die Beschäftigten, als man die Werke disziplinieren wollte. Das ist aber lange her, wir haben heute keine gesetzlichen Bestimmungen, die für oder gegen den Mittagsschlaf sprechen würden. Sehen wir mal ab von speziellen Beschäftigtengruppen wie Kraftfahrer, Lenkzeiten auch bei der Nacht und Ähnliches.

Die Frage, die wir vorher aufgeworfen haben – Wissen wir denn genau, wer Power Nap macht, wer döst, wer Mittagsschlaf macht in den deutschen Betrieben, in den Verwaltungen, auch in den produzierenden Unternehmen? –, ich habe den Eindruck, es gibt eine ganze Reihe von Personen, die sich über den Mittag zurückziehen, die Ruhe suchen. Das ist aber ein sehr privates und gar intimes Phänomen, da redet man ungerne drüber.

Scholl: Oft wird ja jeder Zeitgeist-Quatsch geadelt, wenn man ihm einen properen englischen Namen verpasst, also aus dem Mittagsschlaf das Power Napping, das ja ungefähr energievoll klingt und eben eigentlich doch die deutschen Topmanager und Unternehmen richtig heiß machen würde: Was ganz Neues, Power Napping!

Aber das hat, scheint’s, überhaupt nichts genützt in den letzten Jahren. Warum sitzt denn diese Abwehr so tief im deutschen Arbeitsbewusstsein? Ist das protestantische Ethik oder hat der deutsche Mittagsschlaf, den es ja durchaus auch als Begriff gibt, einfach in der modernen Industriegesellschaft im Takt dieser Arbeit immer noch keinen Platz? Sie haben ja schon gesagt, eigentlich läuft es nicht mehr so wie zu Anfang der Industrialisierung!

Braun: Ja, Sie sagen es in der Tat. Die Kinder, die Babys, die haben poly-phasigen Schlaf, die schlafen regelmäßig viermal am Tag. Die älteren Mitbürger gönnen sich den Mittagsschlaf üblicherweise, das ist was ganz Übliches. Oder auch die Arbeitstätigen am Wochenende. Also, ich gönne mir gerne am Wochenende, wenn ich Möglichkeit habe, auch den Mittagsschlaf. Insofern nichts Außergewöhnliches. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, Sie haben es bereits angesprochen, in der Arbeitswelt, es war explizit verboten vor 200 Jahren, als man die Leute disziplinieren wollte, als man sie an die Maschinen bringen musste. Wo die Prozesse … Sie müssen sich eine Fabrik vorstellen als eine Vielzahl von Einzeltätigkeiten, die streng koordiniert werden müssen, um ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen. Wenn da eine oder zwei Personen ausfallen, ist das gesamte Arbeitsergebnis in Gefahr. Und da war einfach eine Disziplinierung notwendig.

Vor allem es war damals die Handarbeit, vor allem die Handarbeit. Und wir erleben heute noch bei Nachtschichtarbeit, dass Leute, ich will nicht sagen … – Wachheit ist ja ein Bewusstseinszustand –, dass sie fast dämmern bei der Arbeit. Und das macht nicht viel aus, weil das Anforderungsniveau ein relativ geringes ist.

Wo das Interesse heute der Forschung insbesondere gilt – ich habe es vorher angedeutet –, das ist die Wissensarbeit, also anspruchsvolle Tätigkeiten und insbesondere dort die Gedächtnisleistung. Gedächtnisleistung als Voraussetzung für Kreativität, für Kommunikation und ähnliche Eigenschaften. Und da gewinnt diese Eigenschaft an Bedeutung. Wir haben eine ganze Reihe von Erkenntnissen aus der Hirnforschung, aus der Neurowissenschaft, und da fällt ein Phänomen auf, das ist die Neuroplastizität. Also, wir können mittlerweile im bildgebenden Verfahren nachweisen, dass sich da oben in dem Gehirn ganz physikalisch was verändert. Also, die Form des Gehirns verändert sich. Und das hat schon zum Nachdenken angeregt.

Scholl: Nun erforscht die Wissenschaft ja auch schon lange menschliche Zeitrhythmen, es gibt die sogenannte Chronobiologie, also, die verschiedene Chronotypen bei Menschen differenziert. In der Arbeitsorganisation hat sich danach bislang wenig gerichtet. Brauchen wir da neue Parameter, also Leitbilder für so diese postindustrialistische Zeit, ja, für das Zeitalter des Wissens?

Braun: Wir brauchen die und ich denke, die haben wir auch schon. Es geht eher um die Verbreitung. Also, wenn ich mich umtue – und wir kommen ja in viele Betriebe, auch in Bürobereiche –, die Arbeitsbedingungen ändern sich. Die Räumlichkeiten werden andere, sie werden offener, Sie haben flexible Arbeitszeiten. Das gehört alles, sind alles Aspekte, um auch dem Aspekt der Zeit, der Zeitgestaltung, der Chronobiologie einen anderen Stellenwert auch einzuräumen.

Ich denke, da sind wir auf einem ganz guten Weg. Ich habe es ja vorher angedeutet, das ist ein ganz erheblicher Unterschied zwischen manueller und geistiger Arbeit, so wie wir das nennen, und auch die Produktionsfaktoren: Wenn die Technik, die Maschine im Vordergrund steht, was die Produktivität betrifft, muss ich mich nach ihren Bedingungen richten. Wenn der menschliche Kopf im Vordergrund steht, habe ich andere Bedingungen. Da müssen wir uns in der Tat noch in der Arbeitsgesellschaft dran gewöhnen.

Scholl: Jetzt wollen wir aber noch Ihren Fachverstand nutzen, Herr Braun, für praktische Tipps: Wie sieht denn das ideale Mittagsschläfchen oder das richtige, moderne Power Napping aus?

Braun: Ich würde das insgesamt natürlich in einen größeren Rahmen stellen wollen, also in eine Zeit- oder in eine Schlafhygiene. Ganz wichtig ist mal, dass Sie einen ausreichenden Nachtschlaf haben, dass Sie dann morgens erfrischt aufstehen, dass Sie zur Arbeit gehen. Da gibt es unterschiedliche Phasen und Sie werden dann merken, gegen zwölf Uhr ungefähr – das variiert ein bisschen zwischen den einzelnen Personen –, da werden Sie in ein Leistungstief fallen, also ein psychisches oder auch ein physiologisches Leistungstief, Sie erschlaffen ein Stück weit. Das ist im Augenblick der Sommerzeit ein bisschen weniger stark ausgeprägt. Nutzen Sie die Gelegenheit vielleicht für einfachere Tätigkeiten. Und wenn Sie die Möglichkeit haben, dann machen Sie auch den Power Nap. Wie Sie ihn machen, hat man herausgefunden, ist relativ egal. Auf jeden Fall, Sie müssen sich entspannen und die Augen schließen. Aber ob Sie das auf einer Liege machen oder auf einem Stuhl machen, ist eigentlich unerheblich. Und wir haben ja vorher, in dem Trailer gemerkt, 20 Minuten ist ein guter Wert, weil nach 20 Minuten fallen Sie in den Tiefschlaf. Und dann fällt es Ihnen deutlich schwerer, wieder erfrischt Ihre Tätigkeit fortzuführen.

Scholl: Das wäre mein privates Problem. Also, nach 20 Minuten, da kriegen Sie mich nicht mehr hoch! Sie schaffen das?

Braun: Ja, das schafft man dann schon, genau!

Scholl: Das Mittagsschläfchen, gesund und produktiv, man kann es auch Power Napping nennen. Das war Martin Braun vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, danke Ihnen für das Gespräch, Herr Braun!

Braun: Ja, vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.