Wirtschaftsstatistiker rechnet mit Anstieg des privaten Konsums
Der Wirtschaftsstatistiker Hans Wolfgang Brachinger, geht davon aus, dass trotz der Wirtschaftskrise die Kauflust der Konsumenten steigt. Die von ihm gemessene gefühlte Inflationsrate liege derzeit ähnlich niedrig wie die amtliche. Die Bürger stellten eine Stabilisierung der Preise fest, was „die Kaufneigung der Konsumenten befördern“ helfe, sagte der Direktor des Forschungszentrums für Wirtschaftsstatistik der Universität Fribourg in der Schweiz.
Dieter Kassel: Morgen veröffentlicht das Statistische Bundesamt den Verbraucherpreisindex für den Monat Januar. Das ist dieser Wert, der umgangssprachlich immer als Inflationsrate bezeichnet wird. Im Januar 2009 lag diese Inflationsrate bei knapp einem Prozent, 0,9. Das war zumindest der vorläufige Wert, das wird auch in etwa das sein, was morgen dann als endgültig verkündet wird.
Und immer, wenn diese Zahlen verkündet werden, gerade wenn die Inflationsrate so niedrig ist, dann sorgt das bei den Bürgern, die es hören, für einen gewissen Ärger. Denn egal, wie die offizielle Zahl lautet, die Menschen auf der Straße finden meistens, es wird trotzdem alles immer teurer, und das Teurerwerden wird auch immer schlimmer.
Diesen gefühlten Wert, den kann man durchaus auch wissenschaftlich bewerten, und das tut unter anderem Professor Hans Wolfgang Brachinger. Er ist der Direktor des Forschungszentrums für Wirtschaftsstatistik an der Universität Fribourg in der Schweiz und unter anderem auch der Präsident der Bundesstatistikkommission der Schweiz. Er ist jetzt für uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Brachinger!
Hans Wolfgang Brachinger: Schönen guten Tag!
Kassel: Wenn wir nun mal bei dieser Zahl bleiben, morgen kommt es noch genauer, aber das ist ja immerhin etwa auch das Gleiche, was schon verkündet wurde. Wenn wir von 0,9 Prozent Preissteigerung im Januar im Vergleich zu Januar 2008 ausgehen, dann ist das ein sehr niedriger Wert. Ich habe es schon gesagt, trotzdem wird wieder fast jeder sagen, stimmt doch alles nicht, es wird immer alles teurer. Sie haben ja einen Alternativwert, Sie haben ja einen eigenen Index. Wie liegt denn der im Moment?
Brachinger: Der liegt auch sehr niedrig. Das heißt also, wir haben jetzt eine Situation erreicht, die wir seit zwei Jahren nicht mehr hatten, nämlich eine Situation, bei der der gefühlte Inflationswert relativ nahe beim amtlich gemessenen liegt. Das heißt also, ich glaube, dass im Moment die Neigung der Konsumenten, über den amtlichen Indexwert zu schimpfen, relativ klein ist.
Kassel: Dennoch gibt es doch immer diesen Unterschied zwischen Ihrem Index der wahrgenommenen Inflation und dem offiziellen Wert des statistischen Bundesamtes. Nun sind es aber doch beides durchaus wissenschaftliche Berechnungen und keine Psychologie oder Ähnliches. Wieso der Unterschied?
Brachinger: Der Unterschied ist dadurch bedingt, dass wir den Warenkorb des Statistischen Bundesamtes anders gewichten, als es das Bundesamt tut. Beim Bundesamt werden die Preisveränderungen der einzelnen Güter nach den sogenannten Ausgabengewichten eines Durchschnittshaushaltes gewichtet. Das heißt also, ein Gut ist da besonders wichtig, wenn der Anteil, den der Durchschnittshaushalt dafür aufwendet, besonders groß ist. Also: Die Drei-Zimmer-Wohnung zum Beispiel gehört dazu oder der Neuwagen oder die Fernreise. Das sind alles Dinge, die ein hohes Gewicht im Budget eines Haushaltes haben.
Bei unserem Index der wahrgenommenen Inflation werden die Preisveränderungen nach Kaufhäufigkeit gewichtet. Das heißt also, die Fernreise oder der Neuwagen ist vergleichsweise unwesentlich, weil ich ja nicht dauernd einen Neuwagen kaufe. Was in unserem Index wesentlich ist, sind die Brötchen, die Tageszeitung am Kiosk, das Bier in der Kneipe und dergleichen mehr, die Butter, die Margarine, all das, was ich mehr oder weniger täglich kaufe.
Das heißt also, wir bewerten das Inflationsphänomen im Sinne des Käufers, der also täglich an der Preisfront sich bewegt. Und ein wesentliches Phänomen, das wir derzeit beobachten, ist, dass eben gerade bei den kaufhäufigen Gütern eine erhebliche Beruhigung bei den Preisen eingetreten ist.
Kassel: Aber kommt da nicht dann doch tatsächlich die Psychologie ins Spiel? Ist es nicht so, dass der Ärger über Preissteigerungen immer viel intensiver empfunden wird als die Freude über stabile oder sogar sinkende Preise?
Brachinger: So ist es. Die Gewichtung nach Kaufhäufigkeiten ist ein rein objektives Verfahren. Was wir in unserem Index zusätzlich drin haben, ist eben genau das, was man die sogenannte Loss Aversion, die Verlust-Aversion nennt. Das heißt also eben, wie Sie richtig sagten, dass Preissteigerungen wesentlich intensiver von den Käufern wahrgenommen werden als Preissenkungen. Das ist ein psychologischer Aspekt, der aber natürlich für das Kaufverhalten der Konsumenten besonders wichtig ist.
Kassel: Kann man denn da, sei es nun als Händler oder auch als jemand, der die Wirtschaft steuern will, in der Regierung, wer auch immer, überhaupt was machen, oder ist der Mensch halt so? Sagt er, zehn Pfennig billiger ist lange nicht so erfreulich wie fünf Pfennig teurer ärgerlich sind?
Brachinger: Also schon Ludwig Erhard hat ja angeblich gesagt, dass 50 Prozent der Ökonomie Psychologie ist. Wir sind die Ersten, die das auf das Inflationsphänomen übertragen haben. Natürlich kann man dagegen überhaupt nichts machen. Der Konsument wird sich da von keiner Regierung oder wem auch immer reinreden lassen. Der wesentliche Punkt ist einfach, wenn ich als Regierung oder als Politiker Interesse daran habe, die Kaufneigung der Leute zu fördern, dann muss ich alles tun, um Preissteigerungen, vor allem bei den kaufhäufigen Gütern, möglichst gering zu halten.
Kassel: Kann man denn überhaupt Freude erzeugen über gesunkene Preise? Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass völlig vergessen wird, dass es ganze Bereiche gibt, wo durchaus die Preise seit Jahren sinken. Besonders auffällig – wenn wir wirklich was nehmen, womit die meisten Menschen täglich zu tun haben – ist ja der Bereich der Telekommunikation. Telefongespräche im Festnetz, inzwischen aber auch Mobilfunk, sind unglaublich gesunken in den letzten zehn Jahren seit der Marktliberalisierung. Wieso nimmt der Verbraucher so was eigentlich einfach nur hin und gar nicht wirklich positiv zur Kenntnis?
Brachinger: Was die Telekommunikation anbelangt, da glaube ich durchaus, dass die Leute sich der Tatsache bewusst sind, dass Telefonieren billiger geworden ist. Es wird einfach auch viel mehr telefoniert, das deutet darauf hin, dass die Leute über die Vergünstigung bei den Preisen ein Bewusstsein haben sozusagen.
Kassel: Herr Brachinger, Sie haben es am Anfang unseres Gespräches ja gesagt, im Moment ist dieser Eindruck, den die offizielle Inflationsrate des Statistischen Bundesamts wiedergibt, also unter ein Prozent Inflation, ein Eindruck, den der Index der wahrgenommenen Inflation, den Sie errechnen, durchaus auch bestätigen kann, das heißt die Tatsache, dass die Dinge sehr langsam teurer werden im Moment, manche vielleicht sogar billiger, müsste eigentlich ankommen beim Endverbraucher. Heißt das, im Moment wird trotz großer Wirtschaftskrise im kleinen Verbrauch gerade die Kauflust geschürt?
Brachinger: Das glaube ich durchaus. Ich meine, dass es verschiedene Indizien dafür gibt, dass die Leute feststellen, aha, die Preise sind jetzt wieder etwas stabiler geworden im Vergleich zu 2007/2008, und das wird, wenn das jetzt über längere Zeit stabil bleibt, sicher die Kaufneigung der Konsumenten befördern.
Kassel: Wenn Sie sagen, wenn es längere Zeit stabil bleibt, gehen wir da schon in Richtung Deflation? Weil das kann ja auch heißen, so wie Sie es gerade gesagt haben, im Moment kaufen die Leute noch nicht so gerne, weil sie sich sagen, in zwei Monaten ist es noch billiger.
Brachinger: Das glaube ich nicht, dass die Leute tatsächlich drauf warten, dass die Preise noch weiter sinken. Ich halte das Gespenst der Deflation, das da überall am Horizont gezeichnet wird, für völlig überzogen. Was wir im Moment haben, ist eine Des-Inflation, das heißt, wir haben sinkende Preise, aber das bedeutet noch nicht Deflation. Denn Deflation bedeutet, dass die Konsumenten und die Unternehmen in Erwartung weiter sinkender Preise ihre Konsumtions- bzw. Investitionspläne immer weiter hinausschieben. Davon kann meines Erachtens derzeit auf der Seite der Konsumenten jedenfalls nicht die Rede sein.
Kassel: Wer kauft denn im Moment oder bald? Sie haben zu Zeiten, als die Inflation höher war im vergangenen Jahr, vor Beginn der Krise, als auch der Unterschied zwischen dem offiziellen Wert und Ihren Berechnungen größer war, darauf hingewiesen, dass da, von der Preissteigerung vor allen Dingen, relativ arme Menschen betroffen waren und die Reichen natürlich weniger. Wer kauft jetzt? Die Reichen, die sozusagen kein Problem mit der Inflation hatten, oder die Armen, die eins hatten?
Brachinger: Ich meine beide. Die Reichen kaufen deshalb, weil sie das Inflationspolster, das sie angelegt haben, jetzt gerne wieder reduzieren, weil sie sehen, bei den kaufhäufigen Gütern ist jetzt eine gewisse Preisberuhigung eingetreten. Beispiel: Kauf eines Neuwagens. Viele Leute kaufen jetzt doch einen Neuwagen in Anbetracht der Abwrackprämie. Die Leute, die kaufen, das sind aber Leute, die hinreichend Ersparnisse zur Seite gelegt haben, um überhaupt einen Neuwagen sich leisten zu können.
Auf der anderen Seite, Leute mit niedrigen Einkommen, die kaufen jetzt keinen Neuwagen, weil sie die Ersparnisse nicht haben, aber sie kaufen jetzt wieder eben Butter, Brot und Milch etwas entspannter, als sie das in der Vergangenheit getan haben. Sie sehen im Grunde weniger Bedarf, Geld zu sparen, weil sie sich sagen, im Moment gehe ich mal davon aus, dass die Preise konstant bleiben, das heißt also, ich kaufe und konsumiere an der kaufhäufigen Front so, wie ich das traditionell tue.
Kassel: Lassen Sie uns aber noch einmal zurückkommen auf diese Zahl, die morgen noch mal endgültig für den Monat Januar verkündet wird – umgangssprachlich wie gesagt die Inflationsrate, Verbraucherpreisindex der offizielle Begriff des Statistischen Bundesamtes. Diese Zahl liegt im Moment bei rund einem Prozent, und Sie haben gesagt, Preisstabilität ist etwas ganz Wichtiges. Heißt das, eine ideale Inflation ist eine Inflation von null, 0,1 Prozent?
Brachinger: Nein, eine ideale Inflation liegt etwas höher. Es herrscht eigentlich bei den National-Bankern und auch in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass eine Preissteigerungsrate von unter, aber in der Nähe von 2 Prozent für das Funktionieren einer Wirtschaft optimal ist.
Kassel: So gesehen haben wir im Moment ein bisschen Spielraum nach oben. Ich frage jetzt im Moment jeden, der auch nur entfernt was mit Wirtschaft zu tun hat – Sie haben natürlich sehr viel mehr als entfernt was damit zu tun, deshalb muss ich Sie das fragen – Sie dürfen sich weigern, aber Sie dürfen auch eine Schätzung abgeben, auf die ich Sie garantiert später nicht mehr festlege: Wann ist die Krise vorbei?
Brachinger: Die Krise wird gegen Ende des Jahres ausklingen, sagen wir mal so.
Kassel: Das lasse ich so stehen. Das war Professor Hans Wolfgang Brachinger von der Universität Fribourg in der Schweiz über die Inflation, die gefühlte, die wahrgenommene und die offizielle und was sie für uns im Alltag bedeutet. Danke schön!
Brachinger: Ich danke Ihnen!
Und immer, wenn diese Zahlen verkündet werden, gerade wenn die Inflationsrate so niedrig ist, dann sorgt das bei den Bürgern, die es hören, für einen gewissen Ärger. Denn egal, wie die offizielle Zahl lautet, die Menschen auf der Straße finden meistens, es wird trotzdem alles immer teurer, und das Teurerwerden wird auch immer schlimmer.
Diesen gefühlten Wert, den kann man durchaus auch wissenschaftlich bewerten, und das tut unter anderem Professor Hans Wolfgang Brachinger. Er ist der Direktor des Forschungszentrums für Wirtschaftsstatistik an der Universität Fribourg in der Schweiz und unter anderem auch der Präsident der Bundesstatistikkommission der Schweiz. Er ist jetzt für uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Brachinger!
Hans Wolfgang Brachinger: Schönen guten Tag!
Kassel: Wenn wir nun mal bei dieser Zahl bleiben, morgen kommt es noch genauer, aber das ist ja immerhin etwa auch das Gleiche, was schon verkündet wurde. Wenn wir von 0,9 Prozent Preissteigerung im Januar im Vergleich zu Januar 2008 ausgehen, dann ist das ein sehr niedriger Wert. Ich habe es schon gesagt, trotzdem wird wieder fast jeder sagen, stimmt doch alles nicht, es wird immer alles teurer. Sie haben ja einen Alternativwert, Sie haben ja einen eigenen Index. Wie liegt denn der im Moment?
Brachinger: Der liegt auch sehr niedrig. Das heißt also, wir haben jetzt eine Situation erreicht, die wir seit zwei Jahren nicht mehr hatten, nämlich eine Situation, bei der der gefühlte Inflationswert relativ nahe beim amtlich gemessenen liegt. Das heißt also, ich glaube, dass im Moment die Neigung der Konsumenten, über den amtlichen Indexwert zu schimpfen, relativ klein ist.
Kassel: Dennoch gibt es doch immer diesen Unterschied zwischen Ihrem Index der wahrgenommenen Inflation und dem offiziellen Wert des statistischen Bundesamtes. Nun sind es aber doch beides durchaus wissenschaftliche Berechnungen und keine Psychologie oder Ähnliches. Wieso der Unterschied?
Brachinger: Der Unterschied ist dadurch bedingt, dass wir den Warenkorb des Statistischen Bundesamtes anders gewichten, als es das Bundesamt tut. Beim Bundesamt werden die Preisveränderungen der einzelnen Güter nach den sogenannten Ausgabengewichten eines Durchschnittshaushaltes gewichtet. Das heißt also, ein Gut ist da besonders wichtig, wenn der Anteil, den der Durchschnittshaushalt dafür aufwendet, besonders groß ist. Also: Die Drei-Zimmer-Wohnung zum Beispiel gehört dazu oder der Neuwagen oder die Fernreise. Das sind alles Dinge, die ein hohes Gewicht im Budget eines Haushaltes haben.
Bei unserem Index der wahrgenommenen Inflation werden die Preisveränderungen nach Kaufhäufigkeit gewichtet. Das heißt also, die Fernreise oder der Neuwagen ist vergleichsweise unwesentlich, weil ich ja nicht dauernd einen Neuwagen kaufe. Was in unserem Index wesentlich ist, sind die Brötchen, die Tageszeitung am Kiosk, das Bier in der Kneipe und dergleichen mehr, die Butter, die Margarine, all das, was ich mehr oder weniger täglich kaufe.
Das heißt also, wir bewerten das Inflationsphänomen im Sinne des Käufers, der also täglich an der Preisfront sich bewegt. Und ein wesentliches Phänomen, das wir derzeit beobachten, ist, dass eben gerade bei den kaufhäufigen Gütern eine erhebliche Beruhigung bei den Preisen eingetreten ist.
Kassel: Aber kommt da nicht dann doch tatsächlich die Psychologie ins Spiel? Ist es nicht so, dass der Ärger über Preissteigerungen immer viel intensiver empfunden wird als die Freude über stabile oder sogar sinkende Preise?
Brachinger: So ist es. Die Gewichtung nach Kaufhäufigkeiten ist ein rein objektives Verfahren. Was wir in unserem Index zusätzlich drin haben, ist eben genau das, was man die sogenannte Loss Aversion, die Verlust-Aversion nennt. Das heißt also eben, wie Sie richtig sagten, dass Preissteigerungen wesentlich intensiver von den Käufern wahrgenommen werden als Preissenkungen. Das ist ein psychologischer Aspekt, der aber natürlich für das Kaufverhalten der Konsumenten besonders wichtig ist.
Kassel: Kann man denn da, sei es nun als Händler oder auch als jemand, der die Wirtschaft steuern will, in der Regierung, wer auch immer, überhaupt was machen, oder ist der Mensch halt so? Sagt er, zehn Pfennig billiger ist lange nicht so erfreulich wie fünf Pfennig teurer ärgerlich sind?
Brachinger: Also schon Ludwig Erhard hat ja angeblich gesagt, dass 50 Prozent der Ökonomie Psychologie ist. Wir sind die Ersten, die das auf das Inflationsphänomen übertragen haben. Natürlich kann man dagegen überhaupt nichts machen. Der Konsument wird sich da von keiner Regierung oder wem auch immer reinreden lassen. Der wesentliche Punkt ist einfach, wenn ich als Regierung oder als Politiker Interesse daran habe, die Kaufneigung der Leute zu fördern, dann muss ich alles tun, um Preissteigerungen, vor allem bei den kaufhäufigen Gütern, möglichst gering zu halten.
Kassel: Kann man denn überhaupt Freude erzeugen über gesunkene Preise? Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass völlig vergessen wird, dass es ganze Bereiche gibt, wo durchaus die Preise seit Jahren sinken. Besonders auffällig – wenn wir wirklich was nehmen, womit die meisten Menschen täglich zu tun haben – ist ja der Bereich der Telekommunikation. Telefongespräche im Festnetz, inzwischen aber auch Mobilfunk, sind unglaublich gesunken in den letzten zehn Jahren seit der Marktliberalisierung. Wieso nimmt der Verbraucher so was eigentlich einfach nur hin und gar nicht wirklich positiv zur Kenntnis?
Brachinger: Was die Telekommunikation anbelangt, da glaube ich durchaus, dass die Leute sich der Tatsache bewusst sind, dass Telefonieren billiger geworden ist. Es wird einfach auch viel mehr telefoniert, das deutet darauf hin, dass die Leute über die Vergünstigung bei den Preisen ein Bewusstsein haben sozusagen.
Kassel: Herr Brachinger, Sie haben es am Anfang unseres Gespräches ja gesagt, im Moment ist dieser Eindruck, den die offizielle Inflationsrate des Statistischen Bundesamts wiedergibt, also unter ein Prozent Inflation, ein Eindruck, den der Index der wahrgenommenen Inflation, den Sie errechnen, durchaus auch bestätigen kann, das heißt die Tatsache, dass die Dinge sehr langsam teurer werden im Moment, manche vielleicht sogar billiger, müsste eigentlich ankommen beim Endverbraucher. Heißt das, im Moment wird trotz großer Wirtschaftskrise im kleinen Verbrauch gerade die Kauflust geschürt?
Brachinger: Das glaube ich durchaus. Ich meine, dass es verschiedene Indizien dafür gibt, dass die Leute feststellen, aha, die Preise sind jetzt wieder etwas stabiler geworden im Vergleich zu 2007/2008, und das wird, wenn das jetzt über längere Zeit stabil bleibt, sicher die Kaufneigung der Konsumenten befördern.
Kassel: Wenn Sie sagen, wenn es längere Zeit stabil bleibt, gehen wir da schon in Richtung Deflation? Weil das kann ja auch heißen, so wie Sie es gerade gesagt haben, im Moment kaufen die Leute noch nicht so gerne, weil sie sich sagen, in zwei Monaten ist es noch billiger.
Brachinger: Das glaube ich nicht, dass die Leute tatsächlich drauf warten, dass die Preise noch weiter sinken. Ich halte das Gespenst der Deflation, das da überall am Horizont gezeichnet wird, für völlig überzogen. Was wir im Moment haben, ist eine Des-Inflation, das heißt, wir haben sinkende Preise, aber das bedeutet noch nicht Deflation. Denn Deflation bedeutet, dass die Konsumenten und die Unternehmen in Erwartung weiter sinkender Preise ihre Konsumtions- bzw. Investitionspläne immer weiter hinausschieben. Davon kann meines Erachtens derzeit auf der Seite der Konsumenten jedenfalls nicht die Rede sein.
Kassel: Wer kauft denn im Moment oder bald? Sie haben zu Zeiten, als die Inflation höher war im vergangenen Jahr, vor Beginn der Krise, als auch der Unterschied zwischen dem offiziellen Wert und Ihren Berechnungen größer war, darauf hingewiesen, dass da, von der Preissteigerung vor allen Dingen, relativ arme Menschen betroffen waren und die Reichen natürlich weniger. Wer kauft jetzt? Die Reichen, die sozusagen kein Problem mit der Inflation hatten, oder die Armen, die eins hatten?
Brachinger: Ich meine beide. Die Reichen kaufen deshalb, weil sie das Inflationspolster, das sie angelegt haben, jetzt gerne wieder reduzieren, weil sie sehen, bei den kaufhäufigen Gütern ist jetzt eine gewisse Preisberuhigung eingetreten. Beispiel: Kauf eines Neuwagens. Viele Leute kaufen jetzt doch einen Neuwagen in Anbetracht der Abwrackprämie. Die Leute, die kaufen, das sind aber Leute, die hinreichend Ersparnisse zur Seite gelegt haben, um überhaupt einen Neuwagen sich leisten zu können.
Auf der anderen Seite, Leute mit niedrigen Einkommen, die kaufen jetzt keinen Neuwagen, weil sie die Ersparnisse nicht haben, aber sie kaufen jetzt wieder eben Butter, Brot und Milch etwas entspannter, als sie das in der Vergangenheit getan haben. Sie sehen im Grunde weniger Bedarf, Geld zu sparen, weil sie sich sagen, im Moment gehe ich mal davon aus, dass die Preise konstant bleiben, das heißt also, ich kaufe und konsumiere an der kaufhäufigen Front so, wie ich das traditionell tue.
Kassel: Lassen Sie uns aber noch einmal zurückkommen auf diese Zahl, die morgen noch mal endgültig für den Monat Januar verkündet wird – umgangssprachlich wie gesagt die Inflationsrate, Verbraucherpreisindex der offizielle Begriff des Statistischen Bundesamtes. Diese Zahl liegt im Moment bei rund einem Prozent, und Sie haben gesagt, Preisstabilität ist etwas ganz Wichtiges. Heißt das, eine ideale Inflation ist eine Inflation von null, 0,1 Prozent?
Brachinger: Nein, eine ideale Inflation liegt etwas höher. Es herrscht eigentlich bei den National-Bankern und auch in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass eine Preissteigerungsrate von unter, aber in der Nähe von 2 Prozent für das Funktionieren einer Wirtschaft optimal ist.
Kassel: So gesehen haben wir im Moment ein bisschen Spielraum nach oben. Ich frage jetzt im Moment jeden, der auch nur entfernt was mit Wirtschaft zu tun hat – Sie haben natürlich sehr viel mehr als entfernt was damit zu tun, deshalb muss ich Sie das fragen – Sie dürfen sich weigern, aber Sie dürfen auch eine Schätzung abgeben, auf die ich Sie garantiert später nicht mehr festlege: Wann ist die Krise vorbei?
Brachinger: Die Krise wird gegen Ende des Jahres ausklingen, sagen wir mal so.
Kassel: Das lasse ich so stehen. Das war Professor Hans Wolfgang Brachinger von der Universität Fribourg in der Schweiz über die Inflation, die gefühlte, die wahrgenommene und die offizielle und was sie für uns im Alltag bedeutet. Danke schön!
Brachinger: Ich danke Ihnen!