Wirtschaftweiser: IWF-Vorschlag zur Inflation ist "Schnapsidee"

Peter Bofinger im Gespräch mit Hanns Ostermann · 19.02.2010
Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, spricht sich gegen den Vorschlag des Internationalen Währungsfonds aus, eine höhere Inflation zuzulassen.
Hanns Ostermann: Von einer kleinen Revolution ist da die Rede. Der Internationale Währungsfonds galt als prinzipienfester Streiter für Stabilität. Doch jetzt scheint er eine Kurskorrektur vorzunehmen, die es in sich hat. Der Währungsfonds will mehr Inflation wagen. Statt zwei sind durchaus auch vier Prozent Inflation erstrebenswert, so der IWF. Mit einem Schlag wird damit also ein jahrzehntelanger Konsens unter Politikern und Notenbanken infrage gestellt. Ob zu Recht oder zu Unrecht, darüber möchte ich mit Peter Bofinger sprechen. Er ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, kurz er ist einer der fünf Wirtschaftsweisen. Guten Morgen, Herr Bofinger.

Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Waren Sie überrascht, als Sie von dem Vorschlag hörten?

Bofinger: Eigentlich schon, denn wie Sie es gesagt haben, gab es ja einen sehr breiten Konsens unter Ökonomen, aber auch unter Geldpolitikern, dass eine niedrige Inflationsrate ein ganz wichtiges Ziel der Geldpolitik sein soll, einfach deswegen, weil bei einer niedrigen Inflationsrate eben die Sparer wissen, dass das, was sie fürs Alter dann ansammeln, auch im Wert gesichert ist, und zum anderen auch deswegen, weil einfach das Preissystem ja der Lenkungsmechanismus einer Marktwirtschaft ist und dieser Lenkungsmechanismus funktioniert dann am besten, wenn die Preise im Durchschnitt stabil sind, weil ich dann eben weiß, die Güter, die teuerer werden, sind Güter, bei denen sich die Nachfrage jetzt verstärkt hat, ich kann rausbekommen, welche Güter billiger sind, und wenn ich insgesamt eine sehr hohe Inflationsrate habe, dann funktioniert dieser ganze Steuerungsmechanismus nicht mehr.

Ostermann: Das heißt also, es ist eine Schnapsidee, die Inflationsrate anzuheben?

Bofinger: Ich halte das für eine Schnapsidee und ich halte es nicht nur für eine Schnapsidee, sondern ich halte es auch für gefährlich, denn wir beobachten ja gerade im Augenblick eine sehr große Verunsicherung der Menschen, was die Entwicklung des Geldwertes angeht aufgrund dieser hohen Staatsverschuldung, und wenn man in einer solchen Phase dann anfängt, sozusagen den Nordpol neu zu definieren und zu sagen, Geldwerdstabilität ist auch noch erreicht bei vier Prozent Inflation, dann ist das etwas, was doch das Misstrauen der Menschen noch vergrößert, dass es die Politik gar nicht mehr so ernst mit der Geldwertstabilität meint. Deswegen, meine ich, ist es nicht nur eine Schnapsidee, sondern auch etwas, was überhaupt nicht in die aktuelle politische und ökonomische Konstellation passt.

Ostermann: Aber warum äußert sich der IWF gerade jetzt? Sind nicht möglicherweise die riesigen Staatsdefizite doch ein entscheidender Grund, hier etwas zu ändern, denn so fürchterlich viele Wege aus der Krise gibt es doch nicht?

Bofinger: Der Anreiz ist natürlich immer groß, dass man versucht, solche Probleme mit einer höheren Inflationsrate zu lösen, aber wir wissen eben auch aus der Geschichte und der Vergangenheit, dass der Versuch, ökonomische Probleme mit Inflation zu lösen, so ähnlich ist wie der Versuch, persönliche Probleme mit Alkohol zu lösen. Das ist am Anfang vielleicht ganz hilfreich, aber wenn man das dauerhaft einsetzt, dieses Instrument, dann hat man neben dem ursprünglichen Problem noch ein zweites Problem dazu. Deswegen, würde ich sagen, sollte man wirklich die Finger von solchen Ideen lassen.

Ostermann: Aber welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt, die Staatsdefizite zu reduzieren, also einen Ausweg aus der Krise zu finden? Höhere Steuern können es doch auch nicht sein. In den USA müsste man zum Teil den Steuersatz auf 50, 55 Prozent anheben, um die riesigen Staatsschulden abzubauen. Das kann es doch wohl auch nicht sein?

Bofinger: Die Länder, die die größten Probleme haben mit den Defiziten, das sind ja die sogenannten PIGS-Länder und einige andere. Das sind Länder, die überwiegend relativ niedrige Steuern haben. Die Amerikaner haben keine Mehrwertsteuer auf der Bundesebene, die Japaner haben überhaupt keine Mehrwertsteuer, die Griechen haben eine extrem niedrige Besteuerung von Einkünften von Selbstständigen und Gewinneinkünften. Also gerade die Länder, die die größten Probleme haben, haben doch noch relativ viel Spielraum, die Steuern zu erhöhen. Wenn beispielsweise Griechenland die gleichen Einnahmen des Staates hätte wie Deutschland, dann hätten die Griechen überhaupt kein Problem gehabt.

Ostermann: In Deutschland gab es – und Sie haben die Angst eigentlich vorhin schon mal angedeutet – zweimal eine Hyper-Inflation, 1923 und 1948. Es ist ja schon interessant, dass sich bislang die Bundesregierung zum Vorschlag des IWF nicht geäußert hat. Vor diesem Hintergrund, rechnen Sie mit einer klaren Ablehnung, so wie Sie es formuliert haben?

Bofinger: Ich gehe schon mal davon aus. Jetzt muss man sagen, für Fragen der Inflationsrate ist ja nicht die Bundesregierung zuständig, sondern das ist die zentrale Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Die hat ja das Mandat auch durch den EG-Vertrag, Geldwertstabilität als ihr Hauptziel zu realisieren. Wenn jemand also darauf eingehen müsste, dann wäre es die Europäische Zentralbank. Ich bin sehr sicher, dass die Europäische Zentralbank diesen Vorschlag nicht übernehmen wird, sondern dass sie weiterhin ganz konsequent auf ihrem Ziel der Geldwertstabilität beharren wird.

Ostermann: Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Herr Bofinger, danke Ihnen für das Gespräch.

Bofinger: Ja, gerne.