Wirtschaftsspionage im großen Stil

11.11.2013
Die Amerikaner, aber auch die Chinesen und die Russen, betreiben exzessiv Wirtschaftsspionage, erklärt der Sicherheitsexperte Volker Schnapp. Er gehe davon aus, dass auch der deutsche Geheimdienst "was von seiner Sache versteht".
Marietta Schwarz: Ob es nun das Mobiltelefon der Kanzlerin ist oder unsere private E-Mail, das Ausspähen durch Geheimdienste, das haben wir durch Edward Snowden inzwischen verinnerlicht, ist ganz alltäglich und keiner ist gefeit davor. Wenig gesprochen wurde bislang über Industriespionage auch durch ausländische Geheimdienste, und das geht, wie "Der Spiegel" in seiner neuen Ausgabe berichtet, bis hin zur Infiltrierung von Karrierenetzwerken wie "LinkedIn". Angeblich ein Viertel aller deutschen Unternehmen fürchtet, ausgespäht zu werden, nicht ganz so hoch ist die Zahl derer, die auch Konsequenzen daraus ziehen: Sicherheit erhöhen, umstellen auf europäische Dienstleister und so weiter. Volker Schnapp ist Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens "Fink", das auf Abhörschutz spezialisiert ist. Mit ihm sprach ich vor der Sendung, und ich habe ihn zuerst gefragt, ob das nicht großartige Zeiten sind für ein Unternehmen wie seines.

Volker Schnapp: Ja. Dennoch ist es für uns keine neue Erkenntnis. Wir sind immer wieder darüber erstaunt und verwundert, wie das derzeit gerade in der Presse breitgetreten wird. Und natürlich auch der Überraschungsmoment, der durch die Politik teilweise an den Tag gelegt wird, so nach dem Motto, wir haben alle nichts davon gewusst. Obwohl dieses Diskussion eigentlich schon seit einigen Jahrzehnten in der Sicherheitsbranche geführt wird.

Schwarz: Nicht so stark zumindest in der Öffentlichkeit möglicherweise das Ausspähen durch Geheimdienste. Betreiben denn alle Geheimdienste Industriespionage? Also auch zum Beispiel der BND?

Schnapp: Bei den deutschen Geheimdiensten ist es so, dass darüber wenige Informationen vorliegen. Was man weiß, ist, dass alle Länder um uns herum, natürlich vorwiegend die Amerikaner, aber auch die Chinesen und die Russen, exzessiv Wirtschaftsspionage betreiben.

Schwarz: Das heißt, wenn es alle anderen machen, dann wird es der deutsche Geheimdienst auch tun.

Schnapp: Es ist davon auszugehen, dass auch unser inländischer Geheimdienst was von seiner Sache versteht.

Schwarz: Aber was bedeutet es denn dann, wenn die USA, wie letzte Woche angekündigt haben, in einem No-Spy-Abkommen möglicherweise auf Industriespionage verzichten zu wollen? Kann man dem dann überhaupt trauen?

Schnapp: Also ich glaube solchen Aussagen nicht. Schließlich wäre es meiner Ansicht nach Irrsinn zu glauben, diese ganzen abgefangenen Daten wirklich nur um der Vorbeugung des Terrorismus zu nutzen und nicht auch für andere Zwecke wie zum Beispiel der Unterstützung der eigenen Volkswirtschaft.

Schwarz: Wie hoch schätzen Sie denn den wirtschaftlichen Schaden ein durch Industriespionage?

Schnapp: Die Zahl, die sich in der Fachwelt hartnäckig hält, wird auch öfter genannt, beziffert sich auf circa 50 Milliarden allein in Deutschland, die durch Industrie-, aber auch Wirtschaftsspionage entstehen. Das Problem hierbei ist schlicht und ergreifend, dass man es ganz, ganz schlecht monetär beziffern kann. Schließlich, die Auswirkungen von Spionageaktivitäten, die treten teilweise auch erst nach Jahren in Kraft. Wenn Sie sich vorstellen, dass beispielsweise Know-how abgeflossen ist zum Beispiel über in der Entwicklung befindliche Produkte, die erst nach Jahren auf den Markt kommen, aber dann vielleicht woanders schon am Markt platziert wird, ohne dass Sie es wissen, dann ist der Schaden natürlich immens, aber nicht unbedingt sofort auf diese Aktivität bezifferbar.

Schwarz: 50 Milliarden, eine gewaltige Summe. Jetzt sind Sie ja jemand, der anderen Unternehmen hilft, sich vor dem Abhören zu schützen. Wo lauern denn die Gefahren im Unternehmensalltag? Man denkt sofort an das Mobiltelefon und die Informationen, die in der Cloud so rumliegen – wo noch?

Schnapp: Da gibt es selbstverständlich extrem vielfältige Angriffsvektoren. Also wenn ich jetzt zum Beispiel über verbale Informationen nachdenke, dann kann das zum Beispiel auch die klassische Wanze sein, die es immer noch gibt und die auch immer noch genutzt wird. Bei digitalen Informationen ist es natürlich so: Alles, was Leute kommunizieren, auch, wie Sie eingangs sagten, zum Beispiel bei "LinkedIn", in sozialen Netzwerken, kann von großem Interesse sein. Schließlich ergibt sich dann für Dienste daraus wieder ein großes Bild von sogenannten Targets, also Ausspähungszielen, mit wem die kommunizieren, was sie kommunizieren, und all das ergibt wiederum ein Gesamtbild.

Schwarz: Es hat mir jemand erzählt, dass es selbst Funktionen an Reißwölfen gibt, die kontrollieren, was vernichtet werden soll?

Schnapp: Das ist richtig. Das ist einer der Funde, die bei uns großes Aufsehen erregt haben in den vergangenen Jahren. Da geht es natürlich um die Anzapfung der Informationen, die in dem Reißwolf landen, was sicherlich nicht der schlechteste Ansatz aus Sicht des Angreifenden ist. Wenn wir uns vorstellen, dass im Schredder normalerweise ja genau die Dokumente landen, die ich eben nicht preisgeben möchte, dann ist das dort das ideale Angriffsziel. Aber jenseits des Schredders sind wir noch auf andere extrem interessante Abhörtechniken gestoßen, zum Beispiel Abhörtechnik, die sich in dem Karton, in dem Verpackungskarton eines Mobiltelefons befand, die mit dort eingebrachter Technik über Jahre hinweg hätte aufzeichnen können, dadurch, dass sie natürlich auch aus der Ferne aktiviert und deaktiviert werden kann und nur dann aktiv ist, wenn wirklich etwas Interessantes passiert, kann man solche Abhörtechnik teilweise auch über Jahre mit kleinen Batterien betreiben.

Schwarz: Das hört sich an wie im Spionagefilm.

Schnapp: Korrekt, ja. Das wird auch gemacht, anderenfalls könnten wir unsere Funde ja auch nicht erklären. Was auch noch ein sehr interessantes Beispiel ist, sind sogenannte Körperschallmikrofone. Dafür muss ich nicht einmal den Raum betreten, sondern ich kann sie an der Außenfassade anbringen. Diese nehmen die Vibration innerhalb des Raumes durch das gesprochene Wort auf und strahlen diese über vielfältige Übertragungsmedien ab. Das kann zum Beispiel auch über GSM, also Mobilfunk passieren, oder eben durch andere Sendeeinrichtungen.

Schwarz: Aber das ist nicht etwas, was Ihnen im Alltag sehr oft begegnet?

Schnapp: Das begegnet uns sicherlich nicht sehr oft im Alltag. Was uns im Alltag begegnet, sind vielmehr die organisatorischen Schwachstellen, die zum Beispiel in Büros mit einhergehen oder in der Nutzung von Firmeninfrastruktur einhergehen. Sei es nur die schlechte Absicherung zum Beispiel von Etagenverteilern und Ähnliches, wo Sie heutzutage ja fast jedes Büro darüber abhören können.

Schwarz: Volker Schnapp, Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens Fink zur Industriespionage auch von ausländischen Geheimdiensten. Damit wird sich auch der zweite IT-Sicherheitsgipfel der Deutschen Wirtschaft in Bonn heute beschäftigen. Herr Schnapp, danke Ihnen für das Gespräch!

Schnapp: Sehr gerne!

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