Wirtschaftsweiser Peter Bofinger

Falsche Wege in der Globalisierung

Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser).
Der Ökonom Peter Bofinger spricht davon, dass sich die Globalisierung verlangsamt, nicht aber an ihr Ende kommt © imago / IPON
Peter Bofinger im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 16.06.2017
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger fordert, mehr Menschen an den Gewinnen durch die Globalisierung zu beteiligen. Der Staat müsse durch Umverteilung dafür sorgen, dass mehr Leute von dem wachsenden Kuchen profitierten.
Während eine Studie der Warbank bereits das Ende der Globalisierung nahen sieht, spricht der Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsweise Peter Bofinger davon, dass sich die Globalisierung verlangsamt. "Ich würde nicht soweit gehen, zu sagen, die Globalisierung ist am Ende", sagte Bofinger im Deutschlandfunk Kultur. "Die Globalisierung nimmt weiter zu, aber nicht mehr in dem Tempo, wie wir das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erfahren haben."

Weiße Flecken auf der Landkarte

Seit den 1990er-Jahren habe es zunächst einen sehr starken Globalisierungsprozess gegeben. Er sei dadurch getrieben gewesen, dass Länder wie China und osteuropäische Staaten in die Globalisierung eingetreten seien. "Das waren ja weiße Flecken auf der Landkarte der Wirtschaft und da ist ein ganz starker Aufholprozess eingetreten." Dies habe zu den starken Wachstumsraten des Welthandels geführt. "Das ist normal, dass dieser Aufholprozess sich allmählich auch verlangsamt."

Schuhe aus dem 3D-Drucker

Dazu trügen auch der technische Fortschritt und die Globalisierung bei. Als Beispiel nannte Bofinger die Adidas-Produktion, die Schuhe mit dem 3-D-Drucker herstellten. Er plädierte dafür die Globalisierungsgewinne auch in Deutschland stärker umzuverteilen und auf die Abgehängten mehr zu beteiligen. Nur so lasse sich ein Konsens für die Globalisierung erzielen.
Im März 2004 wurde Bofinger auf Empfehlung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen, den sogenannten fünf Wirtschaftsweisen.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Der Ton zwischen den großen Wirtschaften der Welt scheint immer rauer zu werden: Der US-Präsident zieht die Mauern hoch, und nicht nur gegenüber Mexiko, mit Strafzöllen wird gedroht, und nicht nur er will die Handelsüberschüsse Deutschlands nicht mehr hinnehmen. Außerdem fordern viele Staaten Schutzmaßnahmen gegen zum Beispiel chinesische Investoren, die alles aufzukaufen scheinen, was nicht niet- und nagelfest ist.
Ist also die Globalisierung an ihr Ende gekommen? So jedenfalls hat es die Studie der Warbank formuliert, und wir wollen die Frage weiterreichen vor dem G20-Treffen Anfang Juli in Hamburg an den Ökonomen Professor Peter Bofinger. Seit 2004 ist er ja auf Empfehlung der Gewerkschaften im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er ist also einer von den berühmten fünf Wirtschaftsweisen und dürfte zu den einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum zählen. Schönen guten Morgen, Herr Bofinger!
Peter Bofinger: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Warum ist das so, dass der grenzüberschreitende Güter- und Kapitalverkehr zurückgeht?
Bofinger: Ich würde jetzt nicht so weit gehen, dass ich sagen würde, die Globalisierung ist am Ende. Was wir sehen, ist eine Verlangsamung der Globalisierung. Also die Globalisierung nimmt weiter zu, aber nicht mehr mit dem Tempo, wie wir das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erfahren haben. Und das ist ja zunächst mal ganz normal, denn was wir beobachtet haben seit den 90er-Jahren, ist ja ein ganz starker Globalisierungsprozess, der dadurch getrieben war, dass Länder wie China und die ganzen osteuropäischen Staaten in die Globalisierung eingetreten sind.
Das waren ja weiße Flecken auf der Landkarte der Wirtschaft, und da ist ein ganz starker Aufholprozess eingetreten, der eben zu diesen sehr, sehr starken Wachstumsraten des Welthandels geführt hat. Und es ist normal, dass dieser Aufholprozess natürlich auch allmählich sich verlangsamt, und das ist sicher einer der Gründe dafür, dass die Globalisierung, also das Wachstum des Welthandels jetzt allmählich nicht mehr so stark voranschreitet, wie das in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist.

Einfluss der Industrie 4.0

von Billerbeck: Die Ökonomen der Warbank, die sagen ja, der Welthandel und damit die Globalisierung trete in eine neue Phase – da bestätigen sie eigentlich das, was Sie eben auch gesagt haben. Das heißt, man kann einfach nicht mehr auslagern, verlagern, jedenfalls nicht rentabel. Ist das der Grund?
Bofinger: Das ist sicher ein Effekt, dass eben das, was an Potenzial da war, um nun Produktionsprozesse, Wertschöpfungsketten in sogenannte Billiglohnländer zu verlagern, dass dieses Potenzial weitgehend erschöpft ist, und es sind ja auch technische Prozesse, die eine Rolle spielen. Ich denke, je weiter jetzt die ganze Digitalisierung schreitet, die Industrie 4.0, desto eher wird es auch möglich sein, bestimmte Wertschöpfungsstufen wieder aus Schwellenländern nach Deutschland zurückzubekommen – denken Sie an Adidas, die jetzt 3-D-Drucker haben, mit denen sie ihre Schuhe machen. Das heißt, auch der technische Fortschritt könnte sich tendenziell gegen die Globalisierung auswirken.
von Billerbeck: Man kann sie also selber ausdrucken, die Schuhe, und muss sie nicht mehr irgendwo produzieren lassen. Wir erleben ja auch vielerorts heftigen Protektionismus. China fällt uns als Erstes ein, es setzt verstärkt auf eigene Produkte, auch um die Wachstumsschwäche auszugleichen. Die Chinesen importieren also weniger, machen also das, was wir ja auch aus den USA jetzt hören, was Donald Trump immer fordert.
Bofinger: Ja, es sind unterschiedliche Triebkräfte. Das eine, würde ich sagen, sind die USA, wo auch die allgemeine Stimmung im Land sich gegen die Globalisierung auswirkt, und das ist dort ja auch nicht überraschend, denn wir haben ja grundsätzlich die Tendenz, dass die Globalisierung den Wohlstand der Nation erhöht. Das ist das, was wir ja beobachtet haben in den vergangenen 25 Jahren, dass überall, in allen Ländern, in den Staaten insgesamt der Wohlstand gestiegen ist.
Das Problem ist, dass der Wohlstand, also der Kuchen, der wächst in einem Land, eben ungleich verteilt ist und dass eben doch größere Teile der Bevölkerung einfach abgekoppelt werden von diesem wachsenden Kuchen. Das kann man in den USA ja sehr schön beobachten, wo eben der Durchschnittsarbeitnehmer seit Ende der 70er-Jahre keine Reallohnerhöhung mehr bekommen hat, obwohl die Wirtschaftsleistung sich fast verdoppelt hat und eben der ganze Wohlstandsgewinn bei den oberen ein Prozent oder 0,1 Prozent angekommen ist. Und da ist es natürlich nachvollziehbar, wenn die Masse der Bevölkerung nun keine große Begeisterung für die Globalisierung zeigt.

Trump macht alles falsch

von Billerbeck: Aber kann denn diese Politik des Zurück zu Nationalismen das tatsächlich ausgleichen, oder anders gefragt, haben denn die, die so nicht begeistert von der Globalisierung sind, weil sie deren Opfer sind, tatsächlich was davon, wenn man jetzt wieder zurück hinter die eigenen Grenzmauern sich zieht?
Bofinger: Nein, das ist der falsche Weg, denn der Kuchen wird dadurch ja wieder kleiner. Und die, die an diesem wachsenden Kuchen nicht profitiert haben, die werden auch nicht profitieren, wenn der Kuchen zurückgeht. Was man machen muss, ist, wenn der Kuchen wächst, über die Steuerpolitik, über die staatliche Umverteilungspolitik dafür zu sorgen, dass man denen, die die Gewinner sind, etwas abnimmt, damit diejenigen, die die Verlierer sind, auch am Ende von der Globalisierung profitieren.
Und so gesehen macht Trump natürlich alles falsch. Er macht Protektionismus, der Kuchen wird kleiner, und gleichzeitig verteilt er aber so um, dass die, die sowieso schon massiv begünstigt werden, dass sie noch mehr begünstigt werden, und diejenigen, die bisher leer ausgegangen sind, die belastet er beispielsweise, indem er eben die staatlichen Leistungen für das Gesundheitssystem zurückfährt.
von Billerbeck: Das heißt, was ist Ihre Vorstellung davon, wie man da gegensteuern könnte?
Bofinger: Ja, das Modell ist eigentlich ein Modell, das Ludwig Erhard ja propagiert hat: Wohlstand für alle. Das heißt, man muss sich für die Globalisierung einsetzen, der Staat muss aber in der Lage sein, durch die Umverteilungspolitik dafür zu sorgen, dass dieser wachsende Kuchen sich für alle auch positiv auswirkt, und das ist eben in der Vergangenheit nicht so besonders gut gelungen. Auch in Deutschland muss man feststellen, dass von 1995 bis 2015 die unteren 50 Prozent der Arbeitnehmer keinen Anstieg ihres Reallohns erfahren haben, obwohl die deutsche Wirtschaft um rund 25 Prozent gewachsen ist.

Konsens für die Globalisierung

von Billerbeck: Das heißt, die Reichen mehr besteuern, die anderen weniger?
Bofinger: Die Idee muss sein, dass diejenigen, die hohe Einkommen haben, tatsächlich auch höhere Steuerlasten tragen, und dass man versucht, gezielt dort zu entlasten, wo eben jetzt die Globalisierung mit negativen Einkommenseffekten sich bemerkbar macht. In Deutschland beispielsweise würde das heißen keine generelle Steuerentlastung, sondern wenn man Entlastung vornimmt, dann eben gezielt die Abgabenbelastung, die Sozialabgabenbelastung im Niedrigeinkommensbereich reduzieren.
von Billerbeck: Welche Chancen sehen Sie denn dafür bei der derzeitigen politischen Koalition in Berlin?
Bofinger: Ich will da jetzt keine Prognosen abgeben, aber ich glaube, es sollten sich alle Beteiligten darüber Gedanken machen, wie man eben den Konsens für die Globalisierung erhält. Und das kann man eben nur tun, dass man diejenigen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten abgehängt worden sind, dass man denen auch einen größeren Anteil am wachsenden Kuchen gibt.
von Billerbeck: Peter Bofinger war das, einer der fünf Wirtschaftsweisen, nach einer Studie der Warbank, die das Ende der Globalisierung gekommen sah. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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