Wirtschaftsmacht China

Der gefürchtete Aufsteiger - Konkurrent und Handelspartner

31:08 Minuten
Abendaufnahme der beeindruckenden Skyline von Shanghai, wo zahlreiche Neonlichter leuchten.
Shanghai am Abend im November 2018, kurz bevor die International Import Expo in der chinesischen Metropole stattfand. Chinas Aufstieg zur internationalen Wirtschaftskraft geht stetig voran. © imago / Xinhua
Von Matthias Becker · 25.06.2019
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In der Mobilfunktechnik ist China längst globale Spitze. Mit der Initiative "Made in China 2025" will das Land nun auch in anderen Sektoren zum zentralen Player werden - eine Kampfansage, deren Folgen auch und gerade deutsche Unternehmen spüren.
Knapp siebentausend Einwohner, drei Supermärkte, eine Tankstelle – Müncheberg in Brandenburg ist eine beschauliche Kleinstadt. Hier hat die Firma "Umwelt-Geräte-Technik", kurz UGT, ihren Hauptsitz.
"Wir verstehen uns als Partner der Wissenschaft in aller Welt und entwickeln gemeinsam neue Lösungen." Kerstin Thomsen, die Vertriebs-Managerin der UGT, führt durch das schmucklose zweistöckige Gebäude.
"Ganz wichtiger Bereich – das ist unser Vertrieb, der Innendienst und die Buchhaltung, die beiden Damen. Alle Aufträge werden hier bearbeitet, also das Herz des Unternehmens, so ein Stück - mit der Weltkarte an der Wand!"
UGT stellt Messgeräte für die Umweltforschung her. Zum Beispiel Lysimeter: große tonnenförmige Anlagen, um die Feuchtigkeit und Schadstoffbelastungen im Boden zu ermitteln.
"Das ist unsere Versandabteilung. Hier geht zum Beispiel eine Kiste nach China, an die Firma Ecotech International. Die wird verschifft, und diese geht nach Hongkong. Aber auch unsere Kollegen aus der Produktion, sehr erfahrene Monteure, sind weltweit unterwegs. Zum Beispiel wenn es sich um eine große Lysimeter-Anlage handelt, die vor Ort installiert wird, dann sind unsere Kollegen vor Ort dabei."

Die Geschäfte mit China werden schwieriger

Die UGT ist mit gerade mal 35 Mitarbeitern ein kleinerer Mittelständler. Aber die Firma besetzt eine Nische im Weltmarkt: hochwertige umwelttechnische Anlagen für Universitäten und Behörden. Besonders gefragt sind sie in Asien.
"50 Prozent unserer gesamten Produktion geht in den Export, und China ist der größte Markt für uns, ein gutes Viertel der Exporte geht nach China. Warum gerade China? China hat natürlich unendlich große Umweltprobleme."
Bauarbeiter stehen auf einem Feld in China und versenken einen Lysimeter im Erdreich.
Arbeit vor Ort: Einbau eines UGT-Lysimeters in China.© UGT GmbH
Aber, sagt Kerstin Thomsen, das internationale Geschäft wird zunehmend schwierig. Wegen Strafzöllen, Exportbeschränkungen und Sanktionen, wegen der wachsenden Unsicherheit. Durch den Handelskrieg zwischen den USA und China.
"Ja, das macht uns große Sorge. Man wünscht sich natürlich in der geopolitischen Lage Frieden. Denn Handeln kann man nur, wenn es keinen Krieg gibt. Natürlich ist die handelspolitische Weltlage auch für ein kleines Unternehmen wie uns immer ein ganz wichtiger Indikator, wo ist es möglich für uns, Geschäfte zu erzielen."

Chinas Aufstieg löst auch in Deutschland Nervosität aus

Die Spannungen zwischen Washington und Peking sind selbst noch im brandenburgischen Müncheberg zu spüren. Und diese Spannungen nehmen zu. Beide Seiten überziehen sich mit Vorwürfen und Verdächtigungen, mit Sanktionen und Strafzöllen. In dieser Auseinandersetzung geht es um Ökonomie und Geopolitik. Um die wirtschaftliche, technische und militärische Vorherrschaft.

"Wir waren nahe an einem Deal, dann wollten sie nachverhandeln. Das geht so nicht. Das geht so nicht."
- US-Präsident Donald Trump

"Warum sollten wir etwas von ihnen stehlen? Wie sollten wir stehlen, was sie noch gar nicht haben?"
- Huawei-Geschäftsführer Ren Zhenghfei

Zwischen den beiden Gegnern – der alten Weltmacht USA und der neuen Weltmacht China – steht Europa, steht Deutschland. Eine unbequeme Position.
Die jüngste Eskalation in dieser Auseinandersetzung verantwortet die US-amerikanische Regierung. Aber der Aufstieg der Volksrepublik China macht auch deutsche Manager und Politiker nervös. Denn das Land investiert massiv in Robotik, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.

"Wenn heute ein Auto in Deutschland gebaut wird, dann stammen 90 Prozent der Wertschöpfung aus Deutschland und den Nachbarländern. Wenn in Zukunft die Autos elektrisch fahren und autonom fahren mit Künstlicher Intelligenz, dann wird eben das Auto nur noch zu 50 Prozent seine Wertschöpfung in Europa realisieren. Und wer diese Technologien verpennt, der wird eines Tages die verlängerte Werkbank von anderen sein."
- Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Technologiekonzern Huawei - ein Präzedenzfall im Handelskrieg

Ist China wirklich eine Bedrohung? Wen bedroht China? Und mit welchen Mitteln?
"Wir sagen ja immer allen: Nennt uns doch ein spezifisches, ein konkretes Problem, das ihr mit unserer Technik habt. Dann können wir ja drüber reden!"
Patrick Berger ist der Pressesprecher von Huawei in Deutschland. Sein Unternehmen steht im Zentrum der amerikanisch-chinesischen Spannungen – das gegenwärtig wichtigste Schlachtfeld im Handelskrieg.
"Es ist sicherlich auch ein Stück weit eine US-amerikanische Kampagne, dass natürlich US-amerikanische Diplomaten und Dienste auf der ganzen Welt gerade unterwegs sind, auch mit deutschen Regierungsbehörden sprechen, und niemand hat uns bislang sagen können, was denn eigentlich der Vorwurf gegen Huawei ist – außer, dass es aus China kommt!"
Ein Computerchip mit dem Logo des chinesischen Konzerns Huawei
Streitfall Huawei: Spioniert die chinesische Firma die westlichen Industrienationen aus?© picture-alliance/dpa/Imaginechina/Da Qing
Seit letztem Jahr warnen US-amerikanische Diplomaten und Geheimdienste andere Länder vor Huawei. Sie wollen erreichen, dass der Konzern bei der Modernisierung der Mobilfunknetze mit 5G-Technik nicht zum Zuge kommt. Einige Staaten, darunter Japan und Australien, wollen Huawei nun aus seinen Märkten ausschließen. Andere Nationen, darunter Deutschland, stellen Huawei unter besonders scharfe Beobachtung.
Der Technologiekonzern verkauft Mobiltelefone und Mobilfunkanlagen, zum Beispiel Basisstationen und Netzwerkweichen. Seine Anlagen sind günstig und auf dem neuesten Stand der Technik. Auf allen Kontinenten werden Mobilfunknetze mit Huawei-Technik betrieben. Das Unternehmen gilt in der Branche als Weltmarktführer.

Spionage durch Mobilfunktechnik - ein schwerer Vorwurf

Aber diese Technik sei nicht sicher, lautet der Vorwurf. Huawei sei eng mit dem chinesischen Staat verwoben und spioniere im Ausland Betriebsgeheimnisse aus. Von geheimen Schwachstellen im Programmcode ist die Rede, mit denen die Chinesen Daten abgreifen könnten. Manche Experten fürchten sogar, China könne unter Umständen seinen Einfluss auf die Kommunikationsnetze zur Sabotage nutzen.
Ist Huawei ein Instrument in den Händen der Kommunistischen Partei Chinas? Enthält die digitale Maschinensteuerung Backdoors – Schnittstellen, die es erlauben, Daten mitzulesen oder die Anlagen sogar abzuschalten? Patrick Berger dementiert entschieden:
"Es gibt keinen einzigen Vorfall, keinen einzigen Hinweis, der diese Vorwürfe auch nur ansatzweise rechtfertigen würde. Im Gegenteil, unsere Sicherheitsbilanz ist sehr, sehr gut."
Tatsächlich konnten bisher, trotz erheblicher Anstrengungen der amerikanischen Nachrichtendienste, dem Konzern keine Backdoors nachgewiesen werden.
Im Fall Huawei geht es um Spionageabwehr und Cybersicherheit. Vor allem aber geht es um Handelspolitik.

Der Lieferant aus Müncheberg bekommt Konkurrenz in China

Zurück ins brandenburgische Müncheberg, zum Messgerätehersteller UGT. In einem geräumigen Besprechungszimmer im Erdgeschoss hängen Schautafeln über vergangene Projekte an der Wand.
"Man fand wenig Leute, die Englisch sprachen. Ohne Dolmetscher konnte man damals nicht nach China reisen. Als wir vor 20 Jahren anfingen, den chinesischen Markt zu bearbeiten, da fuhren noch Fahrradkolonnen durch China."
Seitdem hat sich viel verändert, erzählt Kerstin Thomsen:
"Ja, vor zwanzig Jahren hatten wir noch keinen nennenswerten Wettbewerber in China. Im Moment gibt es mindestens fünf Unternehmen dort am Markt, die wirklich schon in vernünftiger Art und Weise Lysimeter machen."
Demnächst, so die Vertriebschefin, wird die UGT auch vor Ort produzieren.
"Wir waren früher nur Lieferant. Jetzt werden wir immer mehr Partner. Wir sind dabei, eine Produktion vorzubereiten, es wird in naher Zukunft eben nicht nur das UGT-Lysimeter aus Deutschland geben, sondern es wird ein China-Lysimeter geben, noch spezialisierter für den asiatischen Markt."

Geringer Patentschutz in China

Viele Unternehmen mit Produktionsstätten in China beklagen, dass der Staat vorschreibt, technisches Know-how an einheimische Firmen weiterzugeben. Außerdem kopieren manche asiatische Hersteller westliche Produkte immer noch ohne Rücksicht auf geistiges Eigentum. Zwei wesentliche Vorwürfe im gegenwärtigen Handelskrieg – Kerstin Thomsen beeindrucken sie nicht:
"Die Technik, die für China interessant ist, ist patentiert. Und die haben wir auch in China patentieren lassen." Allerdings klappe dies nur "bedingt", führt Kerstin Thomsen aus und lacht.
"Man versucht, Dinge nachzumachen. Diese Dinge werden auch immer besser. Da muss man sich dann zuhause wieder auf den Hosenboden setzen und Neuerungen schaffen, die eben im chinesischen Lysimeter noch nicht da sind. Ich kann mit einem Patent für einen bestimmten Zeitraum bestimmte Dinge sichern, aber ich kann nur überleben, wenn ich immer wieder neu innovativ tätig bin. Das ist der einzige Weg. Ein Sich-Ausruhen auf dem Geschützten funktioniert nicht."

China steigert seine Wettbewerbsfähigkeit

Das Beispiel der UGT zeigt: der dankbare Abnehmer deutscher Produkte wandelt sich allmählich zu einem Konkurrenten deutscher Produzenten. Für innovative Firmen mit einem technischen Vorsprung mag das kein Problem sein. Für andere Unternehmen durchaus:
"China hat nach einer Phase des Aufholens jetzt eine Position erreicht, wo es natürlich wesentlich stärker ist, und aus dieser stärkeren Position auch größere Ansprüche stellt. An seinen Platz unter den wichtigsten Staaten der Welt, industriepolitisch, technologisch", erklärt Margot Schüller vom Hamburger GIGA-Institut für Asien-Studien. "Die Rolle Chinas hat sich verändert, und damit natürlich auch die Position, die wir gegenüber China haben."
China will nicht mehr nur billige Massenware herstellen, sondern Hightech. Mit dem Investitions- und Forschungsprogramm "Made in China 2025" setzt es unter anderem auf Künstliche Intelligenz, Robotik, E-Mobilität und Biomedizin:
"Die letzten 40 Jahre sind ja vor allem ein Prozess des Aufholens gewesen, quantitativ. Jetzt geht es um Qualitätssteigerung. Jetzt geht es darum, dass die Industrien auch stärker in die Bereiche der Technologieführerschaft reinkommen. Und das können sie nur, wenn sie auch tatsächlich ausreichend Innovation machen, mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Dieser Umbruch ist ganz notwendig."
Die großen Schwellenländer wie beispielsweise Indien oder Brasilien sind immer noch auf Technologie-Importe angewiesen, obwohl ihre Wirtschaft im Vergleich zu den Industriestaaten kräftig wächst.
China will sich aus dieser Abhängigkeit befreien: Statt Zulieferbetriebe zu bleiben sollen die Unternehmen ans Ende der Produktionskette, denn dort werden die größten Gewinne gemacht. Für China steht die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt auf dem Spiel – und damit auch seine weltpolitischen Ambitionen.
Das bedeutet aber: Deutsche und chinesische Hersteller kommen sich immer häufiger ins Gehege.
"Chinesische Produkte und Dienstleistungen sind sehr viel wettbewerbsfähiger geworden in Europa", sagt Margot Schüller. "Das heißt, hier sind auch Arbeitsplatzverluste, die anstehen durch die schnelle Restrukturierung, die sein müsste. Der Druck, der durch Chinas Aufstieg entstanden ist, hat zugenommen, und dementsprechend hat man auch eine gewisse Skepsis, ob man mithalten kann."

China nutzt seine Marktmacht unfair

Der Niedergang der Solartechnik in Deutschland ist dafür ein drastisches Beispiel. Weil der chinesische Staat die Photovoltaik massiv förderte, entstanden riesige Überkapazitäten, die mit Dumpingpreisen auf den Weltmarkt gedrückt wurden.
In den Jahren 2011 und 2012 gingen deutsche Solartechnik-Hersteller reihenweise pleite, darunter die Firma Q-Cells aus Bitterfeld.
"Und dazu kommt natürlich, dass China aufgrund seines unterschiedlichen Wirtschaftssystems aus der Sicht vieler nicht fair spielt."
Waren Made in China gehen in alle Welt, aber seine eigenen Märkte öffnet China nur zum Teil. Unternehmen aus dem Ausland sind willkommen – solange sie technologisches Know-how mitbringen und dalassen. Die Staatsführung lenkt Investitionen in erwünschte Bahnen und fördert Konzerne, um technologisch und preislich führende Weltmarkt-Champions aufzubauen.
Dies ist natürlich keine chinesische Besonderheit. Beispielsweise gewährte Deutschland der Firma Airbus einen Kredit von knapp einer Milliarde Euro, um im strategisch wichtigen Bereich Flug- und Rüstungstechnik einen deutsch-europäischen Champion aufzubauen.
Aber der chinesischen Regierung stehen andere Mittel zur Verfügung, um die Wirtschaft zu lenken und sich nötigenfalls über die Interessen einzelner Unternehmer oder Branchen hinwegzusetzen. Und sie kann im Rennen um die Technologieführerschaft enorme Geldsummen mobilisieren.

Globale Ambitionen mit der Neuen Seidenstraße

China will in Europa, Asien und Afrika Häfen, Verkehrswege und Kommunikationsnetze bauen. Dieses internationale Investitionsprogramm wird auch als "Neue Seidenstraße" bezeichnet. Im "Belt and Road Song", einem Propagandalied für die "Belt and Road"-Initiative singen Kinder unterschiedlicher Herkunft von ihrem gemeinsamen Traum: die Welt wächst zusammen.
Das Video über die Neue Seidenstraße, illustriert mit handgezeichneten Bildern, erinnert an die Sesamstraße:
Hand in Hand hüpfen niedliche Kinder unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe einer besseren Zukunft entgegen. Die Botschaft: Handel bringt Frieden und Völkerverständigung und nutzt allen.
Aber die Neue Seidenstraße steht auch für die geopolitischen Ambitionen Chinas. Mittlerweile führt sie bis nach Deutschland – zum Beispiel nach Heidelberg:
Vielstöckige Gebäude mit langen Balkonen, dazwischen Spielplätze, ein Parkhaus, ein paar Geschäfte – der Emmertsgrund überragt die Heidelberger Innenstadt. Das Neubauviertel wird seinerseits überragt von einem beeindruckenden Gebäude: ein weißes Hochhaus, das sich geradezu majestätisch über die rheinische Tiefebene mit ihren Äckern, Autobahnen und Fabrikanlagen erhebt.

China auf Ideensuche in Heidelberg

In der hohen Eingangshalle des Bürogebäudes plätschert Wasser in einen künstlichen Teich. Goldfische schwimmen darin und sperren in der Hoffnung auf Futter ihre kreisrunden Mäuler auf. Seit einem Jahr residiert hier der Sino German Hi-Tech Park.
Pressesprecherin Tanja Sitzer erklärt die Geschäftsidee:
"Wir haben hier jetzt siebzehn Etagen, und die Idee dahinter ist die, sie als Plattform zu nutzen, dass im Grunde chinesische Wirtschaftszonen hierherkommen, die den Auftrag haben, deutsche Firmen nach China zu bringen."
Ein aus einem Waldpärkchen herausstehender Wolkenkratzer in Heidelberg vor Kulisse eines Sonnenuntergangs.
Der Sino German Hi-Tech Park in Heidelberg will buchstäblich hoch hinaus.© Sino German Hi-Tech Park Holding GmbH
Tanja Sitzer wendet sich um und zeigt auf die große Tafel über dem Empfangstisch:
"Die Etage 14 zum Beispiel, Shanghai-Lingan, ist eine Wirtschaftszone. Oder hier, Nummer zwölf, Hunan, ist auch eine Wirtschaftszone, Tianjin, Tedah, das sind Wirtschaftszonen, Huanchou, Beda auf der Neun ist eine Wirtschaftszone, Guiyang, ebenfalls auf der Neun, und eine der größten ist Shenyang Offshore Center. Und das ist die Wirtschaftszone, wo BMW seine weltweit größte Produktionsstätte gerade baut. Und so soll das Geschäft entstehen. Im Grunde ist das so eine Art Matchmaking."
Gegründet wurde der deutsch-chinesische Hightech-Park von dem chinesischen Investor Sompo Chou. Er funktioniert wie eine Kontaktbörse, außerdem bietet das Unternehmen Hilfe und Beratung für deutschen Mittelständler, die den Sprung auf den chinesischen Markt nicht auf eigene Faust wagen wollen. Die Zielgruppe ist die Biomedizin, Digital- und Automatisierungstechnik – entsprechend der Industriestrategie Made in China 2025.

"Keine Zeit, irgendetwas zu verschlafen"

Mike de Vries, der Chief Operating Officer des Matchmakers, räumt ein, dass der chinesische Aufstieg Ängste auslöst.
"Die Initiative aus China, mit den beiden Strategien 'China 2025' und auch der 'Belt and Road', ist sehr dynamisch unterwegs - geschoben durch das Wirtschaftswachstum, das immerhin noch bei 6,1 oder 6,2 Prozent liegt. Legt man das auf die Größe der Volkswirtschaft an, dann weiß man, was für ein Volumen das ist. Und aus deutscher Sicht haben wir eigentlich keine Zeit irgendetwas zu verschlafen oder zu verlangsamen, sondern wir müssten mit höchster Dynamik ebenfalls einsteigen. Und dann verspreche ich mir für die Zukunft doch sehr, sehr positive Akzente aus dieser Partnerschaft."
Der Technologietransfer, betont Mike de Vries verläuft nicht mehr nur von Europa nach Asien.
"Wenn Sie genau hinschauen, in die Industrien und teilweise auch in die Forschungsprojekte, dann ist ja operativ schon viel, viel mehr unterwegs, als überhaupt wahrgenommen wird. Ich könnte ein Beispiel benennen: Ein deutsches, mittelständisches Unternehmen braucht zwei Komponenten, die sie nicht mehr selbst in entsprechender Qualität herstellen können. Die kommen dann mittlerweile aus China."

Deutsche Industrie fürchtet Nachteile im "Systemwettbewerb"

Ein Grund zur Sorge? Der Bundesverband der Deutschen Industrie meint: ja.
Anfang des Jahres veröffentlichte der BDI ein Grundsatzpapier mit dem Titel "Partner und systemischer Wettbewerber". Die staatlich gelenkte chinesische Wirtschaftsordnung und die liberale hierzulande stünden in einem Zitat: "Systemwettbewerb". Stefan Mair, Mitglied der BDI-Geschäftsführung, hat das Positionspapier mitverfasst.
"Zum einen hat China selbst mit seiner Strategie 'Made in China 2025' klargemacht, dass sie in sehr vielen Sektoren, die wichtig für uns sind, eine dominante Marktstellung erwerben wollen und dafür auch staatliche Hilfe einsetzen. Wir haben aktivere Parteizellen wiederum in chinesischen Unternehmen, wir haben ein stärkeres Bekenntnis zur wichtigen Rolle von Staatsunternehmen. Die 'Belt and Road'-Initiative, die aus unserer Sicht eben auch sehr stark für den Willen Chinas steht, dieses System auch nach außen zu tragen. Über Standardsetzung, über eine starke Rolle von chinesischen Staatsunternehmen dann auch auf diesen Märkten. Daran wird für uns auch deutlich: Es ist nicht nur ein inländischer Kontext, es wird nach außen getragen."

Ist unser Blick auf Chinas Fortschritt verzerrt?

Bis zum Jahr 2030 wird China zur weltweit größten Nationalökonomie werden, prognostizieren Wirtschaftswissenschaftler. Aber die Wahrnehmung der chinesischen Erfolge und Ambitionen wird von der Angst getrieben – und verzerrt.
So jedenfalls sieht es Dingding Chen, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität von Jinan und Leiter des "Instituts zur Erforschung der Seidenstraße im 21. Jahrhundert". Er betont, sein Land sei im Rennen um die Technologieführerschaft noch längst nicht zur Spitze vorgedrungen:
"Der chinesische Staat strebt vielleicht die Technologieführerschaft in vielen Feldern an, aber ich halte das nicht für realistisch. Die Ziele sind zu ehrgeizig. Kein Land kann überall Technologieführer sein und alle anderen übertreffen. Wettbewerb ist kein Nullsummenspiel. Du hast das Rennen nicht verloren, nur weil du nicht den ersten Platz bekommst."

Handelskrieg bremst chinesische Innovation aus

Von der Technologieführerschaft ist China immer noch weit entfernt. Mit einer bezeichnenden Ausnahme: Huawei und die 5G-Technologie – gleichzeitig ein wesentlicher Konflikt im Handelskrieg. Chinesische Mobilfunkkonzerne setzen internationale Standards und gestalten technische Normen mit. Jan-Peter Kleinhans, Leiter des Projekts "IT-Sicherheit im Internet der Dinge" bei der Denkfabrik "Stiftung Neue Verantwortung", erklärt, im Mobilfunk der nächsten Genration sei der Sprung ans Ende der Wertschöpfungskette gelungen:
"Huawei ist das erste chinesische Unternehmen, das zu einem Marktführer wurde. Und mit 5G hat China gezeigt, dass es letztlich bei der gesamten Herstellungskette dominant sein kann. Bei der Standardisierung, bei der Innovation, bei der Produktentwicklung und später beim Ausliefern."
Collage zweier Porträtfotos des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und des US-Präsidenten Donald Trump.
Die Präsidenten der beiden großen Wirtschaftsmächte: Xi Jinping (li.) und Donald Trump.© picture alliance/AP Photo
Der Handelskrieg droht nun, den Aufstieg innovativer Unternehmen aus China auszubremsen. Aber trotz der gegenwärtigen Eskalation müssten China und Amerika sich letztlich doch einigen, glaubt Dingding Chen. Sein Land sei bereit, sich wirtschaftlich weiter zu öffnen:
"Ein konkretes Beispiel: In meiner Heimatprovinz Guangzhou investiert der Chemiekonzern BASF zehn Milliarden US-Dollar. Aber diesmal ist die Fabrik zu 100 Prozent Eigentum der BASF. Ausländische Unternehmen sehen durchaus noch Wachstumschancen, und sie müssen kein Joint-Venture mehr eingehen. Ihr könnt 100 Prozent der Anteile halten oder auch nur 50 Prozent, je nach den Umständen."
Solche Entwicklungen beeindrucken Stefan Mair vom Bundesverband der Deutschen Industrie nicht:
"Ich sehe durchaus, dass etwas passiert, ich glaube nur nicht, dass das, was passiert, uns tatsächlich in eine Richtung führt, die wir lange Zeit angenommen haben: Es findet eine Konvergenz statt, es findet eine Annäherung statt, es findet eine weitere Öffnung des Marktes statt. Hier glaube ich, müssen wir uns ein Stück weit ehrlich machen und sagen: Nein, das sehen wir so nicht. Und deswegen müssen wir uns den Konsequenzen stellen."

Keine gemeinsame europäische China-Strategie in Sicht

Sich dem Systemwettbewerb mit China stellen – wie kann das gehen? Bisher reagiert die deutsche Regierung auf die chinesische Herausforderung auf dreierlei Weise:
Sie will eine eigene Industriepolitik betreiben, sie erschwert den Technologietransfer und sie fordert europäische Geschlossenheit. Auch Stefan Mair vom BDI glaubt, die Europäer müssten stärker zusammenhalten:
"Uns ist es extrem wichtig, dass wir eine europäische Abstimmung über den Umgang mit China hinbekommen. Ich sehe noch nicht, dass die tatsächlich passiert. Wir haben keine europäische China-Strategie, im Gegenteil. Wir haben sehr aktive Versuche der chinesischen Regierung, gemeinsame Positionen zu unterminieren, zu unterlaufen. Wir haben durchaus Sonderbeziehungen einzelner Staaten zu China, und ich glaube, wir müssen sie viel stärker in den europäischen Kontext stellen."
Allerdings klaffen die Interessen der Mitgliedsländer weit auseinander. Die sogenannten Randländer in der Europäischen Union, in Südeuropa und auf dem Balkan, sind froh über Infrastruktur-Investitionen – selbst wenn sie aus China kommen. Auch im Fall Huawei konnte die EU-Kommission keine gemeinsame Linie durchsetzen.

China ist Deutschlands Handelspartner Nr. 1

Was tun im Rennen um die Technologieführerschaft?
Auf einer Pressekonferenz im April forderte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU eine stärkere Rolle des Staates. Dieser müsse dafür sorgen, dass in Deutschland die Technologien der Zukunft hergestellt werden:
"Wer diese Technologien beherrscht, der hat eine Chance, vorne mit dabei zu sein. Wer diese Technologien verpennt, der wird eines Tages die verlängerte Werkbank von anderen sein."
"Nationale Industrie-Strategie 2030" nennt Peter Altmaier seine Initiative – kein Zufall, dass das nach "Made in China 2025" klingt. Ob dieser Ankündigung konkrete Maßnahmen folgen werden, ist noch unklar.
Klar ist dagegen, dass die Regierung Übernahmen durch ausländische Firmen immer kritischer sieht, besonders wenn die Käufer aus China kommen.
Allerdings fürchten längst nicht alle Wirtschaftsvertreter einen Ausverkauf und den Abfluss von industriellem Know-how. Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Industrie- und Handelskammertages, wendet sich entschieden gegen protektionistische Tendenzen.
"China ist definitiv unser wichtigster Handelspartner. Auch ein Produktionsstandort, wenn man das heute bewertet, wie viele deutsche Unternehmen dort investiert haben, wie viel die Produktionsanlagen wert sind, dann sind wir bei 80 Milliarden Euro. Und wenn wir das in Bezug zur Industrie setzen, dann ist China neben den USA für uns der wichtigste außerdeutsche Produktionsstandort. Annähernd eine Million Menschen werden durch deutsche Direktinvestitionen in China beschäftigt - also, wenn man so will, in deutschen Unternehmen. Umgekehrt ist ein Missverhältnis: Chinesische Investitionen machen in Deutschland, obwohl ganz kritisch darüber diskutiert wird, nur einen ganz, ganz kleinen Bruchteil der Gesamtinvestitionen aus."

Der US-Handelskrieg verunsichert deutsche Kunden

Die Handelsgespräche zwischen China und den Vereinigten Staaten wurden abgebrochen. Im Streit um Huawei hat die Trump-Regierung Fakten geschaffen: Firmen, die in den Vereinigten Staaten tätig sind, dürfen den chinesischen Konzern nicht mehr beliefern oder sich von Huawei beliefern lassen.

"Unser Land wird 100 Milliarden Dollar an Zöllen einnehmen, und das bezahlt übrigens China, nicht wir. Und die Unternehmen werden in unser Land zurückströmen. Wir werden unsere Waren selbst herstellen, so wie es früher war! Ich glaube, die Sache läuft gut, und Zölle sind eine ausgezeichnete Alternative."
- US-Präsident Donald Trump, Ende Mai 2019

Viele Zulieferer und Abnehmer stellten daraufhin die Kooperation ein. Für seine Mobilfunktelefone kann Huawei das Android-Betriebssystem und beliebte Apps wie Google Maps nicht mehr in vollem Umfang nutzen. Apple entwickelt Pläne, um seine iPhones und iPads außerhalb von China fertigen zu lassen.
Deutsche Kunden von Huawei wie Infineon, Siemens oder Bosch sind verunsichert. Es scheint, als müssten sie sich zwischen dem amerikanischen und chinesischen Markt entscheiden.

Wollen die USA China isolieren?

Hinter vorgehaltener Hand begrüßten einige deutsche Unternehmer die konfrontative Haltung der Trump-Administration. Sie hofften, so würden den Chinesen Zugeständnisse abgerungen, von denen schließlich auch Deutschland profitiert hätte. Nun müssen sie feststellen, dass die Amerikaner vielleicht gar keine Zugeständnisse wollen, sondern versuchen, China zu isolieren, um dessen Aufstieg zur Weltmacht zu verhindern oder wenigstens zu verlangsamen.
Geht es darum im Fall Huawei? Daniel Voelsen von der regierungsnahen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik:
"Ich bin tatsächlich immer noch etwas hin und hergerissen. Die Dinge entwickeln sich gerade sehr schnell. Zum Teil hat man den Eindruck, dass das Thema Huawei 5G für die Amerikaner Verhandlungsmasse ist. Variante zwei lautet: Das Ganze ist Teil einer wirklich langfristig angelegten Strategie der Entkopplung, des 'Decouplings' von China."
Decoupling ist ein Schlagwort aus der amerikanischen geostrategischen Debatte: Die Verbindungen zu China werden gekappt.
Tendenzen der Entkoppelung sind bereits unübersehbar: Für chinesische Studenten beispielsweise wird es zunehmend schwierig, Visa für die Vereinigten Staaten zu bekommen. Importe von Solaranlagen oder U-Bahnen werden misstrauisch beäugt, denn diese, sagen US-Senatoren, seien ein Einfallstor für Spionage und Sabotage.

Die Rückkehr des Protektionismus

Und Europa?
"Die Amerikaner können uns ja nicht vorschreiben, welche Produkte wir kaufen, aber es kann sein, dass sie einfach praktisch Fakten schaffen. Und meine große Sorge ist, dass Europa sehr klar da in eine Zuschauerrolle gedrängt wird."
Die Reste von Vertrauen zwischen Europa, China und Amerika kommen abhanden. Der Protektionismus kehrt mit Macht zurück, die bisherige Ordnung der internationalen Politik und des Weltmarktes zerbricht.

Mitwirkende des Features

Autor: Matthias Becker
Redaktion: Constanze Lehmann
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Sprecherin: Eva Kryll
Sprecher: Markus Hoffmann
Zitator: Torsten Föste
Produktion: Deutschlandfunk Kultur, 2019

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