Wishlists auf Amazon

Wo von Armut Betroffene um Spenden bitten

10:26 Minuten
Zwei weihnachtlich verpackte Geschenkboxen des Versandhändlers Amazon.
Es sei immer mehr so, dass "Wishlists" das Überleben sichern, sagt Sandra, die selbst ihre Wunschlisten im Internet öffentlich macht. © Getty Images / Chesnot
Lydia Heller im Gespräch mit Katja Bigalke · 17.12.2022
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Lebensmittel und Toilettenpapier: Es sind oft rudimentäre Dinge, die auf sogennanten "Wishlists" der von Armut betroffenen Menschen bei Amazon stehen. Sie haben mit existenziellen Nöten zu kämpfen - und mit der Beschämung durch Hater und Trolle.
„Ich habe ein Amazon-Paket bekommen. Und - ich hab nichts bestellt! Es muss oder wird wahrscheinlich was von der ‚Wishlist‘ sein, ich mach‘s mal auf. Okay. Wow! Yeah! Die Rouladen sind da – wie cool! Das ist super, das ist wirklich super. Freu ich mich.“
Für Sandra ist ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Die „Wishlist“ mit den Dingen, die sie sich wünscht, hat sie bei Amazon angelegt. Es ist eine Art digitale Variante der Hochzeitstische im Kaufhaus: Man teilt öffentlich mit, was man gerne hätte und das können andere Leute dann für einen kaufen.

Wunschliste als Bestellzettel

„Nicht nur für Sandra, sondern für eine ganze Reihe von Menschen in Deutschland sind Wünsche oder Wunschzettel – oft in Form dieser ‚Wishlists‘ – inzwischen eben Bestellzettel – unfreiwillige, aber notwendige“, erklärt die Journalistin Lydia Heller, die Sandra gesprochen hat. Es geht um existenzielle Dinge, die sie sich sonst nicht leisten können. Sie ist eine von rund 13 Millionen Menschen in Deutschland, die die Statistiker „armutsgefährdet“ nennen – also Leute, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügen.
Es sei immer mehr so, sagt Sandra, „dass diese ‚Wishlists‘ das Überleben sichern. Es sind bei ganz vielen Menschen hauptsächlich Lebensmittel drauf. Ja, rudimentäre Dinge, selbst Klopapier, ganz banal gesagt.“
Scham ist dabei ein großes Thema, als Bettler dazustehen, als Bittstellerin. „Natürlich, man hadert damit. Ich meine, warum sollen sich andere um meine Probleme kümmern? Warum sollen andere Geld ausgeben für mich? Wie stehe ich da?“, fragt Sandra.
Dabei steigt die Zahl der Menschen, deren Einkommen nicht zum Leben reicht – zumal in Zeiten explodierender Energiekosten.

Beschämende Reaktionen auf Twitter

Die Journalistin Lydia Heller hat Sandra unter dem Stichwort "Wishlist" auf Twitter gefunden. Auch auf Amazon können man so nach den Wunschlisten suchen. Auf Twitter würden die, die ihre Links dort teilten, oft richtig beschämt. „Unter Tweets mit dem Hashtag ‚wishlist‘ – die übrigens sicher nicht zufällig oft zusammen mit dem Hashtag ‚ichbinarmutsbetroffen‘ auftauchen – da gibt’s ziemlich viel Hate und Getrolle.“

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„Die Wishlists werden auseinandergenommen. Das ist zum einen ein Problem“, sagt Sandra. „Zum anderen werden durch diese ganzen Trolle und so weiter die ‚Wishlisten‘ leergekauft und es kommt nie was an bei den Betroffenen. Die stornieren das danach wieder. Vielleicht war es das Geburtstagsgeschenk für das Kind und dann kommt es nicht an, und das macht auch was mit den Menschen. Es ist echt übel geworden.“
Manchmal gebe es sogar Anzeigen beim Jobcenter. Allerdings dürften Warenleistungen, Geschenkeleistunge nicht abgezogen werden. Doch glaubt Lydia Heller: „Selbst da gibt’s Ausnahmen, zum Beispiel, wenn jemand Grundsicherung im Alter bekommt, dann können auch Sachgeschenke als Einkommen gewertet werden und von der Unterstützung abgezogen werden. Und da dann gezielt zu suchen, wer so eine ‚Wishlist‘ anlegt und die Leute dann anzuzeigen beim Jobcenter – das ist schon ziemlich perfide.“
(cwu)
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